1 Einleitung

Textlinguistische Analysen befassen sich zumeist mit Gebrauchs- und Alltagstexten, wenngleich es auch Untersuchungen gibt, die aus linguistischer Perspektive ästhetisch-literarische Texte zum Analysegegenstand haben (vgl. hier vor allem die Arbeiten von Betten 2011, 2013; Wörgötter 2016; Weidacher 2002; Betten/Schiewe 2011; Ronge/Spieß 2011; Redder 2011; Betten/Fix/Wanning 2017; Fix 2003, 2007; Schwitalla 2003), doch stellen solche Untersuchungen im Vergleich zu Gebrauchs- und Alltagstextanalysen nicht die Mehrheit textlinguistischer Gegenstände dar. Wenn ästhetische Texte Objekte textlinguistischer Untersuchungen sind, so werden sie dabei grundsätzlich als Teil des kommunikativen Haushalts einer Gesellschaft betrachtet, der zu einem nicht unerheblichen Anteil durch kommunikative Praktiken in Form von Texten oder kommunikativen Gattungen organisiert ist; im Anschluss an Luckmann (vgl. Luckmann 1986, 1988; vgl. Günthner/Knoblauch 1994) sind kommunikative Gattungen/Texte als Lösungsmöglichkeiten kommunikativer Aufgaben aufzufassen, die sich als sedimentierte Muster sprachlich manifestieren. Literarisch-ästhetische Kommunikation wird damit als eine gesellschaftliche Praxis konstituiert. Als kommunikative Praktiken mit spezifisch ästhetischer Funktion stehen sie damit gleichwertig neben Texten beziehungsweise kommunikativen Gattungen anderer Kommunikationsbereiche.

Aus einer solchen Perspektive soll im Folgenden der von der Literaturkritik als hermetisch attribuierte Prosatext »Drei, vier Töne, nicht mehr. Elf Rufe« von Andrea Winkler (2010) analysiert werden. Ziel der Analyse ist es zu zeigen, dass ein textlinguistischer Zugriff einen Zugang (neben vielen anderen) zum Textsinn darstellen kann, ohne dabei aber ein Qualitätsurteil über den vorliegenden Text abzugeben. Vielmehr besteht die Aufgabe darin, Strukturen und Konstruktionsprinzipien des Textes offenzulegen. Mit Schrodt (2000, 323) lässt sich in diesem Zusammenhang festhalten, dass »die Textlinguistik […] nur die Kategorien bereit[stellt], die in Texten vorhanden sind beziehungsweise aus denen sich Texte konstituieren, ebenso wie die allgemeinen grammatischen Kategorien, aus denen sich die Grammatik einer Einzelsprache aufbaut. Erst aus der konkreten Aktualisierung dieser Kategorien lassen sich Hinweise auf Sinnerschließung von Texten ableiten.« Ausgangspunkt für den textlinguistischen Zugriff bildet demzufolge zunächst die sprachliche Oberfläche, über die schlussendlich semantische und funktionale Strukturen des Textes erschlossen werden.

2 Kritische Stimmen zum Text – eine Annäherung

Mit einem aus dem Prosatext »Drei, vier Töne, nicht mehr. Elf Rufe« stammenden Textauszug erregte die Autorin Andrea Winkler (2010) erste öffentliche Aufmerksamkeit, als sie diesen Text beim Bachmann-Wettbewerb 2009 unter dem Titel »Aus dem Gras« präsentierte (vgl. Bachmannpreis 2016). Urteile der sich anschließenden KritikFootnote 1 lauteten unter anderem wie folgt:

(1) Bei der Lektüre von Andrea Winklers neuem Prosaband wird man an einen Satz erinnert, den Robert Musil über seinen Mann ohne Eigenschaften geäußert hat: ›Die Geschichte dieses Buches läuft darauf hinaus, dass die Geschichte, die in ihm erzählt werden soll, nicht erzählt wird.‹ (Streitler-Kastberger 2010)

(2) Dann erteilte Clarissa Stadler Ijoma Mangold das Wort – der sich darüber ganz unglücklich zeigte: ›Ich hatte so gehofft als letzter dran zu kommen, damit mir meine Kollegen erklären, worum es in diesem Text geht‹. Außer dem Satz ›Meine Hand, meine ausgesprochen wirkliche Hand‹ habe ich nichts verstanden, ätzte der Juror. ›Der Text arbeitet mit einer Fülle von Motiven, deren akustisches Auftauchen ich zur Kenntnis genommen habe – mehr aber auch nicht.‹ (Frank 2013)

(3) ›Ich bin auch überhaupt nicht glücklich mit diesem Text‹, begann Meike Feßmann. ›Die Bewegung des Textes erzeugt erst das Sujet, wobei man lange nicht weiß, worum es geht‹. Es gehe um die Sprache selbst, deren Inszenierung, aber ›ich sehe eigentlich keinen Sinn darin, der Allmachtsfantasie eines anderen Menschen zuzuschauen‹. Es gehe offenbar um eine Liebesverletzung, der durch das Ich ›hinterher geschrieben‹ werde. Problematisch dabei: ›Das fröhliche Spiel mit den Worten macht den Leser zum Trüffelschwein, der jedem Wort hinterher schnüffeln soll‹ – Winklers Text, eine ›echte Nötigung‹. (Bachmannpreis 2016)

(4) Der Text ›Aus dem Gras‹ von Andrea Winkler ist eine hochartifiziell verrätselte Erzählung, die viele Interpretationen zulässt. Es ist ein enorm lyrischer Text über eine Frau, die anscheinend nach einem Unfall behindert ist. Es geht um Verlust, Verrat und Angst, aber auch um Körperlichkeit und Sehnsucht. Einigen Juroren war der Text viel zu selbstbezogen, wie etwa Juryvorsitzendem Burkhard Spinnen. Karin Fleischanderl wieder meinte, Winkler dampfe die Literatur auf ihr Wesentliches ein, der Text habe eine große Musikalität. (Ohne Autor 2009a)

(5) Der Grad der Hermetik Winklers sei aber für ihn zu hoch. Diese Art der Literatur müsse aber trotzdem weiter verbleiben, in ökonomisierten Zeiten sei dies ohnehin schwierig. Jandl bezeichnete es als bravourösen Text der Selbstvergessenheit, der mit Bildern arbeite, die sich zu Poesie fügten: ›Es ist keine Beschreibung von Wirklichkeit, sondern eine Erfindung von Wirklichkeit.‹ Hildegard Keller gestand Verwirrung ein. Sulzer meinte, ›mich geht das alles eigentlich gar nichts an‹. (Ohne Autor 2009b)

Betrachtet man die feuilletonistische LiteraturkritikFootnote 2, so ist eine Zweiteilung zu konstatieren. Diejenigen, die eine inhaltliche Perspektive von Literatur im Sinne einer narrativen Erzählung erwarten beziehungsweise einer solchen den Vorzug geben, stehen dem Text ablehnend gegenüber und attribuieren ihn als ohne Sinn, verschlossen, unverständlich, hochartifiziell, verwirrend oder gar hermetisch (vgl. Belege 1‑5). Diejenigen, die den Formaspekt von Literatur wertschätzen, sehen den Text als »bravouröses« Sprachexperiment und bewerten ihn positiv (vgl. Beleg 5).

