Einleitung

In Deutschland sind mit der flächendeckenden Einführung der Ganztagsschule in den 2010er-Jahren inhaltliche und organisatorische Anforderungen an Kooperationen zwischen Sportvereinen und Schulen komplexer geworden. Während sich Sportvereine bis in die 1990er-Jahre auf Talentsuche und -förderung in schulischen Kontexten konzentrierten, haben sich mittlerweile Ziele, Inhalte und Angebote der kooperativen Maßnahmen zwischen dem verbandlich organisierten Vereinssport und dem staatlich organisierten Schulbetrieb erheblich ausdifferenziert. Umso mehr Bewegungs‑, Spiel- und Sport-Angebote (im Folgenden: BeSS-Angebote) „als zentraler Baustein des Ganztags“ gelten, „der die gesamte Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen fördert und damit gleichermaßen die Schul(sport)entwicklung positiv beeinflusst“ (Süßenbach 2015, S. 117), desto höher sind allerdings auch die Anforderungen an die Kooperationen von Ganztagsschulen und Sportvereinen, aus denen BeSS-Angebote hervorgehen (Abb. 1). Diese Anforderungen werden u. a. von der Frage beeinflusst, inwiefern die Angebote für eine Rhythmisierung des Schultages genutzt, Verbindungen zum Bildungsauftrag des Schulsports gesucht und mit dem Schulunterricht verzahnt werden (vgl. z. B. Laging und Dirks 2014).

Abb. 1
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Umso mehr Bewegungs‑, Spiel- und Sport-Angebote „als zentraler Baustein des Ganztags“ (Süßenbach 2015, S. 117) gelten, desto höher sind auch die Anforderungen an die Kooperationen von Ganztagsschulen und Sportvereinen. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Zur Intensivierung von Kooperationen zwischen Ganztagsschulen und Sportvereinen werden von Staat, Politik und zivilgesellschaftlichen Akteuren vielfältige Maßnahmen wie beispielsweise der Aufbau von lokalen bzw. kommunalen „Bildungslandschaften“ (Süßenbach und Klaus 2015; Hansen 2013) oder „Koordinierungsstellen“ (Wick und Naul 2015) gefördert. Insofern ist es erstaunlich, dass über Koordinationsinstanzen, die die involvierten Akteure in einen sinnhaften und zielorientierten Interaktionszusammenhang bei der Ausgestaltung von BeSS-Angeboten in der Ganztagsschule bringen sollen, kaum differenziertere empirische Erkenntnisse vorliegen (Wick und Naul 2015). In diesen Diskussionskontext lässt sich das Pilotprojekt „Sportagenten NRW“ einordnen, das von 2014 bis 2016 von der Stiftung Mercator gefördert und von Sports Tomorrow e. V. als Projektpartner umgesetzt wurde.

Mit der Sozialfigur des „Sportagenten“ bzw. der „Sportagentin“Footnote 1 (im Folgenden: SpA) wurde in dem Projekt der Anspruch verbunden, die Rolle einer Initiatorin, Moderatorin und Managerin von Kooperationsbeziehungen zwischen Ganztagsschule und Sportverein zur Förderung sportbezogener Bildungsprozesse von Jugendlichen im Ganztag mit Hilfe von Sportangeboten in Schulen in sozialen Brennpunktgebieten zu erproben und zu implementieren. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich dieser Beitrag auf die leitende Fragestellung, wie die SpA ihre spezifische und neu zu konfigurierende Rolle in dem dynamischen Handlungsfeld der Kooperation von Ganztagsschule und Sportverein entwarfen und ausgestalteten. Basis der Analyse sind empirische Befunde der wissenschaftlichen Begleitung des entsprechenden Pilotprojekts, die an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt und von Sports Tomorrow e. V. gefördert wurde.

Der folgende Rekonstruktionsversuch zentraler Handlungsorientierungen der SpA an der Schnittstelle zwischen Schule und Sportverein im Kontext der Ganztagsschul-Entwicklung ist in fünf Kapitel gegliedert: In einem ersten Schritt werden relevante Diskussionslinien zur Kooperation von Schule und Sportverein skizziert und mit Blick auf die leitende Fragestellung Forschungsdesiderata herausgestellt. Daran anschließend wird die Sozialfigur der*des SpA rollentheoretisch problematisiert. In einem dritten Schritt wird die methodische Anlage der qualitativen Evaluationsstudie dargestellt. Darauf aufbauend werden in einem vierten Schritt empirische Befunde der Interviews präsentiert und systematisiert. Im letzten Schritt werden die Ergebnisse des Beitrags bilanziert und in laufende Debatten zur Kooperation von Schule und Sportverein im Kontext der Ganztagsschule eingeordnet.

