Im Rahmen der empirischen Bildungsforschung werden derzeit drei zentrale Basisdimensionen zur Beschreibung von Unterrichtsqualität fokussiert, und zwar die Klassenführung, die konstruktive Unterstützung und die kognitive Aktivierung. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Basisdimensionen Lern- und Bildungsverläufe fachübergreifend beeinflussen. Die Tatsache, dass sich entsprechende empirische Befunde hauptsächlich auf mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer beziehen (Kunter & Ewald, 2016), hat gegenwärtig zur Folge, dass fachspezifische Auslegungen auch über diese Fächergruppen hinweg zunehmend gefordert werden (Klieme & Rakoczy, 2008). Für das Fach Sport liegen bereits empirische Studien zur Klassenführung und zur konstruktiven Unterstützung vor (u. a. Herrmann, Seiler, Pühse, & Gerlach, 2015). Die Dimension der kognitiven Aktivierung wurde bisher vornehmlich konzeptionell betrachtet (Wibowo, Krieger, Gerlach, & Bükers, 2021), nur vereinzelt liegen empirische Erkenntnisse vor (Praetorius et al., 2020). Herrmann und Gerlach (2020) mahnen daher eine stärkere sowohl im Fachdiskurs theoretisch verortete als auch empirisch fundierte Ausdifferenzierung gerade dieser Basisdimension an. An diesem Desiderat setzt der vorliegende Beitrag an.

Im Hinblick auf eine kognitive Aktivierung erscheint es für das Fach Sport dabei zunächst fraglich, inwieweit das Adjektiv kognitiv sinnvoll gewählt ist: Geht man davon aus, dass im Zentrum des Sportunterrichts das Bewegungshandeln steht, das ästhetische Erfahrungen ermöglicht, denen Reflexivität inhärent ist (Bietz & Scherer, 2017; Künzell, Maurer, Voigt, & Zentgraf, 2023; Laging, 2018), die demnach also im Sich-Bewegen stattfinden, dann erscheint das Adjektiv kognitiv in gewisser Weise irreführend. In diesem Beitrag wird im Hinblick auf die Fachspezifik davon ausgegangen, dass es im Sportunterricht um eine (häufig auch zeitgleiche) kognitive und motorische Aktivierung geht (Messmer, 2018). Motorische Aktivierung ist dabei nicht gleichzusetzen mit rein physiologischer Aktivitätssteigerung, wie bspw. ins Schwitzen zu kommen. Vielmehr verlangt der Aktivierungsbegriff eine vertiefte Auseinandersetzung mit fachlichen Gegenständen (Lipowsky, 2020), die im Kern des Fachs Sport im subjektiv anspruchsvollen Bewegungshandeln liegt. Eine so verstandene motorische Aktivierung wird mit dem Adjektiv kognitiv tendenziell ausgegrenzt, deshalb wird im Folgenden auf diese Bestimmung verzichtet und in einem breiteren Verständnis von Aktivierung als Unterrichtsqualitätsdimension im Fach Sport gesprochen.

Ausgehend von diesem Begriffsverständnis ist folgende Forschungsfrage leitend: Was sind für erfahrene Sportlehrer:innen bedeutsame Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts?

Nach einem kurzen Überblick zu den Basisdimensionen der Unterrichtsqualität werden zunächst auf theoretischer Ebene sowohl explizit vorliegende sportdidaktische Konzeptionen eines aktivierenden Sportunterrichts dargestellt, als auch implizite Bezüge des Fachdiskurses zur Aktivierung im Sportunterricht herausgearbeitet. Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts werden hiervon abgeleitet. Diese Kriterien beziehen sich auf das Handeln von Sportlehrkräften, die das Ziel verfolgen, vertiefte Lernprozesse bei Schüler:innen anzuregen. Daher erscheint die Akteur:innenperspektive von erfahrenen Lehrkräften als unmittelbar relevant. Unter der Annahme, dass erfahrene Sportlehrkräfte als Expert:innen ihres eigenen Handelns fundierte Aussagen über einen qualitätsvollen Unterricht im Hinblick auf die Aktivierung treffen können (Krauss & Bruckmaier, 2014), werden die theoretisch benannten Kriterien zunächst in deduktive Kategorien überführt, um sodann auf dieser Grundlage die Erlebens- und Deutungsweisen im Hinblick auf einen aktivierenden Sportunterricht zu untersuchen und die leitende Forschungsfrage zu beantworten. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert und ein Ausblick auf sportdidaktische Konsequenzen skizziert.

Theoretische Verortung eines aktivierenden Sportunterrichts

Kognitive Aktivierung als generische Basisdimension der Unterrichtsqualität

Von den drei generischen Basisdimensionen der empirischen Unterrichtsforschung bezieht sich die Basisdimension Klassenführung auf einen strukturierten, klaren und störungspräventiven Unterricht mit möglichst effizienter Zeitnutzung für aktive Lernprozesse ohne Zeitverluste. Hierbei spielen Aspekte eine Rolle, die bereits von Kounin (1976) genannt werden, etwa die Allgegenwärtigkeit (d. h. dem Verhalten der Schüler:innen aufmerksam folgen), die Überlappung (d. h. mehreren Dingen gleichzeitig nachkommen), Reibungslosigkeit und Schwung (d. h. Vermeidung unnötiger Unterbrechungen) sowie die Gruppenmobilisierung (d. h. Anregung zur aktiven Teilnahme).

Die Basisdimension konstruktive Unterstützung bezieht sich nach Kunter und Ewald (2016) sowohl auf Aspekte der Strukturierung von Lehr-Lern-Prozessen (bspw. konstruktiver Umgang mit Fehlern) als auch der Beziehungsqualität (bspw. Fürsorge, positives Klima). Die Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktionen sollten demnach im Wesentlichen von lernrelevanter Unterstützung geleitet sein (u. a. Heemsoth & Miethling, 2012).

Die Basisdimension (kognitive) Aktivierung formuliert den Anspruch, Lernende zu einer elaborierten, vertieften Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand und zu zunehmend selbsttätigen Lernprozessen anzuregen. Dies solle durch die Art der Aufgabenauswahl und der konkreten Aufgabenstellung sowie über entsprechende Anregungen zum reflexiven Handeln angestoßen werden (Lipowsky, 2020). Im Hinblick auf mögliche Zusammenhänge der drei Basisdimensionen wird schließlich mit Bezug auf das Angebots-Nutzungs-Modell betont, dass eine gute Klasseführung und ein positives Klima als Voraussetzungen für eine Aktivierung zur elaborierten Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand entscheidend sind (ebd.).