Ein Konsens ist jedoch im Hinblick auf ein zentrales Thema des Textes auszumachen, nämlich im Hinblick auf die Hervorhebung der Reflexion und Kritik von Sprache sowie auf das Spiel mit Sprache als zentraler Gegenstand des Textes, wobei die Sprache zugleich Rätsel aufgibt und die konventionelle Semantik der sprachlichen Aussagen aufgelöst beziehungsweise verschoben zu sein scheint (vgl. hierzu auch Renöckl 2010). Begründet wird dies durch den Erzählgegenstand selbst sowie durch die formale, sprachliche Gestaltung desselben. Die Stellungnahmen der feuilletonistischen Literaturkritik lassen erkennen, dass die Leseerwartung auf einen narrativen Text zielt, der allerdings die Erwartungen nicht erfüllt, denn es handelt sich um eine Geschichte, »die nicht erzählt wird« (Beleg 1), aber mit der Erwartung einer narrativen Erzählung spielt.

Betten (2011) konstatiert, dass einige Formen der gegenwärtigen österreichischen Literatur durch ihre Konzentration auf Sprache, insbesondere durch eine spezifische Reflexion und Thematisierung von Sprachlichkeit geprägt sind. Diese Fokussierung auf Sprache ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die Möglichkeit der in und durch Sprache getätigten Sinnsetzung kritisiert oder gar in Frage gestellt wird (vgl. Betten 2011; vgl. Kahrs 2000), unter anderem durch Formen hermetischen, experimentellen oder sprachthematisierenden Schreibens. Zu österreichischen Autorinnen und Autoren einer solchen Konzentration auf und Thematisierung von Sprache zählen unter anderem Peter Handke, Friederike Mayröcker, Thomas Bernhard (vgl. Kahrs 2000, 9 ff.), Josef Winkler, Elfriede Jelinek oder Ernst Jandl (vgl. Schmidt-Dengler 1995). Die Thematisierung von Sprache in der gegenwärtigen Literatur beziehungsweise in der Literatur nach 1960 steht in einer Tradition, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Begriff der Sprachkrise oder Sprachskepsis in Verbindung gebracht wird und zu deren Vertretern unter anderem Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Stefan George oder Karl Kraus zu zählen sind.Footnote 3 Diese spezielle Form von Sprachkritik und Sprachreflexion findet ihre philosophische Begründung in je unterschiedlicher Art und Weise in den theoretischen Ausführungen von Wittgenstein, Nietzsche oder Mauthner (vgl. hierzu Schiewe 1998; vgl. Kilian/Niehr/Schiewe 2010). Auch in Andrea Winklers Prosa lassen sich Motive dieser Form von Sprachkritik und Sprachskepsis finden (vgl. Abschn. 4.5 dieses Beitrags). Ihre Texte sind geprägt durch sprachexperimentelles Schreiben, das Sprache als Sinninstanz thematisiert, kritisch reflektiert und letztlich infrage stellt.Footnote 4 Ihre Texte sind dem Rezipienten nicht sofort zugänglich. Eine leicht zugängliche konsistente und kohärente Bedeutungsentfaltung des Erzählten (unter anderem in der Form einer inhaltlich dominierten Narration oder eines Plots) ist bei Winklers Prosa nicht vorgesehen, der Sinnzusammenhang des Textes muss vielmehr erarbeitet werden. Das experimentelle Schreiben Winklers spielt dabei mit den verschiedenen Sprachebenen; Sprache wird auf sich selbst zurückgeführt und reflektiert, unter anderem dadurch, dass Bedeutungen dekonstruiert werden, indem Ausdrücke ihrer konventionellen Kontexte enthoben und in neue Kontexte gestellt werden oder aufgrund der Verwendung spezifischer syntaktischer Strukturen (Ellipsen, Häufung von Futur II), die aus normgrammatischer Perspektive nicht schlüssig sind. Dadurch sperren sich die Texte Winklers gegen eindeutige Bedeutungszuweisungen und Bedeutungsfestsetzungen.

Vom Alltagssprachgebrauch ausgehend weist die sprachliche Form des hier untersuchten Prosatextes »Drei, vier Töne, nicht mehr. Elf Rufe« Unschlüssigkeiten, Inkonsistenzen, Inkohärenzen und Inkongruenzen auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen auf, die nicht ohne Weiteres aufzulösen sind. In diesem Zusammenhang ist auch die Metapher der Literaturkritikerin Meike Feßmann vom »Leser als Trüffelschwein« zu sehen, die besagt, dass die verborgene Bedeutung von Wörtern, die Sinnoption des Textes erst mühsam gesucht werden müsse (siehe oben). Die sprachliche Gestalt des Textes kann dabei als Schlüssel zum Textsinn angesehen werden, denn es gibt innerhalb des Textes sprachliche Verweise, die auf einen zunächst nicht offensichtlichen Sinnzusammenhang verweisen.

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass mit Hilfe eines linguistischen Mehrebenenmodells ein Zugang zum Textverständnis möglich ist. Das Analysemodell umfasst unterschiedliche linguistische Untersuchungsdimensionen, die sich auf verschiedene sprachstrukturelle Ebenen beziehen. So bildet die formale Dimension den Ausgangspunkt der Untersuchung und nimmt davon ausgehend die semantische und funktionale Dimension des Textes in den Blick, indem sprachliche Phänomene, die auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen angesiedelt sind, beschrieben werden. In Abschn. 3 werden die Dimensionen kurz vorgestellt. Abschn. 4 geht vor dem Hintergrund der vier Dimensionen auf verschiedene sprachliche Phänomene genauer ein. Abschn. 5 beschließt mit einem Fazit den Beitrag.

3 Der (text)linguistische Zugang zum Text

3.1 Der Text als Kommunikationsangebot

Nach einer ersten Lektüre lässt sich die Erzählweise Winklers als diskontinuierlich beschreiben, es kommen häufig Wiederholungen sowie referenzbedingte semantische Unbestimmtheiten vor (siehe unten). So werden nicht selten Zusammenhänge zwischen Erfahrungen, Dingen etc., die logisch nicht zusammenzubringen sind, hergestellt. Unter anderem wird die als real erscheinende Welt innerhalb des Textes mit Fantasievorstellungen der erzählenden Instanz gemischt, was eine gewisse Inkonsistenz in logischer Hinsicht begründet.

Das wiederholte Konstatieren von nicht zueinander passenden Beschreibungen von Wahrnehmungen, Ereignissen, Gegenständen, Zeitfolgen etc. führt dazu, dass der Text als hermetisch, disparat, zumindest aber als schwer zugänglich und als einem eigenen, nichtkonventionellen Code folgend, empfunden wird. Folgende Textauszüge geben einen Eindruck des Hermetischen und Disparaten wieder:

(6) Dass ich gekommen bin, der Wind durch die Vorhänge strich, Sie mich erwartet haben, ohne mich erwartet zu haben, all das ist vorbei. (S. 14–15)

(7) Und mein Zelt, die Lücke im Zaun für die Figur aus Wind, die Bewegung, die überallhin will, dürfen die auch mit? Für die Befugten, nicht wahr, die Befugten, wenn sie abends eintreten und um den Tisch herum sitzen und mit den Fingern trommeln und ich aufstehe und zum Fenster gehe. Wirklich, sage ich dann, wie wahr Sie sich alle über den Verkehr äußern, der durch die Wasser zischt. Und erst über die Türme und Brücken. Welch Irrtum, nicht wahr, fast so eine Wirrnis wie ich, wenn ich vor und zurück schwinge, die Augen dem Wind entgegenhalte, damit alles verschwimmt und ich warten kann, warten auf Sie, warten, dass sich der Kopf neigt, das Lid senkt, der Luftzug Ihre Kappe fortbläst, Ihren Hemdknopf öffnet, Ihre Glieder löst, und Sie die Treppe hinauf zum Boden gehen, stillhalten vor dem Atem, der durchs Haus weht, dem fernen Rauschen, für mich. Für mich? (S. 47)