Kooperation von Schule und Sportverein

Die wissenschaftliche Diskussion über die Kooperation von Schule und Sportverein hat sich seit Anfang der 1990er-Jahre deutlich ausgeweitet. Abgesehen von etablierten Forschungsperspektiven auf die Kooperation von Schule und Leistungssport mit Fokussen auf Talentsichtung und -förderung und Doppelbelastung von Athlet*innen (z. B. Güllich 1999; Richartz und Brettschneider 1996) ist allerdings erst mit der flächendeckenden Einführung der Ganztagsschule seit den 2010er-Jahren eine beachtliche Dynamisierung der Forschungsaktivitäten zu konstatieren. Diesen Bedeutungsgewinn reflektieren einerseits Überblicksartikel, die die Publikationsdynamik durch Zwischenbilanzen strukturieren (z. B. Kuritz et al. 2016; Naul 2011; Neuber et al. 2015), und vereinzelte Beiträge, in denen die Kooperation zwischen Ganztagsschule und Sportverein organisationstheoretisch thematisiert wird (Thieme 2017). Andererseits liegen zahlreiche empirische (Evaluations‑)Studien vor, die u. a. Verbreitung, Ausgestaltung und Träger der Sportangebote im Ganztag erfassen und analysieren (zusammenfassend Kuritz et al. 2016). Insgesamt schärfen die Arbeiten den Blick dafür, dass sich – wie Laging und Dirks (2014) formulieren – „die Problematik zur Gestaltung von Ganztagsschulen weit komplexer und differenzierter [erweist], als es die bloße Suche und Bindung von Kooperationspartnern zur Betreuung aller Schüler(innen) oder eines Teils der Schüler(innen) in zusätzlichen Zeiten vordergründig vermuten lässt“ (S. 206). Zugleich macht der Forschungsstand sichtbar, dass aus steigender Nachfrage nach Kooperationen, steigenden pädagogischen Anforderungen an BeSS-Angebote und der Vernetzung unterschiedlicher Anspruchsgruppen vielschichtige Herausforderungen für die Kooperation von Ganztagsschule und Sportverein z. B. im Hinblick auf Ziele, Inhalte, Rahmenbedingungen, Finanzierung, Funktionsweisen, Betriebszeiten, Personalrekrutierung, Professionalisierung und Qualitätsstandards resultieren (z. B. Laging und Dirks 2014; Süßenbach und Klaus 2015; Wick und Naul 2015).

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass in den vorliegenden Evaluationsstudien Koordinationsinstanzen zwischen Ganztagsschule und Sportverein, die Kooperationsdilemmata bearbeiten sollen, eher am Rande thematisiert werden (z. B. Süßenbach und Geis 2014; Wick und Naul 2015). Im Fokus stehen dabei insbesondere Koordinierungsstellen des verbandlich organisierten Vereinssports sowie Träger des offenen Ganztags aus der Kinder- und Jugendhilfe. Die spärlichen empirischen Befunde geben Auskunft über Selbstverständnis und Aufgaben der Koordinationsinstanzen, deren Bekanntheitsgrad sowie Zufriedenheit und Probleme mit ihrer Arbeit aus der Perspektive von Sportvereinen und der Koordinationsakteur*innen. Sie zeigen u. a., dass Koordinierungsstellen mit BeSS-Angeboten die Förderung von Bewegung, Spiel und Sport, der Gesundheit und des Selbstkonzepts verbinden, dass Koordinierungsstellen ihre maßgeblichen Aufgaben in der Initiierung, Beratung und Begleitung von Kooperationen zwischen Sportverein und GST sehen und dass die Kooperationskultur zwischen Sportverein und GST als „grundsätzlich verbesserungsbedürftig“ eingeschätzt wird (Wick und Naul 2015, S. 59). Eine konzeptionelle und mithin theoretische Einbindung entsprechender deskriptiver Ergebnisse ist allerdings kaum zu erkennen.

Dieses Forschungsdesiderat vermag auch die erziehungswissenschaftlich orientierte Kooperations- und Netzwerkforschung nicht zu kompensieren, wenngleich dort einige aufschlussreiche Studien über multiprofessionelle, interdisziplinäre und intersektorale Kooperationen und Netzwerkarbeit (Vollmer 2016) speziell in Schulen (z. B. Huber und Ahlgrimm 2012) und in der Jugendhilfe (z. B. van Santen und Seckinger 2003; Tippelt et al. 2014) vorliegen. In diesen Studien wird u. a. dafür sensibilisiert, dass Kooperationen und Netzwerke mit vielen positiven Erwartungen überladen und meist zeitlich begrenzt finanziert seien, komplexe und störungsanfällige Strukturen darstellten, mit Konkurrenz um Ressourcen, Reputation und Macht umgehen müssten sowie Aufgaben der kooperierenden ebenso wie koordinierenden Akteur*innen unterschätzt würden (Olk und Schmachtel 2017; van Santen und Seckinger 2003). Gleichwohl mangelt es an Forschungsarbeiten, die sich explizit mit der spezifischen Funktion bzw. Rolle von entsprechenden Netzwerkkoordinator*innen auseinandersetzen.

Die Rolle der Sportagent*innen

Wenn vor diesem Hintergrund im vorliegenden Beitrag danach gefragt wird, wie die SpA ihre Rolle als Netzwerkkoordinator*innen zwischen Ganztagsschule und Sportverein zur Förderung sportbezogener Bildungsprozesse von Jugendlichen in der Ganztagsschule ausgelegt haben, dann ist damit bereits angezeigt, dass mit der Implementierung dieser Sozialfigur normative Erwartungen verbunden waren. So basierte das Projekt auf der grundlegenden Idee, SpA so zu qualifizieren, dass außerunterrichtliche Sportangebote an Schulen in sozialen Brennpunkten entwickelt und begleitet werden, die wiederum zum Bildungserfolg aller Kinder und Jugendlichen unabhängig von deren sozialer Herkunft beitragen sollten (vgl. Buttermakers GmbH 2020; Stiftung Mercator 2020).

