1 Diskussionen in sozialen Medien

An das Internet wurden Hoffnungen auf einen deliberativen Diskurs geknüpft, der Bürger*innen die Möglichkeit eröffnen könnte, sich aktiv am demokratischen Prozess zu beteiligen (Dahlberg 2001). Ergänzend zu anderen Beteiligungsformaten bieten insbesondere Online-Kommentare auf Webseiten von Nachrichtenmedien und in sozialen Netzwerken eine niedrigschwellige Partizipationsmöglichkeit, um gesellschaftliche Streitfragen in konstruktivem und respektvollem Austausch auf Augenhöhe zu diskutieren (Ruiz et al. 2011). Die Realität der Diskussionen in den Kommentarspalten und auf Facebook-Profilen von Nachrichtenmedien (Rowe 2015) oder auch unter Facebook-Beiträgen politischer Akteure (Spieß/Frieß in diesem Band) weicht allerdings von diesen Idealvorstellungen teils erheblich ab. Häufig werden interpersonale Umgangsformen (Höflichkeit) missachtet, indem andere Diskussionsteilnehmer*innen beleidigt werden oder sich die Verfasser*innen vulgärer Sprache bedienen. Außerdem werden soziale und demokratische Normen (Zivilität) verletzt, wenn soziale Gruppen bspw. rassistisch und sexistisch abgewertet werden oder andere Diskussionsteilnehmer*innen der Lüge bezichtigt oder gar bedroht werden (Papacharissi 2004; Coe et al. 2014). Derartige respektlose und herabwürdigende Kommunikationsformen werden insbesondere in der englischsprachigen Literatur unter dem Begriff der Inzivilität zusammengefasst (Coe et al. 2014; Stroud et al. 2015). Unzivile Kommentare konterkarieren das deliberative Ideal eines freien, respektvollen und konstruktiven Austausches (Habermas 1992; z. B. Friess und Eilders 2015), können die wahrgenommene journalistische Qualität von Medienbeiträgen verringern (Prochazka et al. 2018), Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen verstärken (Hsueh et al. 2015), prosoziales Verhalten gegenüber sozial benachteiligten Gruppen reduzieren (Ziegele et al. 2018b) und andere Nutzer*innen von der aktiven Beteiligung an Diskussionen abschrecken (Springer et al. 2015).

Um unzivile Kommentare und deren mitunter dysfunktionale Konsequenzen zu reduzieren, werden die Möglichkeiten journalistischer Moderation diskutiert (Stroud et al. 2015). Allerdings sind Journalist*innen und Community-Manager*innen mit der Menge an unzivilen Kommentaren zunehmend überfordert (Loosen et al. 2017). Zudem beansprucht die journalistische Moderation zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen. Daher sehen einige Medienunternehmen zunehmend von dieser Form der Regulierung ab und überlassen die Diskussionen stattdessen sich selbst oder schließen Kommentarspalten vollständig. Eine alternative oder zumindest komplementäre Möglichkeit, der Inzivilität in Online-Diskussionen zu begegnen, sind Interventionen durch die Diskussionsteilnehmer*innen selbst (Diakopoulos und Naaman 2011; Facebook 2016a; Naab 2016). Hierbei übernehmen die Nutzer*innen die Verantwortung, ein angemessenes und konstruktives Diskussionsklima zu schaffen und bestenfalls deliberative Normen durchzusetzen.

Das Engagement der Gruppe #ichbinhier zielt auf diese nutzerseitige Intervention ab. Selbsterklärtes Ziel der im Dezember 2016 gegründeten und aktuell auf Facebook rund 45.000 Mitglieder umfassenden Gruppe ist es, die Diskussionskultur im Social Web und insbesondere auf Facebook zu verbessern (#ichbinhier 2019). Dazu beteiligen sich Mitglieder an Online-Diskussionen auf Facebook, die unter Artikeln etablierter Nachrichtenmedien stattfinden und die aufgrund ihrer Thematik (z. B. Flüchtlingspolitik) viele unzivile Kommentare anziehen. Mitglieder bzw. Administrator*innen der Gruppe identifizieren dann zunächst „entgleisende“ Diskussionen und verlinken sie in der #ichbinhier-Facebook-Gruppe. In der Gruppe werden die Mitglieder dazu aufgerufen, unzivile Kommentare zu erwidern, Gegenargumente und Fakten einzubringen oder zu versuchen, mit empathischen Kommentaren mäßigend auf das Diskussionsklima einzuwirken (Ley 2018). Zudem verlinken Nutzer*innen ihre eigenen Kommentare unter den Aktionen und fordern andere Mitglieder der Gruppe auf, diese Kommentare zu liken. Alternativ können unzivile Kommentare durch negative Reactions sanktioniert werden. Durch diese koordinierten „Aktionen“ soll eine größere Wirkung auf Diskussionsverläufe genommen werden (Ley 2018).

#ichbinhier bezeichnet das Engagement seiner Mitglieder als „digitale Zivilcourage“ (#ichbinhier 2019). In der vorliegenden Studie gehen wir der Frage nach, welche Faktoren bei Mitgliedern der Gruppe hemmend oder begünstigend auf die verschiedenen Formen dieser digitalen Zivilcourage in Online-Diskussionen auf Facebook wirken. Dazu definieren wir zunächst unzivile Online-Diskussionen als interventionsbedürfte Notfallsituationen und erläutern verschiedene Interventionsmöglichkeiten („klicken“ vs. „tippen“). Anschließend identifizieren wir auf Basis des sozialpsychologischen Bystander-Ansatzes Faktoren, die potenziell die Interventionsentscheidungen von Menschen in Notfallsituationen erklären, und übertragen diese auf den Forschungsgegenstand. Die daraus resultierenden Annahmen prüfen wir empirisch mittels einer quantitativen Befragung von 575 #ichbinhier-Mitgliedern.

Wir gehen davon aus, dass sich die in dieser Studie identifizierten und geprüften Faktoren grundsätzlich auch auf andere Nutzer*innen übertragen lassen, die nicht Mitglied der Gruppe sind. Zwar kann den #ichbinhier-Mitgliedern ein im Vergleich zu anderen Nutzer*innen überdurchschnittliches Maß an Sensibilität gegenüber Inzivilität in Online-Diskussionen und korrespondierende Interventionsbereitschaft unterstellt werden. Außerdem sind die Mitglieder höher gebildet, eher im politischen linken Spektrum zu verorten, zeichnen sich durch eine intensivere Internetnutzung aus und sind damit keinesfalls repräsentativ für deutsche Onliner*innen. Auf der anderen Seite ist die Mitgliedschaft in der Gruppe eine sehr niedrigschwellige Möglichkeit, Interesse an einer Verbesserung der Online-Diskussionskultur zu zeigen, und an keinerlei Beteiligungsverpflichtungen gebunden. Insofern überrascht es nicht, dass sich nur ein Bruchteil der Gruppenmitglieder aktiv an den verschiedenen Formen der Intervention in unzivilen Online-Diskussionen beteiligt (Ley 2018). Darüber hinaus bringen sich auch rund 20 % der deutschen Bevölkerung gelegentlich mit eigenen Kommentaren ein (Schultz et al. 2017), oftmals mit dem von #ichbinhier angestrebten Ziel, Diskussionen zu balancieren (Stroud et al. 2016). Diese Gemeinsamkeiten legen eine gewisse Verallgemeinerbarkeit der in der vorliegenden Studie gewonnenen Ergebnisse nahe.

