Hintergrund und Fragestellung

Eine Job-Expositions-Matrix (JEM) versucht, eine externe Beurteilung von Belastungen („exposures“) anhand von „jobs“ (Berufen, Tätigkeiten) vorzunehmen.

Ziel ist es, Belastungen möglichst genau abzuschätzen, ohne eine direkte Inaugenscheinnahme oder Analyse des konkreten Arbeitsplatzes vornehmen zu müssen, d. h. die wahrscheinliche Belastung aus der Tätigkeit zu prognostizieren.

Die Güte einer JEM steht und fällt mit der Treffsicherheit dieser Vorhersage. Methodisch gesehen ist eine JEM umso besser, je mehr Varianz der Exposition durch die Tätigkeit erklärt werden kann, d. h. der Tätigkeit zugeordnet werden kann. Mitglieder einer Tätigkeitsgruppe sollten dann bezüglich der Exposition möglichst homogen sein („variation within group“). Die Verschiedenheit hinsichtlich der Exposition oder Belastung sollte v. a. zwischen den Berufsgruppen liegen („variation between groups“).

Im Themenfeld physische Faktoren und Berufe haben JEM eine lange und erfolgreiche Tradition, z. B. kommen Expositionen wie Heben und Tragen, Mehlstaub, biologische Arbeitsstoffe etc. in manchen Berufsgruppen deutlich häufiger vor als in anderen. In der Regel sind diese JEM umso besser, je genauer sich die Exposition charakterisieren lässt (z. B. Mehlstaub statt Staub) und je detaillierter sich die Tätigkeit beschreiben lässt (z. B. Bäcker statt Lebensmittelberufe), weil dann sowohl „exposure“ als auch „job“ innerhalb dieser Definitionsgrenzen homogener werden (s. dazu weitere Artikel zum Thema JEM in diesem Heft).

Die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung ist, ob und inwieweit eine solche Zuordnung auch bei psychischen Belastungen und Gefährdungen gelingen kann.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Der Fragebogen COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire; [3]) ist ein umfassender Fragebogen zur Erhebung eines differenzierten Bildes der psychosozialen Faktoren bei der Arbeit. Die deutsche Standardversion [5] beinhaltet 19 „Belastungen“ (psychosoziale Situation am Arbeitsplatz, positiv wie negativ, „Ursachen“) und 6 „Beanspruchungen“ (Reaktion der Person, positiv wie negativ, „Folgen“).

Abb. 1 zeigt die 25 Konstrukte, gegliedert nach Anforderungen, Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten, soziale Beziehungen und Führung, Unsicherheit des Arbeitsplatzes und den Belastungsfolgen im Bereich Zufriedenheit und Gesundheit.

Abb. 1
figure 1

COPSOQ (deutsche Standardversion)

Aus der COPSOQ-Datenbank der FFAW wurden 10.000 berufsrepräsentative Fälle ausgewählt. In Varianzanalysen wurde geprüft, inwieweit jeder der 25 COPSOQ-Aspekte mit der Berufsgruppe (Klassifikation der Berufe nach KldB92, nur Gruppen mit mindestens 30 Personen) zusammenhängt. Der eta‑Koeffizient (Wertebereich 0–1, eta2 wäre der prozentuale Anteil der durch die Berufsgruppe erklärten Varianz) zeigt dabei das Ausmaß des Zusammenhangs von Berufsgruppe („job“) und Arbeitsplatzfaktor („exposure“). Je höher eta (oder eta2) ist, desto stärker wird die Exposition durch die Berufsgruppe beeinflusst und desto treffsicherer wäre eine Prädiktion in einer JEM.

Ergebnisse

In Abb. 2 sind die eta‑Koeffizienten der Varianzanalysen der Berufsgruppe mit jedem der 25 COPSOQ-Aspekte angegeben. Zur besseren Orientierung wiederholt die Farbgebung die Eingruppierung aus Abb. 1.

Abb. 2
figure 2

Zusammenhänge COPSOQ-Skalen mit Berufsgruppen (KldB92)

Es wird deutlich, dass die eta‑Koeffizienten je nach Thema relativ stark variieren; sie liegen zwischen moderaten Werten um die 0,4 bis zu schwachen Zusammenhangswerten von 0,1. Die stärksten Zusammenhänge mit der Tätigkeit zeigen Aspekte aus dem Feld Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten: 0,42 für Entscheidungsspielraum, 0,38 für Entwicklungsmöglichkeiten und 0,38 für Einfluss bei der Arbeit. Die Aspekte zu Anforderungen und die Unsicherheit des Arbeitsplatzes finden sich im Mittelfeld mit Zusammenhangsziffern zwischen 0,37 und 0,25. Am schwächsten hängen die Aspekte aus dem Bereich soziale Beziehungen und Führung (eta in der Regel etwa 0,2) und die Belastungsfolgen (eta-Koeffizienten zwischen 0,14 und 0,19) mit der Berufsgruppe zusammen.

Das heißt, psychosoziale Arbeitsplatzfaktoren sind je nach Thema unterschiedlich stark berufsassoziiert, die Zusammenhänge liegen im moderaten bis schwachen Bereich.