Im Sinne von Dahrendorf (2006, S. 42–46) manifestieren sich unterschiedliche normative Rollenerwartungen als „Muss-“, „Soll-“ und „Kann-Erwartungen“, wobei sich mit steigendem Verbindlichkeitsgrad auch die Verlässlichkeit für alle Beteiligten erhöht, dass die Rollenhandelnden in der erwarteten Weise handeln. Gerade in einem Pilotprojekt wie im vorliegenden Kontext, in dem eine neue Rolle in der Praxis erprobt und implementiert werden soll, ist davon auszugehen, dass Soll- und Kann-Erwartungen und damit weniger klar konturierte Rollenerwartungen gegenüber Muss-Erwartungen dominieren: Neben rechtlich geltenden Regeln und Verfahrensweisen im Hinblick auf das soziale Handeln in staatlichen Schulen und Sportvereinen dürfte für die SpA als Akteur*innen vor Ort ein „komplikationsloses ‚role-taking‘ als Befolgung klarer Bezugsgruppenerwartungen“ (Schimank 2016, S. 82) eher schwierig zu realisieren sein; denn eigene und fremde Erwartungen an die – sich erst sukzessive herauskristallisierende – Rolle dürften vielfach eher diffus bleiben und differieren, so dass kreativ-situative Bewältigungsformen erforderlich werden und „im ‚rolemaking‘ kompatibilisiert“ (Schimank 2016, S. 81) werden müssen.

Allein damit sind bereits komplexere Herausforderungen verbunden als bei weitgehend kongruenten internen und externen Rollenerwartungen. Besonders kompliziert, aushandlungsintensiv und konfliktreich dürfte sich die Situation für alle Beteiligten dann jedoch darstellen, wenn eigene und fremde Erwartungen nicht übereinkommen, weil die jeweiligen Akteur*innen ihre Sicht- und Handlungsweisen weitgehend uneingeschränkt durchzusetzen suchen (Schimank 2016). So dürfte es beispielsweise unterschiedliche Verständnisse darüber geben, wie und mit welchen Mitteln SpA, Ganztagsschule und Sportverein dazu beitragen können, dass in dem Projekt „nicht nur die Ausbildung von sportlichen Fertigkeiten im Mittelpunkt [steht], sondern vielmehr die Nutzbarmachung des Sports zur Verbesserung der Bildungschancen und die damit verbundene Integration und Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen“ (Buttermakers GmbH 2020).

In dieser Argumentationsrichtung wird bereits die dynamische Prozesshaftigkeit bei der Ausgestaltung der Rolle der*des SpA sichtbar; denn wenn die entsprechende Rolle von einer Person übernommen wird, dann resultiert der entsprechende Rollenentwurf einerseits aus den feldspezifischen Strukturen unterschiedlicher normativer Erwartungen an diese Person unter den jeweiligen Rahmenbedingungen wie z. B. von der Projektleitung sowie Stakeholdern des Ganztags wie etwa Ganztagsschulen, Sportvereinen, Sportbünden und -verbänden oder bereits etablierten Koordinationsinstanzen (z. B. Koordinierungsstellen, Sporttandems). Andererseits wird die Rolle der SpA immer auch vor dem Hintergrund individueller Erwartungen, Vorstellungen, Bewertungen und Planungen etc. entworfen und ausgestaltet. In dieser Perspektive treten die SpA mit jeweils eigenen Lebens- und damit auch Sport- und Schulerfahrungen in das sich erst nach und nach konstituierende Feld der BeSS-Strukturen in der Ganztagsschule ein, um sich sukzessive zu einer bis dato wenig konturierten Rolle als SpA hin zu orientieren.

In dieser Perspektive stellt sich die Frage, wie die SpA ihre Rolle auslegten, wie sie sich in der gegebenen Struktur positionierten und welche konkreten Handlungen daraus resultierten, um einen Beitrag zur Kooperation zwischen Sportvereinen und Schulen zur Förderung sportbezogener Bildungsprozesse von Jugendlichen im schulischen Ganztagsbetrieb zu leisten.

Methodische Anlage der Studie

Die empirischen Befunde wurden im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie gewonnen. Befragt wurden die beiden weiblichen und die drei männlichen SpA, die von der Projektleitung für eine Honorartätigkeit (400 h/Jahr) im Pilotprojekt rekrutiert wurden (vgl. Abb. 2). Die fünf SpA waren jeweils sehr sportaffin und wiesen ein hohes Interesse an der Arbeit als SpA auf. Während ihre (sport‑)pädagogischen Vorerfahrungen sowie ihr sportwissenschaftliches bzw. sportartspezifisches Know-how unterschiedlich ausfielen, verfügten vier von ihnen (abgesehen von SpA C) kaum über Erfahrungen mit schulischen und außerschulischen (Sport‑)Projekten und mit Schul‑, Vereins- oder Verbandsarbeit. Darüber hinaus hatten sie auch nur begrenztes inhaltliches oder organisationsbezogenes Wissen zum Thema Sport im Ganztag und dementsprechend auch kaum Kontakte im Feld. Die SpA kooperierten mit Schulen unterschiedlicher Schulformen und -größen (Haupt- und Gesamtschulen mit mittlerer bis kleiner Größe), die in drei Kommunen in Nordrhein-Westfalen in schwierigen Sozialräumen lagen, und initiierten BeSS-Angebote im Bereich der Sekundarstufe I (vgl. Abb. 2).

Abb. 2
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Ausgewählte Merkmale der befragten Sportagent*innen und der zugeordneten Projektschulen

Die SpA wurden mittels leitfadengestützter qualitativer Interviews dreimal zwischen Juni 2015 und April 2016 befragt: zu Beginn der Praxisphase, nach ca. fünf Monaten Projekttätigkeit und kurz vor Ende der Praxisphase. Im Zentrum der Interviews standen u. a. Fragen nach den Erwartungen an die Arbeit als SpA (Rollenerwartungen), nach der Art und Weise, wie die SpA ihre Positionen an der Schnittstelle zwischen Ganztagsschule und Sportverein einnahmen (tatsächliches Rollenhandeln), welche Erfahrungen sie dabei machten, wie sie sich in der für sie selbst – aber auch für das Feld – neuen Rolle wahrnahmen und diese für sich auslegten (Rollenentwurf) und welche Handlungen daraus wiederum resultierten.

