1 Einleitung

Die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern sich stetig. Die Räume, in denen Menschen versuchen, machtkritische, diskriminierungssensible Praxen lebendig zu halten und weiterzuentwickeln, werden mit der zunehmenden Verschiebung politischer Entscheidungen in einen „Fachkräftediskurs“ bei gleichzeitiger Abwertung niedrig qualifizierter Migration Tag für Tag kleiner (Vigouroux 2017, S. 554f.). Dies geschieht unbemerkt oder aktiv ignoriert von den meisten, aber doch stetig und mit nur wenig sicht- und hörbarem Widerstand. Mit der AfD gibt es nun auch in Deutschland eine klar nationalistisch orientierte Partei im Bundestag, die die europäischen Verträge von Maastricht und Lissabon wieder rückgängig machen möchte, dichotome Frauen- und Männerrollen propagiert, Genderforschung für eine Verschwendung von Steuergeldern hält und Menschen ohne deutschen Pass als Bedrohung und Störung markiert (s. Wahlprogramm der AfD 2017). In den umgebenden europäischen Ländern Österreich, Schweden, Holland, Frankreich, der Schweiz, Polen, Ungarn und in vielen weiteren Nachbarländern ist die sicht- und spürbare Präsenz von Parteien, für die Volk, Nation, Kultur und Sprache – in einer heteronormativen Ordnung – eine bis aufs Blut zu verteidigende Einheit sind, schon lange wieder zu einem bedrohlichen Alltag für jene geworden, die nicht selbstverständlich als Teil dieser Einheit gelten können.

Gleichzeitig nehmen die Migrationsbewegungen auf der Welt, die für einen hohen Prozentsatz an Menschen aufgrund von Kriegen, Hungersnöten, Umweltgiften, Naturkatastrophen etc. existentiell bedrohliche Ausgangslagen bieten, immer mehr zu. Christina Sharpe, die sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit unter anderem intensiv mit den bis heute noch erfahrbaren Auswirkungen der Jahrhunderte dauernden Geschichte der kolonialen Sklaverei beschäftigt, macht deutlich: „The ongoing crisis of capital in the form of migrants fleeing lives made unlivable is becoming more and more visible, or, perhaps, less and less able to be ignored“ (Sharpe 2016, S. 59). Fluchtbewegungen lassen sich also immer weniger aus dem gesellschaftlichen Alltag ausblenden. Das Leid kommt in die Innenstädte, in die Schulklassen der eigenen Kinder, sitzt auf den Parkbänken der wenigen Erholungsorte. Diese zunehmende Sichtbarkeit sowie die sich gegenwärtig verschärfende Situation, welche sich in einem kontinuierlichen Anstieg der Asylanträge bemerkbar macht, gibt, wie Zygmunt Bauman in einem seiner letzten Essays darlegt, vielen politisch Verantwortlichen eine Chance. Er konstatiert: „Kapital zu schlagen aus den Ängsten, die der Zustrom der Fremden auslöst – … –, ist eine Versuchung, der nur wenige amtierende oder auf Ämter hoffende Politiker widerstehen mögen“ (Bauman 2017, S. 22). Mithilfe der Medien, durch nationalistisch eingestellte politisch Verantwortliche und daraus Profit schlagenden Wirtschaftskräften wird ein gesellschaftliches Klima geschürt, das Ängste, Wut, Verunsicherung, Ausgrenzung und Diskriminierung zur Folge hat, vor allem (aber nicht nur) bei jenen, die sich real in prekären Lebenssituationen befinden und/oder Angst vor einem sozialen Abstieg haben.

Das täglich neu erzeugte Klima der Bedrohung ist ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Kontextes, in dem Institutionen der Erwachsenenbildung ihre tägliche Arbeitspraxis verrichten, weswegen es hier einleitend so explizit benannt wird. Öffentliche Einrichtungen der Erwachsenenbildung, die durch die staatliche Subventionierung insbesondere finanziell von der jeweiligen politischen Lage abhängig sind, geraten durch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse auf verschiedenen Ebenen unter Druck.

Während die Bewegung der Erwachsenenbildung historisch als eine Kraft aufgetreten ist, die die hegemonialen Verhältnisse irritierte, indem sie Arbeiterinnen und Arbeiter darin bestärkte, eigene Rechte zu erkennen, einzufordern und sich ganzheitlich zu bilden, ringen Weiterbildungsinstitutionen heute mit der Gefahr, im Zuge einer Zunahme neoliberaler Ideologien zu Helfershelfern der Arbeitsagenturen und Unternehmen degradiert zu werden, die aus ihren Teilnehmenden lediglich marktkompatible Arbeitskräfte machen oder dabei helfen, die „guten“ Migrierten von den „schlechten“ zu trennen. Auf welchen Wegen dies geschieht und wo vielleicht auch Widerstandsräume offen sind und bleiben – ist eine der Fragen, denen sich das noch laufende Forschungsprojekt: „Der Deutschkurs – hegemoniekritische Analyse des Lehrens und Lernens in Deutschkursen in den Migrationsgesellschaften Deutschland und Österreich“ widmet.