(8) Und wie sie sitzt auf den Ziegeln und schaut und immer so sitzt und schaut und dann aufsteht und fragt, ob nicht der Rücken, der Rücken ganz allein die Fläche wäre für alles, was gar nicht geschehen war, was niemand miterlebt hatte, aber alle Türen geöffnet, alle Türen geschlossen, auf zu auf zu, immer so fort. (S. 73)

Wie die Sprachbelege 6–8 zeigen, wird anhand der sprachlichen Verfahren und der Struktur des Textes deutlich, dass der Text einem Code folgt, der sich dem konventionellen Sprechen entzieht. Dass ein solcher Text aber nicht sinnfrei ist beziehungsweise dass man Bedeutung und Sinn des Textes erschließen kann, soll eine eng am Sprachmaterial orientierte linguistische Analyse, die aus verschiedenen Dimensionen erfolgt und verschiedene sprachliche Phänomene fokussiert (siehe unten), offenlegen.

Ästhetisch-literarische Texte als Teil des kommunikativen Haushalts (vgl. Luckmann 1986, 1988) stellen Kommunikationsangebote mit Sinnoptionen dar und rufen dementsprechend auch situations- und kontextspezifische Erwartungen beim Rezipienten hervor. Erwartungen an literarisch-ästhetische Texte basieren auf kulturellem Wissen, d.h. Leserinnen und Leser literarisch-ästhetischer Texte sind nicht überrascht über unlogische Handlungsabfolgen, über Brüche mit sprachlichen Normen, über ein experimentelles Spiel mit Textmustern, über ein Durchkreuzen gängiger semantisch-logischer Zuordnungen etc.Footnote 5, sondern bezeichnen dies vielmehr als eine Art Charakteristikum künstlerischen Handelns. Mit den Erwartungen an ästhetisch-literarische Texte hängt aber gleichzeitig ein Wissen um prinzipielle Verstehbarkeit und Deutungsmöglichkeit dieser Texte zusammen. Auch wenn ästhetisch-literarische Texte hermetisch oder experimentell sind, sodass die Rezipientinnen und Rezipienten sie nicht sofort bei der ersten Lektüre erschließen, ist ein Verstehen solcher Texte aber prinzipiell möglich, nicht zuletzt weil der Text ein Kommunikationsangebot darstellt, dessen Bedeutung durch den Rezipienten auf der Basis kommunikationsbereichsspezifischen Hintergrundwissens konstituiert wird.

Dies geschieht nach Hörmann (1978/1994) dadurch, dass der Hörer/Rezipient

die gehörte Äußerung so auf eine Welt [bezieht], daß sie in ihr sinnvoll ist. Unsere subjektive Ansicht von der Welt (und nicht eine linguistische Kompetenz!) entscheidet also über die Akzeptabilität. (Hörmann 1978/1994, 209).

Hörmann spricht in diesem Zusammenhang von der Sinnkonstanz, die hinsichtlich des Verstehens von sprachlichen Äußerungen im Allgemeinen und literarisch-ästhetischen Texten im Besonderen als theoretischer Leitfaden dienen kann. Dabei betont Hörmann vor allem den Konstruktionsaspekt, wenn Texte/sprachliche Äußerungen rezipiert werden:

Wenn Verstehen ein ›Sinn-Verleihen durch Hineinstellen in einen Zusammenhang‹ ist, so gewinnt es einen konstruktiven Aspekt: es ist mehr als Rezeption. Der Hörer konstruiert aus dem, was die Äußerung anregt und möglich macht, aus seiner Kenntnis der Situation, aus seiner Welterkenntnis und aus seiner Motivation einen sinnvollen Zusammenhang. Das Erreichthaben eines solchen Zusammenhangs geht einher mit dem subjektiven Gefühl ›jetzt habe ich es verstanden‹ und der damit gekoppelten Überzeugung, wenn es erforderlich wäre, adäquat handeln zu können. (Hörmann 1987, 137)

Der kognitive Aufwand bei der Konstruktion des Sinnzusammenhangs sprachlicher Äußerungen kann je nach Textform und Textgestalt unterschiedlich hoch sein. Beim Verstehen des Zusammenhangs spielen – wie bereits angedeutet – verschiedene sprachliche Dimensionen eine Rolle, die sich als formale, funktionale, semantische, kontextuell-situative sowie kulturelle Dimensionen beschreiben lassen. Die Dimensionen konstituieren sich aus unterschiedlichen sprachstrukturellen Ebenen. Aus dem Zusammenspiel der Dimensionen und den sprachstrukturellen Ebenen heraus ist der Sinnzusammenhang zu erklären, auf dem Verstehen basiert (vgl. Dijk/Kintsch 1983, 10; vgl. Strohner 2006, 193). Die kulturelle Dimension stellt dabei die Dimension dar, die alle anderen Dimensionen umfasst beziehungsweise auf der alle anderen Dimensionen basieren, denn auf der Basis kulturellen Wissens werden Texte formuliert, wird Text(rezeptions)praxis als kulturelle Praxis eingeübt.

Der Textrezipient ist je nach Text mehr oder weniger angehalten, unter Rückgriff auf verschiedene Wissensbestände Textkohärenz herzustellen (vgl. hierzu Fix 2008; Busse 2007; Hennig 2011). Im Anschluss an Hörmann (1987) formuliert Fix:

Verstehen ist demnach also tatsächlich nicht als Dekodieren sprachlicher Zeichen anzusehen – das würde einen Übersetzungsvorgang suggerieren, der so nicht abläuft – sondern als ein konstruktiver/schöpferischer Akt, der über die sprachlichen Zeichen hinausreicht und Bezug auf die Welt und die Intentionen des Produzenten nimmt (vgl. Hörmann 1987, 139). (Fix 2011, 381)

Beim Verstehen sprachlicher Äußerungen muss keineswegs die Intention des Produzenten im Vordergrund stehen oder überhaupt eine Rolle spielen; das gilt insbesondere für ästhetische Texte. Im Prinzip ist die Intention des Produzenten aus rezeptiver Perspektive insofern nicht relevant, als der Text sich so in die Welt des Rezipienten einpasst, dass er sinnvoll erscheint (vgl. Hörmann 1978/1994, 209), ganz unabhängig von der Intention des Textprozduzenten. Es geht also darum, dass seitens der Rezipienten eine Passung oder eine Verankerung des Geschriebenen in die Lebenswelt des Rezipienten angestrebt beziehungsweise vorgenommen wirdFootnote 6, sodass der Text irgendwie sinnvoll erscheint oder als bedeutungsvoll interpretiert werden kann. Texte beziehungsweise sprachliche Äußerungen stellen demnach Kommunikationsangebote beziehungsweise -optionen dar, die durch den rezeptiven Umgang einen Bedeutungskonstruktionsprozess in Gang setzen, sie haben mithin Bedeutungspotenzial und nicht schon Bedeutung an sich (vgl. Norèn/Linell 2007). Auf der einen Seite steht der Text, greifbar durch seine sprachliche Oberfläche, auf der anderen Seite der Erfahrungs- und Wissenshorizont des Rezipienten. Beide Seiten werden in einem wechselseitigen Prozess aufeinander bezogen, was letztlich Bedeutung hervorbringt sowie das Erfassen und Verstehen des Textes ermöglicht.