Die Interviews wurden transkribiert und anhand von deduktiv und induktiv gewonnenen Kategorien systematisch inhaltlich-strukturierend analysiert (vgl. Mayring 2015). Anschließend wurden die zur Fragestellung passenden Kategorien deskriptiv, prozessorientiert (Vergleich der Aussagen in zeitlicher Perspektive) und kontrastiv (Vergleich der Aussagen mehrerer SpA) ausgewertet, in Beziehung zueinander gesetzt und interpretiert.

Empirische Ergebnisse

Zu Beginn des Pilotprojekts lag ein grobmaschiger Arbeitsplan zur Tätigkeit als SpA in der Praxis vor. Da es sich um ein relativ offen konzipiertes, auf zwei Jahre angelegtes Pilotprojekt handelte, konkretisierten sich die – in Abb. 3 überblicksartig zusammengestellten – Arbeitsschritte jedoch erst sukzessive im Projektverlauf; denn

[…] wir hatten halt keine standardisierte Vorgehensweise direkt. Es war alles Neuland für uns und es wäre schön gewesen, wenn es das Projekt schon mal gegeben hätte und wir uns daran orientieren könnten, aber darum ging es ja, dass wir es erstmal sozusagen ausprobieren (SpA‑B, II‑§118).

Abb. 3
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Darstellung der Arbeitsphasen und Aufgaben der Sportagent*innen im Projektverlauf auf Basis der Interviewergebnisse

Dabei lassen sich auf der Basis des Interviewmaterials die fünf Phasen „Einführung des Pilotprojekts“, „Angebotsentwicklung“, „Angebotsimplementierung“ sowie „Angebotsbegleitung“ und „Angebotsverstetigung“ identifizieren. Während die SpA außer SpA‑C in die erste Phase kaum involviert waren, da sie ihre Arbeit erst im zweiten Jahr des Förderzeitraums aufnahmen, lagen den SpA für die zweite und dritte Projektphase normative Erwartungen der Projektleitung und ein Aufgabenraster vor. In Qualifizierungstreffen wurden die SpA darüber informiert und für die Umsetzung geschult, so dass sich eine – wie ein SpA im Interview berichtet – „standardisierte Herangehensweise“ (SpA‑A, I‑§27) für diese Projektphasen erkennen lässt. Die vierte und fünfte Phase der Angebotsbegleitung und -verstetigung waren hingegen kaum vorstrukturiert und erforderten von den SpA ein besonders weitreichendes „role making“.

Da sich Arbeitsphasen und -schritte erst im Projektverlauf ergaben, konkretisierte sich auch der Rollenentwurf als SpA sukzessive in Auseinandersetzung mit den internen und externen Rollenerwartungen insbesondere für die SpA ohne bisherigen Kontakt zum Feld des Sports im Ganztag:

Ich weiß noch, dass ich mir ganz am Anfang überhaupt nichts darunter vorstellen konnte […] mit der Vernetzung der Schule und Sportvereinen […] (SpA‑D, I‑§22).

Na, die Vorstellung war halt, die Sportvereine mehr in die Schule zu integrieren, dass man dort ein größeres Sportangebot für die Kinder bekommt […] (SpA‑E, II-§11)

und „denen […] einfach mal an der Schule so ein cooles Sportprojekt anbieten […]“ (SpA‑B, I‑§9) kann.

Zwar wurde jeder Rollenentwurf individuell ausgestaltet, jedoch entwickelten sich bei allen Befragten über die Zeit hinweg drei handlungsleitende Perspektiven des Rollenentwurfs, die nachfolgend differenzierter beschrieben werden. Die Befragten verstanden sich in ihrer SpA-Rolle als:

  • Agent*in der sport(vereins)distanzierten Kinder und Jugendlichen,

  • Agent*in der unterstützungsbedürftigen Schule in sozialräumlich schwieriger Umgebung,

  • Agent*in eines bildungszielorientierten, „pädagogischen“ Sports.

Agent*in der sport(vereins)distanzierten Kinder und Jugendlichen

Alle SpA nahmen sich während ihrer Tätigkeit als Anwalt „für die Kinder“ im Allgemeinen wahr und im Besonderen für „Schülerinnen und Schüler, die sonst nicht so wirklich die Chance dazu haben, zum Sport zu kommen“ (SpA‑B, I‑§9). Letztere seien zwar sportinteressiert, aber „die Kinder finden keinen Weg dahin [in den Sportverein, A.d.V.]. Die würden auch nicht auf die Idee kommen, da vorstellig zu werden und zu sagen, ich würde gerne Sport hier im Verein machen“ (SpA‑C, II-§75). Gerade sie müssten bei der Entwicklung und Implementierung von BeSS-Angeboten im Ganztag beachtet werden. Insofern betrachteten die SpA ihre Arbeit als eine moralisch wertvolle und dadurch auch ausreichend legitimierte Aufgabe, denn „diese Projekte für die Kinder in die Wege zu leiten, ist natürlich ein, wie sagt man, ein ambitioniertes./und ja, das ist was Ehrhaftes […]. Es ist was Gutes“ (SpA‑A, I‑§15).

Bedürfnisorientierte Angebote

Angetrieben wurden die SpA durch „diese Motivation, wirklich auch in die Richtung etwas tun zu wollen […] auch wirklich mit Kindern und Jugendlichen Sport zu entwickeln“ (SpA‑B, I‑§161). Allerdings wurden die BeSS-Angebote im ersten Projektdurchlauf ohne Partizipation der Schüler*innen aufgesetzt.

Ich habe dann gedacht, dass ich noch mehr mit den Schülern in Kontakt stehen würde […] die Kinder auch befragen, was wollt ihr eigentlich. Das haben wir ja in diesem Fall nicht gemacht, sondern haben uns selber hergeleitet und überlegt, was denn gut passen würde, was natürlich auch ein guter Ansatz ist, finde ich (SpA‑B, I‑§9).

