Zusammenfassung
Der bekannteste Roman des Autors – ebenso wie der Roman Travnička hronika im Jahr 1945 erschienen – ist der zweite Teil einer unvollendet gebliebenen ‚bosnischen Trilogie‘ und behandelt wie die meisten Prosawerke des Autors die wechselvolle Geschichte Bosniens. Wie Titel und Untertitel des Werks andeuten, handelt es sich um eine Chronik in zweifacher Hinsicht, nämlich sowohl über die Drina-Brücke zwischen Bosnien und Serbien als auch über das Leben in der ostbosnischen Stadt Višegrad. Geschult an der Tradition und Poetik alter bosnischer Franziskanerchroniken, mit dem Streben nach Präzision im Ausdruck und anekdotenhafter Anschaulichkeit, stellt Andrić keine eigentliche Hauptfigur, keine durchgehende Fabel im gewöhnlichen Sinne ins Zentrum seines Erzählens. Symbolischer Mittelpunkt ist die titelgebende Brücke, um die sich zwischen 1516 und 1914 viele episodenhafte Geschichten abspielen. Bauherr ist der einst als christlicher Junge aus Bosnien verschleppte und nun zum osmanischen Großwesir aufgestiegene Mehmed paša Sokolović. Er muss sein Vorhaben gegen den großen Widerstand der zum Frondienst verpflichteten Bevölkerung vor Ort durchsetzen. Eine der wohl grausamsten Szenen der Weltliteratur ist jene, in welcher ein bei der Zerstörung des halbfertigen Brückenbaus ertappter Bauer auf der unfertigen Brücke öffentlich gepfählt wird. Nach einigen Zugeständnissen jedoch, etwa in Form gerechter Entlohnungen und der Stiftung einer gemeinnützigen Herberge („Karawan-Serail“), finden der Großwesir und sein nostalgisch-pragmatisches Projekt allgemeine Anerkennung. In einer Art Biographie schildert ein allwissender Erzähler ausführlich die Entstehung der Brücke. Gekrönt wird der weiße, weitbogige Bau von einer breiten Terrasse (kapija), die sich über dem mittleren von elf Brückenjochen zu beiden Seiten über den reißenden Fluss streckt. Bald etabliert sich dieser Ort als wichtigste öffentliche Versammlungsstätte, und es entsteht über Generationen hinweg ein Zugehörigkeitsgefühl der Višegrader zu ihrer Brücke. In Volksliedern (die insbesondere das Bauopfermotiv aufgreifen), Märchen und Sagen wird die Erinnerung an die dramatischen Tage des Brückenbaus bewahrt.
Ursprünglich veröffentlicht unter © J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH
Bibliographie
Literatur
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KLL, Džajić, H. (2020). Andrić, Ivo: Na Drini ćuprija. In: Arnold, H.L. (eds) Kindlers Literatur Lexikon (KLL). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_58-1
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