Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht das Verhältnis zwischen (christlicher) Religiosität und Vorurteilen gegenüber Muslim:innen unter jungen Menschen in Deutschland. Dafür wird ein repräsentativer Datensatz von Befragten (N = 2868) im Alter von 14 bis 29 Jahren ausgewertet. Zum einen wird überprüft, inwiefern sich die Effekte verschiedener Dimensionen von Religiosität im Blick auf Islam- und Muslim:innenfeindlichkeit unterscheiden. Zum anderen geht der Beitrag der Frage nach, ob sich vorhandene Effekte als stabil erweisen, wenn weitere Erklärungsfaktoren berücksichtigt werden. Für junge Menschen kann aus den vorliegenden Ergebnissen geschlossen werden, dass Religiosität an sich für die Ausprägungen von Vorurteilen gegenüber Muslim:innen eher eine geringe Rolle spielt. Ein dogmatisches Verständnis von Religion ist hingegen von erheblicher Bedeutung. Der Effekt erhält seinen besonderen Stellenwert dadurch, dass er sich auch unter Berücksichtigung politischer Orientierungen als stabil erweist. Unter diesen ist es die politische Selbstpositionierung, der die höchste Erklärungskraft überhaupt zukommt. In der Gesamtsicht scheint die religiöse Selbstverortung unter jungen Menschen vor allem dann eine Rolle zu spielen, wenn ein dogmatisches Religionsverständnis zugrunde liegt.
Abstract
This article examines the relationship between (Christian) religiosity and prejudice against Muslims among young people in Germany. For this purpose, a representative data set of respondents (N = 2868) aged 14 to 29 years is analyzed. On the one hand, this article examines the extent to which the effects of various dimensions of religiosity differ with regard to Islamophobia. On the other hand, another important aspect is whether existing effects are proved to be stable when further explanatory factors are taken into account. For young people, it can be concluded from the present results that religiosity in itself plays a rather minor role for the manifestations of prejudice against Muslims. However, a dogmatic understanding of religion is of considerable importance. The effect gains its special significance from the fact that it is proved to be stable even when political orientations are taken into account. Within these, political self-positioning has the highest impact of all. In total, religious orientation among young people seems to play the most important role when there is a dogmatic understanding of religion.
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1 Einleitung
„The role of religion is paradoxical“ lautet der erste Satz des Kapitels „Religion and Prejudice“ von Allport (1954). Diese nun bald 70 Jahre alte Aussage spiegelt auch heute noch die Ergebnislandschaft der Forschung zum Verhältnis von Religiosität und Vorurteilen wider. Dies gilt auch für Vorurteile gegenüber Muslim:innen in Deutschland, einer Gruppe, die erst in der jüngeren Geschichte zu einer relevanten Minderheitenkategorie (konstruiert) wurde. Der (christlichen) Religiosität kommt hier mehr oder weniger hohe Relevanz als entweder hemmender oder fördernder Faktor zu, wobei – nicht zuletzt – ihre Operationalisierung eine wichtige Rolle zu spielen scheint (Ahrens 2018, S. 4; PEW 2018, S. 77–79; Küpper 2015, S. 21). Recht eindeutige Ergebnisse liegen hingegen für ein sogenanntes exklusives Religionsverständnis vor, das den Wahrheitsgehalt von Religion nur bei der eigenen Religion verortet und mit Islam- und Muslim:innenfeindlichkeit (IMF) einhergeht (Rebenstorf 2018, S. 324; Pickel et al. 2020a, S. 177; Pollack und Müller 2013, S. 39).
In der bisherigen Forschung finden die Beziehungen zwischen (christlicher) Religiosität und IMF in der jungen Generation nur wenig Aufmerksamkeit. Dabei erscheint dieser Fokus besonders wichtig: Zwar gelten junge Menschen in Deutschland im Vergleich zu älteren als weniger vorurteilsbehaftet (Hafez und Schmidt 2015, S. 19), es wird aber ebenfalls deutlich, dass IMF auch im jungen Alter eine bedeutende Rolle spielt. So zeigt eine Analyse von Interviews, dass auch junge Menschen abwertende Positionierungen gegenüber Muslim:innen vertreten und diese durchaus an die islam- und muslimfeindlichen Diskurse in Medien und Politik anknüpfen (Kaddor et al. 2021). Gleichzeitig beschreiben jüngere Muslim:innen und als muslimisch markierte Personen häufiger Diskriminierungserfahrungen als ältere (FRA 2018, S. 50, 59). Diese können für verschiedene Lebensbereiche, wie in der Schule oder in der Universität, bei Behörden oder auch in Vereinen, nachgewiesen werden (Uslucan 2017, S. 137). Auch wenn sich kaum entscheiden lässt, inwieweit diese Ergebnisse auf eine stärkere Diskriminierung der jüngeren Muslim:innen oder aber auf deren größere Sensibilität verweisen: IMF sowie damit zusammenhängende Diskriminierung in Deutschland lässt sich auch unter jüngeren Menschen beobachten und sollte schon deshalb stärker in den Fokus rücken.
Die junge Generation erlebt dabei eine Gesellschaft, in der zum einen der zunehmende Mitgliederschwund der beiden großen Kirchen den sozialen Bedeutungsverlust der institutionell verankerten christlichen Religiosität weiter fortschreiten lässt (Pickel 2018; Pollack und Müller 2013; Höllinger 2005). Zum anderen tritt – im Zuge der zunehmenden religiösen Pluralisierung (Liedhegener 2018) – insbesondere der Islam als etablierte Religionsgemeinschaft immer stärker in Erscheinung (Friedrichs 2020, S. 1), was sich beispielsweise an der Einführung von islamischem Religionsunterricht in einigen Bundesländern festmachen lässt (Neveling 2020). Auch vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Veränderungen ist die in diesem Beitrag zentrale Betrachtung der Beziehungen zwischen Religiosität und IMF unter jungen Menschen von besonderem Interesse.
In der vorliegenden Arbeit stellen wir die Frage, wie sich Effekte von Formen der Religiosität in der jungen Generation äußern und wie stabil diese Effekte unter Einbeziehung anderer Erklärungsfaktoren bleiben. Dabei fokussieren wir auf Einstellungen zur Demokratie, politische Selbstpositionierung, und Einstellungen zu Autoritarismus. Diese werden in aktuellen Studien als bedeutende Erklärungsfaktoren für Vorurteile herangezogen und spiegeln einen wichtigen Teil des aktuellen gesellschaftspolitischen Diskurses wider (Zick et al. 2019b; Zick und Küpper 2021; Decker und Brähler 2018, 2020; Friedrichs 2020).
Die wenigen Studien, die IMF unter jungen Menschen in den Blick nehmen und sich zugleich mit Religiosität und Einstellungen zur Demokratie befassen (Albert et al. 2019), lassen sowohl wechselseitige Bezüge dieser Themen als auch eine Differenzierung der Altersgruppen vermissen. Die vorliegende Arbeit geht dieser Forschungslücke nach und kann dabei erstmals anhand einer Stichprobe, die für die nicht muslimische Bevölkerung in Deutschland im Alter zwischen 14 und 29 Jahren repräsentativ ist, zwischen unterschiedlichen Dimensionen der Religiosität unter jungen Menschen differenzieren und gleichzeitig die Relevanz von weiteren Einstellungsdimensionen prüfen.
2 Christliche Religiosität und Vorurteile gegenüber Muslim:innen – theoretische Erwägungen und Forschungsstand
Das Verhältnis zwischen Religiosität und Vorurteilen wird in der Forschung auf verschiedene Weise beschrieben. Dabei werden unterschiedliche Differenzierungen von religiöser Praxis, Einstellungen zur Religion, religiösen Erfahrungen und Positionierungen vorgenommen. Besondere Bedeutung für die Forschung haben dabei die Ansätze von Allport (1954) und auch Adorno (1982). Beide Autoren beschreiben die Rolle von Religion und Religiosität neben vielen weiteren gesellschaftlich relevanten Phänomenen, sodass Religiosität als Teilaspekt der übergeordneten Theorien zu verstehen ist. Entsprechend werden verschiedene Formen der Religiosität als ausgewählte Erklärungsfaktoren für Vorurteile beschrieben.
