Skip to main content
Log in

»Siehe da, es gab Ermessensspielräume«. Argumentatives Erzählen – Erzählendes Argumentieren

»Behold, there was a margin for discretion«. Argumentative Narrating – Narrative Reasoning

  • Themenbeitrag
  • Published:
Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Dieser Aufsatz fragt, was Argumentieren durch Erzählen ausmacht. Dazu wird in einem ersten Schritt ein Überblick über die Ansätze zur Verbindung von Narration und Argumentation gegeben. In einem zweiten Schritt wird dann am Beispiel der Aussage Ludger Volmers vor dem Visa-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages im Jahr 2005 ein Fall argumentativen Erzählens genauer untersucht. Auf Grundlage dieser Analyse wird abschließend die Frage nach dem Verhältnis von Faktualität und Fiktionalität der argumentativ genutzten Narrationen und ihrer Abhängigkeit von verschiedenen Argumentationsfeldern diskutiert.

Abstract

This paper investigates the characteristics of argumentation through narration. In a first step I shall give an overview about the interrelation between narration and argumentation, followed in the second step by an analysis of the testimony given by Ludger Volmer in front of a commission for inquiry of the German Bundestag in 2005. Based on this analysis I shall discuss the relation of factuality and fictionality in argumentative narrations in different argumentation fields.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Notes

  1. Ich bedanke mich herzlich bei den Teilnehmer*innen des Workshops ›Argumentation – Narration – Persuasion‹ im November 2015 in Marburg für die anregende Diskussion und Kritik.

  2. Einzelne allgemeine Ausführungen zur Verbindung von Argumentation und Narration finden sich in einer früheren Form auch in Hannken-Illjes 2018.

  3. Zum Verhältnis von Narration und Persuasion verweise ich auf den Aufsatz von Dietmar Till in diesem Band.

  4. Auch Dissens ist keine dichotome, sondern eine graduelle Kategorie. Diese Ausführungen würden hier aber zu weit führen, vgl. Hannken-Illjes/Bose 2018.

  5. Diese Feststellung ist allerdings dahingehend verkürzt, dass sie einen der interessantesten Bereiche der Narrationsforschung außen vor lässt: Die Frage nach den Abstraktionsstufen, auf denen von Narration gesprochen werden kann, von master narratives, über das Konzept der kognitiven Geschichte und der strukturell geschlossenen Einzel- oder Mikroerzählung bis hin zu kleinen Geschichten oder Geschichten-in-Interaktion, die wiederum auf abstraktere Ebenen zurückverweisen. Interessant sind hier vor allem die Arbeiten zu small stories (vgl. Bamberg/Georgakopoulou 2008; Georgakopoulou 2006) als Narrationen, die eher als Fragmente erscheinen und aufgerufen werden, statt vollkommen ›auserzählt‹ zu werden (vgl. auch Hannken-Illjes 2018).

  6. Das Verhältnis von Erzählen und Argumentieren wird hier als ein argumentationswissenschaftliches gerahmt. Damit war die leitende Fragestellung: Unter welchen Bedingungen können bestimmte narrative Formen eine argumentative Funktion haben. Die Verbindung von Narration und Argumentation umfasst aber auch die Frage nach der argumentativen Struktur von Narrationen. So stellt Carranza (2015) einen Ansatz vor, der das Verhältnis von Argumentation und Narration in beiderlei Hinsicht untersucht: Narrationen als Argumentation und die argumentative Struktur von Narrationen. Dabei scheint für sie der Begriff der argumentativity leitend zu sein, der, ähnlich der Narrativität, Texten verschiedene argumentative Kraft zuordnet. »Argumentativity is a question of degree, and that manifestations of the argumentative mode of discourse can be examined both at the level of the genre and at the level of the textual surface« (Carranza 2015, S. 58). Diese Ambiguität wird auch deutlich in der Zuweisung der Erzählpositionen: Indem Carranza (2015) die Person, die die Geschichte in einer aktuellen, realen Situation erzählt, als storyteller benennt (S. 61), setzt sie ihn vom narrator, der Erzähler*innenstimme im Text ab. Auch Opponent und Proponent – terminologisch aus der Pragmalinguistik entnommen – sind Figuren im Text, keine sozialen Akteure.