Denn „[…] wenn man selber ein bisschen strukturiert ist und sportinteressiert ist, […] dann hat man ein besseres Gefühl dafür, was ist wirklich interessant. Woran haben Kinder oder auch Jugendliche dann auch Spaß, das wirklich zu machen“ (SpA‑E, I‑§75).

Gleichwohl die SpA ihr Vorgehen nachträglich durch ihre eigene Sportaffinität und Erfahrung mit der Zielgruppe legitimierten, favorisieren sie zukünftig eine partizipative Angebotsentwicklung gemeinsam mit den Schüler*innen. Im Projektverlauf berieten die SpA die Übungsleiter*innen und regten sie wiederholt an, sich bei den Schüler*innen Feedback zur Angebotsgestaltung einzuholen, um die Angebote bedürfnisgerechter zu inszenieren.

Niederschwellige Angebote

Um allen Kindern und Jugendlichen Teilnahmemöglichkeiten zu eröffnen, versuchten die SpA, die Schüler*innen für die Angebote „wirklich zu BEGEISTERN“, „die Kinder da auch an[zu]locken und das Projekt auch wirklich anregend und interessant [zu] verkaufen“ (SpA‑B, I‑§43). Sie implementierten die Angebote im Anschluss an den Unterricht in der Sporthalle der Ganztagsschule, „damit die Schüler nicht noch einmal extra kommen müssen“, wählten Sportarten aus, die aus ihrer Sicht „wenig Vorerfahrung von Seiten der Schüler“ benötigten und deren „Ausrüstung dafür vor Ort“ gestellt werden konnte (SpA‑A, II-§7) (vgl. Abb. 2). Zudem sollten die Angebote spiel- und kommunikationsorientiert inszeniert werden und Erfolgserlebnisse für alle – auch für motorisch weniger leistungsfähige Schüler*innen – bereithalten.

Brückenbildung zwischen Kindern bzw. Jugendlichen und Erwachsenen

Die SpA verstanden sich als Übersetzer*innen zwischen den (antizipierten) Bedürfnissen und Interessen der Schüler*innen einerseits und den Sichtweisen der Lehrkräfte und Übungsleiter*innen bezüglich dieser Schüler*innen andererseits. Sie nahmen bestehende Ressentiments von Übungsleiter*innen gegenüber den als „Problemklientel“ stigmatisierten Schüler*innen der Haupt- bzw. Gesamtschulen wahr:

[…] wenn die hören, so ne Hauptschule, das ist jetzt nicht so, dass sie unbedingt ‚Hurra‘ schreien, weil […] man weiß nicht so richtig, was einen als Trainer da so erwartet […] Und für die ist es eben neu, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, die nicht erstmal sportaffin sind bzw. sofort auch alles verstehen, was man von einem will (SpA‑C, II‑§87).

Daher versuchten vor allem die SpA mit Vorerfahrungen als Trainer*in, die Übungsleiter*innen z. B. hinsichtlich realistischer Verhaltens- und Leistungsanforderungen zu sensibilisieren und im Umgang mit der Zielgruppe vor Ort zu beraten.

Agent*in der unterstützungsbedürftigen Schule

Die SpA betrachteten die Schule als Referenzpunkt der Kooperationsbeziehung zwischen Ganztagsschule und vereinsorganisiertem Sport. Das Grundverständnis der SpA, sich als Agent*in der Schule zu begreifen, basierte auf drei Argumenten: Erstens könne man in der Schule alle Kinder und Jugendlichen erreichen. Zweitens verfüge die Schule über zeitliche, räumliche, materielle und ggf. personelle Ressourcen, um Sportangebote durchführen zu lassen. Und drittens sei die Schule ein Bildungsort; sie müsse somit ein Interesse an und den Auftrag zu der Realisierung eines „pädagogischen Sports“ im Ganztag haben, der alle Kinder und Jugendlichen erreicht.

Unterstützungsbedürftige Schule als Ausgangs- und Bezugspunkt der Arbeit

Im Projektverlauf zeichnete sich für die SpA ab, dass das Gelingen ihrer Arbeit abhängig war von dem Kooperationsinteresse der Schulen. Dieses Interesse wurde nach ihrer Einschätzung an solchen Schulen deutlich, an denen außerunterrichtliche Sportangebote nicht oder kaum vorhanden waren, Kooperationen mit dem Vereinssport nur rudimentär etabliert waren und es keine Ansprechperson für außerunterrichtliche Angebote gab. Bei diesen Schulen handelte es sich um Haupt- und Gesamtschulen in schwierigen Sozialräumen (vgl. Abb. 2): „Deswegen ist unsere Perspektive eher die Sicht der Schule: Womit haben die jeden Tag zu tun? Was sind denn deren Probleme jeden Tag? […] Weil bei denen, die den größten Bedarf haben, da passiert nix“ (SpA‑C, I‑§26). Im Kontrast dazu beschreiben die SpA Schulen mit geringen Unterstützungsbedarfen im Rahmen der Themen und Ziele des Pilotprojekts eher als desinteressiert und wenig kooperativ.

Dienstleister*in für die Einzelschule

Die SpA stellten ihre Leistungen in den Dienst „ihrer“ Schule, insofern als sie sich für die quantitative und qualitative Weiterentwicklung der außerunterrichtlichen Sportangebote zuständig sahen. In diesem Sinne verstanden sie sich als impulsgebend für pädagogisch innovative, kreative und „passgenaueste“ BeSS-Angebote (SpA C, II-§9) (vgl. Abschn. Agent*in eines „pädagogischen“ Sports). Sie managten die von der Schule ausgewählten Angebote, indem sie diese „wie ein Baby […] aufpeppel[te]n“ (SpA C, II-§119). Dazu gehörte z. B. die Rekrutierung von Übungsleiter*innen, die Ausgestaltung von Kooperationsverträgen, die Sicherung der Angebotsqualität durch inhaltlich-pädagogische Begleitung und Beratung der Übungsleiter*innen sowie die Konfliktmoderation zwischen Schule und BeSS-Anbietern.