Adorno (1982) stellt in seinen Ausführungen zur Religion die persönliche Glaubenserfahrung konformistischen Bezügen zur Religion gegenüber. Dabei stelle die persönliche Glaubenserfahrung mit der „Betonung des spezifischen Inhalts von Religion […] naturgemäß die Motive der Liebe und des Mitgefühls in den Vordergrund“ (S. 285). „Je „humaner“ und konkreter das Verhältnis des Individuums zur Religion ist, desto humaner wird es denen gegenübertreten, die „nicht dazugehören““ fasst der Autor zusammen (a. a. O., S. 285 f.). Die konformistischen Bezüge hingegen zeichnen sich durch das Konservieren von Traditionen aus, die zu einer ideologischen Hülle werden, während der Inhalt in den Hintergrund rückt. Diese „Hülle“ oder „äußere Schale“ gewinnt ihre negative Kraft aus der Zuspitzung auf die Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdgruppe. Die konformistischen Bezüge sind gekennzeichnet durch Unterwürfigkeit und übertriebene Anpassung (a. a. O., S. 282–285). Auch wenn Adornos Werk vor dem Hintergrund des Holocaust geschrieben ist, sind seine theoretischen Überlegungen bis heute fest in der sozialwissenschaftlichen Forschung als wichtige Erklärungsfaktoren verankert. So wurde beispielsweise für die konformistische Form der Religiosität ein Zusammenhang mit autoritären Einstellungen beschrieben (a. a. O., S. 289; Huber und Yendell 2019, S. 68). In der Vorurteilsforschung werden sowohl verschiedene Formen der Religiosität als auch autoritäre Einstellungen als relevante Erklärungsvariablen verwendet (siehe z. B. Pickel et al. 2020a; Pickel 2022b).
Auch Allport (1954) beschreibt zwei Typen, die ebenfalls eine gegenläufige Religiosität abbilden. Als Äquivalent zu der persönlichen Glaubenserfahrung bei Adorno kann bei Allport der Typ gesehen werden, der durch eine verinnerlichte Weltanschauung charakterisiert ist. Er ist darauf bedacht, universalistische Lehren aus Religion abzuleiten und diese als Argument für ein friedliches Miteinander zu nutzen (Allport 1954, S. 454). Dieser Typ wird auch als fromm und persönlich von seiner Religion erfüllt beschrieben (a. a. O., S. 452). Den zweiten Typ beschreibt Allport durch eine institutionalisierte Weltanschauung, bei der die Betonung von Traditionen im Vordergrund steht, sowie eine starke Zentrierung auf die Eigengruppe, die mit einer Abgrenzung von Fremdgruppen einhergeht (a. a. O., S. 454). In späteren Publikationen werden diese beiden Typen als intrinsisch und extrinsisch motiviert gegenübergestellt. Allport und Ross (1967) zeigen mithilfe dieser Unterscheidung signifikant weniger Vorurteile bei Kirchgänger:innen, die intrinsisch motiviert sind, im Vergleich zu solchen, die extrinsisch motoviert sind (Allport und Ross 1967, S. 411). Gleichzeitig zeigte die Studie aber auch, dass eine dichotome Betrachtung von Religiosität für die Interpretation der Daten nicht ausreicht. Die beiden Autoren ergänzen einen dritten Typ, der beide Formen der Motivationen aufzeigt und gleichzeitig im Vergleich zu den beiden anderen Typen höhere Werte auf der Vorurteilsskala aufweist (ebd.). Konzeption und Operationalisierung dieses Ansatzes sind vielfach kritisch gewürdigt, zum Teil auch fortentwickelt worden (vgl. dazu ausführlich Huber 2003, S. 34–91). Auch wenn sich die Zweiteilung in der Typisierung von Religiosität nicht bewährt hat, wirken die Beschreibungen von ambivalenten Einflüssen von Religiosität auf Vorurteile in der Forschung weiter nach.
Eine auffällige Parallele zwischen Adorno und Allport besteht in den jeweiligen Ausführungen der Form von Religiosität, die mit Vorurteilen einhergeht. Beide machen an dieser Stelle einen Aspekt von Intergruppenbeziehungen aus, der später in der sogenannten Social Identity Theorie beschrieben wurde (Tajfel und Turner 1986). So stellen Tajfel und Turner (1986) beispielsweise fest, dass schon allein der Umstand einer vorgenommenen Kategorisierung zu einer Favorisierung der Eigengruppe und einer Abwertung der Fremdgruppe führt (ebd.). Schon über eine solche vorgegebene Zuordnung kann also eine subjektiv empfundene Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (soziale Identität) und darüber eine positive Distinktheit der „Ingroup“ gegenüber der „Outgroup“ erzeugt werden, die letztlich dem Erhalt bzw. der Stärkung des individuellen Selbstwertgefühls dient. Für Deutschland konnte zum ersten gezeigt werden, dass eine besonders positive Wahrnehmung des Christentums mit einer besonders negativen Wahrnehmung des Islam zusammenhängt. Zum zweiten erwies sich diese Dynamik bei Christ:innen im Vergleich zu Konfessionslosen als stärker ausgeprägt (Friedrichs 2014, S. 168). Die Ergebnisse sprechen laut dem Autor dafür, „dass Christen tatsächlich eine gewisse Identifikation mit ihrer Religionsgemeinschaft besitzen, welche zu einer positiven Evaluierung über Differenzmarkierung im Vergleich mit anderen Gruppierungen führt“ (a. a. O., S. 177). Darüber hinaus formuliert Allport (1954) den Umstand, dass eine Unterteilung in religiöse Gruppen vor allem dann zum Problem wird, wenn diese sich mit weiteren Kategorien, wie der ethnischen Zugehörigkeit oder Kultur, Nation, Volk verschränkt. In diesen Überlappungen würden sich Wir-Gruppen konstituieren, die sich durch Religionszugehörigkeit voneinander abgrenzen, wobei die Differenzen jedoch andere Gründe haben können (Allport 1954, S. 446). Gerade in Bezug auf IMF in Deutschland scheinen diese Verschränkungen, die auch als Rassifizierung von Muslim:innen gefasst werden (Shooman 2014; Attia 2017; Karabulut 2020, S. 85 ff.; Mansouri 2021, S. 72 ff.), besonders wichtig.
Während Adorno und Allport auf eine Typisierung von Religiosität fokussierten, schlug Glock (1962, 1969) eine Dimensionalisierung vor. Huber (2004) synthetisiert die Konzepte von Allport und Glock und formuliert daraus sechs Dimensionen der Religiosität: 1. Intellekt, 2. Ideologie, 3. öffentliche Praxis, 4. private Praxis, 5. Erfahrung und 6. Konsequenzen im Alltag (Huber 2003). Die ersten fünf Dimensionen seien für die „Zentralität des persönlichen religiösen Konstruktsystems“ ausschlaggebend (Huber 2008a, S. 7). Die intellektuelle Dimension beschreibt dabei die kognitive Auseinandersetzung mit religiösen Fragen, die ideologische Dimension beinhaltet die Haltung zu Transzendenzvorstellungen (Huber 2008b, S. 22 f.). Die öffentliche religiöse Praxis äußert sich durch die Teilnahme an gemeinschaftlichen Ritualen, während die private Praxis ohne Öffentlichkeit und Gemeinschaft stattfindet (a. a. O., S. 23). Die religiöse Erfahrung beschreibt schließlich die subjektive Wahrnehmung von Transzendenz (a. a. O., S. 24). Aus diesen fünf Dimensionen wird der sogenannte Zentralitätsindex ermittelt, der Auskunft über die Präsenz der Religiosität im psychischen System gibt. Dabei betont Huber die „relative Autonomie“ dieser Dimensionen (Huber 2008b, S. 21). Es könne „nicht von einer Dimension auf die andere Dimension geschlossen werden“, da „Religiosität im Bereich dieser Dimensionen eigenständige Strukturen und Dynamiken ausbildet“ (ebd.). Die Differenzierung von verschiedenen Bereichen, in denen sich Religiosität äußern kann, macht es möglich, Religiosität als ein vielschichtiges Phänomen zu betrachten, das in seiner Breite erfasst wird. Dadurch kann schließlich auch die Untersuchung von Interaktionen zwischen Religiosität und Vorurteilen genauer erfolgen.