  7. Relevant wäre in diesem Zusammenhang auch das Forschungsinteresse unter der Überschrift »Law as Literature«. Dies würde leider den Rahmen des Aufsatzes sprengen. Ich verweise aber auf Lachenmaier (2008).

  8. Das Projekt mit dem Titel »Vergleichende Ethnographie von Strafverfahren« wurde von einer Emmy-Noether-Gruppe unter der Leitung von Thomas Scheffer von 2003 bis 2007 durchgeführt. Vgl. auch Scheffer/Hannken-Illjes/Kozin 2010.

  9. Der stenographische Bericht entspricht nicht immer dem gesprochenen Wort. Wo dies für die Analyse relevant ist, habe ich es vermerkt.

  10. Nach Hoffmann (1980), der sich zu den Registern des Berichtens und Erzählens äußert, ist der Bericht gekennzeichnet durch Operatoren, die die Faktizität der Äußerungen betonen.

Literatur

  • [Anaximenes:] Aristoteles: Rhetorik an Alexander. Übersetzt von Paul Gohlke. Paderborn 1959.

  • Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt von Christoph Rapp. Hg. von Hellmut Flashar. 2 Bde. Berlin 2002.

  • Arnauld, Andreas von: »Was war, was ist – und was sein soll. Erzählen im juristischen Diskurs«. In: Klein/Matínez (Hg.): Wirklichkeitserzählungen, S. 14–50.

  • Bamberg, Michael: »Positioning Between Structure and Performance«. In: Narrative and Life History 7 (1997), S. 335–342.

    Article  Google Scholar 

  • Bamberg, Michael/Georgakopoulou, Alexandra: »Small Stories as a New Perspective in Narrative and Identity Analysis«. In: Text & Talk 28/3 (2008), S. 377–396.

    Article  Google Scholar 

  • Brinker, Klaus et al. (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd. Berlin/New York 2008.

  • Brinker, Klaus/Sager, Sven F.: Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung. Berlin 2000.

  • Carranza, Isolda E.: »Narrating and Arguing. From Plausibility to Local Moves«. In: Anna da Fina/Alexandra Georgakopoulou (Hg): The Handbook of Narrative Analysis. Chichester 2015, S. 57–75.

  • Deppermann, Arnulf/Lucius-Hoene, Gabriele: »Argumentatives Erzählen«. In: Arnulf Deppermann/Martin Hartung (Hg.): Argumentieren in Gesprächen. Tübingen 2003, S. 130–144.

  • Deutscher Bundestag: Stenographischer Bericht des Bundestages vom 2. Untersuchungsausschuss der 15. Wahlperiode, 18. Sitzung am 21.4.2005.

    Google Scholar 

  • Eggs, Ekkehard: »Vertextungsmuster Argumentation: Logische Grundlagen«. In: Klaus Brinker et al. (Hg.): Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, S. 397–414.

  • Fisher, Walter: Human Communication as Narration. Toward a Philosophy of Reason, Value, and Action. Columbia 1987.

  • Georgakopoulou, Alexandra: »The Other Side of the Story: Towards a Narrative Analysis of Narratives-in-interaction«. In: Discourse Studies 8/2 (2006), S. 235–257.

    Article  Google Scholar 

  • Gilbert, Michael A.: Coalescent Argumentation. Mahwah 1997.

  • Govier, Trudy/Ayers, Lowell: »Logic and Parables: Do These Narratives Provide Arguments?« In: Informal Logic 32/2 (2012), S. 161–189.

    Article  Google Scholar 

  • Gülich, Elisabeth/Hausendorf, Heiko: »Vertextungsmuster: Narration«. In: Klaus Brinker et al. (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik, S. 369–385.