Aktivierung aus sportdidaktischer Perspektive

Sportdidaktische Forschungsansätze zu einem aktivierenden Sportunterricht gehen von unterschiedlichen Positionen aus. Auf der einen Seite werden bspw. Kompetenzorientierung, Wissensvermittlung oder Aufgabenkultur in den Mittelpunkt gestellt sowie auf der anderen Seite dem bildenden und reflexiven Sportunterricht Bedeutung zugeschrieben (Herrmann & Gerlach, 2020; Wibowo et al., 2021; Wolters & Lüsebrink, 2017). So lassen sich verschiedene Ansätze identifizieren, die sich dem Thema der Aktivierung explizit annehmen oder die implizit mit diesem Thema in Verbindung gebracht werden können.

Auf einer bewegungswissenschaftlich-handlungstheoretischen Basis arbeiten Niederkofler und Amesberger (2016) Kognitionen als Strukturgrundlage motorischer Lernprozesse im Sinne von Antizipations‑, Realisations- und Interpretationsprozessen heraus. Aktivierung im Sportunterricht zielt hier primär auf den Aufbau und die Veränderung von bewegungsbezogenen Handlungsrepräsentationen ab. Empirisch konnten erste Zusammenhänge handlungsorientierter Instruktionen zu volitionalen Variablen gezeigt werden (Niederkofler, Herrmann, & Amesberger, 2018).

In Ansätzen eines mehrperspektivischen Sportunterrichts wird Aktivierung vor allem im Sinne kognitiv orientierter Aufgabenstellungen und der Anregung von (sprachlichen) Reflexionsprozessen, u. a. zur individuellen Deutung und Mitgestaltung von Bewegung, Spiel und Sport im Sportunterricht ausgelegt (Balz, 2021; Hapke & Cramer, 2020; Hapke & Waigel, 2019). Empirische Studien zeigen hier vor allem, dass in der Schulpraxis diese Ansprüche bislang erst in Einzelfällen eingelöst werden (Balz, 2016; Hapke, 2018).

Sportdidaktische Arbeiten, die sich mit dem Kompetenzbegriff auseinandersetzen, implizieren ein Aktivierungsverständnis, das relevante Aktivitäten von Schüler:innen im Sportunterricht auf motorischer und kognitiver Ebene berücksichtigt, z. B. als Ansteuerung operativer und reflexiver Handlungsfähigkeit im Sport (Gogoll, 2020; Sygusch, Hapke, Liebl, & Töpfer, 2021). Die unterschiedlichen Kompetenzmodelle liefern hier jeweils eigene Systematisierungen dessen, wozu genau Schüler:innen im Sportunterricht aktiviert werden sollen und wie sie dabei zu begleiten sind (Gogoll, 2020; Messmer, 2021; Pfitzner, 2018). Empirische Befunde zur Umsetzung eines solchen Unterrichts wurden bislang erst vereinzelt aus der Perspektive von Lehrkräften (Ptack, 2019) und Schüler:innen erarbeitet (Schönfeld, 2021).

Unter dem Unterrichtsprinzip einer reflektierten Praxis lassen sich (implizit) Ansätze zum sportdidaktischen Aktivierungsdiskurs verorten, denen es u. a. ausgehend von interaktions- und kommunikationstheoretischen Fundierungen darum geht, das Spannungsfeld der Praxis körperlichen Tuns und der Praxis der Reflexion im Fach Sport auf Möglichkeiten eines konstruktiven Verhältnisses zu prüfen (Serwe-Pandrick, 2016). Unterrichtsmethodisch werden hier an individuellen Erfahrungen ansetzende, problemorientierte, offene Settings als gehaltvoller Ausgangspunkt reflektierter Praxis gesehen. Empirisch liegen hierzu Fallanalysen vor, in denen entsprechende Interaktionsprozesse rekonstruiert werden (u. a. Serwe-Pandrick, 2016).

Problemorientierte Unterrichtssettings lassen sich auch unter einer konstruktivistischen Perspektive von Problemlösetätigkeiten (Funke, 2003) als Ausgangspunkt einer Aktivierung im Sportunterricht verstehen, in kognitionspsychologischer Prägung zunächst mit Betonung auf Wissensaspekte (u. a. Wang et al., 2019). Andere sportdidaktische Studien fokussieren dagegen Problemlösetätigkeiten als Verbindung kognitiver und motorischer Prozesse (u. a. Neumann, 2009) und verweisen auf die Notwendigkeit einer adaptiven Lernbegleitung (Wibowo, 2016); empirisch konnte in einer qualitativen Auswertung von Videodokumentationen selbstständig arbeitender Kleingruppen schüler:innenseitiges Problemösen im Sportunterricht als Ineinandergreifen von Probieren, Analysieren, Bewerten und Planen rekonstruiert sowie ein entsprechendes lehrerseitiges Unterstützungshandeln konzeptioniert werden, das an die jeweilige Aktivität der Schülerteams individuell adaptiert ist (ebd.).

Schließlich liegt mit dem Ansatz der ästhetischen Aktivierung (Hartmann, 2021; Laging, 2016) eine Position vor, die Aktivierung stark mit Fragen des Bewegungshandelns und der Körperlichkeit verknüpft und eine fundamentale Ergänzung von Aktivierungsansätzen einbringt, die auf das Kognitive ausgerichtet sind. Ausgehend von bildungstheoretischen sowie bewegungspädagogischen Prämissen (Bietz & Scherer, 2017) geht es demnach im Sportunterricht darum, systematisch körper- und bewegungsbezogene Differenzerfahrungen zu initiieren, die leibliche Reflexionsprozesse im Sinne impliziten Wissens (Neuweg, 2015) bzw. Körperwissens (Franke, 2018) ermöglichen. Künzell et al. (2023) sprechen hier aus bewegungswissenschaftlicher Perspektive von Embodied Cognition. Entsprechende didaktische Empfehlungen zielen auf eine erfahrungsorientierte, möglichst individuell ausgestaltbare Auseinandersetzung mit Bewegungsproblemen, die in ihrer Ganzheitlichkeit und Widerständigkeit belassen oder sogar akzentuiert sind, um Reflexionen im Handeln anzuregen (Bähr, Bechthold, & Krieger, 2016; Bietz & Scherer, 2017). Erste empirische Studien liegen zu einer Aktivierung durch bewegungsproblemspezifische Gerätearrangements, kontextbezogene oder metaphorische Instruktionen (Hartmann, 2021) sowie im Rahmen irritationsfreundlicher Settings vor (Bähr et al., 2016).