Sportvereine als Personalbeschaffer für BeSS-Angebote an den Schulen

Ziel der SpA war es, „Schule und Sportvereine zu vernetzen“ (SpA D, I‑§22), um „Sportvereine in die Schule zu integrieren“ (SpA D, I‑§28), wie es ein SpA prägnant formuliert. Zwar nahmen die SpA Ziele der kooperierenden Sportvereine wahr (z. B. die Verbreitung einer spezifischen Vereinssportart, Mitgliederzuwachs); aber die Sportvereine dienten den SpA vor allem als – prinzipiell austauschbarer – „Personalbeschaffer“ zur Umsetzung der von ihnen entwickelten BeSS-Angebote an den Schulen. Allerdings zeigte sich schnell, dass „[…] man da Probleme hat, die passenden Leute zu bekommen und da kaum Auswahlmöglichkeiten hat“ (SpA‑D, I‑§120). Die SpA bemängelten zudem, dass Informationen vom Vorstand zu den Übungsleiter*innen unstrukturiert weitergegeben würden, es an (gut) qualifizierten Übungsleiter*innen in den Vereinen mangele, die BeSS-Zeiten am frühen Nachmittag wahrnehmen könnten, und der finanzielle Anreiz für die Übungsleiter*innen gering sei, um mit der heterogenen Zielgruppe pädagogisch zu arbeiten.

Aus der Perspektive der SpA blieben Kooperationsinteresse und -möglichkeiten nicht nur auf Seiten der Sportvereine, sondern auch der Sportverbände und -bünde limitiert. Berührungsängste konnten erst nach und nach abgebaut werden: „In S‑Stadt und T‑Stadt war man nicht erfreut, aber später war das, was wir machen, okay“ (SpA‑C, I‑§91). In den wenigen Fällen, in denen eine kommunale Zusammenarbeit zu erkennen war, erwies sich diese als gewinnbringend für die Übungsleiter*innen-Rekrutierung: „Teilweise haben wir [Übungsleiter*innen] noch nachgebildet und fortgebildet auch mit dem Stadtsportbund T‑Stadt zusammen. Und die führen im Grunde seitdem die Kurse nach unseren Vorstellungen dann durch“ (SpA‑A, II-§7).

Agent*in eines „pädagogischen“ Sports

Die dritte handlungsleitende Perspektive der SpA bestand darin, entwicklungs-, bildungs- und integrationsförderliche BeSS-Angebote für die Schule zu entwickeln und die Umsetzung eines dementsprechend „pädagogischen Sports“ zu gestalten. Dabei schrieben sich die SpA zu, „diese pädagogische Perspektive [zu] besitzen, also auch zu wissen, wie Kinder sich in diesem Alter entwickeln und was Sport halt für Auswirkungen darauf hat“ (SpA‑B, I‑§161).

Systematisch bildungszielorientierte und integrative BeSS-Angebote

Die SpA entwickelten die Angebote systematisch entlang eines Fahrplans (vgl. Abb. 3). Dieses Vorgehen wurde von den SpA als ein Alleinstellungsmerkmal ihrer Rolle im Vergleich zu anderen Vermittlungsinstanzen (z. B. Landessportbund, Stadtsportbund, Koordinierungsstellen) oder Sportverein eingestuft. Sport als ein Bildungsmedium zu verstehen, stellte nach Auskunft der SpA ein zentrales Postulat der Projektleitung für die Angebotsentwicklung und -durchführung dar:

Zum einen halt Teilhabe […] diese Teilnahme an der Gesellschaft, an der Gemeinschaft, an einem Team […] dann natürlich die Sekundärtugenden [z. B. Fleiß, sozialer Umgang, Pünktlichkeit, A.d.V.] […] Und dann natürlich noch Körper- und Gesundheitsbewusstsein. Das waren so die drei Säulen und die standen natürlich immer wieder überall so dick vor Augen. Das waren halt die Leitlinien, an denen wir uns orientieren sollten, das waren die Ziele, die wir letzten Endes erfüllen wollten (SpA‑B, I‑§85).

Andererseits sollten die Angebotsideen mit dem Schulprogramm bzw. Schulprofil der Partnerschule, mit fächerübergreifenden Bildungsinhalten und dem sozial-räumlichen Umfeld der jeweiligen Ganztagsschule verknüpft werden. Häufig stellte sich im Projektverlauf jedoch heraus, dass selbst kooperationsinteressierte Schulen eine pragmatisch-ressourcenorientierte Erwartungshaltung hatten: „[…] da könnte ein Sportangebot an der Schule stattfinden, worum ihr euch quasi nicht kümmern müsst“ (SpA‑D, II-§52) und das demnach so wenig wie möglich in schulische Prozesse ein- und auf Ressourcen zugreift. Dennoch halten die SpA an dem Ziel fest, „so als Aussicht her“, kollaborativ „gemeinsam mit dem Übungsleiter, mit dem pädagogischen Leitfaden der Schule“ bildungsorientierte Angebote zu entwickeln, „weil dadurch wollen wir uns auch abheben“ (SpA‑A, I‑§77).