  • Hannken-Illjes, Kati: »Mit Geschichten argumentieren. Narration und Argumentation im Strafverfahren«. In: Zeitschrift für Rechtssoziologie 27/2 (2006), S. 211–223.

    Article  Google Scholar 

  • Hannken-Illjes, Kati/Bose, Ines: »Establishing Validity Among Pre-School Children«. In: Argumentation in Context 7/1 (2018), S. 1–17.

    Article  Google Scholar 

  • Hannken-Illjes, Kati: Argumentation. Einführung in die Theorie und Analyse der Argumentation. Tübingen 2018.

  • Hannken-Illjes, Kati: »Undoing Premises. The Interrelation of Argumentation and Narration in Criminal Proceedings«. In: Frans van Eemeren/J. Anthony Blair/Charles Willard (Hg.): Proceedings of the Sixth International Conference on Argumentation. Amsterdam 2007, S. 569–574.

  • Hannken-Illjes, Kati: »›Es geht darum, was Sie hier sagen‹. Wiedererzählen im Straffall«. In: Elisabeth Gülich et al. (Hg.): Wiedererzählen. Formen und Funktionen einer kulturellen Praxis. Bielefeld 2015, S. 295–316.

  • Harder, Matthias: Art. »Fiktion/Fiktiv«. In: Achim Trebeß (Hg.): Metzler Lexikon Ästhetik. Stuttgart 2006, S. 107–110.

  • Hoffmann, Ludger: »Zur Dogmatik von Erzählformen vor Gericht«. In: Konrad Ehlich (Hg.): Erzählen im Alltag. Frankfurt a.M. 1980, S. 28–63.

  • Hübner, Gert: »Überzeugen«. In: Matías Martínez (Hg.): Erzählen. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2017, S. 286–293.

  • Kienpointner, Manfred: Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern. Stuttgart 1992.

  • Klein, Wolfgang: »Argumentation und Argument«. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 10, 38/39 (1980), S. 9–57.

    Google Scholar 

  • Klein, Christian/Martínez, Matías (Hg.): Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens. Stuttgart/Weimar 2009.

  • Klein, Christian/Martínez, Matías: »Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens«. In: Dies. (Hg.): Wirklichkeitserzählungen, S. 1–13.

  • Klepper, Martin: »Rethinking Narrative Identity. Persona and Perspective«. In: Claudia Holler/Martin Klepper (Hg.): Rethinking Narrative Identity. Persona and Perspective. Amsterdam/Philadelphia 2013, S. 1–31.

  • Knape, Joachim: Art. »Narratio«. In: HWRh 6 (2003), Sp. 98–106.

    Google Scholar 

  • Korsten, Frans-Willem: The Wisdom Brokers. Narrative’s Interaction with Arguments in Cultural Critical Texts. Amsterdam 1998.

  • Kvernbekk, Tone: »Narratives as Informal Arguments«. In: OSSA Conference Archive, 65, 2003, o.S.

    Google Scholar 

  • Lachenmaier, Birgit M.: Die Law as Literature-Bewegung: Entstehung, Entwicklung und Nutzen. Berlin 2008.

  • Lagoni, Frederike. Fiktionales versus faktuales Erzählen fremden Bewusstseins. Berlin 2016.

  • Langsdorf, Lenore: »How Narrative Argumentation Works: An Analysis of Argumentation Aimed at Reconsidering Goals«. In: Frans van Eemeren et al. (Hg.): Anyone who has a View. Dordrecht/Boston 2003, S. 337–346.

  • Lo Cascio, Enzo: »On the Relationship between Argumentation and Narration: A Linguistic Model«. In: Frans H. van Eemeren/J. Anthony Blair/Charles A. Willard/A. Francisca Snoeck Henkemans (Hg.): Proceedings of the Fifth Conference of the International Society for the Study of Argumentation. Amsterdam 2003, S. 685–690.

  • Lucius-Hoene, Gabriele/Deppermann, Arnulf: Rekonstruktion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews. Opladen 2002.