Vor dem Hintergrund der genannten Ansätze lässt sich zusammenfassen, dass unterschiedliche Vorstellungen zum Kerngegenstand des Sportunterrichts divergierende Aktivierungsverständnisse zur Folge haben und damit auch unterschiedliche Vorstellungen darüber einhergehen, welche konkreten Zielperspektiven und didaktischen Merkmale einen aktivierenden Sportunterricht prägen (sollten). Es finden sich bis dato keine Studien, die die Umsetzung aktivierenden Sportunterrichts systematisch evaluieren oder eine Wirksamkeit von besonders aktivierendem Sportunterricht untersuchen (Herrmann & Gerlach, 2020). Trotz der Vielfalt sportdidaktischer Ansätze können Gemeinsamkeiten hervorgehoben werden: So verweisen alle Aktivierungsverständnisse auf die grundlegende Relevanz sowohl bewegungsbezogener als auch kognitiver Prozesse. Auf didaktischer Ebene wird in einer Reihe von Ansätzen auf geöffnete, problem- und erfahrungsorientierte Unterrichtssettings verwiesen.

Ableitung zentraler Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts

Im Folgenden wird versucht, in der Logik eines kleinsten gemeinsamen Nenners den dargestellten Fachdiskurs in drei zentralen Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts zusammenzufassen. Einen aktivierenden Sportunterricht charakterisiert demnach erstens das Stellen herausfordernder Aufgaben, die – wie in anderen Fächern auch – eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand anbahnen sollen. Im sportdidaktischen Diskurs zeichnet sich diese Art von Aufgaben dadurch aus, dass sie die Schüler:innen mit bewegungsbezogenen, komplexen Problemen konfrontieren (u. a. Wibowo et al., 2021), was einhergeht mit der Eröffnung von Handlungsspielräumen für Schüler:innen (Balz, 2021; Herrmann et al., 2015). Dadurch soll eine kreative und konstruktive Auseinandersetzung angeregt werden (Hapke & Waigel, 2019; Laging, 2021), was auch die Re- und Neukonstruktion von sportlichen Bewegungen beinhalten kann. Aus Sicht der Bewegungspädagogik spielen dafür insbesondere Differenzerfahrungen eine zentrale Rolle, die leibreflexiv vollzogen und auch im Nachgang sprachlich reflexiv eingeholt werden können (Franke, 2018; Hartmann, 2021; Laging, 2016). Letzteres verweist direkt auf das nächste Kriterium eines aktivierenden Sportunterrichts.

Das Anregen von Reflexionen wird im sportdidaktischen Diskurs teilweise im Sinne einer Anregung zur Reflexion im und/oder über den Prozess des Sich-Bewegens spezifiziert (Laging, 2016). In einer Reflexion über bewegungsbezogene Lerngegenstände (bspw. in Reflexionsgesprächen) können Schüler:innen dazu aufgefordert werden, sich mit Sinn- und Funktionszusammenhängen, Verschiedenartigkeiten oder Strukturen vorher erfahrener Bewegungen oder bewegungskultureller Formen auseinanderzusetzen (Balz, 2021; Niederkofler & Herrmann, 2021). Pfitzner (2018) verweist darauf, dass das Reflektieren schüler:innenseitiger Erfahrungen im Zuge von Bewegungsaufgaben einen wichtigen Bestandteil eines aktivierenden Sportunterrichts darstellt. Auch Balz (2021) sieht für einen aktivierenden Sportunterricht im Sinne eines mehrperspektivischen Unterrichts reflexive Anteile im Mitmachen (Handlungswissen situativ gebrauchen), Mitdenken (versprachlichen) und Mitgestalten (Metakognition) als höchst relevant an. Der sprachliche Austausch dient dazu, Lerngegenständen im Sinne einer reflektierten Praxis analytisch-deskriptiv, reflexiv-kritisch und konstruktiv-innovativ begegnen zu können (Serwe-Pandrick, 2016) und neben einer operativen auch eine reflexive Handlungsfähigkeit aufzubauen (Hapke & Waigel, 2019). Hierbei ist die Lehrkraft gefordert ein Unterrichtsgespräch zu initiieren, das in einer am Lernziel orientierten Gesprächsführung konkret zum Problematisieren, Erklären, Begründen, Vergleichen, Hinterfragen, Verknüpfen, Abgrenzen und Einbringen eigener Ideen und Perspektiven anregt (Hapke & Waigel, 2019; Hartmann, 2019; Wegener, 2018). Einige sportdidaktische Autor:innen betonen darüber hinaus, dass gerade leibliche Reflexionen im Bewegungsprozess, denen Franke (2018, S. 285) ein „nichtkognitives Reflexionspotenzial“ zuschreibt, von besonderer Bedeutung für eine Aktivierung im Fach Sport sind. Erst Anregungen zum aktiven Erspüren und Bewirken im Umgang mit etwas oder jemandem ermöglichen bzw. unterstützen im Prozess einer aufkommenden, bewegungsimmanenten Erfahrung das Finden eines handlungs- und situationsspezifischen Sinns (ebd.). Demnach gilt es für eine Sportlehrkraft, entsprechende Bewegungsarrangements anzubieten, in denen im Bewegungsvollzug selbst Erkenntnisse gewonnen werden können (Hartmann, 2021; Laging, 2016).

Das Kriterium Lernen individuell begleiten betont schließlich, dass eine Passung von Anspruchsniveau der Aufgabe auf der einen Seite sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler:innen auf der anderen Seite als besonders bedeutsam für einen aktivierenden Sportunterricht angenommen werden (Herrmann & Gerlach, 2020; Niederkofler & Herrmann, 2021). Ähnlich wird auch von Sygusch et al. (2021) darauf verwiesen, dass sowohl bewegungsbezogene Vorerfahrungen als auch entsprechendes Vorwissen der Schüler:innen im Unterricht berücksichtigt werden müssen. Laging (2016) spricht in diesem Kontext von (individuellen) Bewegungserfahrungen und Bewegungsinteressen, die der Unterricht aufzugreifen habe. Besonders bei der Konfrontation mit bewegungsbezogenen, komplexen Problemen sei es notwendig, eine individuelle Passung zu fokussieren. Hapke und Waigel (2019) empfehlen Aufgabenstellungen „in der Regel so anzulegen, dass Vorwissen für ihre Lösung erforderlich, jedoch nicht ausreichend ist“ (S. 152). Somit gilt, dass Sportlehrkräfte einerseits ihr unterrichtliches Planen auf die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der jeweiligen Schüler:innen anpassen, andererseits aber auch situativ auf individuelle Bedürfnisse der Schüler:innen adaptiert reagieren sollten (Wibowo, 2016).

