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Mythos als Integration – Zur symbolischen Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts

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Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System
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Zusammenfassung

Das Bundesverfassungsgericht ist mit der Aufgabe einer substanziellen Integration der Gesellschaft überfordert. Vor diesem Hintergrund setzt sich der Beitrag mit der Frage auseinander, inwieweit von integrativen Leistungen der Verfassungsgerichtsbarkeit dennoch sinnvoll gesprochen werden kann. Im Rahmen einer kulturwissenschaftlich informierten Perspektive wird der Zusammenhang zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Identität herausgearbeitet.

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Notes

  1. 1.

    Demokratische Verantwortlichkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit, Der Staat 35/1996, S. 541–580; Verfassungsgerichtsbarkeit, Demokratie und Misstrauen, 1998.

  2. 2.

    Integration als Mythos, JöR N. F. 45/1997, S. 31–88.

  3. 3.

    Für diese Neuauflage des Handbuchs habe ich inhaltlich keine Überarbeitung des Beitrags vorgenommen. Der Text und seine Nachweise sind also auf dem ursprünglichen Stand.

  4. 4.

    Dies gilt nicht nur für das Verhältnis zwischen BVerfG und EGMR (etwa EGMR, von Hannover v. Germany, Entsch. v. 24.6.2004) und BVerfG und EuGH (etwa BVerfGE 89, 155 – Maastricht), sondern auch für das Verhältnis zwischen BVerfG und Fachgerichten (hergebracht: etwa EuGH, Rs. 106/77 – Simmenthal II, Slg. 1978, 629; vgl. auch EuGH, Rs. C-224/01 – Köbler, Slg. 2003, I-10239; EuGH, Rs. C-129/00 – Kommission/Italien, Slg. 2003, I-14637). Dazu statt vieler Haltern, Verschiebungen im europäischen Rechtsschutzsystem, VerwArch 96/2005, S. 311–347; ders.: Europarecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 976–993. Am Horizont dräut die Möglichkeit, dass letztinstanzliche und vielleicht sogar verfassungsgerichtliche Urteile vor erstinstanzlichen Fachgerichten, wohl mit Hilfe von Vorabentscheidungen des EuGH, als europarechtswidrig gebrandmarkt werden und Schadensersatz für judikatives Unrecht zugesprochen wird.

  5. 5.

    Ausf. Haltern, Unsere protestantische Menschenwürde, in: Bahr/Heinig, 2006, S. 93–124.

  6. 6.

    Den Unterschied zwischen Juristen und Politikwissenschaftlern, auch in der Behandlung meiner „Mindermeinung“, sieht zuletzt auch Nocke, Das Bundesverfassungsgericht als Konsensrunde?, in: Albrecht/Goldschmidt/Stuby, 2003, S. 32–47.

  7. 7.

    Vgl. etwa Vorländer, Integration durch Verfassung, 2002; ders., Die Deutungsmacht der Verfassungsgerichtsbarkeit, 2006; Brodocz, Die symbolische Dimension konstitutioneller Institutionen, in: Schwelling, 2004, S. 131–150; Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung?, 2000.

  8. 8.

    Näher hierzu Haltern, Europarecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 1 Rn. 16–50.

  9. 9.

    Haltern, Europarecht und das Politische, 2005; ders.: Unsere protestantische Menschenwürde, in: Bahr/Heinig, 2006, S. 93–124; ders.: Tomuschats Traum, in: Dupuy u. a., 2006, S. 867–898; ders.: Recht als kulturelle Existenz, in: Jayme, 2003, S. 15–50.

  10. 10.

    Statt aller Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1. Aufl. 1994, S. 303, der die Verfassungsgerichtsbarkeit als organisatorische Ausformung des Geltungsanspruchs der Verfassung bezeichnet.

  11. 11.

    Kahn, The Cultural Study of Law, 1999.

  12. 12.

    US-Supreme Court, Ex Parte Young, 209 U. S. 123 (1908).

  13. 13.

    Ausführlich Morgan, Inventing the People, 1988, S. 17 ff.

  14. 14.

