Zusammenfassung
Was der einzelne Arbeitnehmer verdient, hängt von vielen Faktoren wie der Arbeitsleistung selbst oder der Verfügbarkeit derselben ab. Ein Lohn, der ökonomisch betrachtet angemessen ist, muss nicht unbedingt als gerecht oder fair empfunden werden. Der Wahrnehmung von Lohngerechtigkeit kommt jedoch beispielsweise im Hinblick auf Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit große Bedeutung zu. Daher wird in der vorliegenden Analyse anhand von Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2015 untersucht, wie die Beschäftigten in Deutschland ihr Brutto- und Nettoerwerbseinkommen bewerten. In der deskriptiven Analyse zeigt sich, dass sich eine Mehrheit der Beschäftigten gerecht entlohnt fühlt, der Nettoverdienst jedoch über alle Lohngruppen hinweg als ungerechter empfunden wird als der Bruttoverdienst.
Auch in einer auf Logit-Schätzungen beruhenden multivariaten Betrachtung wird deutlich, dass die Zahlung von Steuern und Sozialabgaben einen negativen Einfluss auf das Gerechtigkeitsempfinden ausübt. Die Aussicht auf Transferzahlungen kann den negativen Effekt der Zahlung von Abgaben selbst bei Niedrigverdienern nicht abschwächen, sondern wirkt sich sogar zusätzlich negativ auf das Gerechtigkeitsempfinden aus. Neben den beschriebenen Umverteilungsmechanismen haben Leistungskomponenten wie die Berufserfahrung oder der Erwerbsstatus einen entscheidenden Einfluss auf die empfundene Lohngerechtigkeit. Bedarfskomponenten – wie die Anzahl der Kinder oder der Familienstand – fallen weniger ins Gewicht. Eine hohe Bedeutung kommt zudem der empfundenen Chancengerechtigkeit zu. Schätzt ein Beschäftigter die Chancen auf Bildung und Zugangsmöglichkeiten am Arbeitsmarkt als gerecht verteilt an, ist die Wahrscheinlichkeit für eine empfundene Lohngerechtigkeit deutlich erhöht. Auch eine Tarifbindung wirkt sich positiv auf die individuelle Gerechtigkeitsbewertung des Erwerbseinkommens aus.
Abstract
How much workers earn depends on various factors, such as the individual performance or the availability of skilled labour. Even if it is economically reasonable to differentiate between several wage levels, employees do not automatically accept differences in wages. Still, with regard to job motivation and satisfaction, it is important that employees consider their own wages to be fair and just. Therefore, the following analysis deals with the perceived wage justice of employees in Germany. Based on German Socio-Economic Panel data, it becomes clear that most workers regard their wages as fair in 2015. In general, gross earnings are evaluated more positively than net earnings.
The negative impact of tax and social security contribution payments on the perceived wage justice also turns out in a multivariate logit regression. Furthermore, it appears that transfer payments influence the perceived wage justice even in lower income levels negatively. The regression analysis also highlights the importance of performance criteria. Besides age representing the work experience of individuals, the employment status has a significant impact on the perceived wage justice. Criteria of social needs, such as the marital status or the number of children, seem to be less relevant. In addition, the belief that opportunities are equally distributed within a country has a positive effect on the probability of an experienced wage justice. Finally, a positive evaluation of the own remuneration becomes more probable if wages are based on a collective agreement.
Notes
Zur Erklärung des negativen Effektes von Abgaben und Transferzahlungen könnte zudem die Prospect-Theory von Kahneman und Tversky (Kahneman und Tversky 1979) herangezogen werden. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse erscheint es als sinnvoll, diese Theorie in zukünftigen Forschungsarbeiten zur Lohngerechtigkeit zu berücksichtigen bzw. zu testen.
Literatur
Akerlof, G. A., & Yellen, J. L. (1990). The fair wage-effort hypothesis and unemployment. The Quarterly Journal of Economics, 105(2), 255–283.
Antonczyk, D., Fitzenberger, B., & Sommerfeld, K. (2011). Anstieg der Lohnungleichheit, Rückgang der Tarifbindung und Polarisierung. Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung, 44(1/2), 15–27.
Balser, M. (2017). Ungleiche Löhne in Deutschland: Deutschland hat ein Lohnproblem. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ungleiche-loehne-in-deutschland-deutschland-hat-ein-lohnproblem-1.3634993. Zugegriffen: 11. Okt. 2017.
Bellmann, L., & Kohaut, S. (1995). Betriebliche Determinanten der Lohnhöhe und der übertariflichen Bezahlung. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 28(Sonderdruck), 62–75. http://doku.iab.de/mittab/1995/1995_1_MittAB_Bellmann_Kohaut.pdf.
Bennett, J., & Lesch, H. (2011). Mehr Lohngerechtigkeit durch Mindestlöhne? Die Gerechtigkeitswahrnehmung von Geringverdienern. Sozialer Fortschritt, 60(7), 143–150.
