Zusammenfassung
Diese erste in Europa bekannt gewordene serbokroatische Ballade aus dem dalmatinisch-bosnisch-herzegowinischen Grenzgebiet wurde 1774 von Alberto Fortis im originalen Wortlaut samt lateinischer Übersetzung veröffentlicht. Goethe übertrug sie ins Deutsche und stellte sie Herder für seine Volkslieder (Stimmen der Völker in Liedern) zur Verfügung. In 77 Versen erzählt das lyrisch-epische Gedicht episch leidenschaftslos das tragische Geschick der (namentlich nicht genannten) Frau eines (H)asan-Aga. Die Fabel ist nur aus der Sicht der muslimischen Kultur zu verstehen: (H)asan-Aga liegt im Männerzelt an seinen Wunden danieder, seine Frau aber kommt ihn „aus Scham“ nicht besuchen. Darauf stellt er ihr den Scheidungsbrief aus, weil er die vermeintliche Hartherzigkeit und Lieblosigkeit seiner Frau nicht verwinden kann. Sie muss ihre fünf Kinder verlassen und in das Haus ihres Bruders zurückkehren, der sie alsbald gegen ihren Willen mit einem anderen Mann verheiratet. Doch wird ihr die Bitte erfüllt, ihren Weg am Hof des (H)asan-Aga vorbei nehmen zu dürfen. Dort beschenkt sie ihre Kinder. Als ihr früherer Mann das sieht, ruft er die zwei Knaben mit der Bemerkung zurück, ihre Mutter habe ein Herz aus Stein und kenne kein Erbarmen. Die Kinder wenden sich von ihr ab, worauf sie zusammenbricht. Die Tragik des Vorgangs, den das Gedicht besingt, besteht im Widerstreit zwischen der starren Tradition (welche die Frau nicht zu brechen wagt), in der Öffentlichkeit keine Zuneigung zum Ehemann zu zeigen, und der heißen Mutterliebe, welche die Frau nicht unterdrücken kann. Die (H)asanaginica ist dem Stoff nach kein eigentliches Heldenlied, zeigt jedoch dessen Kunst, vor allem stilistisch und kompositorisch, in voller Entfaltung. Im Lauf des 19. Jh.s wurden noch zahlreiche Varianten des Liedes aufgezeichnet. Goethes Nachbildung dieser serbokroatischen Volksballade begründete in der deutschen Literatur die Spielart der in stichischer (statt strophischer) Form abgefassten Ballade; auf der Basis des serbischen Zehnsilblers entstand in der deutschen Lyrik der sogenannte ‚serbische Trochäus‘.
Ursprünglich veröffentlicht unter © J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH
Bibliographie
Übersetzungen
Klaggesang von der edlen Frauen des Asan Aga, J. W. Goethe, in: J. G. Herder: Volkslieder, 2 Bde, 1778/1779.
Literatur
‚Hasanaginica‘ 1774–1974. Prepjevi, varijante, studije, bibliografija, Hg. A. Isaković, 1975.
A. Franić: Kako je Alberto Fortis mogao doći do ‚Hasanaginice‘, in: Radovi Sveučilišta u Splitu, Filozofski fakultet, 14/15, 1975/1776, 115–131.
B. Buike: Zu den Quellen der ‚Asanaginica‘ bei Herder und Goethe, 1996.
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Wöll, A., Stefanović, M. (2020). Asanaginica. In: Arnold, H.L. (eds) Kindlers Literatur Lexikon (KLL). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_81-1
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