2 Zivilcouargierte Interventionen in digitalen Notfallsituationen

Zivilcourage wird als spezifische Form prosozialen Verhaltens verstanden. Im Unterschied zu allgemeinem Hilfeverhalten (z. B. jemandem die Türe aufhalten) spricht man von Zivilcourage, wenn eine Person in eine für Dritte bedrohliche Situation eingreift, obwohl sie mit physischen, psychischen oder sozialen Konsequenzen für das Eingreifen rechnen muss (Fischer et al. 2004). Als prototypische Notfallsituationen, die zivilcouragiertes Handeln erfordern, werden (physische) Übergriffe auf Individuen angeführt (Latané und Nida 1981; Fischer et al. 2011). Allerdings kann zivilcouragiertes Verhalten auch kollektiv ausgerichtet sein und das Ziel verfolgen, über die Hilfe in der konkreten Situation hinaus übergeordnete gesellschaftliche Normvorstellungen wiederherzustellen (Chekroun und Brauer 2002). So kann beispielsweise das öffentliche Widersprechen gegen rassistische Aussagen in einer konkreten Situation dadurch motiviert sein, dass man nicht in einer Gesellschaft leben möchte, in der solche Äußerungen unwidersprochen bleiben oder gar akzeptiert werden (Fischer et al. 2013).

Auch Online-Diskussionen bergen potenziell negative Konsequenzen für Dritte. So richten sich unzivile Kommentare häufig gegen andere Diskussionsteilnehmer*innen, Personen des öffentlichen Lebens oder gegen soziale Minderheiten. Verbale Aggression und Abwertung im digitalen Kontext ziehen negative physische und psychische Konsequenzen für die Betroffenen nach sich und können daher als Notfallsituationen verstanden werden, in denen Beobachter*innen dem Opfer helfen können (Obermaier et al. 2016; Weber et al. 2019). Zudem werden in unzivilen Online-Diskussionen durch stereotype Abwertung, Beleidigungen oder Drohungen häufig soziale und demokratische Normen verletzt und humanistische Wertvorstellungen negiert (Coe et al. 2014). Inzivilität wird entsprechend von Nutzer*innen auch als Normverletzung auf gesellschaftlicher Ebene wahrgenommen (Muddiman 2017), der durch zivilcouragiertes Eingreifen entgegengetreten werden kann.

Entsprechend lassen sich unizivile Online-Diskussionen, in denen Gruppen oder Individuen herabgewürdigt, bedroht oder beschimpft werden oder in denen gesellschaftliche Normen verletzt werden, als digitale Notfallsituation konzeptualisieren, bei denen Nutzer*innen vor der Entscheidung stehen, ob sie intervenieren oder nicht (Naab 2016).

3 Interventionsmöglichkeiten auf Facebook: Voraussetzungen und Konsequenzen

In Kommentarbereichen auf Facebook stehen den Nutzer*innen verschiedene Partizipations- und Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung, die sie u. a. nutzen können, um zivilcouragiert in Online-Diskussionen zu intervenieren.

Zu den nutzerseitigen InterventionsmöglichkeitenFootnote 1 in unzivile Online-Diskussionen zählen zunächst das Verfassen eigener Initial- und Antwort-Kommentare („tippen“). Die Diskursarchitektur von Facebook erlaubt dabei über die Antwort-Funktion eine direkte Bezugnahme auf Kommentare anderer Nutzer*innen (Ziegele et al. 2014). Darüber hinaus können Nutzer*innen mit standardisierten Interaktionsmöglichkeiten auf andere Kommentare reagieren („klicken“): Die Facebook-„Reactions“ erlauben es, Zustimmung (bspw. „Love“) oder Ablehnung (bspw. „Angry“) gegenüber bereits vorhandenen Kommentaren zum Ausdruck zu bringen. Die Nutzung dieser standardisierten Interaktionsformen wird unter den Begriff „Click Speech“ (Sklan 2013, S. 393) gefasst und kann die nicht-standardisierte, diskursive Kommunikation ergänzen oder teilweise substituieren. So führte Facebook den Like-Button ein, damit Nutzer*innen Zustimmung und Wohlgefallen zum Ausdruck bringen können, ohne dabei einen Kommentar verfassen zu müssen („let people know that you enjoy it without leaving a comment“; Facebook 2016b).

Anders als beim Verfassen von eigenen Kommentaren produzieren die Nutzer*innen bei der Verwendung von Reactions keine eigenen Inhalte, sondern bewerten lediglich vorhandene. Dieser Unterschied birgt wichtige Implikationen hinsichtlich der erforderlichen Kompetenzen: Beim Verfassen von Kommentaren sind grundlegende schriftsprachliche Fähigkeiten wichtig, um eigene Gedanken und Positionen artikulieren zu können. Zudem erfordert insbesondere der Kontext politischer Kommunikation die Kenntnis spezifischer Vokabeln (Achour et al. 2017). Diese Kenntnis setzt (zumindest) deklaratives politisches Faktenwissen voraus, welches wiederum mit politischen Hintergrundwissen korreliert (Delli Carpini und Keeter 1993; Schübel 2019). Darüber hinaus erfordert das Verfassen von Kommentaren – im Gegensatz zum reinen Reagieren auf bestehende Inhalte – eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung, die sich im politischen Kontext aus verschiedenen Wissens- und Fähigkeitseinschätzungen zusammensetzt (Ziegele und Jost 2016).

Das Verfassen eigener Kommentare und die sog. Click-Speech unterscheiden sich zudem hinsichtlich ihrer möglichen sozialen Konsequenzen: So sind Kommentare und deren Urheber*innen in Diskussionsverläufen sichtbar und können – im Gegensatz zu Reactions – selbst durch andere Nutzer*innen kommentiert oder sozial sanktioniert werden (Pang et al. 2016). Die Urheber von Reactions sind hingegen nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Die Theorie der Schweigespirale postuliert, dass die Furcht vor sozialer Isolation die Bereitschaft mindert, sich zu gesellschaftlich relevanten Themen öffentlich zu äußern, wenn sich Individuen einer vermeintlichen Mehrheit ausgesetzt sehen, deren Meinungen im Konflikt mit der eigenen Meinung stehen (Noelle-Neumann 1974). Auch im Kontext von Online-Diskussionen sind Nutzer*innen weniger bereit, die eigene Meinung zu vertreten, wenn sie sich selbst in der Minderheit fühlen, da die Furcht vor Isolation die Bereitschaft mindert, sich mit einem Kommentar an Diskussionen zu beteiligen (Matthes et al. 2018). Isolationsfurcht sollte weniger ausschlaggebend für Click-Speech sein, weil sich Nutzer*innen mit der Vergabe von Reactions weniger exponieren.