Ungeachtet solcher Differenzierungen ist Religiosität in vielen großen Befragungen nur partiell erhoben worden. Die drei Indikatoren, die am häufigsten betrachtet werden, sind die Religionszugehörigkeit (i. d. R. unterschieden nach katholisch, protestantisch und konfessionslos), die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs und die subjektive Einschätzung bzw. Wichtigkeit der eigenen Religiosität. Die Unterscheidung zwischen den Religionszugehörigkeiten zeigt in den meisten Studien keine signifikanten Effekte in Bezug auf IMF (z. B. Küpper und Zick 2006).Footnote 1 Es werden mitunter aber auch Effekte berichtet, die mit stärkeren (PEW 2018, S. 77 ff.). bzw. geringeren Vorurteilen einhergehen (Ahrens 2018, S. 4; Pollack 2014, S. 52 f.). Auch bei der religiösen Selbsteinschätzung fallen die Ergebnisse uneindeutig aus. Janzen et al. (2019) zeigen geringe aber signifikante Zusammenhänge zwischen der Einschätzung über die Wichtigkeit des eigenen Glaubens und Vorurteilen gegenüber Muslim:innen: Je wichtiger der eigene Glaube eingeschätzt wird, desto stärkere Vorurteile werden geäußert (S. 31). Gleichzeitig berichten andere Studien, dass der persönliche Gottesglaube mit weniger IMF assoziiert ist, während die subjektive Religiosität keine Effekte aufweist (Pickel et al. 2020a, S. 177). Der Effekt der Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs erbringt ebenfalls keine konsistenten Ergebnisse. So werden geringe negative Effekte berichtet (Pickel et al. 2020a, S. 177; Rebenstorf 2018, S. 326), wonach häufiger Kirchenbesuch mit weniger Vorurteilen assoziiert ist. Andere Studien finden keine Zusammenhänge (Öztürk 2021, S. 14).
Zum Teil könnten die unterschiedlichen Ergebnisse auf voneinander abweichende Stichproben zurückzuführen sein, die hinsichtlich der (Erfassung der) sozialstrukturellen Zusammensetzung (wie z. B. Alter oder formaler Bildungsstand) differieren. Allerdings werden diese Merkmale zumindest in genaueren Analysen häufig kontrolliert. Auch deshalb ist die Operationalisierung von Explanans und Explanandum selbst in Betracht zu ziehen. So kommen bei der Erhebung sowohl der religiösen Bezüge als auch der Vorurteile gegenüber Islam bzw. Muslim:innen unterschiedliche, mehr oder auch weniger differenzierende Antwortvorgaben und/oder -skalen zum Einsatz. Last but not least könnte auch der unterschiedliche Bezug auf Religionszugehörigkeiten zu veranschlagen sein. Abgesehen davon, dass hier häufig schon wegen der Stichprobengröße nur zwischen evangelischer, katholischer und nicht gegebener Religionszugehörigkeit unterschieden werden kann, ergeben sich dabei auch durch spezielle Stichprobenbeschränkungen wie zum Beispiel bei Frageformulierungen, die nur Zugehörigen christlicher Religionen vorgelegt werden, abweichende Bezugsgrößen der Ergebnisse.
Ein klares Ergebnis in der Forschung zum Verhältnis von Religiosität und IMF zeigt hingegen das exklusive (mitunter auch exklusivistische, Huber 2009, S. 29) Religionsverständnis. Teilweise auch als dogmatisches oder fundamentalistisches Religionsverständnis bezeichnet, replizieren Studien einen positiven Zusammenhang mit IMF (Pickel et al. 2020b, S. 7; Pollack 2014, S. 53; Pollack und Müller 2013, S. 39). Eine „konservative religiöse Identität, biblizistischer Dogmatismus wie religiöser Fundamentalismus“ hängen mit stärkerer Abwertung von Muslim:innen zusammen (Pickel et al. 2020a, in der Tendenz auch Ahrens und Rebenstorf 2018, S. 193 ff.). Für die Erhebung dieses spezifischen Verständnisses gibt es verschiedene Vorschläge. So wird ein exklusives Religionsverständnis in der Regel durch die Zustimmung zu der Aussage „Es gibt nur eine wahre Religion“ erhoben (Rebenstorf 2018, S. 324; in anderen Quellen aber auch als religiöser Fundamentalismus bezeichnet Pickel et al. 2020a, S. 177). Dogmatismus wird beispielsweise durch die Aussage „Ich bin davon überzeugt, dass in religiösen Fragen vor allem meine eigene Religion recht hat und andere Religionen eher unrecht haben“ (Pollack und Müller 2013, S. 13) oder auch durch die Aussage „Die Bibel ist wortwörtlich zu nehmen“ erhoben (Pickel et al. 2020a, S. 165: hier aber auch als Biblizismus bezeichnet). Ein solch eng gefasstes Verständnis von Religion ist dabei unabhängig von den konkreten Bezeichnungen und den Wortlauten der Items nachweislich mit Vorurteilen und IMF assoziiert.
Vor allem das exklusive Religionsverständnis wurde in Zusammenhang mit weiteren Einstellungen untersucht. So zeigt sich die Interaktion des exklusiven Religionsverständnisses nicht nur mit Vorurteilen, sondern auch mit Einstellungen zur Demokratie. Wer „der Meinung ist, dass es Wahrheit nur in einer Religion geben kann, zieht die Legitimität von Demokratien eher in Zweifel“ (Pickel 2019, S. 18). Vorurteile und vor allem Vorurteile gegenüber religiös konnotierten Gruppen, wie den Muslim:innen sind wiederrum mit antidemokratischen Haltungen assoziiert (Pickel et al. 2020b, S. 36). So weisen Berghan und Zick (2019) darauf hin, dass in den Studien der letzten zwei Jahrzehnte gezeigt werden konnte, „dass Menschen, die sich politisch entfremdet fühlen, und das Gefühl haben, in der Demokratie nicht anerkannt und berücksichtigt zu werden, weniger bereit sind, Rücksicht auf andere Gruppen zu nehmen“ (Berghan und Zick 2019, S. 224). Signifikante Korrelationen zwischen dem Gefühl politischer Machtlosigkeit und IMF werden auch in aktuellen Studien repliziert (a. a. O., S. 239). Ebenso gehen autoritäre Einstellungen mit IMF einher (Pickel und Yendell 2018, S. 228). Dieser Zusammenhang scheint in Bezug auf das Thema Religiosität besonders aufschlussreich, da autoritäre Einstellungen mit einer konformistischen Religiosität zusammengedacht werden (Pickel et al. 2020b, S. 34; Huber und Yendell 2019, S. 68; Adorno 1982, S. 289). Es lässt sich festhalten, dass insbesondere ein dogmatisches bzw. exklusives Religionsverständnis, das eine eher ablehnende Haltung gegenüber anderen religionsbezogenen Orientierungen impliziert, auch der Offenheit sowie der Akzeptanz der Vielfalt, die in einer gelebten liberalen Demokratie unerlässlich sind, eher entgegensteht. Einstellungen zur Demokratie sowie autoritäre Orientierungen spielen somit eine wichtige Rolle im Verhältnis zwischen Religiosität und IMF und werden deshalb in den folgenden Analysen einbezogen. Dabei geht es auch darum zu klären, inwieweit die religiöse Selbstverortung als eigenständiger Faktor für die Ausprägung von IMF zu veranschlagen ist (vgl. dazu auch Pickel et al. 2020a, S. 177 f.).