Das Projekt nähert sich der Analyse über zwei Ebenen. Erstens auf der Ebene der Makroperspektive, welche die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Deutschkurse in den Blick nimmt. Die forschungsleitenden Fragen beziehen sich hier auf die „Ordnung des Integrationsregimes“. Durch möglichst viel staatliche Kontrolle, einen immensen Verwaltungsaufwand und vorgegebene Test- und Ausbildungsformate werden die Einrichtungen „beschäftigt“ und „begrenzt“ und damit allzu oft zum Schweigen gebracht. Ziel der Analyse ist es, die dahinter liegenden Herrschaftsmechanismen aufzudecken, zu benennen und nach verbleibenden pädagogischen Widerstandsräumen zu suchen. Die zweite Annäherung geschieht auf der Ebene der Mikroperspektive, welche das Kursgeschehen, also die pädagogischen Verhältnisse zwischen Kursleitenden und Teilnehmenden sowie die Lerninhalte, -formate und -materialien hegemoniekritisch analysiert. Die forschungsleitenden Fragen beziehen sich im Rahmen dieser Ebene vor allem auf Lern- und Subjektivierungsprozesse im Rahmen des Lehr-Lerngeschehens in den Kursen. Konkret wird gefragt: Welche Normalitätsannahmen werden aktuell unter dem Stichwort „Deutschkurse für Migrant.innen und Geflüchtete“ sowohl in ehrenamtlichen als auch in professionellen Zusammenhängen verhandelt und vermittelt und was sind die damit einhergehenden Anrufungen, die im Hinblick auf die Lern- und Subjektivierungsprozesse relevant werden? Der vorliegende Beitrag stellt einige Zwischenergebnisse aus den diskursanalytisch bearbeiteten Daten dar. Ausgewählt wurden jene Ergebnisse, die sich auf das Budget, die Lerninhalte, die Lernformate sowie die genutzten Kontrollinstrumente im Rahmen von sogenannten „Integrationskursen“ in Deutschland beziehen.

Das Projekt wird im Folgenden zunächst kurz in seiner theoretischen Verortung vorgestellt, dann werden die eben benannten vorliegenden Zwischenergebnisse präsentiert, um dann schließlich mit Überlegungen zu selbstreflexiven und selbstkritischen Bewegungen zu enden, in denen Hoffnung auf Veränderung liegt.

2 Hegemoniekritische Erwachsenenbildung – Fokus: Deutschkurs

Aus der Perspektive des bekannten Hegemonietheoretikers Antonio Gramsci, der konstatiert, dass jedes gesellschaftliche Verhältnis notwendigerweise ein pädagogisches Verhältnis sei (Gramsci 2012, Heft 10, § 44), gehört die Erwachsenenbildung mit zu den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Institutionen, mit deren Hilfe andere – weniger gewaltvolle – Hegemonien hergestellt werden können. Gramsci kann zeigen, dass Herrschaft in bürgerlichen Verhältnissen nicht in erster Linie auf gewaltsamer Unterdrückung beruht, sondern auf einer Kombination aus Zwang und Konsens, wobei der ausgeübte Zwang in Situationen schwindender Zustimmung ein stärkeres Gewicht bekommen kann (Becker et al. 2016, S. 20). Nur wenn es einen mehrheitlichen Konsens zu den Verhältnissen gibt – auch bei jenen, die durch diese eigentlich benachteiligt sind – ist es möglich, wirksam zu herrschen. Dieser Konsens wiederum wird in erster Linie durch pädagogische Praxen hergestellt, weswegen es für Machthabende von hoher Bedeutung ist, das Bildungssystem unter Kontrolle zu haben. So waren und sind Schulen immer zentrale Orte, auf die jeweils amtierende Regierungen Einfluss nehmen (weiterführend Althusser 2016, S. 67ff.). Curricula und Lehrwerke werden kontrolliert, die Lehrendenausbildung staatlich beaufsichtigt. Mit der Einführung der Integrationskurse im Jahr 2005 sind nun auch Institutionen der Erwachsenenbildung, die – abgesehen von Kursen, die für die Arbeitsagenturen angeboten wurden – bis dahin weitgehend von staatlichen Zugriffen auf ihre Angebote verschont waren, wieder unter eine stärkere inhaltliche und organisatorische Kontrolle gekommen.