  • Lynch, Michael/Bogen, David: The Spectacle of History. Speech, Text, and Memory in the Iran-Contra Hearings. Durham u. a. 1996.

  • MacIntyre, Alasdair: After Virtue: A Study in Moral Theory. London 1981.

  • O’Keefe, Daniel J.: »Two Concepts of Argument«. In: The Journal of the American Forensic Association 13/3 (1977), S. 121–128.

    Google Scholar 

  • Olmos, Paula: »On Thought Experiments and Other Narratives in Scientific Argument«. In: Dies. (Hg.): Narration as Argument. Cham 2017, S. 193–213.

  • Perelman, Chaim/Olbrechts-Tyteca, Lucie: Die neue Rhetorik. 2 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt 2004.

  • Plantin, Christian: Dictionary of Argumentation. An Introduction to Argumentation Studies. Milton Keynes 2018.

  • Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners. Hg. und übersetzt von Helmut Rahn. Darmstadt 2011.

  • Schaal, Gary S.: »Narrationen in der Politik«. In: Klein/Martínez (Hg.): Wirklichkeitserzählungen, S. 217–228.

  • Schank, Jan/Michaeler, Matthias /Scheffer, Thomas: »Procedure Weak or Strong. Understanding the Limits of Political Inquiries«. In: European Journal of Sociology 51/1 (2010), S. 93–128.

    Article  Google Scholar 

  • Scheffer, Thomas/Hannken-Illjes, Kati/Kozin, Alexander: Criminal Defense and Procedure. Comparative Ethnographies in the United Kingdom, Germany, and the United States. Basingstoke 2010.

  • Schütze, Fritz: »Kognitive Figuren des autobiographischen Stegreiferzählens«. In: Martin Kohli/Robert Günther (Hg.): Biographie und soziale Wirklichkeit: Neue Beiträge und Forschungsperspektiven. Stuttgart 1984, S. 78–117.

  • Spiegel, Carmen: »›zum beispiel gibt es ja leute …‹ Das Beispiel in der Argumentation Jugendlicher«. In: Arnulf Deppermann/Martin Hartung (Hg.): Argumentieren in Gesprächen. Gesprächsanalytische Studien. Tübingen 2003, S. 111–129.

  • Tindale, Christopher: »Narratives and the Concept of Argument«. In: Paula Olmos (Hg.): Narration as Argument. Cham 2017, S. 11–30.

  • Toker, Leona: »The Sample Convention, or, When Fictionalized Narratives Can Double as Historical Testimony«. In: Paula Olmos (Hg.): Narration as Argument. Cham 2017, S. 123–140.

  • Toulmin, Stephen: The Uses of Argument. Cambridge 2003.

  • Van Eemeren, Frans H. et al. (Hg.): Handbook of Argumentation Theory. Dordrecht 2014.

  • Viehweg, Theodor: Topik und Jurisprudenz. München 1953.

  • Wallace, Karl: »The Substance of Rhetoric: Good Reasons«. In: Quarterly Journal of Speech 49/3 (1963), S. 239–249.

    Article  Google Scholar 

  • White, Hayden: Metahistory. The Historical Imagination in nineteenth-century Europe. Baltimore 1973.

  • White, James Boyd: »Rhetoric and Law. The Arts of Cultural and Communal Life«. In: John S. Nelson/Allan Megill/Donald N. McCloskey (Hg.): The Rhetoric of Human Sciences. Language and Argument in Scholarship and Public Affairs. Madison 1987, S. 298–318.

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Kati Hannken-Illjes.

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this article

Hannken-Illjes, K. »Siehe da, es gab Ermessensspielräume«. Argumentatives Erzählen – Erzählendes Argumentieren. Z Literaturwiss Linguistik 49, 29–49 (2019). https://doi.org/10.1007/s41244-019-00122-6

Download citation

  • Published:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/s41244-019-00122-6

Schlüsselwörter

Keywords

Navigation