3.2 Analysedimensionen

Wie ist das Verstehen von Winklers Text nun möglich? Durch eine linguistische Analyse sprachlicher Phänomene der unterschiedlichen sprachlichen Ebenen hinsichtlich der genannten Dimensionen (Form, Funktion, Semantik, Situation und Kontext sowie Kultur) kann die Sinnoption des Textes offengelegt werden (vgl. hier auch die Varianten der Analyse von Brinker 2005 oder Heinemann/Heinemann 2002). Tab. 1 gibt einen Überblick über die genannten Dimensionen sowie über Aspekte, die bei der Analyse der jeweiligen Dimension eine Rolle spielen.

Tab. 1 Textbeschreibungsdimensionen und Untersuchungsaspekte

Die Dimensionen lassen sich wie folgt kurz umschreiben:

  1. a)

    Die Dimension der Situationalität und Kontextualität umfasst die textexternen Elemente der Makroebene, die für die vollzogene Sprachhandlung/für den Text verstehensrelevant sind – z.B. auch Bedingungsmöglichkeiten von Literatur, Bezüge zu gesellschaftlichen Voraussetzungen, historische Bezüge, Bezüge zu Diskursen, zu ästhetischen Theorien, das Wissen um die Phänomene Text und Textsorte sowie das sämtliche verstehensrelevante, kulturelle Wissen. Je nachdem wie der Rahmen der Kontextanalyse gesteckt wird, fällt die Kontextanalyse weiter oder enger aus. Auf die Texte wirkt in dieser Beschreibungsdimension der Diskurs zurück, es muss also von einem wechselseitigen Bedingungs- und Bestimmungsverhältnis ausgegangen werden: Texte bestimmen den Verlauf des Diskurses, gleichzeitig werden sie vom Diskurs bestimmt. Hier kommen demnach die diskursive Ebene sowie Bezüge zu (außer)sprachlichen Vergegenständlichungen und Praktiken im Sinne von Foucaults Dispositivbegriff zur Geltung. Literarische Texte sind dementsprechend in Diskurse eingeschrieben und Elemente von Dispositiven.Footnote 7

  2. b)

    Die Dimension der Funktionalität beschreibt die Handlungspotenz verschiedener sprachlicher Phänomene in transtextueller und intratextueller Perspektive. Hier spielt zudem die funktionale Einbettung sprachlicher Phänomene in den Handlungskontext eine bedeutende Rolle. Die funktionale Beschreibungsdimension fokussiert sowohl die intra- als auch die intertextuelle Perspektive. Es wird zunächst die Funktion der sprachlichen Phänomene innerhalb des Prosatextes in den Blick genommen, aber auch auf intertextuelle Verweise Bezug genommen. Im Zentrum des Beitrages steht die intratextuelle Perspektive.

  3. c)

    Die Dimension der Thematizität setzt sich mit der inhaltlichen Gestaltung, mit der semantischen Kohärenz auseinander. In intratextueller Perspektive spielt etwa die semantische Kohärenz des Textes durch textkonstituierende semantische Aspekte eine Rolle, die aber auch zugleich durch den Bezug zu Frames und Wissensebenen über den Text hinausweisen und somit intertextuelle Strukturen auf tiefensemantischer Ebene begründen können.

  4. d)

    Der Dimension der sprachlichen Struktur/Gestalt geht es um grammatische Kohärenz, um sprachliche und strukturelle Eigenheiten des Textes durch die Verwendung spezifischer Lexik, durch auffällige Syntax oder weitere formale Gestaltung. Sie stellt die basale Dimension dar, da auf die sprachliche Verfasstheit alle anderen Dimensionen notwendigerweise angewiesen sind. Gleichsam wird die sprachliche Struktur von Texten in ihrer je spezifischen Erscheinungsweise durch die anderen Dimensionen wesentlich beeinflusst. Die Beschreibung der formalen, sprachlichen Struktur ästhetischer Texte ist ein erster Zugriff, um auch Zugang zu den anderen Dimensionen zu bekommen.

  5. e)

    Die Dimension der Kulturalität umfasst alle vorher genannten, insofern Texte immer vor dem Hintergrund nichthinterfragbarer Gewissheiten formuliert werden. Zu Grunde gelegt wird hier ein konstruktivistischer, dynamischer Kulturbegriff, der mit einem bedeutungs-, wissens- und symbolorientierten Kulturverständnis operiert. Ein solcher Kulturbegriff dominiert gegenwärtig die Sozial- und Geisteswissenschaften. »Diese Sinn- und Unterscheidungssysteme [Kulturen], die keinen bloßen gesellschaftlichen ›Überbau‹, sondern in ihrer spezifischen Form einer ›symbolischen Organisation der Wirklichkeit‹ den notwendigen handlungskonstitutiven Hintergrund aller sozialen Praktiken darstellen, machen die Ebene der ›Kultur‹ aus – dies ist das sozialkonstruktivistische Argument des bedeutungsorientierten Kulturverständnisses.«Footnote 8

Die einzelnen Dimensionen lassen sich in der Analyse nur bedingt getrennt abhandeln. Vielmehr zeigt sich in der Analyse, wie sehr die Dimensionen ineinandergreifen. Deutlich wird dies z.B., wenn syntaktische Besonderheiten direkt Auswirkungen auf die Bedeutung des Geschriebenen haben, oder aber darin, wenn bestimmte syntaktische Formen aufgrund der Rahmenbedingungen und Merkmale des Kommunikationsbereiches möglich sind, in anderen Kommunikationsbereichen aber sprachliche Normverstöße darstellen.

4 Analyse

4.1 Makrostruktur des Textes

Der Gegenstand der hier untersuchten Prosa von Winkler lässt sich in ein paar Sätzen zusammenfassen. Im Prosastück »Drei, vier Töne, nicht mehr. Elf Rufe« beklagt eine Erzählinstanz, von der man nicht weiß, wer sie ist, einen Verlust. Es existiert ein Gegenüber, das in monologischer Form angeredet und beschrieben wird. Durch das Beschreiben von Wahrnehmungen, Körperbewegungen und Gegenständen werden das Gegenüber einerseits und die Erzählerinstanz andererseits charakterisiert. Die genannten Beschreibungen, Behauptungen und Feststellungen werden nicht durch eine textstrukturierende Handlung miteinander verbunden und getragen, sondern sie sind vielmehr durchwoben von assoziativen Gedankengängen und Konnotationen. Es gibt keine konkreten Angaben zu Ort und Zeit. Die Protagonisten bleiben namenlos. Eine handlungsreiche Geschichte mit verschiedenen Handlungssträngen wird nicht erzählt.