Ausgehend vom Forschungsstand wird erstens überprüft, inwiefern die fünf Dimensionen von Religiosität nach Huber tatsächlich unterschiedliche Bezüge zu IMF aufweisen. Mit der Differenzierung von Religiosität und dogmatischem Religionsverständnis wird zweitens geprüft, wie sich die jeweiligen Effekte auf IMF voneinander unterscheiden. Auf Basis der bereits referierten wechselseitigen Beziehungen deutet sich an, dass die Religiosität allein nur einen begrenzten Erklärungswert für IMF aufweist, während das dogmatische Religionsverständnis einen deutlichen Effekt zeigt. Drittens wird durch die Einbeziehung von Einstellungen zur Demokratie und Autoritarismus geprüft, ob sich die Effekte von Religiosität und dogmatischem Religionsverständnis als stabil erweisen. Wir gehen davon aus, dass in erster Linie ein exklusives respektive dogmatisches Religionsverständnis mit stärkerer IMF einhergeht und sich unter Einbeziehung von Einstellungen zur Demokratie beziehungsweise Autoritarismus eher als stabil erweist.
Abgesehen von den ausgeführten theoretischen Ausgangspunkten stellt sich für die hier im Fokus stehenden jungen Menschen auch die Frage, inwieweit sich der in bisherigen Studien zumeist herausgearbeitete Alterseffekt (unter jüngeren Menschen ist IMF schwächer ausgeprägt) auch innerhalb der jüngeren Generation beobachten lässt.
3 Befragung und Stichprobe
Zur Prüfung der Beziehungen zwischen religiösen Bezügen und IMF unter jungen Menschen werden die Daten einer Repräsentativbefragung aus dem Jahr 2021 verwendet, die im Rahmen der Arbeit des Kompetenznetzwerks zur Prävention von Islam- und Muslimfeindlichkeit durchgeführt wurde.Footnote 2 Die Grundgesamtheit bilden 14- bis 29-Jährige in Deutschland, die keiner islamischen Glaubensgemeinschaft angehören. Insgesamt sind 2868 Personen online zu verschiedenen Themen befragt worden. Darunter fallen insbesondere Vorurteile gegenüber Muslim:innen in Deutschland, Einstellungen zur Demokratie sowie die eigene Religiosität.
Das mittlere Alter beträgt 22,2 Jahre (SD 4,67). Die Verteilung der Geschlechter ist ausgeglichen. 48,6 % der Befragten gaben ein weibliches und 50,1 % ein männliches Geschlecht an. Die Kategorie „divers“ wurde dreizehnmal angekreuzt (0,4 %). 24 % sind Schüler:innen, von denen 58 % ein Gymnasium besuchen. 76 % besuchen keine Schule (mehr). Von ihnen haben 77 % das Abitur. Damit zeigt sich in den via Zufallsstichprobe gewonnenen Daten wie in anderen Studien auch ein erheblicher BildungsbiasFootnote 3; er wird gemeinhin auf die größere Bereitschaft bei höher Gebildeten zurückgeführt, an Befragungen teilzunehmen.
4 Islam- und Muslim:innenfeindlichkeit unter jungen Menschen
Im Unterschied zu den meisten Studien begreifen wir IMF als ein mehrdimensionales Phänomen, das sich in der Abwertung durch verschiedene Erzählungen über „die Muslime“ äußert (Janzen et al. 2021). Diese Erzählungen werden als Vorurteile gemessen und setzen sich aus der Zuschreibung von Identitätsbedrohung, der Zuschreibung von Segregation, Zuschreibung von Unterdrückung sowie der Zuschreibung von Islamismus zusammen (ebd.). Diese vier Dimensionen werden als Bestandteile einer allgemeinen Abwertung von Muslim:innen verstanden, die das Phänomen in der Breite erfassen. Die jeweiligen Aussagen konnten auf einer fünf-stufigen Likert-Skala bewertet werden (1 = stimme überhaupt nicht zu, 2 = stimme eher nicht zu, 3 = teils/teils, 4 = stimme eher zu, 5 = stimme voll und ganz zu). In Tab. 1 sind jeweils die letzten beiden Antwortoptionen als Zustimmung zu den Items zusammengefasst dargestellt.
Der Anteil der fehlenden Werte bei den einzelnen Items beträgt zwischen 4,7 und 12,9 %. Diese verteilen sich auf die zwei Antwortkategorien „weiß nicht“ und „keine Angabe“, wobei der größte Anteil der fehlenden Werte auf erstere entfällt (3,5 bis 11,4 %). Keine Angabe haben damit lediglich zwischen 1,2 und 1,5 % der Stichprobe gemacht. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die „weiß nicht“ Kategorie eine eigenständige Analysekategorie in Bezug auf Vorurteile darstellt. Leider kann im Rahmen dieses Artikels nicht weiter drauf eingegangen werden. Für die weitere Forschung stellt dieser Befund jedoch eine interessante Fragestellung dar. Eine explorative Faktorenanalyse ergibt in unseren Daten nur einen Faktor, sodass die inhaltlich verschiedenen Dimensionen zu einem Konstrukt zusammengefasst werden können. Aus den insgesamt acht Items wird zur weiteren Bearbeitung ein Summenindex gebildet.Footnote 4
Für eine erste Beschreibung der Ausprägungen von IMF können die zusammengefassten Zustimmungswerte dienen (Tab. 1). Die höchsten Werte sind bei den beiden Dimensionen Zuschreibung von Unterdrückung und Zuschreibung von Segregation zu verzeichnen. Geringere Werte haben hingegen die beiden Dimensionen Zuschreibung von Identitätsbedrohung und Zuschreibung von Islamismus. Die deutlichen Abweichungen in der Bewertung der unterschiedlichen Formen von Vorurteilen bestätigen bereits vorliegende Ergebnisse (Janzen et al. 2019, S. 29). Der Mittelwert für den Summenindex liegt mit 2,65 (SD = 0,82, N = 2572) unterhalb der theoretischen Mitte von 3. Damit überwiegt – zumindest tendenziell – die ablehnende Haltung zu diesen Vorurteilen.
5 Religiosität und Religionsverständnis unter jungen Menschen
Schon wegen der bisher zumeist nur eingeschränkten Berücksichtigung von Aspekten zur religiösen Selbstverortung (siehe Kapitel 2), haben wir uns auch hier für einen mehrdimensionalen Ansatz entschieden. Nach Huber (2008a) wird über fünf Dimensionen die Zentralität der Religiosität abgebildet (Tab. 2). Jede Frage zu diesen Dimensionen konnte auf einer Skala von eins bis fünf beantwortet werden. Die jeweiligen pantheistischen Varianten – private Praxis: Wie oft meditieren Sie? und Erfahrung: Wie oft erleben Sie Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, mit allem eins zu sein? – haben unter den Befragten die jeweils geringere Zustimmung erreicht, sodass die folgenden Items für den Zentralitätsindex berücksichtigt wurden.
In einer explorativen Faktorenanalyse laden alle fünf Dimensionen auf einem Faktor. Damit kann die Zentralität der Religiosität in den weiteren Analysen als Summenindex (M = 2,25, SD = 0,94, N = 2736) berücksichtigt werden. In diesen gehen alle Fälle ein, die auf jeder Dimension eine gültige Antwort aufweisen. Die fehlenden Werte bei den dazugehörigen Items fallen zwischen 0,3 und 1,6 % und damit sehr gering aus. Insgesamt tendieren die Befragten in allen Dimensionen zu einer eher gering ausgeprägten Religiosität. Dies gilt insbesondere für die private Praxis und die Erfahrung. Die Werte sind insgesamt mit denen in der Gesamtbevölkerung vergleichbar, fallen aber vereinzelt etwas höher aus (Huber 2022, S. 30).Footnote 5
Anknüpfend an den Forschungsstand zum negativen Effekt von bestimmten Deutungen der Religion bei Vorurteilen (siehe Kapitel 2) wird in den Analysen ein besonders enges Religionsverständnis angeschaut (Tab. 3). In den uns vorliegenden Daten kann dafür das Item „Die Heilige Schrift meiner Religion (wie z. B. die Bibel) ist wortwörtlich zu nehmen.“ verwendet werden (z. B. auch bei Pickel et al. 2020a, S. 165). Dabei handelt es sich um eine Filterfrage, die nur religionszugehörigen Befragten vorgelegt wurde (das N fällt dadurch kleiner aus). Die meisten von ihnen stimmen dieser Aussage nicht zu (80 %). Knapp 15 % sind unentschieden und nur rund 4 % geben ihre Zustimmung.
