Zusammenfassung
Palliative Care und Hospiz können als zwei zentrale Bereiche für die seit den 1980ern konstatierte Neu-Institutionalisierung des Sterbens gelten, die ihrem Selbstverständnis nach den Sterbenden mit seinen Wünschen, Bedürfnissen und Bedarfen sowie seine Angehörigen im Sinne einer ganzheitlichen Versorgung und Begleitung ins Zentrum rücken. Der Beitrag liefert eine soziologische Einordnung des damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandels im Umgang mit Sterben und Tod, klärt Begrifflichkeiten und gibt einen Überblick zum Forschungs- und Diskussionsstand in Deutschland. Mit der anschließend skizzierten Forschungsagenda wird für eine Intensivierung der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Lebensende und für eine Stärkung des Stellenwerts der Thanatosoziologie in Deutschland plädiert.
Notes
- 1.
2007 wurde die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) als Leistungsanspruch gesetzlich Versicherter in Deutschland eingeführt (§ 37b i. V. m. 132d SGB V). Dieses – die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) durch Hausärzte, Pflegedienste etc. ergänzende – Angebot soll Patienten mit weit fortgeschrittener, fortschreitender und in absehbarer Zeit zum Tode führender Erkrankung auch dann ein Verbleiben in ihrem häuslichen Kontext erlauben, wenn das bestehende ambulante Versorgungssystem aufgrund des komplexen Symptomgeschehens nicht mehr ausreicht. Gemäß dieser Zielstellung ist z. B. auch die Verordnung von SAPV für Bewohner in einem Alten-/Pflegeheim möglich, um Krankenhauseinweisungen am Lebensende ggf. vermeiden zu können.
- 2.
Als Ausdruck der gesellschaftlichen Diskursivierung solcher Fragen und als Versuche, Deutungsungewissheiten zu minimieren sowie Handlungssicherheit durch Rechtssicherheit herzustellen, können nicht zuletzt die verschiedenen diesbezüglichen Gesetzgebungen genannt werden; – so z. B.: das deutsche Transplantationsgesetz (TPG) von 1997, das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung (HPG) von 2015 sowie das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ebenfalls von 2015.
- 3.
Dabei können nur ein bis zwei Jahre der unterschiedlichen Lebenserwartung von Frauen und Männern mit biologischen Faktoren in Verbindung gebracht werden. Alle weiteren Unterschiede resultieren aus sozialen Einflüssen, was ja insbesondere durch die Differenzen innerhalb des jeweiligen Geschlechts zum Ausdruck kommt (vgl. z. B. Menning 2006).
- 4.
Allein lebende Frauen oder ältere Paare können zum Teil zwar noch auf ihre Kinder und ggf. Schwiegertöchter/-söhne zurückgreifen. Aufgrund des radikalen Wandels in den Lebens- und Familienformen, wachsenden Mobilitätsanforderungen etc. wird die Übernahme dieser privaten Versorgungs- und Betreuungsleistungen im Bezugssystem von Angehörigen, Zugehörigen und Nahestehenden jedoch immer unsicherer.
- 5.
Vgl. hier z. B. die Forderung des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) aus dem Jahre 2016, ein nationales Mortalitätsregister aufzubauen. Der Rat ist ein unabhängiges Gremium von Wissenschaftlern aus Universitäten, Hochschulen und anderen Einrichtungen, das 2004 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtet wurde, um die Forschungsdateninfrastruktur für die empirische Forschung zu verbessern (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71484/Wissenschaftler-fordern-nationales-Mortalitaetsregister-fuer-Deutschland. Zugegriffen am 12.11.2017).
- 6.
Laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes (Robert Koch Institut 2015) sind Zahlen zur Inanspruchnahme von hospizlich-palliativen Versorgungsstrukturen nur sehr eingeschränkt möglich (vgl. S. 334 f.). Was sich aber zeigt: Die Inanspruchnahme nimmt zu. Daten der Gesetzlichen Krankenkassen weisen einen Zuwachs der Abrechnungsfälle für SAPV gegenüber 2010 um mehr als 200 % aus, wobei dahinter jedoch tendenziell weniger ‚reale‘ Fälle stehen (Abrechnungsfälle werden quartalsweise erhoben, manche Fälle verlaufen aber über einen Quartalswechsel hinaus). Auch in palliativmedizinischen Fachabteilungen in Krankenhäusern ist laut DRG-Statistik ein großer Zuwachs zu verzeichnen (32.057 Behandlungsfälle in 2013 gegenüber 15.576 in 2006).
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Schneider, W., Stadelbacher, S. (2018). Palliative Care und Hospiz. In: Kriwy, P., Jungbauer-Gans, M. (eds) Handbuch Gesundheitssoziologie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06477-8_28-1
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