Aus einer hegemoniekritischen Perspektive hat Erwachsenenbildung eine besondere Mitverantwortung dafür, wie unsere Gesellschaft aussieht oder aussehen könnte, auch wenn Institutionen der Erwachsenenbildung es selbstverständlich nicht allein in der Hand haben, ein Ort für die Entwicklung von Lösungen zu allen gesellschaftlichen Problemlagen zu sein. Daher richtet das hier vorzustellende Projekt am Beispiel der staatlich finanzierten Deutschkurse einen analytischen Blick auf die gegenwärtig wirksamen systematischen Zusammenhänge von Staat – Erwachsenenbildung – Organisation – Kursleitung – Lehrmaterial und Teilnehmende. Es beschäftigt sich am Beispiel von Deutschkursangeboten aus hegemoniekritischer Perspektive (Gramsci) mit den bio-politischen Strategien des Migrationsregimes und ihrer Effekte auf Lern- und Subjektivierungsprozesse (Foucault) sowie mit Fragen nach globaler Verantwortung und Solidarität (Spivak).

Für die Erhebung der Daten werden sowohl in Deutschland als auch in Österreich pädagogische Fachkräfte, die für die Organisation von Deutschkursen zuständig sind, Honorarkursleitungen sowie ehrenamtliche Kursleitungen interviewt, Deutschkurse teilnehmend beobachtet und für die Integrationskurse staatlich zugelassene Lehrmaterialen in den Blick genommen. Zum aktuellen Zeitpunkt (Februar 2018) sind vier pädagogische Fachkräfte und 19 Kursleitende interviewt, 18 Teilnehmenden-Beobachtungen (sowohl in institutionell als auch in ehrenamtlich organisierten Kursen) sowie drei Lehrwerksanalysen durchgeführt worden. Die ersten Interviewanalysen (Kontext‑, Makro- und Mikroanalysen) sowie die Lehrwerkanalysen sind abgeschlossen. Das Material der Teilnehmenden-Beobachtungen fließt noch nicht in die hier darzustellenden Ergebnisse ein.

Eine der zentralen theoretischen Grundlagen für die Analysen ist das Machtkonzept Foucaults:

Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten – oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern (Foucault 1983 [1977], S. 93).

Ziel ist also ein Aufdecken der Stützen, der Verschiebungen und Widersprüche sowie der großen Linien, in denen die Kräfteverhältnisse sichtbar und benennbar werden. Als Rahmenmethode für die Auswertung aller Daten wird die kritische Diskursanalyse verwendet, welche sich explizit als machtkritisches Analyseinstrument versteht (Wodak und Meyer 2016, S. 3) und damit für das Anliegen des Projekts besonders geeignet ist.

In der folgenden Darstellung wird nun ein Ausschnitt des Gesamtprojekts behandelt. Der Fokus liegt dabei aufgrund der nationalen Spezifität der Kursorganisation ausschließlich auf dem Kontext Deutschland. Auf vier exemplarische Bereiche der Erwachsenbildungsinstitutionen, auf die staatlich zugegriffen wird – das Budget, die Lerninhalte, die Lernformate und die zum System gehörenden Kontrollinstrumente – wird nun im Folgenden genauer fokussiert, um einen ersten vertieften analytischen Einblick in das Zusammenspiel der Kräfteverhältnisse zu erhalten.

2.1 Das Budget

Mit der Einführung der sogenannten Integrationskurse ist das finanzielle Budget, das für das „Deutschlernen“ in Weiterbildungsinstitutionen zur Verfügung steht, um ein Vielfaches gestiegen. Mit Beginn des Gesetzes zur Zuwanderung und Steuerung von Migration, welches in Deutschland 2005 in Kraft getreten ist, haben sich die Deutschkursangebote nicht nur verviel-, sondern gleich verhundertfacht. Es sind nicht nur unzählige neue private und wirtschaftlich ausgerichtete Träger entstanden, die sich auf die Durchführung von Deutschkursen konzentrieren und oft ausschließlich über diese Kurse finanzieren, sondern auch etablierte Anbieter wie die Volkshochschulen, religiöse und politische Bildungseinrichtungen konnten ihr bestehendes Kursangebot ausweiten, ausdifferenzieren und Personal aufstocken. Hunderte von neu zugelassenen Deutschkursleitern – in der Regel ohne eine grundständige erwachsenenpädagogische oder gar eine DaZ-Ausbildung – haben im Rahmen dieser Kurse Arbeit gefunden und ihre zuvor oft prekären Beschäftigungsverhältnisse stabilisieren können. Der Deutschkursbereich, der in den Weiterbildungseinrichtungen vorher ein Fachbereich war, welcher – ähnlich wie heute noch der Alphabetisierungsbereich – von finanzkräftigeren Angebotsbereichen aus EDV und Fremdsprachen subventioniert wurde, ist heute ein eigenständiger, finanziell gut aufgestellter Arbeitsbereich geworden, der von den jeweiligen Trägern mit großer Ernsthaftigkeit und hoher Priorität betrieben wird. Alle drei bis fünf Jahre müssen Träger sich neu um die Zulassung als „Integrationskursanbieter“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bewerben.