Aktivierung aus der Perspektive von Sportlehrkräften

Methode

Zur Bearbeitung der Fragstellung „Was sind für erfahrene Sportlehrer:innen bedeutsame Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts?“ wurde ein qualitativer Zugang gewählt (leitfadengestützte Interviews und inhaltsanalytische Auswertung). Ein solcher Zugang erlaubt es, die im Abschn. „Ableitung zentraler Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts“ erarbeiteten Kriterien anhand von Expert:innenwissen aus der Praxis zu konkretisieren und möglichst auszudifferenzieren bzw. zu ergänzen.

Stichprobe.

Die im Theorieteil identifizierten Kriterien sind schulartübergreifender Natur und werden über die gesamte Schullaufbahn relevant, weshalb die Sichtweisen der Lehrkräfte verschiedener Jahrgänge mit einbezogen wurden. Insgesamt wurden 45- bis 60-minütige Interviews mit vier Sportlehrkräften einer Grundschule und sechs Sportlehrkräften der weiterführenden Schule geführt. Für die Auswahl der Interviewpartner:innen wurden zunächst Sportfachschaftsleitungen gebeten, aus ihrer Sicht qualifizierte Sportlehrkräfte in Hinblick auf einen aktivierenden Sportunterricht zu benennen. Anschließend wurde geprüft, ob die benannten Lehrkräfte über ein Lehramtsstudium im Fach Sport sowie eine Berufserfahrung von mindestens fünf Jahren verfügen. Die Teilnahme an den Interviews war freiwillig. Die Interviews wurden transkribiert und mit MAXQDA (VERBI GmbH, Berlin) ausgewertet.

Durchführung der Befragung.

Vor den Interviews wurden die befragten Lehrkräfte über die Zielsetzung des Vorhabens informiert und knapp über die drei Basisdimensionen guten Unterrichts aufgeklärt. Ein spezifisches Verständnis von Aktivierung (im o. g. theoretischen Sinne) wurde dabei nicht thematisiert. Bei der Durchführung der Interviews wurden zwei Techniken eingesetzt. Zunächst wurde durch die Frage nach gelungenen Situationen im Sportunterricht mit dem Fokus auf Aktivierung in das Interview eingeleitet („Denken Sie an Ihre letzten Sportstunden zurück und erzählen Sie von einer Sportstunde, in der es Ihnen gut gelungen ist, die Schüler:innen zu aktivieren“). Mit einer kontrolliert-explorativen Interviewtechnik (Miethling & Krieger, 2004) wurden diese und später weitere erfragte konkrete Unterrichtssituationen (kontrastierend hier auch die Frage nach weniger gelungenen Episoden) und in Bezug auf Entstehung, Verlauf und Konsequenzen für die Beteiligten intensiv beleuchtet. Schließlich (und wo sinnvoll verwoben mit dem explorativ-kontrollierten Teil) wurde ein Interviewleitfaden für die thematische Vertiefung der Interviews genutzt (Krieger, 2008; Mey & Mruck, 2010), womit u. a. sichergestellt werden konnte, dass die Lehrkräfte über mehr berichten als eine bloße physiologische Aktivierung der Schüler:innen (Beispielfrage: „Was verstehen Sie unter Aufgaben in denen tiefere Verstehensprozesse bei den Schüler:innen angeregt werden sollen?“). Die drei Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichtes (vgl. Abschn. „Ableitung zentraler Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts“) lieferten die Struktur für den eingesetzten Interviewleitfaden. Auch im Rahmen des Leitfadenteils wurde versucht, möglichst konkrete Situationen zu explorieren.

Datenauswertung.

Zur Auswertung wurde sich an dem Verfahren der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) orientiert. Hierfür wurden für die Analyse auf Basis der drei oben genannten Kriterien (vgl. Abschn. „Ableitung zentraler Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts“), drei Hauptkategorien (HK) a priori gebildet:

  • HK1: Herausfordernde Aufgaben stellen

  • HK2: Reflexion anregen

  • HK3: Lernen individuell begleiten

Der gesamte Auswertungsprozess vollzog sich im Team und war durch diskursives Aushandeln und kommunikative Validierung der Kategorien – häufig nach vorhergehender unabhängiger Kodierung zweier Auswerter:innen – gekennzeichnet. Während des Kodierprozesses konnte das deduktive Kategoriensystem am Material ausdifferenziert und induktiv erweitert werden.

Ergebnisse entlang der Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts

Der Kategorienbaum ist in Abb. 1 dargestellt. Die aus Lehrkräftesicht wesentlichen Kriterien konnten als Hauptkategorien und weiter ausdifferenziert in Subkategorien rekonstruiert werden. Dabei ließen sich auch eine Reihe neuer (Sub‑)Kategorien finden, die zwar von den Lehrkräften als bedeutsam für Aktivierung erlebt wurden, jedoch anhand unserer theoretischen Vorüberlegungen weniger zu Aktivierung passen. Wir haben sie im Rahmen der Kriterien als übergreifende Gelingensbedingungen für einen aktivierenden Sportunterricht bezeichnet und in personale, interaktionale und organisationale Bedingungen kategorisiert.

Abb. 1
figure 1

Vollständiger Kategorienbaum – die induktive Hauptkategorie ist grau schraffiert

Im Folgenden werden zunächst alle Hauptkategorien kurz vorgestellt und anhand der Befunde ausdifferenziert. Anschließend wird exemplarisch jeweils eine Subkategorie mit Hilfe von ausgewählten Ankerzitaten illustriert und interpretativ ausgelegt.

Herausfordernde Aufgaben stellen.