Der Text ist in elf Teile (Kapitel) gegliedert, die als »elf Rufe« bezeichnet werden. Jedem Kaptitel ist eine kurze Sequenz vorangestellt, die thematisch und zum Teil wortwörtlich im Kapitel selbst wiederaufgenommen wird. So wird folgender Text zu Beginn von Kapitel 3 (S. 35) wenige Seiten später (S. 41) wörtlich wiederholt:

Beispiel:

(9) Und alle Zeit der Welt dafür, dass die paar Striche im Wind, die nur fürs Vergehen gezeichnete Figur, dich kurz anschaut und wie erschrocken darüber, dass sie gar nie allein war, doch nicht allein war, Gestalt annimmt und herunterspringt, dir vor die Füße. (S. 35, S. 41)

Durchbrochen wird der Text bereits durch den materialen Aspekt der Schrifttypologie, durch den Kursivdruck von Sequenzen, die im jeweiligen Kapitel – wenn man sie aneinanderreiht – thematisch zusammenpassen. Die kursiv gedruckten Sequenzen aus Kapitel 1 ergeben zusammen folgenden Text:

Beispiel:

(10) Sucht euch einen brüchigen Spalt in der Mauer und schlängelt euch durch, hinein in den Hof. (S. 9)

Hier begründe ich, was mich halten wird. Hier erzählt man mir, was mich spalten wird. Hier wächst Gras aus dem Stein, hier ging sieben Jahre niemand aus und ein und niemand die Treppe hinauf, unters Dach. (S. 10)

Im Sommer bin ich darüber; im Winter darunter, und dazwischen, wo ich hingehöre. Bei Sonne falle ich ein, bei Regen treibe ich aus, und dazwischen kräusle ich mich, kräusle ich mich, kräusle ich mich. (S. 12)

Es war einmal ein Tag, an dem Licht durch Risse und Spalten fiel, in einen Hof, in dem sieben Jahre und länger niemand zu Gast war. Vier Augen schlugen ein Haus auf, vier Hände fanden Boden unterm Dach. (S. 13)

Mit deinem Schatten begehre ich fortzugehen. Die Wände treten zurück, die Stimme reicht weiter, quer durch sieben Bezirke. Dort stoße ich zwei Türen auf, die schon offen sind. (S. 15)

Schlängelt euch durch den Riss, hinein in den Hof, wir wollen so allein nicht sein. (S. 17)

Die Motive werden im dazwischen liegenden nicht kursivierten Text zum Teil variierend wieder aufgenommen, wie folgendes Beispiel zeigt:

(11) [...] ich würde ihn überallhin mitnehmen und laut ausrufen, auf die Wege unters Dach kommt es an, auf die Spalten in den brüchigen Mauern, auf die Wellen, die ich herausfordere, jetzt. (11)

Auffällig ist die Form des Erzählens. So dominiert ein monologisierendes Ich, das entweder ein imaginäres Du anspricht, in der dritten Person über eine andere Person spricht oder in Wir-Form eine weitere Person inkludiert, wobei hier die Referenz uneindeutig ist. Das Wir kann sich auf die Rezipienten beziehen oder auf die im Text angesprochene Person. Die verschiedenen Referenzen bleiben im gesamten Text mehrdeutig und werden nicht aufgelöst. Eine narrative Textstruktur (im Sinne von Labov/Waletzkys 1973), in der Handlungen abfolgen, die in irgendeiner Art und Weise miteinander verbunden sind, die zu einer Handlungskomplikation führen, eine Handlungsbewertung und schließlich die Auflösung der Komplikation enthalten und von einer Koda beschlossen werden, liegt hier nicht vor. Stattdessen stehen die Texthandlungen des Beschreibens und Konstatierens von Wahrnehmungen, Gefühlen, Zuständen und körperlichen Bewegungen im Zentrum des Textes. Dieses Beschreiben und Konstatieren bildet sozusagen den Gegenstand des Textes.

4.2 Sprachliche Phänomene auf der Oberflächenstruktur

Der Text ist geprägt durch charakteristische syntaktische Phänomene, die aufgrund ihres häufigen Auftretens augenfällig sind und die Bedeutungsstruktur des Textes begründen. Als solche syntaktischen Strukturen des Textes sind das Auftreten von Ellipsen, die Signifikanz von Futur II sowie syntaktische Inkongruenzen und daraus folgende semantische Ambiguitäten zu nennen, die im Folgenden vorgestellt und kurz besprochen werden:

4.2.1 Ellipsen

(12) Während ich täglich zur selben und doch zu einer immer andern Zeit, Schritt für Schritt etwas zurückließ, ein Haus, einen Tisch, drei, vier Menschen. Nur nicht den Sand im Haar, aus dem Garten, den nicht. (S. 78, Herv. CS)

(13) Hier steht noch alles. Haus um Haus, hier und da ein Baum dazwischen, und wie viele Wände erst. (S. 79, Herv. CS)

Ellipsen stellen »unterspezifizierte Ausdruckseinheiten« (Lötscher 2013, 183) dar, die aber der Herstellung von Textkohärenz dienen. Aus der Rezipientenperspektive sind sie nach Lötscher

als […] grammatische Einheiten [zu] diskutieren, die nicht alle Elemente enthalten, die nach den konventionellen grammatischen Regeln dieser Sprache oder wenigstens ihrer (Standard-)Norm zum Ausdruck einer Proposition erforderlich sind, aber als inhaltlich vollständige Äußerungseinheiten verstanden werden können. (Lötscher 2013, 190)Footnote 9

Das Bezugselement der im Text vorkommenden Ellipsen ist in den meisten Fällen zu erschließen. Im Rahmen des vorliegenden Textes stellen Ellipsen aber ein syntaktisches Phänomen dar, das gerade durch das gehäufte Auftreten den Eindruck der Unbestimmtheit verstärkt. Die zu ziehenden Inferenzen, die mit bestimmten Ellipsen verbunden sind, sind zwar kontextuell zu lösen, aber den Verstehensprozess erleichtern sie nicht unbedingt, weil sie an der Erzeugung semantischer Unklarheiten/Vagheiten aufgrund der uneindeutigen Referenzen im sie umgebenden größeren Kontext beteiligt sind, wie die Sprachbelege 12 und 13 zu erkennen geben. Im Alltagssprachgebrauch haben Ellipsen verschiedene Funktionen, unter anderem können sie die Funktion der Ökonomisierung des Sprechens und der Kohärenzbildung einnehmen; dabei werden sie vor dem Hintergrund eines geteilten Wissenshaushaltes der Sprecherinnen und Sprecher verwendet. Im vorliegenden Text dagegen bildet die Ellipse im Einzelnen und im Konkreten die Struktur des Gesamttextes ab, und zwar insofern, als die Ellipse und das durch den Leser zu ergänzende Element als ein Strukturelement auch auf die Struktur des gesamten Textes verweist. Der Rezipient ist permanent mit der Suche nach Ergänzungen befasst, die er in seinen Wissenshorizont einpasst. Somit nehmen Ellipsen in diesem Text keine Ökonomisierungsfunktion ein, vielmehr steuern sie hier insofern dagegen, als durch sie der Verstehensprozess verlangsamt wird.