Diskussion

Die Ausprägung einiger psychosozialer Faktoren, wie z. B. Einfluss oder Entscheidungsspielraum, weist noch einen relativ deutlichen Zusammenhang zur Berufsgruppe auf. Bei einer differenzierten Erhebung der psychosozialen Faktoren können also einige durchaus in Form einer JEM abgebildet werden.

Je gröber das Konstrukt „psychosoziale Belastungen“ operationalisiert wird, je stärker also unterschiedliche Belastungsfaktoren wie z. B. Einfluss, emotionale Anforderungen und Führungsqualität zusammengefasst werden, desto geringer wird die Erklärkraft durch den Beruf oder die Tätigkeit. Kroll [4] konstatiert z. B. anhand eines summarischen Index für psychische Belastungen, dass sich diese – im klaren Gegensatz zu den physischen Belastungen – wenig für das Verfahren der JEM eignen.

Bei vielen psychosozialen Faktoren ist dagegen kaum ein Zusammenhang zur Berufsgruppe gegeben, insbesondere für die Aspekte im Feld: soziale Beziehungen und Führung (Abb. 2).

Diese Faktoren sind aber zudem sehr wichtig im Belastungs-Beanspruchungs-Geschehen: Zum Bespiel weist die Skala Führungsqualität in Korrelations- und Regressionsmodellen mit dem COPSOQ den stärksten Zusammenhang zur Arbeitszufriedenheit auf [6, 7]. Viele relevante Faktoren des psychosozialen Belastungsgeschehens lassen sich damit nicht oder nur sehr unzureichend in einer JEM abbilden.

Grund hierfür ist, dass viele psychosoziale Faktoren nicht primär vom Beruf („job“) oder der Tätigkeit beeinflusst werden, sondern vom konkreten Arbeitsplatz („workplace“). Faktoren wie Gemeinschaftsgefühl oder Führungsqualität sind primär „workplace-related“, und können daher nicht durch eine Tätigkeitsmatrix abgebildet werden.

Dies deckt sich mit den Befunden von Schwartz et al. [8], Johnson et al. [2], und Bültmann et al. [1]. Durchgängig sind psychische Faktoren weniger berufsdeterminiert als physische und innerhalb der psychischen Faktoren zeigen sich die geringsten Zusammenhänge der Tätigkeit mit denjenigen Aspekten, die dem Bereich soziale Beziehungen und Führung zuzuordnen sind. Willert et al. [9] zeigten, dass für den Bereich soziale Beziehungen und Führung die Varianzaufklärung durch betriebliche Organisationseinheiten höher ist als die durch Tätigkeitsgruppen.

Der schwächere Zusammenhang der Konstrukte im Bereich soziale Beziehungen und Führung zur Berufsgruppe lässt sich – zumindest für unsere COPSOQ-Analysen – im Übrigen nicht durch niedrigere Gesamtvarianz in diesen Parametern erklären: Die Standardabweichungen für Einfluss mit 23 und für Führungsqualität mit 25 sind durchaus vergleichbar, aber die Varianz bei Führungsqualität liegt eben nicht auf der Berufsgruppe, sondern auf berufsunabhängigen Faktoren.

Schlussfolgerungen

Bei vielen technischen oder physischen Faktoren (Lasten, Lärm, Hitze etc.) und auch einigen psychosozialen Faktoren (Einfluss, Entwicklungsmöglichkeiten, Emotionale Anforderungen etc.) kann die Abschätzung der Belastung von Personen über ihre Tätigkeit mittels einer JEM funktionieren. Hierzu müssen die psychosozialen Faktoren aber detailliert und nicht summarisch erfasst werden.

Für die weniger mit der Tätigkeitsgruppe („job-related“), sondern eher mit dem konkreten Arbeitsplatz („workplace-related“; direkte Vorgesetze, Kollegen) variierenden Faktoren kann eine JEM keine hinreichend verlässlichen Ergebnisse liefern.

JEM zu Gefahrstoffen oder physischen Expositionen können oftmals durch eine genauere Klassifizierung der Tätigkeiten (Homogenisierung) verbessert und verfeinert werden.

Im Fall der psychosozialen Faktoren im Bereich „workplace-related“ ist die geringe Varianzaufklärung nach unserer Einschätzung aber nicht darauf zurückzuführen, dass die Tätigkeit nicht genau genug klassifiziert wäre, sondern grundsätzlicher Natur: Wenn eine Belastung nicht mit der Tätigkeit zusammenhängt, hilft auch eine genauere Aufschlüsselung der Tätigkeit nicht weiter. Hier sollten aber weitere Analysen erfolgen, um zu prüfen, ob diese Vermutung zutrifft.

In Hinblick auf die arbeitsepidemiologische Forschung und auf die umfassende betriebliche Gefährdungsbeurteilung psychischer Faktoren bedeutet das, dass viele relevante Themen einer Abschätzung durch eine JEM nicht zugänglich sind.

Die Formulierung im Arbeitsschutzgesetz (§ 5,2, ArbSchG) „Der Arbeitgeber hat die Beurteilung ja nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend“ muss auf der Basis dieser Befunde für die psychischen Faktoren aus unserer Sicht so aufgefasst werden, dass hier auch bei gleicher Berufsgruppe oder Tätigkeit keine gleichen Arbeitsbedingungen vorliegen (müssen) und insofern bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung die Belastungen bei allen Beschäftigten ermittelt werden müssen.