    In England etwa unterschied die Deklaration beider Häuser des Parlaments vom 27. Mai 1642 zwischen Amt und Person des Königs, wobei der König im politischen Körper beibehalten, der König im natürlichen Körper verabschiedet wurde: „Es wird anerkannt …, dass der König die Quelle der Gerechtigkeit und des Schutzes ist, aber die Handlungen der Justiz und des Schutzes werden nicht von seiner Person ausgeübt und hängen nicht von seinem Gefallen ab, sondern von seinen Gerichten und Ministern, die hier ihre Pflicht tun müssen, auch wenn es ihnen der König in eigener Person verbieten sollte: und wenn sie gegen den Willen und persönlichen Befehl des Königs Urteile fällen, sind es immer noch die Urteile des Königs. Das Hohe Gericht des Parlaments ist nicht nur ein Gerichtshof der Rechtsprechung …, sondern ebenso ein Rat …, dessen Aufgabe es ist, den öffentlichen Frieden und die Sicherheit im Königreich zu erhalten und des Königs Willen in den dazu erforderlichen Dingen zu erklären, und was es hierbei tut, trägt den Stempel der königlichen Autorität, auch wenn Seine Majestät … in eigener Person demselben widerspricht oder es verhindert…“ (zitiert nach Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, 1992 [Orig. 1957], S. 42 f.).

  15. 15.

    Freud, Totem und Tabu (1912–13), in: ders., Studienausgabe Bd. IX: Fragen der Gesellschaft/Ursprünge der Religion, 2000, S. 287 (430 ff.).

  16. 16.

    US-Supreme Court, Marbury v. Madison, 5 U. S. 137 (1803), S. 176 f.

  17. 17.

    Dies ist die Idee, die hinter den beiden großen Projekten der Staatsgründung in der Moderne stand – Revolution und Entkolonialisierung. Beide Projekte setzten einen Anfangspunkt durch die Formulierung einer Verfassung, in der sich die jeweiligen Normgemeinschaften als selbstgeformte Gemeinschaften definierten. Hier liegt auch eine der Erklärungen dafür, dass weder die ethnische Vielfalt innerhalb der Staatsgrenzen noch die zum großen Teil willkürlich gezogenen, von den Imperialmächten übernommenen Grenzen korrigiert wurden. Diese Aspekte waren zweitrangig gegenüber dem Projekt, einen Staat durch die Schaffung eines Rechtsregimes „in die Existenz zu schreiben“. Sowohl in den entkolonialisierten Staaten als auch in der US-amerikanischen „Nation von Immigranten“ bestand das verfolgte Projekt in einer Bürgerschaft „unter dem Recht“ – das Recht, nicht Ethnie oder Herkunft, ist die Primärreferenz für politische Identität. Zu anderen, machtpolitisch orientierten Erklärungen vgl. Herbst, States and Power in Africa, 2000.

  18. 18.

    Holmes, The Path of the Law, Harvard Law Review 10/1897, S. 457 (478), der jedoch „das Letzte“, das „Infinite“ des Rechts nicht näher erklärt.

  19. 19.

    Basler, Abraham Lincoln: His Speeches and Writings, 1946, S. 76 ff.

  20. 20.

    Tillich, Systematische Theologie I, 1987, S. 282 ff.

  21. 21.

    Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, Demokratie und Misstrauen, 1998, S. 387 ff.

  22. 22.

    Haltern, Kommunitarismus und Grundgesetz, KritV 83/2000, S. 153–193.

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  • Ders., Unsere protestantische Menschenwürde, in: Bahr, Petra/Heinig, Hans Michael (Hrsg.), Menschenwürde und post-säkulare Verfassungsordnung, Tübingen 2006, S. 93–124.

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  • Kantorowicz, Ernst H., Die zwei Körper des Königs, Stuttgart 1992.

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  • Nocke, Joachim, Das Bundesverfassungsgericht als Konsensrunde?, in: Albrecht, Stephan/Goldschmidt, Werner/Stuby, Gerhard (Hrsg.), Die Welt zwischen Recht und Gewalt, Hamburg 2003, S. 32–47.

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  • Schaal, Gary S., Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung? Über den Zusammenhang von Demokratie, Verfassung und Integration, Berlin 2000.

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  • Tillich, Paul, Systematische Theologie I, Berlin 1987.

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  • Vorländer, Hans (Hrsg.), Integration durch Verfassung, Wiesbaden 2002.

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  • Ders. (Hrsg.), Die Deutungsmacht der Verfassungsgerichtsbarkeit, Wiesbaden 2006.

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Haltern, U. (2023). Mythos als Integration – Zur symbolischen Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts. In: van Ooyen, R.C., Möllers, M.H. (eds) Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37532-4_9-1

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