Wo immer der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, Karl Broich, öffentlich auftritt, sendet er eine Botschaft aus: „Adaptive Pathways, die konditionierte und beschleunigte Zulassung von Arzneimitteln, senken nicht die Anforderungen.“ Neu sei hingegen das Management der Arzneizulassungen durch die Behörden: sehr frühe Abstimmung mit Herstellern und potenzielles Antragstellen auch von Universitäten und herstellerunabhängigen Forschungsinstitutionen zur Optimierung der Zulassungsstudien und eine wachsende Überlappung der Prüfungsphasen I bis III. Und eine Begleitung der Arzneimittel über ihren gesamten Lebenszyklus – vor allem auch nach der Zulassung durch Nachforderung von Studien und besserer Evidenz. Frühzeitig, so Broich beim Expertenforum Onkologie von RS Medical Consult am 10. März in Berlin, würden dabei auch HTA-Institutionen wie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einbezogen.

Wird das AMNOG stumpf?

Das scheint auch dringend notwendig. Denn die Zulassungsbehörden haben offenbar nicht die Macht, nach konditionierten Zulassungen Sanktionen zu verhängen, wenn Unternehmen die Auflagen nicht erfüllen. G-BA-Chef Josef Hecken kündigte deshalb eine neue Praxis an: Die erste frühe Nutzenbewertung ist vorläufig und befristet – verbunden mit der Anforderung weiterer Studien, zwingend dann auch mit Daten zur Lebensqualität. Nichterfüllung führt zu einer Herabstufung bei erneuter Bewertung. Dennoch könnte sich das gesetzlich im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) zur Verfügung gestellte Instrumentarium als unzulänglich erweisen. Etwa dann, wenn die Vergleichstherapie nicht generisch, sondern eine hochpreisige Innovation ist. Die Folge: Manche Hersteller legen bei dieser Konstellation laut Hecken kein Dossier mehr vor, weil für sie auch ohne Zusatznutzen ein komfortabler Erstattungsbetrag garantiert ist.

Ein weiterer kritischer Punkt: Waren Krebstherapien traditionell durch kurzfristige Interventionen charakterisiert, zeichnen sich inzwischen sequenzielle oder sogar Dauertherapien ab, zunehmend auch Kombinationen mehrerer innovativer Therapien. Darauf hat der Preisbildungsmechanismus des AMNOG keine Antwort. Das gesteht auch Bertram Häussler vom Berliner IGES-Institut zu. Er sieht aufgrund der bisherigen Ausgabenentwicklung für onkologische Arzneimittel (noch) keine Gefahr für eine unbeherrschbare Kostenexplosion. Als eine Option wertet er beispielsweise Parallelinnovationen, den „Me-too-Wettbewerb“, der helfen könne, das Preisniveau bei neuen Arzneimitteln zu senken. Noch bilde das AMNOG den Wettbewerb von Innovationen untereinander nicht ab. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, verkennt nicht die gravierenden Fortschritte in der Onkologie, vor allem in der Immuntherapie. „Darauf haben wir lange gewartet.“ Beschleunigte Zulassungen hält er jedoch für einen Irrweg, ein Risiko, noch weniger gesicherte Erkenntnisse über Innovationen zu bekommen. Die Preisentwicklung hält er für inakzeptabel und „bedrohlich“. Das inzwischen etablierte Preisniveau werde sich bei den großen Krebsindikationen wie Brust-, Kolon- oder Pankreaskrebs nicht durchhalten lassen.

Ein Preis- und Mengenproblem

Geradezu fasziniert ist der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach von den Erfolgen der Krebsforschung, der Molekularbiologie und neuen Gentechnik-Instrumenten wie CRISPR-Cas9. Ein „extremes Potenzial“ ergebe sich aus der Blockierung von Treibergenen oder einer Optimierung der Früherkennungsdiagnostik durch Liquid Biopsy. Das werde Innovations- und Produktzyklen beschleunigen, allerdings auch die Nachbeobachtung nach der Zulassung erschweren. Vor allem aber werde es immer schwieriger, die Preise mit vorhandenen Methoden in den Griff zu bekommen. Das stoße auf die Dauer an die Leistungsfähigkeit und Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems. Denn anders als bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sei Krebs – von Ausnahmen abgesehen – nur begrenzt durch Prävention, sei es durch Änderungen des Verhaltens oder durch eine vorbeugende Arzneimitteltherapie verhinderbar. Als unausweichlich betrachtet Lauterbach das Mengenproblem in einer alternden Gesellschaft mit wachsender Lebenserwartung – spätestens dann, wenn die starken Babyboomerjahrgänge das Alter für eine hohe Krebserkrankungswahrscheinlichkeit erreichen.

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