4 Determinanten der Intervention in unzivilen Online-Diskussionen

Der Bystander-Ansatz beschäftigt sich mit der Frage, welche Faktoren für zivilcouragiertes Eingreifen in Notsituationen ausschlaggebend sind (Latané und Darley 1970). Latané und Darley (1970) beschreiben den psychologischen Prozess, der einer Intervention von Beobachter*innen in einer Notsituation zugrundliegt, in fünf Stufen: Über die individuelle Bereitschaft unbeteiligter Beobachter*innen einer Notsituation entscheidet demnach,

  1. 1.

    ob sie die kritische Situation wahrnehmen,

  2. 2.

    sie als Notfallsituation interpretieren,

  3. 3.

    persönliche Verantwortung empfinden,

  4. 4.

    wie sie ihre eigenen Fähigkeiten, helfen zu können, einschätzen und

  5. 5.

    wie ihre individuelle Kosten‑/Nutzen-Kalkulation ausfällt (Fischer et al. 2011).

Im Folgenden übertragen wir diese Überlegungen der Bystander-Forschung auf unzivile Online-Diskussionen und die Interventionsmöglichkeiten, die Nutzer*innen dort für zivilcouragiertes Eingreifen zur Verfügung stehen (zur Übersicht siehe Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Fünf-Stufenmodell zur Intervention in unzivilen Online-Diskussionen. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Latané und Darley 1970)

4.1 Wahrnehmung einer kritischen Situation (Schritt 1)

Die Wahrnehmung kritischer Situationen ist eine notwendige Bedingung für eine Intervention (Latané und Darley 1970). Übertragen auf den Forschungsgegenstand bedeutet dies, dass Nutzer*innen nur dann in unzivile Online-Diskussionen intervenieren können, wenn sie diese auch bemerken. Die Wahrscheinlichkeit, unzivile Diskussionen zu beobachten, steigt mit der Häufigkeit der politischen Facebook-Nutzung. Zudem ist anzunehmen, dass Nutzer*innen sensibler gegenüber unzivilen Inhalten sind, je häufiger sie Facebook zur politischen Information nutzen. Beispielweise können Online-Nutzer*innen Inzivilität eher als solche identifizieren (im Sinne einer Übereinstimmung mit einer wissenschaftlichen Definition), wenn sie häufiger Online-Nachrichten nutzen (Kenski et al. 2017). Da zum einen die Kontakt-Wahrscheinlichkeit und zum anderen die Sensibilität gegenüber unzivilen Online-Diskussionen mit zunehmender politischer Facebook-Nutzung steigen, nehmen wir an:

H1

Die politische Facebook-Nutzung der #ichbinhier-Mitglieder steigert ihre Bereitschaft, in unzivile Online-Diskussionen sowohl mit eigenen Kommentaren als auch mit Reactions einzugreifen.

4.2 Interpretation als Notfall (Schritt 2)

Weiter hängt eine mögliche Intervention davon ab, ob Bystander eine Situation als Notfall wahrnehmen. Studien zeigen, dass Menschen eher dazu bereit sind, in Situationen einzugreifen, je eindeutiger sie diese als gefährlich einschätzen (Fischer et al. 2006, 2011). Dies gilt auch für den Online-Kontext: So zeigen Proband*innen eine höhere Interventionsbereitschaft, wenn sie Online-Inhalte als problematisch wahrnehmen (Golan und Lim 2016). Ähnlich wie bei Offline-Notsituationen, bei denen Bürger*innen übergeordnete gesellschaftliche Normvorstellungen durch zivilcouragiertes Eingreifen verteidigen (Chekroun und Brauer 2002), scheint es plausibel, dass Nutzer*innen eher bereit sind, regulierend in unzivile Online-Diskussionen auf Facebook einzugreifen, je stärker sie politische Online-Diskussionen mit problematischen Konsequenzen für die Gesellschaft assoziieren.

H2

Die Wahrnehmung politischer Online-Diskussionen unter Nachrichtenartikeln auf Facebook als Gefahr für die Gesellschaft steigert die Bereitschaft von #ichbinhier-Mitgliedern, in unzivile Online-Diskussionen sowohl mit eigenen Kommentaren als auch mit Reactions einzugreifen.

4.3 Übernahme von Verantwortung (Schritt 3)

Sobald sie eine Situation als Notfall interpretiert haben, wägen Beobachter*innen ab, ob sie selbst Verantwortung für die Beilegung der Situation tragen. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme variiert von Person zu Person (Frey et al. 2001). Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass Beobachter*innen weniger persönliche Verantwortung für das Eingreifen wahrnehmen, je mehr Menschen einer Notfallsituation beiwohnen. Die Diffusion der Verantwortung auf andere gilt als zentraler Mechanismus des Bystander-Effekts (Latané und Nida 1981), wenngleich empirische Studien nur einen moderaten negativen Effekt der Präsenz anderer auf die individuelle Eingriffswahrscheinlichkeit in Notfallsituationen zeigen (Fischer et al. 2011). Bezogen auf unzivile Online-Diskussionen könnten Nutzer*innen – äquivalent zu Notfallsituationen im Offline-Kontext – erwarten, dass nicht sie selbst, sondern andere Nutzer*innen oder institutionelle Akteure intervenieren sollten. Die Debatten um die institutionalisierte Regulation problematischer Online-Diskussionen werden dabei aus unterschiedlichen Perspektiven geführt: So betonen politische Akteure vor allem die Verantwortung der Plattformbetreibenden, während Facebook-Chef Mark Zuckerberg jüngst eine staatliche Unterstützung beim Kampf gegen problematische Inhalte forderte (Zuckerberg 2019). Tatsächlich zeigt eine Studie in einem anderen Kontext, dass Online-Nutzer*innen Verantwortung an andere abgehen: Wenn Proband*innen zuvor informiert worden waren, dass ein Chat-Forum von Kontrollinstanzen überwacht werde, waren die Nutzer*innen weniger bereit zu intervenieren, wenn in diesem Forum Erwachsene mit sexuellem Intentionen Kontakt zu Minderjährigen suchten (sog. Cybergrooming) (Palasinski 2012). Im Übereinstimmung mit diesen Überlegungen führte in einer anderen Studie gesteigertes persönliches Verantwortungsgefühl eher zum Einschreiten gegen Cybermobbing (Beleidigen, Bedrohung, Bloßstellung oder Belästigung von Personen mithilfe digitaler Kommunikationsmedien; Obermaier et al. 2016). Daher kann angenommen werden:

H3

Die persönliche Verantwortungsübernahme der #ichbinhier-Mitglieder steigert ihre Bereitschaft, in unzivile Online-Diskussionen sowohl mit eigenen Kommentaren als auch mit Reactions einzugreifen.

4.4 Kompetenzempfinden (Schritt 4)

Bystander intervenieren eher, wenn sie sich selbst kompetent fühlen, eine Notfallsituation erfolgreich zu lösen (Cramer et al. 1988; Burn 2009). Ein Grund dafür kann die Angst vor Bewertung sein, also die Sorge, sich mit fehlerhaftem Eingreifen zu blamieren oder von anderen negativ bewertet zu werden. Dabei unterscheiden sich die erforderlichen Kompetenzen je nach zu lösender Situation.

Die für die Intervention in unzivile Online-Diskussionen erforderlichen Fähigkeiten lassen sich aus der Forschung zur Online Corrective Action und zur politischen Online-Partizipation ableiten (Jung et al. 2011; Golan und Lim 2016): Die politische Kompetenzüberzeugung (internal efficacy) referiert auf die Einschätzung einer Person, politische Vorgänge zu verstehen und sich effektiv am politischen Prozess beteiligen zu können. Sie korreliert unter anderem mit dem politischen Interesse sowie mit politischem Wissen, das als Voraussetzung für politische Partizipation on- und offline gilt (Kenski und Stroud 2006; Jung et al. 2011). Die Aktionen von #ichbinhier zur (Wieder‑)Herstellung eines deliberativen Diskussionsklimas können als politische Online-Partizipation verstanden werden, weswegen grundsätzlich ein positiver Zusammenhang zwischen Engagement und politischer Kompetenzüberzeugung vermutet werden kann.