4.2.2 Häufung von Futur II

(14) Und für Sie, wenn Sie einmal wiederkommen, wenn ich Sie früher getroffen haben werde, bewahre ich das Gras aus dem Stein auf, die Frucht, der Sie schneller als ich entweichen, und alle Wellen, mit denen Sie mich erfassen und zurücktragen. (S. 19)

(15) Ich halte still, ich weiß nicht, ob ich da gestanden sein werde, später. (S. 25)

Im alltäglichen Sprachgebrauch, in alltäglicher schriftlicher Kommunikation oder in Face-to-Face-Interaktionen wird das Futur II kaum verwendet. Im vorliegenden Text dagegen kommen Futur-II-Konstruktionen relativ häufig vor. Die Bedeutung von Futur II lässt sich nach Helbig/Buscha (2001) in drei Varianten differenzieren: Futur II hat a) eine zukünftige Bedeutung, die aber »unter einem bestimmten Zeitpunkt (Perspektive der Betrachtzeit) als abgeschlossen« gelten kann (Helbig/Buscha 2001, 140–141), b) eine modale Bedeutung, die auf ein vermutetes Geschehen in der Vergangenheit referiert und c) eine modale Bedeutung, die auf ein vermutetes Geschehen in der Vergangenheit mit resultativem Charakter verweist (Helbig/Buscha 2001, 139–140). So können mit dem Futur II einerseits Handlungen/Ereignisse aus der Betrachtzeitperspektive als in der Zukunft beendet betrachtet werden oder aber es wird andererseits damit die Modalität der Vermutung über eine in der Vergangenheit abgeschlossene Handlung angezeigt, entweder mit oder ohne resultativem Charakter. Um welche Funktion des Futur II es sich hier handelt, bleibt unklar und lässt sich anhand der Textbasis nicht eindeutig klären. Das Nebeneinander verschiedener Tempi erschwert zudem den Leseprozess. Und auch hier begründet die syntaktische Form des Satzes den semantischen Gehalt der Vagheit und Offenheit. Die Kombination unterschiedlicher Tempusformen führt dazu, dass die Semantik des Textes uneindeutig ist. Es wird damit die Möglichkeit der Bedeutungskonstruktion durch Sprache in Frage gestellt, zudem kann das Spiel mit den Tempi als eine implizite Thematisierung von sprachlichen Normen betrachtet werden.

4.3 Zwischen Oberflächen- und Tiefenstruktur: logisch-semantische Widersprüche und Referenzambiguitäten

Wie bereits angedeutet, tauchen im Text verschiedene Formen von Inkongruenzen auf. Besonders augenfällig ist die Inkongruenz zwischen semantischem Gehalt und grammatischer Struktur, also zwischen semantischer Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur des Textes. Es handelt sich dabei, wie die Textbelege zu erkennen geben, um syntaktisch bedingte, semantische Unstimmigkeiten, die nochmals differenziert werden können in Unstimmigkeiten aufgrund von logisch-semantischen Widersprüchen und Uneindeutigkeiten hinsichtlich der Referenz.

4.3.1 Logisch-semantische Widersprüche

(16) Dann bewohnen Sie die Stufe und den Ort unterm Dach, dann stellen Sie Brot und Saft auf den Tisch und erinnern sich: Es wird wie später sein, wie später, wenigstens. (S. 14)

(17) Da schleife ich den Koffer hinter mir her, neige den Kopf und suche die Mauer rings um die Stadt noch, während ich vor der Tür stehe und nicht weiß, was geschah und wohin ich will. (S. 55)

Beide Sätze entsprechen in formaler Hinsicht den grammatischen Normen. Eine semantische Unstimmigkeit im Beleg 16 ist in der Semantik von erinnern zu sehen. So kann man sich aktuell nicht an etwas erinnern, das erst in der Zukunft abgeschlossen sein wird. Die konventionelle Semantik von erinnern bezieht sich immer schon auf etwas in der Vergangenheit Geschehenes beziehungsweise Liegendes. Somit kommt es hier zu einem logisch-semantischen Widerspruch, der auch durch den Einbezug des näheren Textkontextes zunächst nicht aufgelöst werden kann. Eine ähnliche Form von logisch-semantischer Widersprüchlichkeit liegt im Beleg 17 vor. Beim Verb hinterherschleifen handelt es sich um ein Tätigkeitsverb, dessen Bedeutung in der Bewegung eines Gegenstandes von einem Ort zu einem anderen liegt. Im temporalen Nebensatz, der Gleichzeitigkeit ausdrückt, wird mit dem Verb stehen aber keine Bewegungshandlung vollzogen, vielmehr wird damit ein statischer Zustand des Körpers ausgedrückt, der im Widerspruch zu einer gleichzeitig ausgeübten physischen Tätigkeit steht. Eine Bewegung und eine Nichtbewegung des Körpers zu gleicher Zeit kann physisch nicht vollzogen werden. Es stellt sich hier die Frage, worauf sich der erste Teilsatz bezieht, auf mentale Prozesse, auf Gedanken des Textakteurs? Das wird im Fortlauf des Textes nicht aufgelöst. Mit der nicht eindeutig zuweisbaren Referenz der ersten Handlung in Beleg 17 zeigt sich das Phänomen der Referenzambiguität, das sich in anderer Form auch in folgender Textpassage zeigt:

4.3.2 Referenzambiguitäten

(18) Ich gehe weiter und weiter, immer die Dorfstraßen zur Mittagszeit, bis ich angekommen sein werde, da gestanden sein, wirklich, mit Füßen, die tanzen auf dem Seil, gezeichnet, nicht verbrannt. Das geht, Sie werden sehn, das geht über den Platz von oben, das klettert den Turm hinauf auf dem Seil, das spannt das Seil vom Turm zum Fenster, ein Weg, keine Kluft, eine Kluft, kein Stürzen, kein Stranden, draußen. (S. 32 f.)

Referenzambiguität liegt in Sprachbeleg 18 in der Aussage das geht zu Beginn des zweiten Satzes vor. Die Referenz von das bleibt unklar aufgrund der semantischen Mehrdeutigkeit von das. Zunächst wird während des Leseprozesses mit das ein anaphorischer Bezug zum vorangegangenen Satz hergestellt; dieser Bezug wird jedoch im weiteren Satzverlauf gleich wieder aufgehoben, wenn das geht (über den Platz) wiederholt wird, sodass mit der weiteren Erwähnung von das geht eine kataphorische Verweisrichtung eingenommen wird. Das nimmt hier die Funktion des Satzsubjekts ein, das agentische Bedeutung hat. Im ersten Satzteil dagegen bezieht sich das auf die zuvor genannten Handlungen und wird als Demonstrativpronomen eingesetzt, das die verbalen Aussagen zusammenfasst. Während des Leseprozesses findet somit ein Wechsel der Verweisrichtung statt oder anders ausgedrückt: der Rezipient wechselt während des Lesens die Zuordnung der Einheit das geht und vollzieht dadurch einen Wechsel der Verweisrichtung und damit der Referenz. Es kommt zur Referenzverschiebung während des Lesens. Die Referenzambiguität bleibt somit aufgrund der syntaktischen Struktur bestehen, sie wird nicht monosemiert. Letztlich handelt es sich um zwei Möglichkeiten des Verstehens, die durch ein sprachliches Phänomen eröffnet werden. Die syntaktische Inkongruenz, die sich unter anderem durch das geht ergibt, verweist zugleich auf die Tiefenstruktur des Textes.Footnote 10

4.4 Sprachliche Phänomene der semantischen Tiefenstruktur: Die semantische Strukturierung des Textes durch Isotopien

Der Text ist nicht nur von grammatischen Inkonsistenzen geprägt, sondern auch durch semantische Ambiguitäten, die auf der Textoberfläche bereits sichtbar sind. Sprachbeleg 18 zeigt exemplarisch, wie sehr die formale und die semantische Ebene aufeinander verweisen. An dieser Stelle ist nun zu fragen, wie diese syntaktisch bedingten, semantischen Ambiguitäten aufzulösen sind und welche Funktion sie im Gesamt des Textes einnehmen.