Unter der Hauptkategorie Herausfordernde Aufgaben stellen wird verstanden, dass die Schüler:innen u. a. mit bewegungsbezogenen und komplexen Problemen konfrontiert werden. Die Hauptkategorie konnte induktiv durch vier Subkategorien ausdifferenziert werden: bewegungsproblemorientiert unterrichten, Differenzerfahrung im Bewegen initiieren, etwas (weiter) entwickeln lassen und mit Neuem konfrontieren. Das exemplarische Ankerbeispiel gehört zur Subkategorie etwas (weiter) entwickeln lassen:

„Die Kinder sollten selbst Regeln entwickeln und dann wird halt abgestimmt von den Schülern, ob die Regel aufgenommen wird. Es wurde dann durchgetestet, ob sie auch für alle freudvoll war. Und dadurch haben sie wirklich im sozialen Lernen tierisch Fortschritte gemacht“ (LK8, Pos. 2).

Die Lehrkraft beschreibt das Entwickeln von Regeln als aktivierend für die Schüler:innen und verweist auf den Effekt des sozialen Lernens sowie auf das Wechselspiel von Abstimmen und Erproben der neuen Regeln – hierbei scheint es zu einem regen Austausch und einer intensiven und motivierenden Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand zu kommen. Für die befragte Lehrkraft ist somit das Bereitstellen unfertiger Regeln, die es dann gemeinsam konstruktiv weiterzuentwickeln gilt, eine herausfordernde und gewinnbringende Aufgabe.

Eine weitere Aussage einer Lehrkraft unterstreicht die Bedeutung der Subkategorie, sie spricht von einem „Baukasten“ (LK7, Pos. 196) den die Schüler:innen erst mit Bewegungen und Wissen über Regeln gefüllt haben müssen, bevor sie überhaupt etwas Eigenes entwickeln können. In dem Kontext geht es außerdem mehrfach darum, Spielregeln selbst (weiter) zu entwickeln. Neben geplanten Unterrichtsreihen, die bereits Regeländerung/-entwicklung als Lerngegenstand beinhalten, werden außerdem Situationen als auslösender Anlass genannt, bei denen ein Spiel nicht reibungslos funktioniert (bspw. Ball gegen den Kopf oder unfaire Spielbedingungen), woraufhin die Schüler:innen dazu aufgefordert werden, gemeinschaftlich an einem konstruktiven Lösungsprozess mitzuarbeiten. Die Zielsetzung der Lehrkräfte liegt darin, dass den Schüler:innen die Wichtigkeit von Regeln im Sinne des Fairplays, der Chancengleichheit und der Spannung eines Spiels bewusst gemacht wird und es nur funktionieren kann, wenn sich alle an die aufgestellten Regeln halten. In der Subkategorie werden außerdem Analogien zu bereits bestehenden Vermittlungskonzepten hergestellt, um neue (Techniken) selbst (weiter) zu entwickeln: „Da hab’ ich eben genetisches Lernen betrieben, also die Aufgabe war nur: Da hängt eine Zauberschnur springt mal drüber!“ (LK6, Pos. 70).

Reflexion anregen.

Die Hauptkategorie Reflexion anregen kann durch die beiden Subkategorien Reflexion im Sich-Bewegen anregen und Reflexion über Bewegung anregen spezifiziert werden. Reflexion über Bewegung anregen ist dabei deutlich stärker repräsentiert und wird aus Sicht der Befragten meist mit expliziten Reflexionsphasen während bzw. am Ende des Sportunterrichts konkretisiert. Reflexion im Sich-Bewegen anregen erscheint hingegen deutlich impliziter, und es werden leibliche Bewegungserfahrungen umschrieben, die sich u. a. auf das Bewegungsgefühl oder das Erspüren von Materialunterschieden beziehen (bspw. verschieden große/schwere Bälle).

Hier ein Ankerbeispiel zur Subkategorie Reflexion im Sich-Bewegen anregen:

„[…] und dann fängt man an, wirklich so in das Turnerische reinzugehen. Was synchron zu machen, so kleine Bewegungsaufgaben miteinander zu geben … viel miteinander, aufeinander achten und dabei auch darüber reden. Weil das natürlich auch schult, dass ich mich daran halte, wie jetzt mein Nebenmann den Schwung macht und so was. Dass ich das gleiche Tempo gehen kann. Eine Schülerin ging da raus und sagte: ‚Das war total geil! Irgendwie wie fliegen!‘“ (LK9, Pos. 45–50; 154–156).

Die lehrkraftseitige Aktivierung besteht hier darin, kooperative Prozesse v. a. durch Synchronaufgaben anzustoßen. Aus Sicht der Lehrkraft bewirkt das Aufeinander-Achten und Aufeinander-Angewiesensein eine starke Konzentration auf die Sache. Die Schüler:innen sind in den „kleinen Bewegungsaufgaben miteinander“ im Austausch, sowohl im Sich-Bewegen wie verbal. Dieser unmittelbare Austausch kann als Reflexion im Sich-Bewegen interpretiert werden, die sich in der Koordination der Bewegungen selbst, des Tempos und den gegenseitigen Rückmeldungen ausdrückt. Sinnbildlich wird das dadurch entstehende Aufgehen im Sich-Bewegen in der Aussage der Schülerin „Das war total geil! Irgendwie wie fliegen“ deutlich, was sich als Ausdruck vertieften Lernens im Sinne leiblicher Reflexivität lesen lässt (Hartmann, 2019).

Lernen individuell begleiten.

Die Hauptkategorie Lernen individuell begleiten greift die Annahme auf, dass zum einen planerisch und zum anderen situativ individuell auf die Schüler:innen eingegangen werden sollte. Auf Seiten der Unterrichtsplanung (Subkategorie: Unterricht differenziert planen) wird bspw. thematisiert, dass Aufgaben entsprechend für einzelne Schüler:innen variiert gestellt werden oder Bewegungslernen durch geplante visuelle Hilfen (bspw. durch vorbereitete Plakate oder Videos) unterstützt wird. Außerdem sehen die Lehrkräfte im situativen Reagieren auf bestimmte Bewegungs- oder Spielproblematiken die Chance, den betreffenden Lernenden durch konkrete Erklärungen oder dem Zeigen von Bewegungen aus der Sackgasse helfen zu können, was ggf. ohne externe Unterstützung nicht möglich gewesen wäre (Subkategorie: in der Situation individuell begleiten). Hier ein Ankerbeispiel zur letztgenannten Subkategorie:

„Ein Schüler hatte mir zum Einheitsanfang gesagt, er würde gerne diesen Back Flip erlernen. Das hat aber nicht geklappt, weil er Probleme hatte mit dem Kraftabdruck. Und dann haben wir gesagt, du kannst diese Vorübung immer wieder wiederholen. Und dann haben wir gesagt: Okay, wir holen jetzt ein Reutherbrett. Haben das Reutherbrett sozusagen an die Wand angeschrägt, darüber eine Matte. Dann hatte er die nötige Federung oder Druck in diese Rotation zu kommen, um dann den Back Flip auszuführen. Er hat sich tierisch gefreut, dass er gelandet ist und ist da drangeblieben und wollte am liebsten die ganze Stunde nichts anderes machen“ (LK5, Pos. 98–102).