Nachdem nun so viel neues Personal eingestellt, so viele neue Räume angemietet, so viel Infrastruktur auf die Deutschkurse ausgerichtet ist – stehen die Träger unter einem hohen Druck, diese Zulassung als Integrationskursanbieter auch tatsächlich wieder neu zu erhalten. Bewertungskriterien des BAMF für eine solche Zulassung sind unter anderem, dass die Institutionen „zuverlässig und gesetzestreu“ sein sollen, „Integrationskurse ordnungsgemäß durchführen können“ – was in der Operationalisierung heißt, dass eine hohe Anzahl an Teilnehmenden den B1-Test bestehen muss, sowie „eine positive Gesamtbewertung des Trägers, in der die bisherige Zusammenarbeit mit dem Bundesamt bewertet wird“ (BAMF 2017). Das letzte Kriterium ist dabei eines, das durch seine Willkürlichkeit einen besonders hohen Druck erzeugt. Was heißt das konkret – gute Zusammenarbeit? Wie sehr beeinträchtigt es die Bewertung, wenn Träger sich auch kritisch zu Vorgaben des BAMF äußern? Die Interviewpartnerin Audre Engels, die für die Organisation von Deutschkursen in einer mittelgroßen Stadt Deutschland bei einem großen Träger zuständig ist, bemerkt dazu: „Also nur wer viele Leute durch die B1-Prüfung bringt, wird belohnt. Und wer nicht vernünftig und gehorsam – das ist jetzt meine Interpretation – mit dem Bundesamt zusammenarbeitet, wird bestraft“ (Engels, Z. 802–805).Footnote 1

Analytisch interessant ist hier vor allem der Ausdruck „gehorsam“, womit die starke Hierarchie betont und auf eine Infantilisierung der Träger hingedeutet wird. Sie müssen „vernünftig und gehorsam“ sein, sich also den Vorgaben des BAMF anpassen. Träger, die sich für die Durchführung der Integrationskurse entschieden und somit stark vergrößert haben, geraten in eine finanzielle Abhängigkeit, die ihre Widerstandsmöglichkeiten deutlich einschränkt. Ein „ungehorsames“ Verhalten führt zum Entzug der Zulassung und damit zum Verlust von Arbeitsplätzen und Kursangeboten. Dies erschwert auch eine Solidarisierung zwischen den einzelnen Kursanbietern, da der Wettbewerb um Zulassungen aufgrund der gesicherten Finanzierung durch das Ministerium hoch ist. So resümiert Engels: „Dann macht es ein anderer. Es gibt genug. Dieser Markt ist ja auch … (kurze Pause) Das ist auch das, was erschwerend hinzukommt. Es sind ja Träger hinzugekommen, private Träger, die überhaupt kein Interesse daran haben, das System zu kritisieren (Engels, Z. 816–818).“ Sind Träger weniger an bestandenen Tests, sondern an Lern- und Bildungsprozessen ihrer Teilnehmenden interessiert, gibt es – wie sich im Folgenden zeigen wird – in den vorgegebenen Lerninhalten und Lernformaten kaum Räume, darauf einzugehen.

2.2 Die Lerninhalte

Das BAMF, welches für die Verwaltung und Ausstattung der Deutschkurse zuständig ist, ist dem Innenministerium unterstellt. Dieses wiederum ist für den Bevölkerungsschutz und die innere Sicherheit des Landes zuständig, verwaltet also beispielsweise den Polizeiapparat, das Bundesamt für Verfassungsschutz und verantwortet die „Prävention und Abwehr von Extremismus und Terrorismus“. Obwohl das Innenministerium folglich genuin weder mit Bildungsfragen noch mit dem Arbeitsmarkt zu tun hat, besitzt das BAMF nun also Zugriff auf die Deutschkurse samt ihrer Inhalte und Lernformate. Ähnlich wie bei Lehrwerken in Schulen sind auch in den Integrationskursen nur bestimmte, vom BAMF freigegebene Lehrwerke zugelassen. Hier gibt es zwar eine recht große Auswahl, wenn auch vor allem kleinere Träger sich meist auf ein oder zwei Lehrwerke festlegen, doch trotz dieser Auswahl finden sich in allen Lehrwerken ähnliche, zentral festgelegte Inhalte, die sich im Schwerpunkt darauf ausrichten, den Migrierten die „Deutschen“ zu erklären und sie zu angepassten Mitbürgern und Mitbürgerinnen zu „erziehen“ (ausführlicher in Heinemann 2018). Die Perspektive, die dabei auf die Lernenden gerichtet wird, ist dabei allzu oft paternalistisch, heteronormativ, und der emanzipatorische Anspruch beschränkt sich auf die Idee, die Lernenden dabei zu unterstützen, in Deutschland einen Arbeitsplatz zu erhalten. Kritische Perspektiven auf die deutsche Gesellschaft, die eigene marginalisierte und diskriminierte Position innerhalb einer rassistisch strukturierten Gesellschaft sowie eigene Widerstandsmöglichkeiten innerhalb der oft engen Handlungsräume werden systematisch ausgeblendet. Thomas Fritz vom Netzwerk Sprachenrechte in Österreich macht als Gegenentwurf das von dem brasilianischen Befreiungspädagogen Paulo Freire entwickelte Konzept der critical literacy für diesen Kontext wieder stark. Sprachbeherrschung wird darin als ein relevanter Aspekt zur Übernahme von Macht und Verantwortung konzeptualisiert und ist mit einem transformativen Projekt verbunden. Fritz betont:

In dieser Tradition wird das Individuum nicht im Sinne neoliberalistischer, pseudo-individualer Schuldzuschreibungen und Verantwortungsübertragungen begriffen, sondern als fähiges Subjekt, das seine vorhandenen Handlungsmöglichkeiten, sein soziolinguistisches Repertoire auszubauen trachtet (Fritz 2018, S. 6).

