Zusammenfassung
Fotografien gelten als besonders authentisch, da sie es vermeintlich vermögen, eine präzise, wahrheitsgetreue und unvermittelte Repräsentation der Wirklichkeit zu erzeugen. Andererseits eignen sich Fotografien auch hervorragend dazu, trotz Inszenierung und Manipulation einen authentischen Eindruck zu erwecken. Um sich dem Thema „visuelle Authentizität“ zu nähern, präsentiert der Beitrag unterschiedliche theoretische Konzepte von Authentizität und diskutiert ihre Anwendbarkeit auf visuelle Kommunikation. Authentizität ist, dem Verständnis des vorliegenden Beitrags nach, ein situiertes und veränderbares soziales Konstrukt, dessen Authentizitätsmarker je nach Kontext und Publikum unterschiedlich interpretiert werden.
Notes
- 1.
An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass diese Art der Argumentation häufig am Übergang von analoger zur digitaler Fotografie gefunden werden kann. Es wird dann etwa diskutiert, ob Fotografie noch immer „authentisch“ sein kann, wenn es doch nun Rechenoperationen statt foto-chemischer Prozessen sind, die zur Erzeugung des Bildes beitragen. Diese Sicht auf Digitalfotografie als „revolutionärer Umbruch“ wird von den VerfasserInnen des vorliegenden Beitrags nicht mitgetragen. Immerhin beruhen diese Abläufe der digitalen Bildverarbeitung ebenso auf materiellen Vorgängen bzw. einer deterministischen Verarbeitung von Daten (nur dass die Kontingenz dieser Prozesse stärker ins Bewusstsein rückt als bei der fotochemischen Bearbeitung der Aufnahmen). Auch bei Wortmann folgt der Verweis, dass die quasi automatisch unterstellte Authentizität aufgrund indexikalischer Referentialität auch bei analogen Fotografien nicht unumstritten ist. Der Übergang von analoger auf digitale Fotografie soll daher erst einmal als willkommener Anlass gelesen werden, sich intensiver mit den Kommunikationsweisen fotografischer Repräsentationen zu beschäftigen, ohne gleich Revolutionen zu proklamieren.
- 2.
An dieser Stelle soll betont werden, dass hier nur von der formal-technischen Qualität der Aufnahme, nicht aber von einer ästhetisch-künstlerischen Bildqualität besprochen wird. Letztere erfordert nach wie vor einen „fotografischen Blick“ für den entscheidenden Moment und gestalterisch-kreative Kompetenzen, die über das bloße Betätigen des Auslösers hinausgehen.
- 3.
Nicht alle digitalen Distributionsprozesse erfolgen ohne Qualitätsverlust. So reduzieren etwa Apps und Messenger-Dienste, wie z. B WhatsApp, zum Zwecke der schnelleren Übertragung die Dateigröße der gesendeten Bilder, was zu einem substanziellen Qualitätsverlust führt.
- 4.
Damit soll keinesfalls suggeriert werden, Online-Darstellungen seien weniger „real“ als Offline-Darstellungen. Die Formulierungen basieren vielmehr auf Äußerungen von Befragten.
- 5.
An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass die Studie von Brantner und Lobinger (2015) subjektive Einschätzung von Authentizität im Rahmen einer qualitativen Studie erforschte. Es lassen sich daraus keine quantitativen Angaben über die Verbreitung der unterschiedlichen Authentizitätskonzepte bei unterschiedlichen Personengruppen ableiten.
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Krämer, B., Lobinger, K. (2018). „So und nicht anders ist es gewesen!“. In: Lobinger, K. (eds) Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06738-0_6-1
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