Brenke, K., & Müller, K. (2013). Gesetzlicher Mindestlohn – Kein verteilungspolitisches Allheilmittel. DIW Wochenbericht, 39, 3–17.
Caliendo, M., Cobb-Clark, D. A., Seitz, H., & Uhlendorff, A. (2016). Locus of control and investment in training. IZA Discussion Paper 10406. http://ftp.iza.org/dp10406.pdf.
Empter, S. (2011). Das Soziale sozialer Marktwirtschaften – Gerechtigkeit in Europa. Policy Brief, 1/2011. http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Policy-Brief-Gerechtigkeit-in-Europa-de_NW_01_2011.pdf.
Herzberg, F., Mausner, B., & Snyderman, B. B. (1959). The motivation to work (2. Aufl.). New York: Transaction Publishers.
ILO – International Labour Organisation (2017). International standard classification of occupations: summary of major groups. http://www.ilo.org/public/english/bureau/stat/isco/isco88/publ4.htm. Zugegriffen: 13. Okt. 2017.
Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econometrica, 47, 263–291.
Lesch, H., & Bennett, J. (2010). Arbeit und Fairness – Die Suche nach dem gerechten Lohn. IW-Analysen 59. https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/IW-Analysen/PDF/Bd._59_Arbeit_und_Fairness.pdf.
Liebig, S. (1997). Soziale Gerechtigkeitsforschung und Gerechtigkeit in Unternehmen. München: Hampp.
Liebig, S., & Schupp, J. (2008). Leistungs- oder Bedarfsgerechtigkeit? Über einen normativen Zielkonflikt des Wohlfahrtsstaats und seiner Bedeutung für die Bewertung des eigenen Erwerbseinkommens. Soziale Welt, 59(1), 7–30.
Liebig, S., Sauer, C., & Schupp, J. (2011). Die wahrgenommene Gerechtigkeit des eigenen Erwerbseinkommens: Geschlechtstypische Muster und die Bedeutung des Haushaltskontextes. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 63, 33–59.
Liebig, S., Sauer, C., & Valet, P. (2013). Gerechtigkeit. In S. Mau & N. M. Schöneck (Hrsg.), Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands (3. Aufl. S. 286–299). Wiesbaden: Springer VS.
Meister-Scheufelen, G. (2002). Gerechtigkeitsbegriff der sozialen Marktwirtschaft. Sozialer Fortschritt, 51(9), 232–234.
Nerdinger, F. W. (2011). Formen des Arbeitsverhaltens. In F. W. Nerdinger, G. Blickle & N. Schaper (Hrsg.), Arbeits- und Organisationspsychologie (S. 409–423). Berlin, Heidelberg: Springer.
Niehues, J. (2014). Subjektive Ungleichheitswahrnehmung und Umverteilungspräferenzen – ein internationaler Vergleich. IW-Trends, 41(29), 75–91. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/157106/1/iw-trends-v41-i2-a6.pdf.
Niehues, J. (2017). Einkommensentwicklung, Ungleichheit und Armut – Ergebnisse unterschiedlicher Datensätze. IW-Trends, 44(3), 117–135. https://www.iwkoeln.de/fileadmin/publikationen/2017/364450/IW-Trends_2017-03_Niehues.pdf.
Pies, I. (2016). Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie: Von Karl Marx bis Milton Friedman. Tübingen: utb.
Robinson, S. L., & Bennett, R. J. (1995). A typology of deviant workplace behaviors: a multidimensional scaling study. Academy of Management Journal, 38, 555–572.
Schlothfeldt, S. (2016). Ergebnisgerechtigkeit. In A. Goppel, C. Mieth & C. Neuhäuser (Hrsg.), Handbuch Gerechtigkeit (S. 143–146). Stuttgart: J. B. Metzler.
Schmidt, J. (2017). Unerwünschte Effekte von Lohntransparenz?! Mögliche Auswirkungen von Entgeltvergleichen auf die individuell empfundene Lohngerechtigkeit. IW-Report 21. https://www.iwkoeln.de/fileadmin/publikationen/2017/348662/IW-Report_2017_21_Lohntransparenz.pdf.
Schwarze, J. (2007). Gerechte Löhne? Eine empirische Analyse subjektiver Erwerbseinkommen. In J. Schwarze, J. Räbiger & R. Thiede (Hrsg.), Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel (S. 80–160). Hamburg: Dr. Kovac.
SOEPv32.1, Sozioökonomisches Panel (2015). Version 32.1. https://www.diw.de/de/diw_01.c.552576.de/soep_v32_1.html.
Wanger, S. (2016). Erwerbs- und Arbeitszeitmuster in Paarbeziehungen. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 70(1), 55–63.
Danksagung
Ich danke den anonymen Gutachtern für die konstruktive Kritik und wertvolle Anregungen.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Anhang
Anhang
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Schneider, H. Wahrgenommene Lohngerechtigkeit in Deutschland. List Forum 44, 357–378 (2018). https://doi.org/10.1007/s41025-018-0101-2
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s41025-018-0101-2