Zusätzlich zur einseitigen Orientierung auf den Kompetenzerwerb unter Ausblendung einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen kommt eine strikte Ausrichtung auf das Bestehen eines Deutschtests hinzu. Gelernt wird innerhalb einer vorgegebenen Stundenzahl, mit vorgegebenen Lehrwerken, einem vorgegebenen Lernstoff für ein vorgegebenes Lernziel. Der Lernerfolg ist jedoch nicht inhaltlich definiert und wird auch nicht anhand einer individuellen Entwicklung bewertet, was nach den erwachsenenpädagogischen Maßstäben angemessen wäre, sondern lediglich danach beurteilt, ob der jeweilige (A2/B1/B2)-Test bestanden wurde oder nicht. Für Einrichtungen der Erwachsenenbildung, denen etwas am humanistischen Bildungsideal der Entfaltung der Persönlichkeit, der Entwicklung eines kritischen, demokratiefähigen Subjekts liegt, stellt diese Enge der Vorgaben ein Korsett dar, was die Handlungsräume stark einschränkt und wenig kreative Lernprozessarbeit ermöglicht. Audre Engels äußert sich im Interview diesbezüglich in einem historischen Vergleich. Sie spricht davon, wie die Lerninhalte vor den Integrationskursen aufgebaut waren:

Die hatten verschiedene Stufen, aber was wir darin gemacht haben, das hat niemanden interessiert. Wir haben natürlich ganz eng am Teilnehmer gearbeitet. Wenn wir ne Gruppe hatten … wir hatten auch Gelegenheit, Exkursionen zu machen oder in … Auseinandersetzungen zu gehen. … das hat heute keinen, keinen Stellenwert mehr. Es geht nur noch um Sprache lernen. … Das bedeutet, dass dieses Kurssystem darauf ausgelegt ist, rein mechanisch sage ich jetzt mal, zum Ziel zu kommen. Also Sprachlernprozess als ähm … ja als losgelöst von allen anderen Lebenswirklichkeiten (Engels, Z. 919–998).

Judith Carlos, die ebenfalls als Organisatorin von Deutschkursen bei einem mittelgroßen Träger tätig ist, weist in dem mit ihr geführten Interview darauf hin, dass zusätzlich zur fehlenden Lernprozessarbeit in den Kursen selbst auch der fachliche Austausch zwischen den Kollegen aus Zeitgründen nicht mehr stattfinden könne. Das BAMF biete dafür keine Gelegenheiten und sei ihrer Ansicht nach am inhaltlichen Austausch auch nicht interessiert. „Also diesen Ort der pädagogischen Auseinandersetzung gibt es nicht mehr. Es gibt keine Fachtage. Es gibt keine fachlichen Auseinandersetzungen vor neuen Programmen“ (Carlos, Z. 36–38). Dieser fände im Rahmen ihrer täglichen Praxis nur noch „zwischen Tür und Angel“ (Carlos, Z. 155) statt. In Bezug auf die Regionalkoordinatoren, die als Mittler zwischen dem in Nürnberg sitzenden BAMF und den jeweiligen regionalen Trägern fungieren sollen, lässt sich anhand des Datenmaterials vermuten, dass sie in einigen Regionen vielmehr die Rolle eines Airbags erfüllen, der die Zentrale in Nürnberg vor zu vielen Anfragen durch die Träger schützt. So berichtet Judith Carlos, die nach eigenen Aussagen großes Interesse an einer kritischen Ausrichtung pädagogischer Praxis hat, dass sie mit verschiedenen Vorschlägen an die Regionalkoordination herangetreten sei und dass der für sie zuständige Koordinator sie mit der Aussage: „Ob Sie mir das erzählen oder nicht, ist mir ganz egal. Mir hört in Nürnberg sowieso keiner zu. Ich melde das gar nicht weiter“ (Carlos, Z. 466 f.), abgewiesen hätte. Judith Carlos folgert für sich daraus: „Es ist ein Diskurs eher der inneren Sicherheit als der Sprache … oder der Integration in den Arbeitsmarkt“ (Carlos, Z. 8–13).