Das Vertrauen in die eigene politische Kompetenz sollte jedoch lediglich dann eine Rolle für die Interventionsbereitschaft spielen, wenn es darum geht, eigene Inhalte zu erstellen. Dagegen erfordert das Bewerten vorhandener Inhalte weniger Gewissheit über die eigene Kompetenz. In der interpersonalen Kommunikation über Politik gilt die politische Kompetenzwahrnehmung als zentraler Erklärungsfaktor (Schmitt-Beck 1994). Im Online-Kontext verstehen sich Nutzer*innen mit höherer politischer Kompetenzwahrnehmung eher als Meinungsführer*innen und sind eher bereit, eigene Inhalte im Netz zu verbreiten (Weeks et al. 2017). Eine Studie zur Beteiligungsbereitschaft in politischen Diskussionen zeigt, dass politisches Interesse positiv auf die Beteiligung mit eigenen Kommentaren wirkt, während die Vergabe von Likes nicht beeinflusst wird (Porten-Cheé und Eilders 2015). Zusammenfassend nehmen wir an:

H4.1

Die politische Kompetenzüberzeugung der #ichbinhier-Mitglieder steigert ihre Bereitschaft, in unzivile Online-Diskussionen einzugreifen.

H4.2

Die politische Kompetenzüberzeugung der #ichbinhier-Mitglieder steigert die Tendenz zur Intervention mittels Kommentaren statt zur Intervention mittels Reactions.

Bei der Frage, ob sich Nutzer*innen für die Intervention in unzivilen Diskussionen gewappnet fühlen, spielt neben der politischen Kompetenzwahrnehmung die Wahrnehmung der eigenen schriftsprachlichen Ausdrucksfähigkeit eine wichtige Rolle. Studien verweisen auf einen positiven Zusammenhang zwischen schriftsprachlicher Kompetenzüberzeugung (writing efficacy) und der Motivation, zu schreiben (Pajares 2003; Bruning et al. 2013). Zudem gibt es einen Zusammenhang zwischen schriftsprachlicher Kompetenzüberzeugung und dem Erfolg beim Schreiben (Pajares 2003). Für die Intervention via Reactions ist hingegen keine schriftsprachliche Kompetenz notwendig. Wir vermuten darum:

H5.1

Die schriftsprachliche Kompetenzüberzeugung der #ichbinhier-Mitglieder steigert ihre Bereitschaft, in unzivile Online-Diskussionen einzugreifen.

H5.2

Die schriftsprachliche Kompetenzüberzeugung der #ichbinhier-Mitglieder steigert die Tendenz zur Intervention mittels Kommentaren statt zur Intervention mittels Reactions.

4.5 Abwägen von Kosten und Nutzen (Schritt 5)

Schließlich wägen Nutzer*innen Kosten und Nutzen ab, bevor sie sich für oder gegen eine Intervention entscheiden (Burn 2009; Fischer et al. 2011). Forschung zur Beteiligung an sozialen Bewegungen zeigt diesbezüglich, dass sich Menschen insbesondere dann engagieren, wenn sie von dem Erfolg der Bewegung überzeugt sind (Brunsting und Postmes 2002). Dementsprechend sollte die Erwartung einer Verbesserung des Diskussionsklimas bei #ichbinhier-Mitgliedern positiv auf deren Beteiligungsbereitschaft wirken.

H6

Der erwartete positive Einfluss auf das Diskussionsklima steigert die Bereitschaft von #ichbinhier-Mitgliedern, in unzivile Online-Diskussionen einzugreifen.

Neben den Nutzenabwägungen auf gesellschaftlicher Ebene spielen auch Abwägungen auf persönlicher Ebene eine Rolle bei den Überlegungen der Beobachter*innen, sich in einer Notfallsituation zu engagieren. Dabei fließen nicht nur negative Aspekte einer Intervention in die Überlegungen ein. So kann auch die Erwartung sozialer Anerkennung Bystander zur Intervention animieren (Piliavin et al. 1975). Darüber hinaus können sich Nutzer*innen nach einer Intervention in unzivilen Online-Diskussionen besser fühlen (Springer et al. 2015).

Allerdings ist die Sichtbarkeit von Kommentaren im Vergleich zu Reactions deutlich höher. Zudem begünstigt die Diskurs-Architektur auf Facebook, dass Kommentare von anderen Nutzer*innen bewertet oder beantwortet werden, während die Reactions nicht zum Gegenstand von Anschlusskommunikation werden können – das heißt, positives (oder negatives) Feedback von anderen auf Reactions ist nicht möglich. Darum nehmen wir lediglich für die Intervention mittels Kommentaren einen Zusammenhang mit dem erwarteten persönlichen Nutzen an.

H7.1

Der von den #ichbinhier-Mitgliedern erwartete persönliche Nutzen steigert ihre Bereitschaft, in unzivile Online-Diskussionen einzugreifen.

H7.2

Der erwartete persönliche Nutzen der #ichbinhier-Mitglieder steigert die Tendenz zur Intervention mittels Kommentaren statt zur Intervention mittels Reactions.

Haben Bystander das Gefühl, die Kosten einer Intervention würde ihren potenziellen Nutzen übersteigen, so sinkt ihre Bereitschaft, sich zu beteiligen (Burn 2009). Zum einen senkt die Angst vor negativen Bewertungen bei fehlerhaftem Eingreifen die Bereitschaft, in Notfallsituationen zu intervenieren (Fischer et al. 2011). Neben sozialen Kosten kann auch die Angst vor physischen Konsequenzen (bspw. selbst durch einen Angreifer verletzt zu werden) oder ein unverhältnismäßig hoher zeitlicher oder finanzieller Aufwand die Bereitschaft zur Intervention in Notfallsituationen hemmen (Burn 2009; Fischer et al. 2011). Zwar müssen Bystander bei einer Intervention in unizivile Online-Diskussionen nicht mit physischen Schäden rechnen. Allerdings entstehen durch die kommunikative Konfrontation soziale Risiken, darunter die Möglichkeit, bei Äußerung einer abweichender Meinung isoliert bzw. sanktioniert zu werden (Noelle-Neumann 1974). Auch können Nutzer*innen befürchten, selbst Opfer von unzivilen Kommentaren zu werden (Springer et al. 2015). Haben Nutzer*innen in der Vergangenheit negative Reaktionen auf ihre Beiträge erhalten, so mindert das ihre Bereitschaft, zukünftig auf Kommentare zu antworten, die nicht ihrer eigenen Meinung entsprechen (Gearhart und Zhang 2015).