6 Einstellungen zur Demokratie und Autoritarismus
Bei der Erfassung von Einstellungen zur Demokratie und Autoritarismus knüpfen wir an bisherige repräsentative Befragungen in Deutschland an. Neben der allgemeinen (Un‑)Zufriedenheit damit, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, fragen wir nach der politischen Selbstpositionierung auf einer Links-rechts-Skala (ALLBUS 2018) und dem Gefühl der politischen Machtlosigkeit (erfasst durch ein Item, äquivalent zu Küpper et al. 2021, S. 51). Autoritäre Einstellungen werden mit drei Aussagen aus den drei Subdimensionen des Autoritarismus (Autoritäre Aggression, Autoritäre Unterwürfigkeit, Konventionalismus) berücksichtigt (Beierlein et al. 2014), auf die in verschiedenen Studien rekurriert wird (Yendell 2022; Decker et al. 2020, S. 194).Footnote 6
Tab. 4 zeigt Mittelwerte der Items zu den Themen Demokratie (1 bis 3) und Autoritarismus (4 bis 6). Die Demokratiezufriedenheit der Befragten kann als gut bezeichnet werden. Durchschnittlich sind die Befragten „eher zufrieden“ mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert (zufrieden: 81,6 %, unzufrieden: 18,3 %). Damit fällt die Demokratiezufriedenheit unter jungen Menschen deutlich höher aus als dies in der Gesamtbevölkerung der Fall ist (vgl. Karnick et al. 2021, S. 264; Pickel 2022a, S. 82). Bei der politischen Selbstpositionierung (Links-Rechts-Skala) ordnen sie sich im Schnitt links der Mitte an: Der Wert liegt fast einen Skalenpunkt unterhalb der theoretischen Mitte (5,5). Damit zeichnet sich die jüngere Generation durch eine im Vergleich zur Gesamtbevölkerung etwas weiter links orientierte politische Selbstpositionierung aus.Footnote 7 Das Gefühl der politischen Machtlosigkeit (Ablehnung: 45,8 %, teils/teils 26,4 %, Zustimmung 27,9 %) erfährt eine deutliche Ablehnung. Seine Ausprägung entspricht damit weitgehend Ergebnissen für die Gesamtbevölkerung (Küpper et al. 2021, S. 51)Footnote 8.
Während die autoritäre Aggression (Ablehnung: 18,2 %, teils/teils: 25,9 %, Zustimmung: 55,8) überwiegend mit Zustimmung belegt ist, überwiegt bei der autoritären Unterwürfigkeit (Ablehnung: 49,9 %, teils/teils: 34,6 %, Zustimmung: 15,5) und dem Konventionalismus (Ablehnung: 65,5 %, teils/teils: 23,9 %, Zustimmung: 10,6) hingegen die Ablehnung. Am stärksten ist diese bei der Aussage „Bewährte Verhaltensweisen sollten nicht infrage gestellt werden“ ausgeprägt. Bezogen auf die Messungen von Autoritarismus ist Konventionalismus somit am wenigsten und autoritäre Aggression am meisten verbreitet. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung fällt die Zustimmung zur autoritären Aggression kaum höher aus,Footnote 9 während autoritäre Unterwürfigkeit etwas weniger Zustimmung erhält; Konventionalismus ist schließlich mit deutlich stärkerer Ablehnung belegt (Decker et al. 2020, S. 199).
7 Das Verhältnis von Religiosität und IMF – bivariate Analysen
Zu Beginn schauen wir auf potenzielle Unterschiede zwischen Religionszugehörigkeiten. Von den 2868 Befragten geben 31,5 % an, ohne Konfessionszugehörigkeit zu sein, 35,8 % gehören zur evangelischen und 27,8 % zur katholischen Kirche (Tab. 5). Der Rest der Befragten verteilt sich auf kleinere Religionsgemeinschaften, unter denen die evangelische Freikirche am häufigsten genannt wird (2,4 %). In Bezug auf IMF unterscheiden sich die drei nennenswert großen Gruppen jeweils nicht voneinander (keine signifikanten Unterschiede). Die bloße Religionszugehörigkeit scheint demnach in Bezug auf IMF keine Rolle zu spielen. Die Mittelwerte aller drei Gruppen liegen unter der theoretischen Mitte von 3, sodass in allen drei Gruppen in der Tendenz eine eher ablehnende Haltung zu den Vorurteilen überwiegt; eine klare Ablehnung der Vorurteile wird jedoch ebenfalls nicht sichtbar.
Im Unterschied dazu zeigen sowohl der Zentralitätsindex als auch das dogmatische Religionsverständnis positive Zusammenhänge mit IMF (Tab. 6). Während der Zentralitätsindex eine Korrelation geringerer Stärke aufweist, ist diese beim dogmatischen Religionsverständnis schon moderat und deutlich stärker ausgeprägt. Bereits die bivariaten Analysen zeigen deutlich, dass ein dogmatisches Religionsverständnis eine größere Rolle in Bezug auf Vorurteile gegenüber Muslim*innen spielt als Religiosität an sich.
An dieser Stelle gilt es die kleinere Stichprobengröße bei der Einbeziehung des dogmatischen Religionsverständnisses zu beachten. Dieses konnte sinnvollerweise nur dann abgefragt werden, wenn Befragte eine Religionszugehörigkeit angegeben haben. Die Zusammenhangsmaße beziehen sich somit auf unterschiedliche Stichproben. Zum Vergleich ist der Zusammenhang des Zentralitätsindex mit IMF ebenfalls für die Stichprobe der Religionszugehörigen (reduzierte Stichprobe) abgebildet. Für sie fällt dieser etwas stärker aus als für die Gesamtstichprobe. Der sichtliche Unterschied zur Effektstärke des dogmatischen Religionsverständnisses bleibt auch bei den Religionszugehörigen bestehen.
8 IMF, Religiosität, Demokratie und Autoritarismus – multivariate Analysen
Die Beziehungen zwischen IMF, Religiosität, Demokratie und Autoritarismus werden nun im Rahmen von linearen Regressionsanalysen betrachtet. Abhängige Variable ist in allen Modellen IMF. Modell 1 enthält zunächst nur die sozialstrukturellen Kontrollvariablen (Tab. 7). Besonders auffällig ist der Alterseffekt, der in eine unerwartete Richtung zeigt: Jüngere Befragte zeigen stärkere Vorurteile. Die meisten Studien replizieren den umgekehrten Alterseffekt, mit dem jüngere Befragte geringere Vorurteile äußern als ältere (z. B. Rebenstorf 2018, S. 326; Zick et al. 2016, S. 59; Hafez und Schmidt 2015, S. 19; Foroutan et al. 2015). Dies kann als etabliertes Ergebnis aus Befragungen zu Vorurteilen gelten. Bei genauerer Betrachtung der Altersgruppen, die in den Studien zur Überprüfung dieses Effekts gebildet werden, wird jedoch deutlich, dass insbesondere über die unter 18-Jährigen kaum etwas bekannt ist. Außerdem bestätigen nicht alle Studien einen linearen Zusammenhang (Öztürk 2021, S. 14; Zick et al. 2019a, S. 89; Ahrens 2018, S. 4). Die vorliegende Stichprobe rückt hingegen erstmals eine besonders junge Altersspanne in den Fokus und erlaubt damit den Blick auf den Effekt unter jungen Menschen, was den bisherigen, zumeist für die Gesamtbevölkerung repräsentativen Studien kaum möglich ist.
Unter den sozialstrukturellen Kontrollvariablen bleibt die Ausrichtung des Alterseffekts das einzige überraschende Ergebnis. Die weiteren Effekte weisen in die nach dem derzeitigen Forschungsstand zu erwartende Richtung: Weibliche Befragte haben weniger Vorurteile als männliche, je höher die Bildung, desto schwächer werden die Vorurteile, je besser die eigene wirtschaftliche Lage bewertet wird, desto geringer sind Vorurteile ausgeprägt, in Großstädten sind Vorurteile weniger stark ausgeprägt als in kleineren Wohnorten, im Westen des Landes etwas weniger als im Osten (schwächster Effekt unter den KontrollvariablenFootnote 11). Auch unter Einbeziehung von Konfessionszugehörigkeit und Religiosität bleiben diese Kontrollvariablen als signifikante Faktoren erhalten.