In diesem Beispiel wird deutlich, dass die Lehrkraft auf den Wunsch des Schülers eingeht, eine Bewegung zu erlernen, die diesem zunächst nicht gelingt. Sie unterstützt ihn daraufhin individuell durch Übungsvorschläge und angepasste Gerätearrangements. Dieses individuelle Eingehen auf Schüler:innen wird von LK5 als selbständigkeitsfördernde Aktivierung verstanden. An dieser Stelle wäre zu hinterfragen, ob in diesem Fall nicht auch Wissen zum selbstständigen Lernen vermittelt werden sollte.

Kriterien im Sinne übergreifender Gelingensbedingungen für einen aktivierenden Sportunterricht

Ohne spezifisch dazu befragt worden zu sein, berichteten die Lehrkräfte auf die Frage nach aktivierendem Sportunterricht auch Situationen, in denen relevante Voraussetzungen deutlich wurden, die einen erfolgreich aktivierenden Sportunterricht erst ermöglichen. Diese induktiv aus dem Material hervorgegangene Kategorie wird hier als übergreifende Gelingensbedingungen verstanden und kann in einer dreiteiligen Ordnungsstruktur dargestellt werden (personale, interaktionale und organisationale Bedingungen), die jeweils spezifische Subkategorien enthalten.

Personale Gelingensbedingungen.

Personale Gelingensbedingungen sind von der Person der Lehrkraft selbst abhängig. Hierunter fallen Aussagen, die sich u. a. darauf beziehen, inwiefern die Lehrkräfte selbst aktiv am Sportunterricht teilnehmen oder auch auf unerwartete Situationen reagieren, die spontan in der Lerngruppe auftreten (bspw. eine in der ganzen Klasse nicht funktionierende Aufgabe), um einen aktivierenden Sportunterricht anzubieten. Gleichzeitig wird vielfach betont, dass es wichtig sei, die Schüler:innen v. a. hinsichtlich ihrer motorischen und sozialen Fähigkeiten angemessen einschätzen zu können. Als Subkategorien hierzu wurden flexibel reagieren können, die Schüler:innen angemessen diagnostizieren können und Eigenengagement zeigen formuliert, zu letzterer hier ein Beispiel:

„Für die Schüler ist es immer wieder total motivierend, wenn man eine Sache vormacht, die sie noch nicht so können. Sei es zum Beispiel beim Basketball wird der Korbleger thematisiert und da mache ich mit. Manchmal klappt dann irgendetwas und dann ist das Gejohle immer groß und das aktiviert auch wieder“ (LK9, Pos. 102).

Die Lehrkraft beschreibt hier einen motivierenden Effekt durch das Zeigen eigenen Engagements. Für sie scheint das aktive Mitmachen zwei Ziele zu verfolgen: Zum einen geht es darum, die Schüler:innen motivational mitzureißen, zu begeistern („das Gejohle ist groß“) und zum anderen soll das Erlernen von Bewegungen unterstützt werden („etwas vormachen, was sie noch nicht konnten“). Die Lehrkraft schließt hier auf das Moment der Motivation, welches dann die Voraussetzung für eine mögliche Aktivierung darstellt und deutliche Parallelen zur generischen Basisdimension der konstruktiven Unterstützung erkennen lässt (Klieme, 2019). Anzumerken ist an dieser Stelle, dass „großes Gejohle“ nicht zwingend auch für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand steht. Es liegt zumindest die Vermutung nahe, dass die Lehrkraft in diesem Zitat Aktivierung (auch) als bloßes Dabei-Sein, Aktiv-Sein versteht.

Interaktionale Gelingensbedingungen.

Als interaktionale Gelingensbedingungen werden Handlungsbezüge oder Beziehungsstrukturen zwischen der Lehrkraft und den Schüler:innen formuliert. Hier werden von den Lehrkräften u. a. Aussagen getroffen, die das Vertrauen in ein funktionierendes Klassengefüge fokussieren. Die befragten Lehrkräfte thematisierten mehrfach die Bedeutung eines reibungslosen Ablaufs (Verhinderung von Streit oder körperlichen Auseinandersetzungen unter den Schüler:innen), um überhaupt einen aktivierenden Sportunterricht anbieten zu können. Als Subkategorien konnten ein vertrauensvolles Verhältnis zur Lerngruppe herstellen, Nähe und Distanz zu den Schüler:innen geschickt einsetzen und mit abgestimmten Ritualen arbeiten identifiziert werden, zu letzterer hier ein Beispiel:

„Begünstigender Faktor für eine Aktivierung ist meiner Meinung nach ein ritualisierter Sportunterricht, und da gehe ich wieder von der Gruppe aus, wo das gut klappt, dass die Schüler in die Halle kommen und direkt loslegen können. Ich glaube, dass durch die Rituale, die die Schüler mitbestimmen und die für sie sinnvoll sind, schon ganz viel Aktivierung stattfinden kann“ (LK5, Pos. 33–36).

Die Lehrkraft beschreibt einen ritualisierten Sportunterricht als besonders begünstigende Rahmenbedingung für die Aktivierung der Schüler:innen, da damit für sie eine effektive Zeitnutzung und sofortiges „Loslegen“ und Machen einher gehen. Voraussetzung dafür ist für sie jedoch, dass diese Rituale (und Regeln) gemeinsam, sinnstiftend vereinbart und abgestimmt und damit auch verstanden wurden – womit Aktivierung im Sinne des Fachdiskurses ins Spiel kommt. Die Subkategorie zeigt auch sowohl Anknüpfungspunkte zur Basisdimension der Klassenführung als auch zur konstruktiven Unterstützung (Klieme, 2019). Dieses Ankerbeispiel zeigt jedoch erneut, dass Aktivierung von Lehrkräften durchaus auch als „direkt loslegen“ im Sinne einer zunächst möglicherweise rein physiologischen verorteten Aktivität der Schüler:innen verstanden wird.