Um diese Frage beantworten zu können, muss die Ebene der syntaktischen Analyse verlassen und die semantische Ebene in den Blick genommen werden. Um die Tiefenstruktur des Prosatextes zu erfassen, bietet sich die Anwendung des aus dem Strukturalismus stammenden Isotopiekonzeptes an. Algirdas Julien Greimas entwickelte im Zusammenhang seines Werkes der Strukturalen Semantik das Konzept einer struktural-semantischen Analyse von Texten (vgl. Greimas 1971). Das Konzept wird bis heute in der Linguistik nur selten rezipiert.Footnote 11 Meines Erachtens handelt es sich um ein gerade für ästhetisch-literarische Texte gut anwendbares Analysemodell, um die semantische Struktur des Textes zu erfassen, wenn man es um pragmatische Faktoren erweitert und Isotopien nicht als streng strukturale, kontextlose Entitäten auffasst. Vielmehr sollte davon ausgegangen werden, dass sprachliche und außersprachliche Kontexte Isotopien generieren und diese auch nur kontextuell verstanden werden können.Footnote 12 Genaugenommen heißt das aber auch, dass der Rezipient an der Konstitution von Isotopien beteiligt ist, indem er auf Wissensressourcen zurückgreift, um den Text in semantischer Hinsicht lesbar beziehungsweise verstehbar zu machen. Isotopien dienen der Repräsentation der semantischen Struktur eines Textes. Das Konzept basiert in seiner Erweiterung durch Francois RastierFootnote 13 auf zwei verschiedenen Prinzipien: dem Prinzip der semantischen Äquivalenz zwischen mindestens zwei Textsegmenten und dem Prinzip der Iterativität semantischer Merkmale beziehungsweise Aspekte, wobei die semantische Äquivalenz wesentlich von sozio-kulturellen und pragmatischen Faktoren sowie von Wissensressourcen der Sprachbenutzer bestimmt ist. Dementsprechend unterliegen Isotopien immer schon Veränderungen und sind interpretationsabhängig.Footnote 14 Um von einer Isotopie sprechen zu können, müssen semantische Aspekte in Form von sprachlichen Einheiten wiederholt auftauchen. Marx (1998) hat im Anschluss an Kallmeyer (1974) und Rastier (1974) die vielfältigen Formen von Isotopien systematisiert.Footnote 15 An dieser Stelle werden die verschiedenen Formen von Isotopien jedoch nicht referiert, vielmehr geht es hier um einen Typus von Isotopie, der kennzeichnend für ästhetisch-literarische Texte ist: den Typ der komplexen Isotopie. Diese Form von Isotopie setzt sich aus mindestens zwei Isotopien zusammen, indem die beiden sich zu einer dritten überlagern beziehungsweise einander überschneiden und eine weitere Bedeutungsebene konstituieren. Das geschieht beispielsweise dann, wenn ein semantisches Merkmal/ein Bedeutungsaspekt zwei Isotopien innerhalb des Textes zugeordnet werden kann, was insbesondere bei Metaphern oder mehrdeutigen Ausdrücken der Fall ist. Die komplexe Isotopie verweist auf ein Verhältnis zwischen mindestens zwei horizontalen Isotopien beziehungsweise Bedeutungslinien (vgl. Eco 1987, 120 ff.; vgl. Kallmeyer 1974, 155). Komplexe Isotopien tauchen in verschiedenen Kommunikationsbereichen auf, so z.B. im öffentlich-politischen Kommunikationsbereich oder im Bereich der Werbesprache, wenn es darum geht, ein möglichst großes Publikum zu adressieren und von einer Sache zu überzeugen, was unter anderem durch sprachliche Vagheit realisiert werden kann.

Isotopien haben in unserem Alltagssprachgebrauch sonst häufig die Funktion polyseme beziehungsweise bedeutungsvariante Ausdrücke zu monosemieren. In ästhetisch-literarischen Kontexten können sie dagegen die Funktion der Polysemierung einnehmen, indem Vagheiten und semantische Mehrdeutigkeiten bewusst durch isotope Strukturen erzeugt werden. Im Prosatext von Andrea Winkler stellen Isotopien eine Zugangsmöglichkeit zur semantischen Struktur des Textes dar. Der zunächst inkohärent scheinende Text kann mittels einer Isotopieanalyse auf tiefenstruktureller Ebene semantisch zugänglich gemacht werden. Bei der Analyse werden semantische Bereiche/Linien herausgearbeitet und die im Text verwendeten Lexeme werden diesen semantischen Bereichen zugeordnet. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass bestimmte semantische Motive/Bereiche den gesamten Text durchziehen und Isotopien begründen. In Tab. 2 zeigt sich folgendes Bild:

Tab. 2 Übersicht: Isotopien

Die Isotopieanalyse zeigt, dass der Text durch verschiedene Bedeutungslinien konstituiert wird, denen wiederholt auftauchende lexikalische Einheiten zugeordnet werden. Betrachtet man nun die Isotopien in ihrer Gesamtheit lässt sich eine dichotome Struktur feststellen, die den gesamten Text durchzieht. Tab. 3 gibt einen Überblick über die Dichotomien innerhalb des Textes.

Tab. 3 Textdichotomien

Bei der Betrachtung der Zuordnung lexikalischer Einheiten zu den Isotopien fällt auf, dass die einzelnen Isotopien sich überlagern, denn die Bedeutungsaspekte des Imaginären und der Imagination, des Vergessens, des Erinnerns, der Vergänglichkeit und des Vergangenen sind in allen Isotopien enthalten. Sie konstituieren damit komplexe, semantisch vage Bedeutungslinien, die sich durch den gesamten Text ziehen.

4.5 Zur Funktion der Sprachthematisierung: Eine implizite Leseanweisung des Textes

Die Sprache als solche nimmt in Form ihrer Thematisierung durch die Erzählinstanz eine zentrale Stellung innerhalb des Textes ein. So sind für das Verständnis des Textes insbesondere jene Textpassagen von Relevanz, die das Schreiben und das Verfahren des Textes beziehungsweise Strategien des Textes explizit und implizit thematisieren. Diese Reflexionen von Textverfahren sind Gegenstand des Textes selbst, sie geben damit einen Einblick in die Prozessualität des ästhetischen Textes, in den Prozess der Textkonstitution, an dessen Konstitution der Rezipient zum Teil beteiligt ist. Die sprachreflexiven Äußerungen stellen eine Spur zum Textverständnis dar, insofern sie eine entschlüsselnde Funktion innehaben.

In diesem Abschnitt sollen nun die sprachthematisierenden Textpassagen näher untersucht werden. Betrachtet man zunächst die Distribution der sprachthematisierenden Textpassagen, so zeigen sich Häufungen solcher Passagen. Bei der Betrachtung aller Passagen im Zusammenhang ergibt sich eine Struktur der Häufung von Sprachthematisierungen im ersten Kapitel, dann genau in der Mitte des Textes und im letzten Kapitel des Textes. Die dreigliedrige Verteilung der sprachthematischen Äußerungen über den Gesamttext folgt der Form eines Triptychons. Die sprachthematischen Äußerungen sind unterschiedlicher Art, zum Teil sind sie ambig und weisen unterschiedliche Lesarten auf, so können sie als Leseanweisungen an den Rezipienten betrachtet werden, zum andern als Ansprache des im durch die Erzählerinstanz imaginierten du. Nachstehende Textbelege geben einen Einblick in die Art und Weise der Sprachthematisierungen.