Eine solche diskursive Verstrickung von Migrations- mit Sicherheitsfragen und eine damit im weiteren Sinne diskursiv hergestellte Verbindung von Migration und Terrorismus führt mit Bauman zu einer „Adiaphorisierung“ des Themas Migration (Bauman 2017, S. 37). Bauman verweist darauf, dass Migrierte durch eine solche nicht mehr unter moralischen Gesichtspunkten bewertet werden, wodurch die eigene moralische Verantwortung suspendiert werde. Während sich einige pädagogische Fachkräfte der Erwachsenenbildung – wie beispielsweise die Interviewpartnerinnen Carlos und Engels – dieser Adiaphorisierung nicht ergeben wollen und sich ihrer Verantwortung und Verpflichtung den Migrierten gegenüber bewusst bleiben, scheinen auch sie an vielen Stellen resigniert zu haben, und an anderen Stellen geht die Haltung im alltäglichen pragmatischen Tun ganz verloren.

Wirklich immer wenn wir denken, jetzt haben wir uns neu organisiert als Träger, bekommen wir wieder ’ne neue Vorgabe, wie wir das System … ähm … dokumentiern müssen … Also wir sind nur noch am Verwalten. Es gibt keine Liste, die wir uns nicht noch ausdenken können (Carlos, Z. 425 f./489 f.).

2.3 Lernformate

Ein dritter Bereich, für den die Weiterbildungsinstitutionen einen Teil ihrer pädagogischen Handlungsräume abgegeben haben, ist der der Lernformate.

Die Lernformate der Integrationskurse wirken einerseits gut durchdacht und vielfältig. So gibt es neben den allgemeinen Integrationskursen beispielsweise Alphabetisierungskurse, Zweitschriftlernerkurse, Schnell- und Langsamlernerkurse, Frauenkurse mit Kinderbetreuung sowie Jugendkurse. Es werden also zielgruppendifferenzierte Angebote zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig restriktiv vorgegeben werden dann jedoch die Rahmenbedingungen. Jede einzelne Person muss für die Teilnahme eine „Zulassung zum Integrationskurs“, die vom eigenen Aufenthaltsstatus und Pass abhängig ist, beim BAMF beantragen und dem Träger vorlegen. Mindest- und Höchsteilnehmendenzahlen für die Kurse sind festgelegt. Die Anzahl der Kursstunden ist vorgegeben, Exkursionen werden finanziell und zeitlich nicht unterstützt. Für alle Kurse gilt, dass am Ende verpflichtend ein Test steht (A2/B1/B2-Niveau). An dem Test wiederum hängen nicht nur der persönliche Nachweis eines erfolgreichen Lernprozesses, sondern Fragen von staatlicher Förderung, der Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen und Entscheidungen über die Aufenthaltsdauer. Die scheinbar flexiblen Lernformate werden so durch die Starre der äußeren Regelungen wieder stark eingeschränkt. Diese Regeln disziplinieren nicht nur, sie dienen gleichzeitig einer engen Kontrolle.

2.4 Kontrollinstrumente

Der Philosoph Avishai Margalit beschreibt in seinen Ausführungen zur Politik der Würde, wie Institutionen Personen beschämen und demütigen können (Margalit 2012, S. 13 f.). Regelungen des Aufenthaltsgesetzes, wie beispielsweise der § 44a, Absatz 3: „Die Ausländerbehörde kann den Ausländer mit Mitteln des Verwaltungszwangs zur Erfüllung seiner Teilnahmepflicht anhalten“ (Aufenthaltsgesetz 2008, online), sowie die Praxen, mit denen nicht bestandene Tests durch die Behörden sanktioniert werden – Verlängerung des Aufenthalts um maximal ein Jahr bis zum erfolgreichen Abschluss des Kurses, Kürzungen von Transferleistungen etc. –, erfüllen in hohem Maße den Umstand einer Demütigung durch Institutionen. Fragwürdig ist aus erwachsenenpädagogischer Sicht zudem die „Bildungsverpflichtung“, die zentralen Erkenntnissen in Bezug auf das Lernen von Erwachsenen entgegensteht, welche zeigen, dass Erwachsene in freiwilligen, individualisierten und maximal selbstgesteuerten Lernsettings die besten Lernerfolge erzielen (Plutzar 2008, S. 6). Während diese Demütigungen zum einen auf persönlicher Ebene verletzend sind, besteht zum anderen für viele der Teilnehmenden auch existentiell ein hoher Druck, den Test zu bestehen.

Auch auf die Kursträger, die einen bestimmten Prozentsatz an bestandenen Tests nachweisen müssen, um überhaupt wieder als Träger zugelassen zu werden, wirkt sich dieser Druck aus. Birgit zur Nieden stellt in dem Zusammenhang fest:

Durch die Individualisierung des Anrechts oder der Verpflichtung zu einem Deutschkurs und durch die Überprüfbarkeit der Teilnahme sind Instrumente der Kontrolle und Disziplinierung von Migrantinnen und Migranten geschaffen worden, in die Deutschlehrerinnen und -lehrer, Träger und Vereine eingebunden sind (zur Nieden 2009, S. 11).

