Zusammenfassung
Stets wird die Darstellung seelischer Erscheinungen in der Wissen. schaft mit zwei Mängeln zu rechnen haben. Das stetige, allseitige Weben der Psyche kann in der sachlichen Wissenschaft nur streckenweise und als ruhendes Material erfaßt werden. Und das Abbild, das sie liefert, muß so viel Gehalt besitzen, daß es, durch seine Andeutungen bloß, vorhandene Empfänglichkeiten des Lesers und Zuhörers in Schwingung bringen kann. Nicht anders als die Kunst verlangt auch die Seelenkunde jenes starke, intuitive Erfassen ihres Stoffes, ein Ergreifen und eine Ergriffenheit, die über die Grenzen der Induktion und Deduktion hinaus: gehen. Wenn ich den Namen Nietzsche nenne, so ist eine der ragenden Säulen unserer Kunst enthüllt. Jeder Künstler, der uns seine Seele schenkt, jeder Philosoph, der uns verstehen läßt, wie er sich geistig des Lebens bemächtigt, jeder Lehrer und Erzieher, der uns fühlen läßt, wie sich in ihm die Welt spiegelt, geben unserem Blick Richtung, unserem Wollen ein Ziel, sind uns die Führer im weiten Land der Seele. In den Denkgewohnheiten und in der seelischen Blickrichtung des wissenschaft. lichen Forschers liegt viel geheiligte Tradition, die sich im Wort und im Satzbau nicht verraten. Und doch ist sie gebändigter künstlerischer Urinstinkt, der tragende Geist seiner Arbeit. Bis die heiligere Not ihn zwingt, wie ein suchendes Kind altes Räderwerk zu zerbrechen. Neue Wege zu ersinnen, Kunstgriffe und Finten aneinanderzureihen, die Schwierigkeiten des Stoffes zu umkreisen, die realen gegebenen Wider, stände zu beschleichen, lehrt ihn sein schaffender Geist.
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© 1928 J. F. Bergmann in München
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Adler, A. (1928). Der nervöse Charakter. In: Wexberg, E. (eds) Heilen und Bilden. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-91112-5_14
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