Organisationale Gelingensbedingungen.

Unter organisationalen Gelingensbedingungen werden strukturelle Rahmungen thematisiert, die durch den Sportunterricht bzw. die Schule selbst entstehen. Die resultierenden Herausforderungen werden von den Lehrkräften u. a. darin gesehen, dass für bestimmte Sportarten kein ausreichendes Material zur Verfügung steht oder auch die Hallengröße bzw. -verfügbarkeit Möglichkeiten zur Aktivierung maßgeblich bedingt. Als Subkategorien konnten relevantes Material steht zur Verfügung, räumliche Gegebenheiten sind angemessen und das Verhältnis von Reflexions- und Bewegungszeit gut hinbekommen identifiziert werden. Zur Verdeutlichung folgt ein Beispiel zur letztgenannten Subkategorie:

„Es hat ganz oft einen Zeitfaktor. Da dauert irgendetwas länger und dann fällt das bei mir am ehesten hinten runter, dass ich darüber noch mal rede, dabei ist das sehr wichtig fürs Lernen. Das Wichtigste, was die Reflexion angeht, meiner Meinung nach, sind Präsentationsphasen der Schüler. Man hat eine Bewegung gemacht und dann reicht es nicht zu sagen: ‚So wir gehen jetzt alle nach Hause!‘, sondern wir gucken am Ende nochmal zwei, drei Leute an und die anderen sollen eine Rückmeldung dazu geben. Sich diese Zeit zu nehmen und einzuplanen und dabei insgesamt nicht zu wenig Bewegung, das ist schon eine Herausforderung“ (LK9, Pos. 80).

Der organisatorische Rahmen stellt die befragte Lehrkraft immer wieder vor die Herausforderung für eine fachlich sinnvolle, gute Balance von Bewegung und sprachlicher Reflexion im Sportunterricht zu sorgen. Ihrem Verständnis von Lernen ist damit einerseits bloßes Bewegungshandeln („Bewegung gemacht haben“) und anderseits kognitiv-reflexive Aktivierung („angucken“ und „Rückmeldung geben“) inhärent, sie ist sich aber auch bewusst darüber, dass in der Logik des (zeitknappen) Unterrichts kognitiv-reflexive Anteile „hinten runter“ zu fallen drohen. Ein ausgewogenes Verhältnis von Bewegungs- und Reflexionszeit hinzubekommen, erscheint für sie somit als eine organisatorische Gelingensbedingung aktivierenden Sportunterrichts.

Diskussion und Ausblick

Antwortmöglichkeiten auf die eingangs gestellte Fragestellung, was bedeutsame Kriterien eines aktivierenden Sportunterricht für erfahrene Sportlehrer:innen sind, werden mit dem im Ergebnisteil dargestellten Kategoriensystem angeboten.

Aus der theoretischen Analysearbeit konnten drei zentrale Kriterien formuliert werden, die als Überschneidungspunkte des vielfältigen Aktivierungsdiskurses der Sportdidaktik gelten können. Diese Kriterien und ihre Überführung in deduktive Hauptkategorien einer Aktivierung im Sportunterricht fanden insgesamt im Datenmaterial Bestätigung. Die Befunde aus Sicht der Lehrkräfte konkretisieren dieses Kategoriensystem mit jeweils zwei bis vier Subkategorien, wodurch die theoriebasierten Kriterien inhaltlich sowohl spezifiziert als auch teilweise erweitert werden.

Es ist weiterhin festzustellen, dass zwar einige der (Sub‑)Kategorien so formuliert sind, dass sie sich bspw. auch im Deutsch- oder Mathematikunterricht anwenden ließen (bspw. etwas weiterentwickeln lassen) und somit einen generischen Charakter besitzen; andere wie Differenzerfahrung im Bewegen initiieren, Reflexion im Sich-Bewegen anregen oder die Gelingensbedingung das Verhältnis von Reflexions- und Bewegungszeit gut hinbekommen sind aber klar fachspezifischer Natur. Es trifft jedenfalls für alle Ergebniskategorien zu, dass sie unmittelbar (auch) auf Bewegungshandeln bezogen werden können und insofern die spezifische Qualität von Unterrichtsprozessen im Fach Sport zu beschreiben vermögen.

Weiterhin ist festzuhalten, dass Lehrkräfte zu Aktivierung in ihrem Sportunterricht befragt wurden, aber einiges, was sie unmittelbar damit verbinden, auf eine Verschränkung mit den anderen Basisdimensionen (Klassenführung und konstruktive Unterstützung) hindeutet (induktive Hauptkategorie: übergreifende Gelingensbedingungen). Dieser Befund lässt sich möglicherweise damit erklären, dass bestimmte Unterrichtsmerkmale sehr dominant im Bewusstsein der Lehrkräfte präsent sind, möglicherweise auch deshalb, weil sie eine so zentrale Rolle in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden spielen (Heemsoth & Krieger, 2018). Dieser Befund verweist möglicherweise darauf, dass eine Lehrkraft zunächst die jeweils in der Klasse gegebenen Bedingungen analysieren muss und dies dann nutzen kann, um einen aktivierenden Sportunterricht anschließend überhaupt erst planen und umsetzen zu können. Möglicherweise ist auch bei den Lehrkräften selbst – konform zu den Annahmen der empirischen Unterrichtsforschung – der Gedanke vorherrschend, dass erst das Zusammenspiel aller drei Basisdimensionen guten Unterricht ermöglicht (Lipowsky, 2020). Folgt man dieser Interpretation, würde dies umgekehrt die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass erfahrene Lehrkräfte nicht isoliert Merkmale von Aktivierung im Sportunterricht umzusetzen suchen, sondern diese eng auf ihre individuellen personalen Ressourcen, auf die mit der Klasse kultivierte Interaktionsqualität und auf gegebene organisationale Strukturen abstimmen. Lehrer:innenbildung mit dem Ziel der Befähigung zur Aktivierung hätte diesen Zusammenhang dann konsequent analytisch in den Blick zu nehmen.