Übersetzungs‑, Beratungs- und Kontrollfunktion gegenüber Sportvereinen

Die SpA sahen ihre Aufgabe darin, die Übungsleiter*innen für die Grundideen der Sportangebote (vgl. Abschn. Agent*in der sport(vereins)distanzierten Kinder und Jugendlichen) und die damit verbundene methodisch-didaktische Inszenierung für die sehr leistungs- und zum Teil motivationsheterogenen Lerngruppen im Ganztag zu sensibilisieren und in der Praxis zu begleiten. Aus Sicht der SpA wurde diese intensive Begleitung und Beratung von den Übungsleiter*innen produktiv aufgenommen, denn

die merken natürlich schon, dass jetzt in meinem Fall ich ’ne gewisse Erfahrung mitbringe; ich rede denen ja nicht rein, was sie machen, sondern ich sage denen: ‚Ach pass auf, es ist vielleicht schlau, sich anders hinzustellen, wenn man mit den Kindern redet‘ […] (SpA‑C, II-§89).

Den SpA war es wichtig, „dass die Kinder da mitgenommen werden und sich da betätigen können, in der Gruppe Sport treiben können“, dass die BeSS-Angebote „nicht nur verwaltet werden, aber überwacht […] begleitet und ein bisschen analysiert auch, ob es Fortschritte gibt, ob es klappt, ob es auch den Kindern etwas bringt“ (SpA‑D, I‑198).

Die Überprüfung zwischen avisierten Zielen und der Zielerreichung ergab sich eher zufällig durch Gespräche mit Teilnehmenden oder unsystematische Beobachtungen. Hier sahen die SpA deutlich eigenen Qualifizierungsbedarf.

Fazit und Ausblick

Im Rahmen der sich wandelnden politisch-administrativen Strukturen organisierter Bildung in Deutschland werden Angebote immer umfangreicher in Koproduktion mit zivilgesellschaftlichen Akteuren bereitgestellt. So bietet die Ganztagsschule ein außerunterrichtliches sportbezogenes Nachmittagsprogramm, das vielfach in Kooperation mit Sportvereinen organisiert wird (Abb. 4). Während sich Schule für andere bildungsanbietende Organisationen und damit verbundene Bildungsverständnisse öffnen soll, wird das Sportvereinswesen mit der Situation konfrontiert, in einem veränderten institutionellen Arrangement der Bildungsproduktion in der Ganztagsschule mitzuwirken (vgl. Braun 2010).

Abb. 4
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Die Ganztagsschule bietet ein außerunterrichtliches sportbezogenes Nachmittagsprogramm, das vielfach in Kooperation mit Sportvereinen organisiert wird. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

In diesen Kontext lässt sich die Rolle der SpA einordnen, die in dem untersuchten Pilotprojekt „Sportagenten NRW“ als neue Sozialfigur – neben bereits existierenden Koordinationsinstanzen – im Feld der Kooperation zwischen Ganztagsschule und Sportverein in den Sozialräumen der jeweiligen Schulen implementiert und erprobt wurde. In der einjährigen Praxisphase entwarfen die SpA ihre Rolle entlang von drei zentralen Handlungsorientierungen: Sie verstanden sich als Agent*in sport(vereins)distanzierter und dadurch benachteiligter Kinder und Jugendlicher, der unterstützungsbedürftigen Schulen in sozialräumlich schwieriger Umgebung und eines bildungszielorientierten und insoweit „pädagogischen“ Sports.

Diese drei Orientierungen betrachteten die SpA nicht nur als Alleinstellungsmerkmale gegenüber anderen Rollenträger*innen im Feld, sondern auch als Legitimation ihrer Rolle und des darauf bezogenen Handelns. Der im Projektverlauf entwickelte Fokus auf Ganztagsschulen in sozialräumlich schwieriger Umgebung bediente eine bereits länger konstatierte Lücke, denn bisherige „Kooperationsgewinner sind vor allem Grundschulen und Gymnasien; mit einer vergleichsweise ‚einfachen‘ Schülerschaft verläuft die Zusammenarbeit zumeist unproblematisch“ (Derecik et al. 2013, S. 34). Zudem sahen sie sich als innovative und komplementäre Bildungsdienstleister*innen, womit sie – zumindest auf der konzeptionellen Projektebene und ohne dies explizit zu formulieren – eine inhaltliche Nähe zu aktuelleren sportpädagogischen Bildungskonzepten für BeSS-Angebote im Ganztag (vgl. Naul 2014) und zu Ansprüchen an kommunale Bildungslandschaften (Süßenbach und Klaus 2015) erkennen ließen und sich von dem Selbstverständnis etablierter Koordinierungsstellen abhoben (Wick und Naul 2015).

Quasi im Einklang mit dem Bedeutungsgewinn sozialpädagogischer Ansätze in der sportbezogenen Jugend- und Bildungsarbeit (Derecik et al. 2013) orientierten sie sich bei der Entwicklung der BeSS-Angebote – wiederum implizit und intuitiv ohne Rückgriff auf bestehende Konzepte – an methodischen Prinzipien der Sozialen Arbeit, insbesondere der aufsuchenden Arbeit, Bedürfnisorientierung, Niederschwelligkeit und Sozialraumorientierung. Damit sollte einerseits der Zugang und der Verbleib insbesondere von sport(vereins)distanzierten Kindern und Jugendlichen in sportbezogenen Settings sichergestellt werden. Andererseits sollten darüber Entwicklungs- und Bildungsprozesse initiiert werden, die von den SpA als begleitender Teil schulischer Bildungsprozesse verstanden wurden.