Thematisierung der Textstruktur und des Schreibprozesses im ersten Kapitel

(1) Ach, warum erzählen nicht Sie an meiner statt? (S. 7)

(2) Und wie sie weitergingen, wie sie wiederkamen, eine kleine Prozession vergessener Zeilen, um die Steine geschlungen, um die Blumen. Sagen Sie nein, sagen Sie, später kamen siebenhundert und mehr Sätze dazu, die drüber hingingen, drüber hinweg, als ob da kein Leben wäre. Keines und doch eines. (S. 13)

(3) Vielleicht unter anderen Umständen, bedürften wir des Wortes nicht so sehr, es liefe neben uns, dann und wann eine Spur, nicht mehr. (S. 17)

(4) …kommen Sie näher und teilen Sie meine Verwirrung, die Lust auf ein Leben, das Verlangen nach etwas Rätselhaftem. (S. 18)

Thematisierung der Textstruktur und des Schreibprozesses in der Mitte des Buches

(5) Da sind wir nur eine Spur von einem Bild, da hebt sich die Bleistiftlinie vom fast schwarzen Papier noch einmal ab und streicht dir das Haar aus der Stirn. (S. 77)

(6) Kann nicht aufhören und schiebe die Worte hin und her und wende sie, Kieselsteine auf Seitenwegen, weitab. (S. 80)

(7) Und wie erst verstehen, dass die Worte da abhoben, bei solcher Dunkelheit in solchem Lärm. Wie mit Bleistift auf fast schwarzes Papier geschrieben, so verschwindet die Spur. (S. 82)

(8) Gewiss, alles ist meine Täuschung gewesen, ein Blendungsmanöver, mein Buch, in das alles gezeichnet war, alles, die Wege von hier nach da, die Bilder, die sich verlieren, bald, die Stimme, die den Wechsel ihrer Tonart ein ums andere Mal verneint. (S. 154)

Thematisierung der Textstruktur und des Schreibprozesses im letzten Kapitel

(9) Ist eben alles meine Erfindung gewesen, ein Blendungsmanöver, mein kleines und feines Buch, verschlossen, voller leerer Seiten, ein Kippen, Stocken und Strömen wie von weither. (S. 150)

(10) Wie soll ich das Wort finden, das sich in solchem Rauschen behauptet, das solches Rauschen umstimmt und bändigt? (S. 151)

(11) Und mich nichts auffängt, falls es wieder zu schwindeln beginnt, weil der Satz, der auf den vorigen folgt, ihm einen Schlag gibt! (S. 152)

(12) Ich fange an zu verstehen, fange an zu verstehen, dass ich nicht verstehen darf. (S. 153)

(13) Gebrochen wiedererzählt auf der Bank…, ein Buch, das langsam, ganz langsam verschwindet. (S. 159)

Die einzelnen sprachthematisierenden Aussagen lassen sich zu Gruppen zusammenfassen und typisieren:

  • Thematisierung des Erzählens (Beleg 1)

  • Direkte Appelle (Belege 1, 2, 4)

  • Thematisierung des Schreibens als Prozess (Belege 5, 6)

  • Schreiben als Konstruktion (Belege 6, 7)

  • Thematisierung des Verstehens (Belege 7, 12)

  • Thematisierung der Relevanz von Sprache (Belege 3, 8)

  • Ausdruck von Sprachskepsis (Belege 3, 8, 9‑13)

Während bei den Sprachthematisierungen zu Beginn in Kapitel 1 eine Struktur der Aufforderung dominiert, bei der die Referenz nicht eindeutig zu bestimmen ist, handelt es sich bei den sprachthematisierenden Äußerungen in der Mitte und am Ende des Buches zunehmend um sprachskeptische Aussagen, die die Unmöglichkeit eindeutiger Bedeutungskonstitutionen sowie die Grenzen der Erfassung von Welt durch Sprache zum Gegenstand haben und gleichzeitig den schwierigen Schreibprozess thematisieren. Die grammatischen Formen der Äußerungen, die semantischen Widersprüche und Ambiguitäten auf der Textoberfläche (elliptische Strukturen, Futur II, logisch-semantische Widersprüche und Referenzambiguitäten) stützen diese Deutung und können als erste Hinweise auf der Textoberfläche zum Textverständnis betrachtet werden.

5 Resümee

Gegenüber dem konventionalisierten Sprachgebrauch unserer Alltagssprache stellen literarische Texte und in diesem besonderen Fall der Text von Andrea Winkler Kommunikationsangebote (und damit Sinnangebote) dar, deren Bedeutungsgehalt nicht sofort offensichtlich ist, sondern erst im mehrmaligen Prozess des Lesens entschlüsselt werden muss. Das Verborgene beziehungsweise der Sinn kann unter Rekurs auf die sprachliche Struktur, die im Falle von Winkler unkonventionalisierte Strukturen aufweist, offengelegt werden. Die Struktur, der Aufbau und die Form des Textes spielen damit für die Entschlüsselung eine entscheidende Rolle

Betrachtet man nun die Analyseergebnisse im Gesamt, so kann festgehalten werden, dass die verschiedenen sprachlichen Ebenen im Dienste der poetischen Funktion von Texten stehen. Eine zunächst an der sprachlichen Oberfläche orientierte Analyse der Textstruktur kann einen Zugang zur Semantik und Funktion des Textes bieten. Dabei hat sich gezeigt, dass Winklers Prosatext einem spezifischen Konstruktionsprinzip folgt. So werden die sprachlichen Zeichen aus einem alltagsbekannten Gebrauchskontext herausgelöst und innerhalb des Prosatextes in neue Kontexte gesetzt, die der gebräuchlichen Semantik der Ausdrücke zunächst widerspricht. Dieses Konstruktionsprinzip begründet die wahrgenommene Hermetik des Textes; diese kann aber durch die Herausarbeitung der Isotopien aufgebrochen werden.

Die Analyse der Textoberfläche verweist dabei direkt auf die Problematik der semantischen Uneindeutigkeiten, Inkohärenzen und semantisch-logischen Widersprüche. Die Herausarbeitung einer tiefensemantischen Struktur in Form von Isotopien jenseits der linearen Rezeption führt schließlich zur Freilegung einer sich nicht linear konstituierenden (und damit nicht linear zu erschließenden) und den ganzen Text durchlaufenden semantisch dichotomen Textstruktur. Die Analyse der Distribution der sprachthematischen Äußerungen zeigt schließlich, dass diese sprachthematischen Äußerungen als Leseanweisungen für den Rezipienten gedeutet werden können.

Die Vorgehensweise, den Text aus unterschiedlichen Dimensionen zu betrachten und verschiedene sprachliche Ebenen in den Blick zu nehmen, dabei aber die Textoberfläche in das Zentrum der Analyse zu stellen, hat sich als eine Möglichkeit erwiesen, sich dem Textsinn zu nähern. Die Textoberfläche kann demzufolge als eine Eintrittsstelle zu verschiedenen Deutungsmöglichkeiten angesehen werden. Die sprachthematischen Einlassungen des Textes werden dabei selbst zum Gegenstand ästhetischer Reflexionen. Durch die auf der Oberflächenstruktur angelegte Infragestellung sprachlicher Bedeutungshaftigkeit bringt der Text bereits durch seine Form die Anliegen der Sprachkritik und Sprachskepsis zur Geltung. Dass die hier vorgelegten Analysen den Text aber nicht komplett erschließen, liegt auf der Hand.