Weiterhin ist zu diskutieren, inwiefern die Verständnisse der Lehrkräfte – inter- und intraindividuell – auch verschiedene Aktivierungsverständnisse vertreten und inwiefern diese (bzw. Teile davon) sich vom hier aus der Fachliteratur synthetisierten Aktivierungsverständnis unterscheiden. Insbesondere die beiden ersten exemplarischen Ankerzitate zu Subkategorien der übergreifenden Gelingensbedingungen lassen vermuten, dass bei Lehrkräften auch teilweise ein Miss-Verständnis vorliegt bzw. der Aktivierungsbegriff von den Lehrkräften mehrdeutig verwendet wird: Zum einen im Sinne der Schüler:innen-Aktivität eines vertieften Lernprozesses (z. B. LK9, Pos. 80) und zum anderen aber auch im Sinne von bloßem In-Bewegungsaktivität-Kommen (z. B. LK5, Pos. 33–36; LK9, Pos. 102).

Gleichzeitig weist das letzte Ankerbeispiel (LK9, Pos. 80), wie auch viele weitere Sequenzen im empirischen Datenmaterial (insbesondere Subkategorie Reflexion über Bewegung anregen) darauf hin, dass viele der befragten Lehrkräfte implizit oder explizit davon ausgehen, dass ein Nacheinander von Bewegungssequenzen und dem Sprechen über diese (in gesonderten Reflexionsphasen) eine Anregung zum vertieften Bewegungslernen darstelle. Mit dieser Annahme befinden sie sich in Übereinstimmung mit Aktivierungsverständnissen, die auf das Konstrukt interner Handlungsrepräsentationen fokussieren (Niederkofler & Amesberger, 2016) und gleichzeitig im Widerspruch zu Implikationen bewegungswissenschaftlicher Befunde (Künzell et al., 2023), welcher die Nichtzugänglichkeit von Bewegungssteuerung und Bewegungslernen für sprachliche Kognitionen betont. Die im sportdidaktischen Aktivierungsdiskurs enthaltene Breite von Aktivierungsverständnissen findet sich also eher einseitig in den Aktivierungsverständnissen der befragten Lehrkräfte wieder und verweist damit auf fachdidaktische Professionalisierungsbedarfe.

Weiter können die Daten als empirisches Indiz dafür angesehen werden, dass für die befragten Lehrkräfte viele Aspekte eines aktivierenden Sportunterrichts bewusstseinsfähig sind. Diese scheinen jedoch in der alltäglichen Wahrnehmung der Lehrkräfte nicht zwingend mit dem Konstrukt eines aktivierenden Sportunterrichts in Verbindung zu stehen, sondern erscheinen zunächst häufig als implizite Anteile fachdidaktischen Wissens. Erst durch die Konfrontation mit dem Interviewleitfaden waren die Lehrkräfte aufgefordert, ihr Handeln in den Kontext von Aktivierung einzuordnen und damit systematisch zu explizieren. In diesem Sinne können die Erkenntnisse für die Lehramtsaus- und -fortbildung genutzt werden, um Lehrkräfte theoretisch für Kriterien und Rahmenbedingungen eines aktivierenden Sportunterrichts zu sensibilisieren und Reflexionsanlässe für die eigene unterrichtliche Praxis zu schaffen (Hapke & Cramer, 2020).

Limitationen und Ausblick.

Der vorliegende Beitrag unterliegt methodischen wie inhaltlichen Grenzen, die auch als Anlass zukünftiger Forschung gesehen werden können. Erstens ist auf die Selektivität der Stichprobe hinzuweisen, denn befragt wurden Sportlehrkräfte in einem Bundesland. Damit einhergehen könnten gewisse Einflüsse des Ausbildungshintergrunds bzw. gewisser Lehrtraditionen an den naheliegenden Ausbildungsinstitutionen. Inwieweit die Rekonstruktionen eines aktivierenden Sportunterrichts in anderen Regionen vergleichbar sind, gilt es zukünftig zu erforschen. Eine Selektivität der Stichprobe resultiert auch aus der begrenzten Anzahl von zehn Lehrkräften, die kaum der Vielfalt an Lehrpersonenmerkmalen gerecht werden dürfte, die für Aktivierungshandeln im Sportunterricht relevant sein kann.

Zweitens fußt der empirische Teil dieses Beitrags auf Aussagen von Lehrkräften und fokussiert damit eine spezifische Perspektive auf Unterricht. Während Lehrkräfte aufgrund ihrer fachlichen Expertise didaktisch-methodische Aspekte, die bei der Aktivierung von Schüler:innen eine zentrale Rolle spielen, treffend beurteilen können, können ihre Urteile gleichzeitig von sozialen oder selbstdienlichen Urteilen verzerrt sein. Schüler:innen sollten wiederum aufgrund ihrer Erfahrungen mit verschiedenen Lehrkräften ein relativ differenziertes Urteil fällen können (Heemsoth & Krieger, 2018). Indem zukünftige Forschung verschiedene Perspektiven auf Unterrichtsqualität bedenkt, könnten weitere Potenziale ausgeschöpft werden.

Drittens wurde die Schulform der befragten Sportlehrkräfte (Grundschule, Stadtteilschule und Gymnasium) im Prozess der Auswertung nicht systematisch berücksichtigt. Hier ergibt sich die Chance, dass eine entsprechende Differenzierung der Auswertung zu einer Spezifizierung des Aktivierungsbegriffs für einen spezifischen Altersbereich und eine spezifische Schulform beitragen könnte.

Viertens wurden die zentralen Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts und die sich hieraus abgeleiteten Analysekategorien auf der Basis einer Gesamtschau auf verschiedene sportdidaktische Ansätze gewonnen und stammen ausschließlich aus deutschsprachiger Literatur. Damit einher geht die Konsequenz, dass Details der einzelnen Konzepte sowie Argumente aus dem internationalen Aktivierungsdiskurs möglicherweise nicht hinreichend bedacht wurden. Es wären sicherlich auch andere Kriterien denkbar gewesen, wie bspw. selbstständige interaktive Bearbeitung oder klarer Unterrichtseinstieg (Schwarz, 2014). Es gilt daher zukünftig zu untersuchen, ob und wie stärkere Fokussierungen auf singuläre (nationale und internationale) Konzepte zu ähnlichen oder auch anderen Aussagen über einen aktivierenden Sportunterricht kommen.

Schließlich ist zukünftig danach zu fragen, inwieweit aktuelle (Weiter‑)Entwicklungen in Schule und Unterricht, insbesondere im Hinblick auf die Herausforderungen rund um die Digitalisierung und Inklusion, auch das Verständnis eines zeitgemäßen Sportunterrichts und einer diesen prägenden Aktivierung verändert (Jastrow, Greve, Thumel, Diekhoff, & Süßenbach, 2022).