Im Gegensatz zu Kommentaren sind Reactions (und deren Urheber*innen) weniger sichtbar und können zudem nicht Gegenstand weiterer Anschlusskommunikation werden. Die Furcht, sich sozial zu isolieren, ist somit bei der Vergabe von Reactions geringer. Zudem zeigt sich, dass Nutzer*innen ihre Meinung auch dann über die Vergabe von Likes äußern, wenn das Diskussionsklima mehrheitlich der eigenen Meinung widerspricht (Porten-Cheé und Eilders 2015). Auch mindern frühere negative Reaktionen anderer nicht die Bereitschaft, Onlineinhalte zu liken (Gearhart und Zhang 2015). Entsprechend gehen wir davon aus, dass sich die erwarteten Kosten lediglich auf die Bereitschaft auswirken, mittels Kommentaren zu intervenieren.

H8.1

Der von den #ichbinhier-Mitgliedern erwartete persönliche Schaden einer Intervention senkt ihre Bereitschaft, in unzivile Online-Diskussionen einzugreifen.

H8.2

Der erwartete persönliche Schaden der #ichbinhier-Mitglieder senkt die Tendenz zur Intervention mittels Kommentaren statt zur Intervention mittels Reactions.

5 Methode

Um die Hypothesen zu prüfen, wurde im Juli 2018 eine quantitative Online-Befragung unter den Mitgliedern der Facebook-Gruppe #ichbinhier durchgeführt. Die Mitglieder der Gruppe eignen sich für eine empirische Untersuchung der Fragestellung der vorliegenden Studie insofern, als hier beide Verhaltensweisen, Klicken und Kommentieren, zwar vorkommen (im Gegensatz zu Convenience-Samples, in denen der Anteil von Nutzer*innen, die Click-Speech ausüben oder Kommentare schreiben, gering ist), dies jedoch in einem durchaus variierenden Umfang und Ausmaß. Somit können anhand der untersuchten Stichprobe zwar keine Aussagen über die absolute Interventionsbereitschaft deutscher Onliner*innen getroffen werden; für Aussagen zum relativen Einfluss verschiedener Faktoren ist die untersuchte Gruppe gerade wegen ihres zu vermutenden überdurchschnittlichen Engagements (und der damit verbunden statistischen Verteilung der abhängigen Variable) jedoch geeignet.

Um Teilnehmer*innen zu rekrutieren, verbreiteten die Gruppenadministrator*innen insgesamt drei Aufrufe auf der Facebook-Seite der Aktionsgruppe. Die finale Stichprobe umfasste n = 575 Teilnehmer*innen (78 % weiblich, Durchschnittsalter: 46 Jahre, 51 % mit Universitätsabschluss).

Die Interventionsbereitschaft in unzivile Online-Diskussionen durch eigene Kommentare oder Click-Speech (AV) wurde mit sechs Items gemessen (zur Übersicht der verwendeten Konstrukte siehe Anhang). Zunächst erhielten die Proband*innen eine Definition von „problematischen“ Kommentaren. Dazu wurden beispielhaft verschiedene Elemente von Inzivilität referiert (z. B. „Kommentare, die sich gegen Gruppen [Nationalität, Geschlecht …] richten“, „Kommentare, die Drohungen enthalten“, „Kommentare, die Beleidigungen enthalten“). Anschließend sollten die Befragten angeben, wie wahrscheinlich sie sich an solchen Diskussionen mittels Kommentaren (3 Items, α = 0,84; M = 3,43; SD = 1,03) oder über die Vergabe von Reactions (3 Items, α = 0,53; M = 3,80; SD = 0,69) beteiligen. Für die generelle Interventionsbereitschaft wurde ein Mittelwert über alle Items gebildet (M = 3,61; SD = 0,72). Um zu ermitteln, welche der beiden Interventionsformen von den Befragten bevorzugt wird, wurde die Bereitschaft zur Intervention mittels Reactions von der Bereitschaft zur Intervention mittels Kommentaren subtrahiert. Die so gewonnene Variable bildet die Tendenz zur Beteiligung mittels einer der beiden Interventionsformen ab, wobei positive Werte eine Bevorzugung von Kommentaren als Mittel der Intervention anzeigen (M = −0,36; SD = 1,01).

Die Operationalisierung der im Theorieteil angenommenen Prädiktoren erfolgte auf Grundlage der oben zitierten Literatur (zur Übersicht der Items siehe Anhang).

Die Aufmerksamkeit gegenüber potenziell unzivilen Online-Diskussionen wurde über die politische Facebook-Nutzung mit vier Items erfasst. Die Teilnehmer*innen sollten angeben, in welchem Maße sie Nachrichten und korrespondierende Nutzerkommentare als Quelle politischer Informationen nutzen (α = 0,78; M = 4,58, SD = 1,01). Die Antworten wurden auf einer sechsstufigen Skala erfasst (1 = nie bis 6 = sehr oft).

Um die Wahrnehmung eines (digitalen) Notfalls zu erfassen, sollten die Teilnehmer*innen angeben, ob sie die Konsequenzen politischer Online-Diskussionen eher als Chance oder als Bedrohung für die Gesellschaft wahrnehmen. Die Einschätzung wurde mittels Schieberegler erfasst (0 = große Chance bis 100 = große Gefahr, M = 66,82; SD = 20,78).

Weiterhin wurden die Teilnehmer*innen gefragt, wen sie für die Intervention in unzivilen Online-Diskussionen verantwortlich halten. Neben der Wahrnehmung der eigenen Verantwortung wurde auch die wahrgenommene Verantwortung anderer Akteure (Medienunternehmen, Facebook, staatliche Akteur*innen) erfragt. Die Befragten sollten für jede/n Akteur*in angeben, inwieweit sie diese*n für verantwortlich halten (1 = ich stimme überhaupt nicht zu bis 5 = ich stimme voll und ganz zu). Anschließend wurde die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung, in unzivile Online-Diskussionen zu intervenieren, in Relation zu anderen potenziell verantwortlichen Akteur*innen gesetzt. Hierzu wurde der Mittelwert der Verantwortungszuschreibung an andere Akteur*innen von der Wahrnehmung der eigenen Verantwortung subtrahiert (M = −0,60; SD = 0,90).

Die Fähigkeit zur Intervention in unzivile Online-Diskussionen wurde zum einen über die Political Self-Efficacy Skala (Beierlein et al. 2014) mit drei Items erfasst (α = 0,72; M = 4,09; SD = 0,72). Drei weitere Items erfassten zudem die schriftsprachliche Kompetenzüberzeugung der Teilnehmer*innen (α = 0,86; M = 4,02; SD = 0,83). Beide Konstrukte wurden auf fünfstufigen Skalen erfasst (1 = ich stimme überhaupt nicht zu bis 5 = ich stimme voll und ganz zu).

Zudem wurden die wahrgenommenen Nutzen und Risiken von Interventionen in unzivile Diskussionen erhoben. In der vorliegenden Studie wurde zwischen gesellschaftlichem und persönlichem Nutzen von Interventionen unterschieden. Zu ersterem gehört die Verbesserung des Diskussionsklimas, die mit vier Items abgefragt wurde (z. B. „Wenn ich mit eigenen Kommentaren in problematischen Online-Diskussionen eingreife, wird die Diskussion weniger einseitig“, α = 0,75; M = 3,95; SD = 0,69). Darüber hinaus wurde die erwartete soziale Anerkennung durch andere Nutzer*innen mittels drei Items erfasst (z. B. „Wenn ich mit eigenen Kommentaren in problematischen Online-Diskussionen eingreife, erhalte ich viele positive Antwort-Kommentare“, α = 0,75; M = 2,84; SD = 0,73). Schließlich wurde das wahrgenommene Risiko, im Falle einer Intervention selbst Opfer von Angriffen anderer Nutzer*innen zu werden, durch zwei Items erfasst (z. B. „Wenn ich mit eigenen Kommentaren in problematische Online-Diskussionen eingreife, beleidigen mich andere Nutzer“, α = 0,87; M = 3,78; SD = 0,91). Alle Konstrukte zu Nutzen und Risiken einer Intervention wurden auf fünfstufigen Skalen (1 = stimme überhaupt nicht zu, 5 = stimme voll und ganz zu) gemessen.