So wird an die Träger die Anforderung gestellt, Pässe und Personendaten aller Teilnehmenden genauestens zu erfassen sowie Anwesenheitslisten zu führen, die an das BAMF weitergeleitet werden, wodurch Teilnehmende, die den Kurs abbrechen, automatisch beim BAMF angezeigt werden. Seit Januar 2018 muss zudem für jede/n Teilnehmende/n, der oder die mehr als 15 min zu spät im Kurs erscheint oder mehr als 15 min vor dem offiziellen Kursende geht, die jeweilige Uhrzeit durch die Kursleitenden eingetragen werden. Falls Kursleitende sich lieber auf ihren Unterricht konzentrieren wollen, statt Kontrollinstanz für den Staat zu sein, haben sie spätestens bei den zufällig stattfindenden Kurskontrollen ein Problem, denn die „Unterschriftenliste eines Kursabschnitts ist ständig aktuell zu halten und muss während des Unterrichts im Unterrichtsraum vorliegen; sie ist bei einer Kurskontrolle vorzulegen“ (BAMF 2018, online). In den unangekündigten Kurskontrollen durch die Regionalkoordination des BAMF lässt sich ein weiteres Instrument benennen, durch welches das Überwachungsnetz engmaschig aufgestellt wird und die Widerstandsräume verkleinert werden.

3 Widerstandsräume

Institutionen der Erwachsenbildung – einst angetreten, um marginalisierten Kräften den Weg zur Hegemonie zu ebnen – sind nun also in der Situation, dem hegemonialen Staatsapparat zur Verstetigung und Ausübung seiner Macht zu verhelfen. Giroux betont, dass

no democrative society can survive without a formative culture shaped by pedagogical practices capable of creating the conditions for producing citizens who are critical, self-reflective, knowledgeable, and willing to make moral judgements and act in a socially responsible way (Giroux 2017, S. 3).

Doch wo sind und bleiben Räume, um in dem beschriebenen starren Korsett noch so etwas wie eine „kritische Pädagogik“ zu ermöglichen? Wo bleiben Räume, in denen der Mensch und nicht die Testquote im Mittelpunkt der pädagogischen Überlegungen steht?

KantFootnote 2 setzt sich in seiner bekannten Schrift „Zum ewigen Frieden“, die die Charta der Vereinten Nationen wesentlich beeinflusst hat, unter anderem mit der Frage auseinander, wie es möglich sein kann, dass Menschen in Frieden auf einem Planeten zusammenleben können, die ja nur eine „endliche“ Oberfläche hat. Er geht davon aus, dass Menschen letztlich ein gemeinschaftliches Recht des

Besitzes der Oberfläche der Erde [teilen], auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden … müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat als der andere (Kant 2012, S. 21).

Er fordert Hostilität durch Hospitabilität, Feindseligkeit durch „Wirtbarkeit“ zu ersetzen. Wirtbarkeit – nicht Wirtschaftlichkeit. Immanuel Kant, einer der zentralen Impulsgeber der Aufklärungsidee, deren normativer Referenzrahmen auch heute noch die Grundlage für das deutsche Grundgesetz und die Forderung nach Menschenrechten ist, ging davon aus, dass durch Hospitabilität so etwas wie ein „universeller Friede“ möglich sein könnte. Heute, 200 Jahre nach dieser Forderung, wird noch immer über Grenzzäune, eine gesteigerte Militarisierung der Frontex, Aufnahmeobergrenzen, den Stopp des Familiennachzugs und Fragen von optimierten Abschiebepraxen diskutiert (etwa Rheindorf und Wodak 2017, S. 2 f.). Fragen von Gastfreundschaft, Verantwortung und Solidarität verbleiben als ein diffuses moralisches Unbehagen im Hintergrund. Zu befürchten ist, dass sie mit der Flut an Angst produzierenden Bildern in den Medien bei vielen, die Verantwortung übernehmen könnten und müssten, schließlich ganz gelöscht werden.

Um als Pädagoge und Pädagogin diese Verantwortung wieder annehmen zu können, ist es wichtig, immer wieder neu (selbst-)reflexive Fragen zu stellen: Wie werden „Andere“ in der Gesellschaft, in der ich lebe, diskursiv überhaupt hergestellt und was ist nötig, um den Blick für eine Irritation dieser Zugehörigkeitsdiskurse zu schärfen? Wie ist es möglich, Bildungsangebote auf eine Weise zu gestalten, dass nicht Wissensinhalte (Sprache/Werte etc.) einfach unhinterfragt vermittelt, sondern in eine Beziehung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen gesetzt werden und diese Verhältnisse in Bewegung versetzt werden? Was ist bei Kooperations- und Netzwerkgestaltung zu beachten, um die Gefahren zu reduzieren, die darin liegen, wenn in dem Bestreben, „Gutes“ zu tun, paternalistisch statt solidarisch agiert wird (Castro Varela und Heinemann 2016, S. 60)? Wie kann es Erwachsenbildung und mir als darin handelnder Pädagogin also besser als jetzt gelingen, meiner gesellschaftlichen Verantwortung auch gerecht zu werden und wo liegt die Begrenzung meiner Reichweite?