Bei der ersten Variable zum Thema Religion (M2) wird zwischen Befragten unterschieden, die einer Konfession angehören, und solchen, die keine Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft haben. Wie sich in Kapitel 5 bereits abzeichnete, lässt sich daraus kein Effekt auf IMF ableiten.Footnote 12 Religionszugehörigkeit (hier überwiegend eine christliche Religionszugehörigkeit) ist demnach kein entscheidender Faktor bei Vorurteilen gegenüber Muslim:innen. Da die Fragen zur Religiosität sowohl von konfessionell Gebundenen als auch von Konfessionslosen beantwortet wurden, beziehen sich alle Modelle in Tab. 7 auf die Gesamtstichprobe. Für einen differenzierten Blick auf den möglichen Zusammenhang zwischen IMF und Religiosität werden die Dimensionen der Religiosität zunächst einzeln betrachtet (Tab. 7). Tatsächlich werden Unterschiede deutlich. Für die intellektuelle Dimension lässt sich kein Effekt nachweisen. Die weiteren vier Dimensionen zeigen Effekte unterschiedlicher Stärke. Die stärksten verzeichnen die beiden Dimensionen private Praxis und religiöse Erfahrung. Je häufiger Befragte beten und angeben, Situationen zu erleben, in denen Sie das Gefühl haben, dass Gott oder etwas Göttliches in Ihr Leben eingreift, desto stärker ausgeprägt sind die Vorurteile. Ein etwas geringerer, aber ebenfalls hoch signifikanter Effekt ist bei der ideologischen Dimension festzustellen. Die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs (öffentliche Praxis) zeigt hingegen einen nur kaum merklichen, deshalb zu vernachlässigenden Effekt. Die Unterschiede bestätigen die relative Autonomie der Dimensionen, die eine jeweils eigene Dynamik aufweisen (Huber 2008b, S. 21).
Um den Aspekt der öffentlichen Praxis und damit das soziale Moment von religiöser Praxis insgesamt stärker unter die Lupe zu nehmen, wurde in der Befragung zusätzlich der Aspekt kirchlich-religiöser Aktivität berücksichtigt (nach Huber (2022) auch als soziale Religiosität gefasst, die er der personalen Religiosität gegenüberstellt). Er ist durch die Frage erfasst: „Machen Sie in Ihrer Freizeit normalerweise – einmal abgesehen von der aktuellen Corona-Situation – in einer kirchlichen oder religiösen Organisation, Gruppe oder einem religiösen Jugendverband mit?“. Auch hier bewegen sich die Antwortoptionen auf einer Skala von eins bis fünf (1 = nie bis 5 = mehrmals die Woche). Er erweist sich jedoch nicht als signifikanter Faktor, weshalb auf eine eigene Darstellung verzichtet wird.
Darüber hinaus kann zum Vergleich auch die subjektive Einschätzung der eigenen Religiosität angeschaut werden. Da die Selbsteinschätzung in Studien auch als einzige Messung von Religiosität genutzt wird, ist an dieser Stelle ein Vergleich zu den anderen Dimensionen von Interesse. Tatsächlich scheint die Selbsteinschätzung (Beta-Wert: 0,113***, Modell im Anhang) weitgehend den durchschnittlichen Effekt der fünf Dimensionen, den Z‑Index (Beta-Wert: 0,112***) abzubilden (siehe auch Huber und Krech 2009). Dieser zeigt einen eher geringen aber höchst signifikanten Effekt.
Im Weiteren (Tab. 8) wird der Zentralitätsindex der Religiosität verwendet, die nicht auf ihre Einzelaspekte reduziert, sondern in der Breite berücksichtigt wird und wie bereits erläutert, Auskunft darüber gibt, wie stark die Religiosität im psychischen System verankert ist. Die Hinzunahme von weiteren Variablen wird in den jeweiligen Modellen getrennt realisiert, sodass die interessierenden Effekte der unabhängigen Variablen gezielt beobachtet werden können. Auch die Variablen zu den Themen Demokratie und Autoritarismus werden jeweils getrennt in die Modelle aufgenommen, um die Effekte isoliert betrachten zu können und das Problem der Mulitikollinearität zu vermeiden (Bortz 2005, S. 452). Durch dieses Vorgehen kann unter anderem überprüft werden, inwiefern der Effekt der Religiosität unter Berücksichtigung von weiteren Variablen stabil bleibt. Die Modelle in Tab. 8 zeigen einen nahezu unveränderten Effekt des Zentralitätsindex bei der Berücksichtigung von Demokratiezufriedenheit, dem Gefühl politischer Machtlosigkeit, autoritärer Aggression und autoritärer Unterwürfigkeit. Es wird deutlich, dass die meisten hier hinzugezogenen Variablen keinen Einfluss auf den Effekt von Religiosität haben. Ausgenommen davon sind jedoch zwei Variablen, unter deren Berücksichtigung ein deutlicher Einbruch der Relevanz der Religiosität zu beobachten ist: Werden politische Selbstpositionierung oder Konventionalismus in die Modelle aufgenommen, wird der Effekt des Zentralitätsindex deutlich kleiner; sie nehmen der Religiosität sozusagen Erklärungskraft weg. Politische Selbstpositionierung und Konventionalismus sind somit im Vergleich zur Religiosität weitaus gewichtigere Prädiktoren für IMF. Davon abgesehen fallen alle Effekte im Themenbereich Demokratie und Autoritarismus höher aus als beim Zentralitätsindex. Einstellungen zur Demokratie und Autoritarismus haben demnach für IMF eine höhere Relevanz. Ein sehr geringer, aber signifikanter Effekt, der dennoch ins Auge sticht, stellt sich unter Einbeziehung der politischen Selbstpositionierung bei der Religionszugehörigkeit ein, deren Wert in diesem Fall ein negatives Vorzeichen hat: Wird die politische Selbstpositionierung berücksichtigt, kann die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft sogar mit weniger Vorurteilen einhergehen.
Zwar erscheint Religiosität auch unter der Einbeziehung von Einstellungen zur Demokratie und Autoritarismus als signifikanter Erklärungsfaktor für IMF. Jedoch ist er als nur gering ausgeprägt und nicht stabil einzustufen. Um die Stabilität von Religiosität als Erklärungsfaktor weiter auf die Probe zu stellen, wird das dogmatische Religionsverständnis in die weiteren Modelle aufgenommen (Tab. 9). Dieses kann nur für Angehörige einer Religionsgemeinschaft geprüft werden. Die Ergebnisse aus Tab. 8, die auf die Gesamtstichprobe bezogen sind und aus Tab. 9, die sich nur auf die Religionszugehörigen beziehen, sind dadurch nicht direkt vergleichbar. Deswegen sind für die Religionszugehörigen alle Modelle äquivalent zu Tab. 8 gerechnet worden (Tab. 11 im Anhang). Zwar unterscheiden sich die Effektstärken zwischen den beiden Stichproben, ihre jeweiligen Ausrichtungen sind jedoch identisch. Auch bei der Stichprobe der Religionszugehörigen zeigt der Zentralitätsindex für sich genommen sowie unter Berücksichtigung von weiteren Indikatoren einen höchst signifikanten Effekt. Dieser wird jedoch unter gleichzeitiger Einbeziehung des dogmatischen Religionsverständnisses als Erklärungsvariable aufgehoben (Tab. 9)Footnote 13. Es ist also nicht die Religiosität an sich, die mit stärkeren Vorurteilen einhergeht, sondern ein verengtes Verständnis von Religion. Es handelt sich dabei um einen sehr beachtlichen und höchst signifikanten Effekt.