6 Ergebnisse

Alle Analysen wurden mit OLS-Regressionen durchgeführt. Dabei wurden jeweils separate Modelle für die generelle Interventionsbereitschaft sowie für die Bereitschaft zur Intervention mittels Kommentaren und Reactions und der Tendenz zur Intervention mittels Kommentaren (im Vergleich zu Reactions) gerechnet. Neben den aus der Bystander-Forschung abgeleiteten Indikatoren wurden zudem Bildung, Alter und Geschlecht der Befragten kontrolliert, da diese Faktoren auf die digitale Partizipationsbereitschaft wirken können (Lutz et al. 2014).

Die untersuchten Faktoren können 33 % Varianz der generellen Interventionsbereitschaft, 36 % der Varianz der Interventionsbereitschaft mittels Kommentaren, 12 % der Varianz der Interventionsbereitschaft mittels Reactions sowie 19 % der Varianz in der Tendenz zu Kommentaren als präferierte Interventionsform erklären (Tab. 1, Abb. 2). Dabei zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der politischen Facebook-Nutzung und der generellen Interventionsbereitschaft (β = 0,11; p < 0,01). H1 wird angenommen. Während die politische Facebook-Nutzung die Interventionsabsicht mittels Kommentaren steigert (β = 0,12; p < 0,01), besteht mit der Intervention mittels Reactions kein signifikanter Zusammenhang (β = 0,05; p = 0,274). Die wahrgenommene gesellschaftliche Gefahr von Online-Diskussionen hat hingegen weder einen Einfluss auf die generelle Interventionsbereitschaft (β = −0,03; p = 0,460) noch auf die Intervention mittels Kommentaren (β = −0,04; p = 0,198) oder Reactions (β = 0,01; p = 0,763). H2 wird verworfen. H3 wird angenommen, denn Mitglieder, die sich persönlich verantwortlich fühlen, sind generell eher bereit, in unzivile Online-Diskussionen zu intervenieren (β = 0,14; p < 0,001). Dies gilt sowohl für die Intervention mittels Kommentaren (β = 0,13; p < 0,001) als auch mittels Reactions (β = 0,10; p < 0,05) und begünstigt die Tendenz zur Intervention mittels Kommentaren nur marginal (β = 0,07; p = 0,091).

Tab. 1 Einflussfaktoren auf Interventionsbereitschaft in unzivile Online-Diskussionen mittels Kommentaren und Reactions
Abb. 2
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Einflussfaktoren auf Interventionsbereitschaft in unzivilen Online-Diskussionen mittels Kommentaren und Reactions

Das politische Kompetenzempfinden hängt nicht mit der Interventionsbereitschaft zusammen (β = 0,04; p = 0,327). Auch finden sich keine Unterschiede zwischen den Interventionsformen (Kommentare: β = 0,05; p = 0,225; Reactions: β = 0,01; p = 0,816). H4.1 wird verworfen. Zudem hat das politische Kompetenzempfinden auch keinen Einfluss auf die Tendenz, bevorzugt Kommentare zu verfassen (β = 0,04; p = 0,347). H4.2 wird darum ebenfalls verworfen.

Die Ergebnisse verweisen weiterhin auf einen positiven Zusammenhang zwischen schriftsprachlicher Kompetenzüberzeugung und der generellen Interventionsbereitschaft (β = 0,21; p < 0,001). H5.1 wird angenommen. Dies gilt jedoch ausschließlich für die Intervention mittels Kommentaren (β = 0,26; p < 0,001), nicht jedoch für die Beteiligung über Reactions (β = 0,05; p = 0,301). Auch zeigt sich, dass die Tendenz, mittels Kommentaren (und nicht mit Reactions) zu intervenieren, von der wahrgenommenen schriftsprachlichen Kompetenz abhängt (β = 0,23; p < 0,001). H5.2 wird somit ebenfalls angenommen.

Hinsichtlich des erwarteten gesellschaftlichen Nutzens zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen allen Interventionsformen: #ichbinhier-Mitglieder, die davon überzeugt sind, dass ihre Intervention das Diskussionsklima verbessert, sind generell stärker bereit, in unzivile Online-Diskussionen zu intervenieren (β = 0,17; p < 0,01), wobei dies für beide von uns untersuchten Arten der Intervention gleichermaßen gilt (Kommentare: β = 0,14; p < 0,01; Reactions: β = 0,15; p < 0,01; Kommentartendenz: β = 0,04; p = 0,313). H6 wird angenommen. Die Erwartung sozialer Anerkennung durch das Verfassen von Kommentaren hängt ebenfalls positiv mit der generellen Interventionsbereitschaft zusammen (β = 0,13; p < 0,01). H7.1 wird folglich angenommen. Hinsichtlich der verschiedenen Interventionsformen zeigen sich die erwarteten Unterschiede: Nutzer*innen, die soziale Anerkennung mit der Intervention in unzivile Online-Diskussionen durch Kommentare verbinden, sind eher bereit, sich mit Kommentaren (β = 0,18; p < 0,01) zu beteiligen, während zwischen der Erwartung eines persönlichen Nutzens und der Interventionsbereitschaft mittels Reactions kein Zusammenhang besteht (β = 0,00; p = 0,976). #ichbinhier-Mitglieder, die soziale Anerkennung durch die Intervention mittels eigener Kommentare erwarten, tendieren zu dieser Interventionsform (β = 0,19; p < 0,001). Entsprechend wird H7.2 angenommen.

Entgegen unserer Annahme hängt die Erwartung persönlicher Angriffe positiv mit der generellen Interventionsbereitschaft zusammen (β = 0,13; p < 0,001). Dies gilt sowohl für die Intervention mittels Kommentaren (β = 0,12; p < 0,001) als auch Reactions (β = 0,08; p < 0,05). Auch zeigt das vierte Modell einen marginal signifikanten Einfluss der Schadenserwartung auf die Tendenz, mittels Kommentaren zu intervenieren (β = 0,07; p = 0,069). H8.1 und H8.2 werden verworfen.

7 Diskussion

Die Gruppe #ichbinhier hat sich zum Ziel gesetzt, das Klima unziviler Online-Diskussionen mittels koordinierter Intervention zu verbessern. Dabei beteiligen sich nicht alle Mitglieder gleichermaßen aktiv an den Interventionen. Ausgehend von der Überlegung, dass sich unzivile Online-Diskussionen häufig gegen gesellschaftliche Normen oder benachteiligte Gruppen (bspw. Geflüchtete) richten, haben wir diese Diskussionen als interventionsbedürftigen Notfälle konzeptualisiert, die zivilcouragiertes Eingreifen erfordern. Motivierende und hemmende Faktoren für eine Intervention wurden in der Bystander-Forschung identifiziert und wir haben ihren Einfluss auf die Intervention in unzivilen Online-Diskussionen in einer Befragung von aktiven #ichbinhier-Mitgliedern überprüft. Dabei haben wir verschiedene Formen der Intervention (Kommentare und Reactions) berücksichtigt, die sich vor allem hinsichtlich der erforderlichen Kompetenzen und hinsichtlich ihrer möglichen Folgen unterscheiden.