Die Interviewpartnerinnen Judith Carlos und Audre Engels berichten beide von privaten und kollegialen Zusammenkünften, in denen über mögliche Widerstandsstrategien beraten wird. Da Honorarkursleitungen als Selbstständige gelten und damit beispielsweise nicht zu rassismuskritischen Fortbildungen verpflichtet und noch nicht einmal regelmäßig zu Dienstbesprechungen eingeladen werden dürfen, erarbeiten beide Pädagoginnen an ihren jeweiligen Einrichtungen kreative Alternativen, um Kursleitende miteinander in einen kollegialen Austausch zu bringen und zumindest in „Tür und Angel“-Gesprächen eine Entwicklung von kritischer Reflexivität voranzubringen. Der Interviewpartner Immanuel Davis, der an einer Weiterbildungseinrichtung einer mittleren Großstadt für die Organisation der Einstufungsberatung und Anmeldung der Teilnehmenden zuständig ist, betont die Geduldigkeit von Papier und Formularen (Davis, Z. 102–105). Er sucht und findet im Umgang mit den Vorgaben häufig die notwendigen Lücken, die es braucht, um Teilnehmende vor allzu negativen Folgen zu schützen. Dies sind gute Beispiele für kleine Schritte, die aufzeigen, dass Räume für Widerstand verbleiben, wenn kreativ nach ihnen gesucht wird. Doch wenn die gegenwärtige Entwicklung nicht ungebremst so weitergehen soll, müssen weitere folgen.

Ein Appell an die Disziplin der Erwachsenenbildung – sowohl der Wissenschaftsdisziplin als auch der Praxis – könnte angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen folgender sein: Re-Occupy Education.Footnote 3 Gayatri Chakrovorty Spivak betont unter anderem den besonderen ethischen Wert, den es haben kann, eine neue Sprache zu lernen. „You enrich your ability to become ethically active, if the occasion arises, through the exercise of language learning“ (Gairola und Spivak 2012, online). Sprache, Bildung und damit auch ethisches Handeln sind aufs Engste miteinander verknüpft. Die vielen Räume, in denen Sprache vermittelt wird, können und sollten durch pädagogisch Verantwortliche in der Erwachsenenbildung also wieder neu besetzt werden. Es sollte wieder mehr in den Vordergrund rücken, was die Erwachsenbildung für einen Einfluss auf die Herstellung von kritischen Subjekten haben (könnte), und übrige Widerstandsräume müssten ausgenutzt werden – so gut es in den vorgegebenen restriktiven Verhältnissen möglich ist – ohne sich entmutigen zu lassen.

Historisch gab es in Deutschland verschiedene Versuche, sich durch Trägerverbünde – wie beispielsweise den Sprachverband – auch gegen die gesetzlichen Vorgaben zu positionieren. Diese Stimmen sind jedoch mit den Jahren immer leiser und inzwischen unhörbar geworden. In Österreich gibt es – anders als in Deutschland – auch gegenwärtig noch verschiedene solidarische Netzwerke, in denen sich die Trägerlandschaft organisiert und aktiv gegen politische Vorgaben, wie beispielsweise die „Wertekurse“, positioniert. Das sind das Netzwerk Sprachenrechte, der ÖDAF (Österreichischer Verband für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache), die Fachgruppe Basisbildung, der Arbeitskreis Mehrsprachigkeitsforschung, maiz und viele mehr. Am Vorbild Österreichs kann die deutsche Trägerlandschaft zumindest sehen, dass und wie eine solche Solidarisierung praktisch möglich ist. Wie Trinh T. Minh-ha in ihrem Vortrag an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien berührend bildhaft machen konnte, besteht selbst der Ozean, der uns so unendlich groß erscheint, letztlich aus nichts anderem als aus vielen kleinen Tropfen, die – jeder für sich – die Gesamtkonsistenz des Ozeans mitbestimmen (Min-ha 2017, online).

Ich möchte diesen Beitrag schließen, indem ich in diesem letzten Bild bleibe. Lasst uns aus mutiger und solidarischer Konsistenz sein. Miteinander, aber auch mit jenen, die uns unbekannt sind, mit jenen unendlich Anderen, die wir nie (er)kennen werden und für die wir dennoch Verantwortung tragen (Lévinas 2017). Nur wenn starke Bündnisse geschaffen werden – auch solche zwischen Wissenschaft und Praxis –, ist es vielleicht doch noch möglich, einen Tsunami entstehen zu lassen und statt dem Staat als Kontrollhelfer zu dienen mit Erwachsenenbildung wieder das zu tun, was eigentlich mit dem Konzept gemeint war, nämlich Erwachsenen Räume für Bildungsprozesse zu eröffnen, mit dem Ziel, unsere Gesellschaft zu einer weniger gewaltvollen zu machen.