Das dogmatische Religionsverständnis bleibt in allen Modellen ein höchst signifikanter und bedeutender Faktor. Bei Einbeziehung der politischen Selbstpositionierung sowie des Konventionalismus zeigt sich allerdings eine geringere Effektstärke. Ein Teil der Erklärungskraft des dogmatischen Religionsverständnisses bei IMF ist demnach auf diese beiden Konzepte zurückzuführen. Mit Blick auf die sozialstrukturellen Kontrollvariablen wird deutlich, dass die Hinzunahme von Einstellungen zur Demokratie und zu autoritären Einstellungen zu einer Verringerung des Alterseffekts führt. Außerdem büßt die Ost‑/West-Variable ihre Bedeutung weitgehend ein. Den stärksten Effekt bei IMF zeigt die politische Selbstpositionierung; etwas geringer, aber immer noch bemerkenswert fallen die Werte der autoritären Aggression und des Konventionalismus aus.
9 Fazit und Diskussion
Auch unter jungen Menschen sind Vorurteile gegenüber Muslim:innen verbreitet. Besonders dann, wenn diese auf Segregation und Unterdrückung verweisen, zeigen sich relativ hohe Zustimmungswerte. Die Zuschreibungen von Bedrohung und Islamismus sind demgegenüber weniger stark ausgeprägt. Bei jüngeren Befragten des Altersspektrums von 14 bis 29 Jahren sind stärkere Vorurteile zu beobachten. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund bisheriger Forschungsergebnisse besonders überraschend, gelten danach doch insbesondere junge Menschen als weniger vorurteilsbelastet. Dieser Alterseffekt lässt sich nach unseren Ergebnissen nicht auf die Alterspanne der jüngeren Generation übertragen. Damit widerlegen die Daten die Annahme eines linearen Alterseffekts, der die schwächsten Ausprägungen von Vorurteilen bei den Jüngsten verortet. Das vorliegende Ergebnis lässt sich jedoch nicht direkt mit anderen Studien vergleichen. Denn das Alter ist bei jungen Menschen in den meisten Studien nicht weiter ausdifferenziert, sodass zum Beispiel lediglich Aussagen für Befragte unter 30 Jahren getroffen werden können, die ins Verhältnis zu älteren Altersgruppen gesetzt werden (Zick und Küpper 2021; Decker und Brähler 2020). Die vorliegenden Ergebnisse machen die Notwendigkeit einer detaillierteren Betrachtung junger Altersgruppen in zukünftigen Befragungen deutlich. Nur so ließe sich feststellen, ob es sich hier um einen Alterseffekt handelt, mit dem Vorurteile im Laufe des Jugendalters abnehmen und sich erst im höheren Alter wieder verstärken, oder die höheren Werte im besonders jungen Alter auf einen Kohorteneffekt zurückzuführen sind.
In Bezug auf das Verhältnis zwischen religiöser Selbstverortung und IMF lassen sich die Ergebnisse in mehreren Hinsichten in den Forschungsstand einordnen: Erstens unterscheiden sich die Ergebnisse je nach Messung von Religiosität. Das haben die unterschiedlichen Effekte der jeweiligen Dimensionen deutlich bestätigt. Die bisherige Uneindeutigkeit der Rolle von Religiosität bei Vorurteilen gegenüber Muslim:innen könnte somit zumindest zum Teil auf die unterschiedlichen Messinstrumente zurückzuführen sein. Je nach verwendetem Indikator ergeben sich auch in der vorliegenden Studie unterschiedliche Effekte: Während die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft und die intellektuelle Dimension der Religiosität keine Bedeutung für IMF aufweisen, gehen die anderen vier Dimensionen (Ideologie, Erfahrung, private und öffentliche Praxis) – in unterschiedlichem Maß – mit IMF einher. Der nur schwache Effekt öffentlicher Praxis sowie die fehlende Relevanz einer aktiven Einbindung in kirchliche oder religiöse Organisationen lässt außerdem darauf schließen, dass die personale Religiosität im Vergleich zur sozialen eine größere Rolle spielt. Im Unterschied zu anderen Befragungen bleibt dabei als Hauptergebnis festzuhalten, dass mehrere Dimensionen der Religiosität in positiver Beziehung zu IMF stehen, jedoch kein negativer Effekt ermittelt werden konnte. Religiosität tritt damit in unserer Studie bei keiner ihrer Dimensionen als hemmender Faktor in Bezug auf diese Vorurteile in Erscheinung. Vorhandene Effekte beschränken sich vielmehr auf Dimensionen, die die gegenteilige (fördernde) Richtung ausweisen. Ungeklärt bleibt, ob dieses Ergebnis spezifisch für junge Menschen ist. Zumindest ermitteln Pickel (2022b) IMF-hemmende Funktionen von Religiosität in einer repräsentativen Stichprobe für die Bevölkerung in Deutschland. Unbeschadet dessen ist deutlich geworden, dass die Frage, ob, in welcher Richtung und Stärke ein Effekt ermittelt wird, auch von der Messung und damit der Dimension, die durch die Messung beleuchtet wird, abhängt. Diesen Umstand gilt es unbedingt bei der Analyse großer Befragungen, die Religiosität in der Regel nur partiell messen, zu beachten.
Zweitens konnte bestätigt werden, dass ein verengtes Religionsverständnis im Unterschied zur Religiosität einen deutlichen und stabilen Prädiktor für IMF darstellt. Die Effekte von Religiosität fallen bei isolierter Betrachtung nicht nur deutlich niedriger aus als beim dogmatischem Religionsverständnis, sie büßen ihre Erklärungskraft sogar ganz ein, wenn beide Indikatoren gleichzeitig in die Analyse eingehen. Der Effekt lässt sich somit nicht auf die Zentralität der Religiosität an sich, sondern auf deren spezielle Ausformung als dogmatisches Religionsverständnis zurückführen. Unter den religionsbezogenen Items erweist es sich als stärkster und stabilster Prädiktor für IMF. Dieses Ergebnis konnte hier streng genommen nur für die reduzierte Stichprobe, sprich für die Religionszugehörigen dargelegt werden. Ein Vergleich zeigt jedoch: Die Effekte des Zentralitätsindex fallen in der Gesamtstichprobe und in der reduzierten Stichprobe fast gleich aus. Wir können also annehmen, dass der Effekt der Religiosität auch in der Gesamtstichprobe einen Scheinzusammenhang darstellt und auf ein dogmatisches Religionsverständnis unter den Religionszugehörigen zurückzuführen ist. Damit wird deutlich, dass die Bedeutung von Religiosität für Vorurteile dann zu fehlerhaften Ergebnisse führt, wenn das dogmatische Religionsverständnis in den Analysen fehlt, da dessen Effekt sonst auf andere Dimensionen von Religiosität verlagert wird.
Drittens bleibt der Effekt des dogmatischen Religionsverständnisses auch unter Hinzunahme von politischen Einstellungen und Autoritarismus höchst signifikant. Allerdings verliert es deutlich an Erklärungskraft, wenn die politische Selbstpositionierung (links/rechts) oder Konventionalismus (als Dimension von Autoritarismus) berücksichtigt werden. Diese Ergebnisse deuten auf eine Verschränkung dieser beiden Einstellungsdimensionen mit dem spezifischen Religionsverständnis hin. Letzteres könnte als Hinweis darauf gedeutet werden, dass die mit dem dogmatischen Glaubensverständnis einhergehende Orientierung an fest Vorgegebenem selbst als konkrete Ausformung des Autoritarismus zu begreifen ist. Die Ergebnisse betonen außerdem die gewichtige Rolle der politischen Positionierung, da sie bei der Erklärung von Vorurteilen gegenüber Muslim:innen die größte Relevanz aufzeigt.
Mit Blick auf die Ergebnisse empfiehlt es sich, in zukünftigen Studien zwischen verschiedenen Dimensionen von Religiosität sowie zwischen Religiosität und spezifischen Ausformungen des Religionsverständnisses zu unterscheiden. Denn zum einen kann Religiosität durch lediglich eine Dimension nicht ausreichend abgebildet werden. Zum anderen können sich Zusammenhänge als Scheinzusammenhänge herausstellen, wenn ein verengtes Verständnis von Religion nicht berücksichtigt wird. Für die weitere Erforschung des Verhältnisses zwischen Religion und Vorurteilen erweist sich dabei das dogmatische Religionsverständnis als besonders relevant. Es stellt sich aber auch die Frage, inwiefern dieses weiter ausdifferenziert werden kann beziehungsweise mehrere Aspekte beinhaltet: Der Einfluss von politischer Selbstpositionierung und Konventionalismus auf die Effekte des dogmatischen Religionsverständnisses weist darauf hin, dass dieses nicht nur auf das Verständnis der Religion selbst begrenzt ist.