Unsere Befunde verweisen darauf, dass der Bystander-Ansatz nicht nur auf Interventionen in Notfallsituationen im Offline-Kontext anwendbar ist, sondern auch als Erklärungsansatz für die Interventionsbereitschaft in unzivilen Online-Diskussionen fruchtbar ist.

Die Ergebnisse zeigen, dass #ichbinhier-Mitglieder, die Facebook häufiger zu politischen Zwecken nutzen, eher bereit sind, in unzivile Online-Diskussionen zu intervenieren. Wir führen dies insbesondere darauf zurück, dass die häufige politische Nutzung von Facebook – wie das Lesen von Nachrichten und korrespondierenden Kommentaren – die Wahrscheinlichkeit erhöht, mit problematischen Diskussionen in Kontakt zu kommen bzw. diese als Notfallsituationen wahrzunehmen (Bystander-Schritt 1). Zudem kann die häufige Rezeption von Online-Nachrichten der Untersuchungsgruppe die Sensibilität gegenüber Normabweichung erhöhen (Kenski et al. 2017). Alternativ dazu scheint es auch möglich, dass sich die untersuchten Nutzer*innen durch die Rezeption von Nachrichten die zur aktiven Beteiligung notwendigen Kompetenzen wie zum Beispiel politisches Wissen aneignen (Gil de Zúñiga et al. 2014). Für diese Sicht spricht auch, dass der Zusammenhang lediglich zwischen der politischen Facebook-Nutzung und der voraussetzungsvolleren Intervention mittels Kommentaren besteht, während die Beteiligung über Reactions davon losgelöst ist. Andererseits ist es auch möglich, dass Nutzer*innen, die weniger Zeit auf Facebook verbringen, diese Form der Intervention bevorzugen, da sie weniger zeitaufwändig als das Verfassen eigener Kommentare ist.

Zudem finden wir einen positiven Zusammenhang zwischen dem persönlichen Verantwortungsempfinden und der Interventionsbereitschaft (Bystander-Schritt 3). Nutzer*innen, die sich selbst und weniger den Staat, Plattformbetreibende oder andere Nutzer in der Verantwortung sehen, sind eher bereit, mit Kommentaren oder durch die Vergabe von Reactions das Diskussionsklima zu verbessern. Die im Bystander-Ansatz prominente These der Verantwortungsdiffusion (Latané und Nida 1981) scheint also in digitalen Notfallsituationen nicht an Gültigkeit einzubüßen. Appelle an die Eigenverantwortung der Nutzer*innen, selbst für eine Verbesserung des Diskussionsklimas zu sorgen, erscheinen vor diesem Hintergrund ein probates Mittel, um zivilcouragiertes Handeln im Netz zu fördern (ähnlich Naab et al. 2016). Dieses Engagement soll die Regulierung durch Plattformbetreibende sowie die strafrechtliche Verfolgung von Hasskommentaren keinesfalls ersetzen; aber gerade in den „Graubereichen“ der Inzivilität erscheint das komplementäre Engagement der Nutzer*innen eine wünschenswerte Perspektive.

Weiter verweisen die Ergebnisse auf die Bedeutung der eigenen Kompetenzwahrnehmung (Bystander-Schritt 4) bei der Intervention in unzivile Online-Diskussionen und bestätigen damit die Ergebnisse der Bystander-Forschung (Burn 2009). Nutzer*innen greifen insbesondere dann in unzivile Diskussionen ein, wenn sie sich kompetent im Umgang mit Schriftsprache fühlen. Dabei zeigen die Ergebnisse Unterschiede zwischen den verschiedenen Interventionsformen auf. So hängt die Wahrnehmung der schriftsprachlichen Kompetenz mit der Kommentierbereitschaft, nicht aber mit der Vergabe von Reactions zusammen. Demzufolge können Reactions als niedrigschwellige Partizipationsform verstanden werden, die Nutzer*innen mit geringem Kompetenzempfinden die Möglichkeit bieten, in unzivile Online-Diskussionen zu intervenieren, und so eine inklusive Funktion erfüllen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Plattformarchitektur von Facebook, bei der die Priorisierung der Nutzerkommentare auch anhand der erhaltenen Interaktion erfolgt, kann diese Form der Intervention neben ihrer direkten Wirkung auf Kommentarschreiber*innen auch das Rezeptionsverhalten passiver Leser (sog. Lurker) beeinflussen.

Diese Ergebnisse aus der Untersuchung der Gruppe #ichbinhier können folgendermaßen weiter eingeordnet werden: Um die Partizipationsbereitschaft mittels Kommentaren zu fördern, erscheint es sinnvoll, Nutzer*innen zum Einen mit den notwendigen schriftsprachlichen Kompetenzen auszustatten (Achour et al. 2017). Zum Anderen hemmen negative Erfahrungen in der Vergangenheit, sich selbst an Diskussionen zu beteiligen, wohingegen positives Feedback eine zukünftige Beteiligung wahrscheinlicher macht (Gearhart und Zhang 2015). Studien zeigen, dass journalistische Moderation die Unsicherheit von Nutzer*innen reduzieren und deren Beteiligungsbereitschaft erhöhen kann (Wise et al. 2006; Ziegele und Jost 2016). Professionelle Moderator*innen können sowohl unterstützend auf wünschenswerte Kommentare reagieren und damit das Selbstvertrauen der Nutzer*innen stärken als auch jene Nutzer*innen zurechtweisen, die andere beispielsweise für orthographische Fehler oder stilistische Unstimmigkeiten kritisieren.

Die Ergebnisse der Befragung legen nahe, dass die Wiederherstellung kollektiver Normen und Werte im Sinne der Ziele von #ichbinhier auch im Kontext von Online-Kommunikation eine Triebfeder sein kann: Wenn Gruppenmitglieder der Überzeugung sind, mit ihrem Engagement dieses Ziel zu erreichen, steigt ihre Interventionsbereitschaft. Wie auch in anderen sozialen Bewegungen scheint die Aussicht auf Erfolg die Partizipation an koordinierter Gegenrede zu begünstigen (Brunsting und Postmes 2002).

Neben dem kollektiven Nutzen begünstigt auch die Erwartung individueller sozialer Anerkennung die Interventionsbereitschaft (Bystander-Schritt 5; Piliavin et al. 1975). Die Erwartung von unterstützenden Kommentaren, positiven Reactions und die Aussicht auf eine prominente Platzierung des eigenen Kommentars im Diskussionsverlauf motivieren Nutzer*innen, in unzivile Diskussionen einzugreifen. Während die Beteiligung durch Reactions von persönlicher Nutzenerwartung losgelöst ist, bedingen die höhere Sichtbarkeit sowie die Möglichkeit zur Interaktion mit Kommentaren den Zusammenhang zwischen dem erwarteten persönlichen Nutzen sowie der Bereitschaft, selbst Kommentare zu verfassen. Hier kann das unterstützende Engagement von Medienunternehmen ebenfalls ansetzen: Lobende Moderationskommentare zu wünschenswerten Nutzerkommentare können für Nutzer*innen eine zusätzliche Quelle sozialer Wertschätzung sein (Ziegele et al. 2018a) und sorgen zudem für eine prominentere Platzierung des Kommentars. Die Möglichkeit, von professionellen Moderator*innen positiv hervorgehoben zu werden, könnte auch für bisher weniger aktive Nutzer*innen ein Ansporn sein, sich zukünftig stärker mit konstruktiven Kommentaren in Diskussionen einzubringen.

