Zusammenfassung
Das mit dem Sozialgesetzbuch II eingeführte Aktivierungsparadigma hat weitreichende Folgen für junge Erwachsene im Transferleistungsbezug. Einerseits werden sie besonders gefördert, andererseits aber auch schärfer und schneller sanktioniert. Durch die Individualisierung von Gründen für den Leistungsbezug und den Fokus auf schnellstmögliche Integration in Erwerbsarbeit sind junge ALG-II-Beziehende einem besonderen Anpassungsdruck ausgesetzt, der gesellschaftliche Ausgrenzungsrisiken verschärfen kann.
Notes
- 1.
Diese Altersdefinition wird im Sozialgesetzbuch II vorgegeben. Die Sinnhaftigkeit dieser starren Eingrenzung ist zwar diskussionswürdig, da sie im institutionellen Umgang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen bindend ist, wird im Folgenden ebenfalls von Unter-25-Jährigen zur Bezeichnung junger Menschen im Transferleistungsbezug gesprochen.
- 2.
Eine kritische Bilanz anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Reform findet sich z. B. bei Butterwegge (2015).
- 3.
Nicht alle Unter-25-Jährigen, die Arbeitslosengeld II beziehen, sind erwerbslos und nicht alle jungen Erwerbslosen erhalten Arbeitslosengeld II. Von den aktuell in Deutschland registrierten 230.000 Erwerbslosen unter 25 Jahren beziehen rund 60 % Leistungen nach SGB II (Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2014, S. 25). Die anderen erhalten Arbeitslosengeld (ALG) I, das im SGB III geregelt wird.
- 4.
Das SGB II richtet sich an sogenannte „erwerbsfähige Leistungsberechtige“, als „erwerbsfähig“ gilt nach § 8 Abs. 1 SGB II wer mindestens drei Stunden pro Tag einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann.
- 5.
Seit Januar 2015 beträgt der Regelsatz der Grundsicherung für Volljährige 399 €, Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren stehen 302 € zu. Zusätzlich werden die Kosten für Wohnung und Heizung erstattet, sofern sie von der zuständigen Fachkraft des Jobcenters als angemessen eingestuft werden. Die Höhe des Regelsatzes bemisst sich am Existenzminimum, dessen Berechnung immer wieder kritisch diskutiert und neu verhandelt wird (z. B. Butterwegge 2015, S. 184 ff.).
- 6.
Bei älteren Leistungsbeziehenden erfolgt die Sanktionierung gestaffelt, bei Pflichtverletzungen werden zunächst 30 %, dann 60 % der Leistungen gekürzt, erst im nächsten Schritt entfällt das ALG II komplett (SGB II § 31a Abs. 1).
- 7.
Detaillierte Ausführungen zu den Sanktionsregeln finden sich z. B. bei Götz et al. (2010) oder Zahradnik (2014). Die institutionelle Umsetzung der rechtlichen Vorschriften unterliegt in der Praxis natürlich immer zu einem gewissen Ausmaß dem Ermessensspielraum der Fachkräfte der Behörden, wie z. B. Ludwig-Mayerhofer (2014) darstellt.
- 8.
Die subjektorientierte Übergangsforschung zeigt, dass es im Zuge dieser Vermittlungspraxis und dem Verbleib im Übergangssystem häufig zu einem „Cooling-Out-Prozess“ kommt. Durch Bildung aufgeheizte berufliche Wünsche und Aspirationen werden in den Maßnahmen durch die Anpassung an scheinbare Notwendigkeiten des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes wieder abgekühlt (Walther und Stauber 2007, S. 23 f.).
- 9.
Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem diffusen Konzept der „Ausbildungsreife“ s. Dobischat et al. (2012).
- 10.
Die Studie betrachtet 18–30-Jährige im ALG-II-Bezug, es ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse auch für Unter-25-Jährige aussagekräftig sind.
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Figlestahler, C. (2016). Jugendliche und junge Erwachsene im Transferleistungsbezug. In: Lange, A., Steiner, C., Schutter, S., Reiter, H. (eds) Handbuch Kindheits- und Jugendsoziologie. Springer NachschlageWissen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05676-6_15-2
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Jugendliche und junge Erwachsene im Transferleistungsbezug- Published:
- 11 July 2016
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-05676-6_15-2
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Original
Jugendliche und junge Erwachsene im Transfer leistungsbezug- Published:
- 19 January 2016
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-05676-6_15-1