Gleichwohl trugen die von den Schulen erwarteten und umgesetzten BeSS-Angebote die Züge eines additiven Konzepts, da zusätzliche (neue) Sportarten primär als Ergänzung und Alternative zum Sportunterricht angeboten wurden. Abgesehen von einer punktuell gemeinsamen Anwesenheit von Sportlehrkraft und Übungsleiter*in standen (Sport‑)Unterricht und Ganztagsangebot weitgehend unverbunden nebeneinander. Bei den Angeboten handelte es sich um sportartspezifisch-breitensportlich ausgerichtete Angebote (vgl. Abb. 2), während sportartunspezifische oder -übergreifende Angebote nur vereinzelt angedacht wurden, ohne jedoch – insbesondere aufgrund schulischen Desinteresses – implementiert zu werden. Die SpA blieben damit weit hinter ihren eigenen Ansprüchen und auch hinter zentralen Empfehlungen für den Sport im Ganztag zurück (Naul 2015). Für die Institution Schule blieben die SpA an der Peripherie und flankierten bzw. ergänzten den vermeintlichen Unterrichtskern kostengünstig, ohne aber sachliche, soziale oder zeitliche Strukturänderungen innerhalb eines Schuljahres zu initiieren.

In diesem Sinne kann es auch nicht überraschen, dass die Tätigkeit der SpA begrenzt blieb auf eine Vernetzung zwischen Einzelpersonen im Kontext konkreter BeSS-Angebote. Die SpA agierten intuitiv und erfahrungsbasiert auf der Ebene von einzelnen Akteur*innen mit einer eng begrenzten Perspektive auf ihre Ganztagsschule, ohne in übergeordnete Kommunikationszusammenhänge der Schule, ansässiger Sportvereine oder lokaler Netzwerke systematisch und strukturell eingebettet zu sein und darüber hinaus vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse zur Kenntnis zu nehmen. Eine gemeinsame Ziel- und Fachplanung und ein direkter Austausch über die Ausgestaltung und Reflexion der BeSS-Angebote zwischen Schulpersonal und Sportverein konnte nur selten, unsystematisch und, wenn überhaupt, indirekt vermittelnd über die SpA angebahnt werden. Vielmehr ordneten sich die SpA im Projektverlauf mehr und mehr in die Institution Schule ein, so dass – zugespitzt formuliert – von einer „Inkorporierung“ der SpA in das normative und interaktive Feld der jeweiligen Ganztagsschule gesprochen werden kann, die die Spielregeln der SpA in inhaltlicher, räumlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht sehr weitreichend präformierte. Auf diese „Funktionalisierung für die Schule“ (Bettmer 2008, S. 218) und „Assimilation an die Ordnungsbedingungen und Ordnungsziele von Schule“ (Bettmer 2008, S. 219) wurde bereits in anderen schulbezogenen Kooperationskontexten hingewiesen (Derecik et al. 2013, S. 28).

Die Ausgestaltung des Rollenentwurfs durch die SpA scheint insoweit insbesondere durch Personalisierung und Interaktionsverfestigung in schulischen und speziell außerunterrichtlichen Arbeitskontexten erfolgt zu sein. Umgekehrt wurden Teile der SpA-Rolle nur rudimentär ausgestaltet, die zwar im eigenen Rollenentwurf angelegt waren (Beitrag zur Schul[sport]entwicklung, Netzwerkbildung, Evaluation, Fundraising), bei denen aber ein geringeres schulisches Interesse mit geringen Wissensbeständen, Erfahrungen und Handlungsroutinen der SpA zusammentrafen.

In diesem Rollenentwurf spielten die involvierten Sportvereine und deren spezifische Interessen in den zu entwickelnden und auszugestaltenden Kooperationsstrukturen eine untergeordnete Rolle. Zwar fanden die SpA bei auftretenden Kooperationsproblemen immer wieder individualisierte Lösungen im Rahmen unmittelbarer Interaktionen; die Strukturbesonderheiten der Sportvereine als freiwillige Vereinigungen (Horch 1992) und die damit verbundenen strukturellen Differenzen gegenüber staatlichen Schulen in sozialer, zeitlicher und sachlicher Hinsicht blieben aber systematisch unterbelichtet. Insofern blieb auch die bedeutsame Frage unbearbeitet, wie Ganztagsschul-Kooperationen mit Sportvereinen von den SpA so ausgestaltet werden können, dass „im Hinblick auf geteilte oder sich überschneidende Zielsetzungen durch Abstimmung der Beteiligten eine Optimierung von Handlungsabläufen oder eine Erhöhung der Handlungsfähigkeit bzw. Problemlösungskompetenz“ (van Santen und Seckinger 2003, S. 29) möglich wird.

Offenkundig gelang es in dem Pilotprojekt also bestenfalls andeutungsweise, jenseits enger personalisierter Interaktionsmuster in konkreten außerunterrichtlichen Arbeitszusammenhängen der einzelnen Schule weitergehende multiprofessionelle Kooperationen zwischen Schule und verbandlich organisiertem Vereinssport anzuregen. Noch weniger gelang es, strukturell anders gelagerte Interessen der Vereine in den Kooperationsstrukturen mit staatlichen Schulen zu profilieren. Stattdessen wurden die SpA zunehmend in das strukturell dominante Handlungsfeld der Schule „inkorporiert“. Um die Idee einer (integrativ orientierten) Ganztagsschule systematisch weiterzuentwickeln, erscheint es insofern sinnvoll und zweckmäßig, Fragen nach interdisziplinären bzw. multiprofessionellen Kooperationen zwischen Schule und verbandlich organisiertem Vereinssport, aber auch nach Kompetenzprofilen, Qualifizierung, Professionalisierung und auch Beschäftigungsverhältnissen von entsprechenden Netzwerkkoordinator*innen zukünftig weitreichender in den Blick zu nehmen. Insofern bleibt die Ausgestaltung multiprofessioneller Kooperationen nach wie vor eine der wichtigen Aufgaben der Entwicklung von Ganztagsschulen (vgl. Kielblock et al. 2020).