Schließlich birgt die vorliegende Studie unerwartete Ergebnisse. So hängt die Erwartung, bei einer Intervention selbst Opfer von unzivilen Angriffen anderer Nutzer*innen zu werden, positiv mit der Interventionsbereitschaft zusammen. Ähnliche Befunde liegen auch für die generelle Beteiligung in Online-Diskussionen vor (Gearhart und Zhang 2015). Wir vermuten hier ein Problem der Kausalität: Möglicherweise erwarten Nutzer*innen vermehrt negative soziale Konsequenzen, weil sie häufiger in unzivile Online-Diskussionen intervenieren und ihre Kommentare in der Vergangenheit bereits negatives Feedback erhalten haben. Diesen Zusammenhang finden wir – in abgeschwächter Form – auch für die Beteiligung mittels Reactions. Möglicherweise haben Nutzer*innen, die regelmäßig negative Reactions auf unzivile Kommentare vergeben, bereits die Erfahrung gemacht, dass ihnen die Verfasser*innen dieser Kommentare über private Kommunikationswege (z. B. Messenger) abwertende oder bösartige Nachrichten schicken.

Um die Frage der Kausalrichtung beantworten zu können, sollten zukünftige Studien im Längsschnitt angelegt werden oder experimentelle Designs verwenden. Eine experimentelle Variation könnte auch den möglichen Einfluss situativer Faktoren (bspw. Zeitdruck) und anderen Randbedingungen (bspw. Themen-Involvement) in spezifischen Interventionssituationen testen. Auch könnten solche Studien Aufschluss geben, welche spezifischen Formen der Inzivilität letztlich den Ausschlag für eine Intervention geben (vgl. z. B. Kalch und Naab 2017). Die Erfassung solcher Randbedingungen hätte den Bogen der hypothetischen Abfrage der Interventionsbereitschaft in der vorliegenden Studie überspannt. Gleichwohl bergen solche Experimente Nachteile: So mindert die künstliche Rezeptionssituation die externe Validität und die Zahl der Versuchsteilnehmer*innen begrenzt die Variationsmöglichkeiten. Die Untersuchung mittels Experience Sampling scheint hierbei eine vielversprechende, wenngleich auch forschungsökonomisch aufwendige Alternative.

Zudem finden wir in unserer Studie nicht den von der Bystander-Forschung nahegelegten Effekt der Wahrnehmung eines Notfalls auf die Interventionsbereitschaft (Bystander-Schritt 2). Auch dieser Befund könnte der eher abstrakten Operationalisierung der Wahrnehmung von Online-Diskussionen als Gefahr für die Gesellschaft geschuldet sein. Diese allgemeine Form der Abfrage lässt offen, ob und auf welcher Ebene die Befragten die Gefahr von Online-Diskussionen verorten. Um dieser Unschärfe zu begegnen, könnten in Zukunft konkretere Dimensionen der Wahrnehmung als Notfall (bspw. Schaden für Opfer unziviler Onlinekommentare) abgefragt werden. Außerdem könnten in Experimentalstudien eine potenzielle Interventionssituation simuliert werden. So könnten Proband*innen unzivile Diskussionen vorgelegt und deren Wahrnehmung als Notfall abgefragt werden, um schließlich den Einfluss dieser Wahrnehmung auf die Eingriffsbereitschaft zu ermitteln.

Außerdem wurde die Beteiligungsbereitschaft hypothetisch abgefragt. Obwohl es guten Grund zu der Annahme gibt, dass Verhaltensintention und tatsächliches Verhalten miteinander korrelieren, könnten die oben aufgeführten Vorschläge für weitere Untersuchungen auch diesem Problem gerecht werden. Weiterhin finden wir keinen Effekt der politischen Kompetenzwahrnehmung auf die Interventionsbereitschaft. Ein Grund hierfür kann die recht allgemeine Abfrage politischen Kompetenzempfindens sein. Zukünftige Studien könnten hier spezifischere Abfragen bemühen, die sich stärker an den spezifischen Erfordernissen in Diskussionen in sozialen Medien orientieren.

Generell sollten die Ergebnisse, wie in der Einleitung beschrieben, vor dem Hintergrund der spezifischen Stichprobe interpretiert werden. Mitglieder von #ichbinhier weisen möglicherweise – qua Gruppenzugehörigkeit – ein höheres Maß an Sensibilität für Inzivilität in Online-Diskussionen auf und werden zudem im Rahmen ihrer Mitgliedschaft häufiger auf problematische Inhalt hingewiesen und letztlich zur Beteiligung an kollektiven Interventionen animiert. Zukünftige Studien könnten auf repräsentative Samples zurückgreifen und so die Verallgemeinerbarkeit der hier vorliegenden Befunde überprüfen. Darüber hinaus sollten die Befunde vor dem Hintergrund der Plattformspezifika von Facebook interpretiert werden. Zum einen unterscheiden sich verschiedene Social-Media-Plattformen hinsichtlich der Architektur ihrer Kommentarspalten oder der Anonymität der Nutzer*innen (Esau et al. 2017). So könnte die Sortierung der Kommentare nach der Anzahl der Interaktionen dazu führen, dass insbesondere auf Facebook die soziale Anerkennung durch Reactions und Antwort-Kommentare von anderen Nutzern eine größere Rolle bei der Interventionsentscheidung spielt als auf anderen Plattformen. Zudem könnten die ausdifferenzierten Reactions auf Facebook im Vergleich zu anderen Plattformen eine höhere Interventionsbereitschaft mittels Click-Speech fördern. Auch unterscheiden sich Online-Partizipationsbereitschaft sowie deren Motive und Formen zwischen verschiedenen Plattformen und Kulturen (Grace-Farfaglia et al. 2006). Entsprechend könnte weitere Forschung die Interventionsbereitschaft in unzivile Onlinediskussionen auf anderen Plattformen sowie kulturvergleichend untersuchen.

Trotz der dargelegten Einschränkungen zeigt die vorliegende Studie, dass der Bystander-Ansatz durchaus geeignet ist, um nicht nur zivilcouragiertes Eingreifen in unmittelbare Notfallsituation zu erklären, sondern auch die Intervention in weniger offensichtliche Situationen, in denen im Internet gesellschaftliche Normen und Werte verletzt oder Gruppen ausgegrenzt und stigmatisiert werden. Die Ergebnisse verweisen auf Faktoren, an denen zukünftig angesetzt werden kann, um mehr Menschen für niedrig- und höherschwellige Formen zivilgesellschaftlichen Engagements (Click-Speech und Gegenrede) in Online-Diskussionen zu mobilisieren. Es bleibt zu hoffen, dass Online-Diskussionen durch ein solches Engagement dann tatsächlich zu konstruktiveren Foren des politischen Diskurses und der Meinungsbildung werden.