Anknüpfend an die theoretische Auseinandersetzung von Adorno und Allport lässt sich die Frage stellen, inwieweit sich die Bedeutung von Religiosität seit den Erklärungsversuchen der 1950er und 1960er-Jahre verändert hat. Eine Typisierung, wie Allport (1954) sie vorgenommen hat: auf der einen Seite eine verinnerlichte Weltanschauung, die mit weniger, und auf der anderen Seite eine institutionalisierte Weltanschauung, die mit mehr Vorurteilen einhergeht, bzw. intrinsisch Motivierte, die die Religion leben, und extrinsisch Motivierte, die die Religion instrumentell nutzen (Allport und Ross 1967, S. 434), lässt sich mit unseren Ergebnissen nicht bestätigen. Vielmehr sind religiöse Praktiken, die an Institutionen gebunden sind, wenig mit IMF assoziiert, wohingegen die personale Religiosität signifikante positive Effekte in Bezug auf Vorurteile gegenüber Muslim:innen aufweist. Möglicherweise sind die Ergebnisse auch darauf zurückzuführen, dass sich die (Be‑)Deutungen von sozialem religiösem Leben und einer „frommen“ Auslegung von Religion gewandelt haben. Es ist nicht auszuschließen, dass solche Typisierungen vor dem Hintergrund fortschreitender Pluralisierung und Individualisierung der Religion gerade im Blick auf die junge Generation nicht mehr sinnvoll sind. Es bleibt festzuhalten, dass es auch unter jungen Menschen das besonders enge Verständnis von Religion ist, das einen wichtigen Prädiktor darstellt. Insofern lässt sich zumindest an dem grundsätzlichen Ansatz von Adorno und Allport, zwischen verschiedenen Formen religiöser Selbstverortung zu unterscheiden, anknüpfen. Beide Autoren unterscheiden Religiosität in ihren Ausrichtungen, von denen jeweils eine als mit mehr Vorurteilen zusammenhängend beschrieben wird. Auch wenn in der Studie die Konzepte von Adorno und Allport nicht konkret in die Operationalisierung eingegangen sind, bestätigen die Ergebnisse diese Tendenz doch in Bezug auf das dogmatische Religionsverständnis. Auch inhaltlich spiegelt sich dies wider: Wenn zum Beispiel Adorno die konformistischen Bezüge zur Religion beschreibt, die sich durch das Konservieren von Traditionen auszeichnen, dann liest sich das wie ein Verweis auf die in der vorliegenden Studie festgestellte Verschränkung des verengten Religionsverständnisses mit der Dimension des Konformismus. Auch Allport betont bei seiner Definition vom vorurteilsbehafteten Typ das Festhalten an Traditionen. Somit wird auch aus theoretischer Sicht deutlich, dass das Konzept eines verengten Religionsverständnisses einer Ausdifferenzierung bedarf.
Auch wenn insgesamt gesehen nur eine Minderheit einem solchen Religionsverständnis folgt, bedarf es darüber hinaus einer verstärkten Auseinandersetzung mit IMF bei dessen Vertreter:innen. Gleichzeitig ist die Frage zu stellen, inwieweit ein dogmatisches Religionsverständnis auch mit einer Offenheit gegenüber anderen Religionen einhergehen kann, oder ob es diese Spannung auszuhalten gilt.
Notes
Bei Sexismus und Homophobie als weitere Aspekte gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) zeigen Konfessionslose jedoch signifikant weniger Vorurteile als Kirchenzugehörige. Es kommt also auch darauf an, gegenüber welcher Gruppe Einstellungen verglichen werden.
Das Kompetenznetzwerk wird maßgeblich von dem Programm „Demokratie Leben“ gefördert. Die Studie wurde in Kooperation der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) und des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD (SI EKD) durchgeführt. Die Erhebung erfolgte durch das Markt- und Meinungsforschungsinstitut forsa vom 15. Februar bis 19. April 2021.
Dies gilt trotz des gerade in der jüngeren Generation stark gestiegenen Bildungsstandes insbesondere für den Anteil der Befragten mit Hochschulreife (Abitur); siehe dazu auch Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020, S. 183), Bildung in Deutschland 2020 – Bildungsbericht – DE, abgerufen im Dezember 2021.
Um die fehlenden Werte für die weiteren Analysen möglichst gering zu halten und die Ergebnisse gleichzeitig nicht zu verfälschen, wurde die Bildung des Summenindex wie folgt durchgeführt: Für jede:n Befragte:n wurde dann ein Index gebildet, wenn aus jeder Dimension mindestens ein Item gültig beantwortet wurde.
Bei der Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs kann aufgrund von unterschiedlichen Antwortskalen kein direkter Vergleich gemacht werden.
Die „F-Skala“ von Adorno (Sanford et al. 1982, S. 45) umfasste neun Dimensionen (hinzu kommen darin: Anti-Intrazeption, Aberglaube und Stereotypie, Machtdenken und Kraftmeierei, Destruktivität und Zynismus, Projektivität, Sexualität). Auf Basis der von Altemeyer (1981) daraus entwickelten Konzeption des „Right-wing authoritarianism“ hat sich die Erfassung mit den genannten drei Dimensionen durchgesetzt (vgl. Beierlein et al. 2014, S. 5ff.).
Dies ist ein sich durch alle Erhebungen der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS 2018) ziehendes Ergebnis, dort für die 18- bis 29-Jährigen. 2018 lag der arithmetische Mittelwert für sie bei 4,72 im Vergleich zu 4,96 der Gesamtstichprobe; eigene Berechnung mit dem Datensatz, Studiennummer: ZA5274_v1-1-0_1980-2018.
Ablehnung: 42,1 %, teils/teils 29,7 %, Zustimmung 28,2 % (Küpper et al. 2021, S. 51).
Gleichwohl erscheint die studienübergreifend mehrheitliche Zustimmung zur autoritären Aggression, im Vergleich zur geringen Zustimmung bei den anderen Autoritarismusdimensionen erklärungsbedürftig, wobei die subjektiven Assoziationen, die mit Unruhestiftung verbunden werden, eine Rolle spielen könnten.
Die fehlenden Werte belaufen sich bei den vorliegenden Items auf maximal 6,7 und minimal 0,7 %. Auch hier ist der größte Anteil der fehlenden Werte auf die Antwortkategorie „weiß nicht“ zurückzuführen (0,4 bis 4,4 %). Keine Angabe machen 0,2 bis 2,4 %. Insgesamt weist die politische Selbstpositionierung den größten Anteil fehlender Werte auf. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Links-rechts-Spektrum als Ausdruck politischer Positionierung zu eng gefasst ist.
Berlin wird äquivalent zum Statistischen Bundesamt (2020) zum Osten gezählt. Das ist nicht in allen Studien der Fall. Die schon seit längerem nachlassende Angemessenheit der Kategorie Ost/West, die gerade der Fall Berlin immer wieder zeigt, macht deutlich, dass hier noch genauere Analysen notwendig sind.
Dies gilt auch, wie dort gezeigt, für die Unterscheidung der Mitglieder der beiden großen Konfessionen.
Für Religionsangehörige fällt die bivariate Korrelation zwischen dem Zentralitätsindex und des dogmatischen Religionsverständnisses mit 0,526*** relativ hoch aus (N = 1827). Der Wert macht die Notwendigkeit deutlich beide Erklärungsvariablen in den multivariaten Analysen zu betrachten.
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Janzen, O., Ahrens, PA. Islam- und Muslim:innenfeindlichkeit unter jungen Menschen in Deutschland: Eine Frage der religiösen Selbstverortung?. Z Religion Ges Polit 6, 463–490 (2022). https://doi.org/10.1007/s41682-022-00129-w
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- Islamfeindlichkeit
- Muslimfeindlichkeit
- Religiosität
- Religion
- Autoritarismus
- Einstellungen zur Demokratie
- Jugend