Zitierweise: Ring J, Beyer K, Biedermann T, Bircher A, Fischer M, Fuchs T, Heller A, Hoffmann F, Hutegger I, Jakob T, Klimek L, Kopp MV, Kugler C, Lange L, Pfaar O, Rietschel E, Rueff F, Schnadt S, Sifert R, Stöcker B, Treudler R, Vogelberg C, Werfel T, Worm M, Sitter H, Brockow K. Guideline (S2k) on acute therapy and management of anaphylaxis: 2021 update. S2k-Guideline of the German Society for Allergology and Clinical Immunology (DGAKI), the Medical Association of German Allergologists (AeDA), the Society of Pediatric Allergy and Environmental Medicine (GPA), the German Academy of Allergology and Environmental Medicine (DAAU), the German Professional Association of Pediatricians (BVKJ), the Society for Neonatology and Paediatric Intensive Care (GNPI), the German Society of Dermatology (DDG), the Austrian Society for Allergology and Immunology (ÖGAI), the Swiss Society for Allergy and Immunology (SGAI), the German Society of Anaesthesiology and Intensive Care Medicine (DGAI), the German Society of Pharmacology (DGP), the German Respiratory Society (DGP), the patient organization German Allergy and Asthma Association (DAAB), the German Working Group of Anaphylaxis Training and Education (AGATE). Allergo J Int 2021;30:1-25

https://doi.org/10.1007/s40629-020-00158-y

Entwicklungsstufe

S2k

AWMF-Leitlinien-Register-Nummer

061-025

Stand

(Fertigstellung)

2021

Überprüfung

(geplant für)

2025

ICD-10-Nummer

T 78, T 80, J.45, L 23

Englische Fassung

http://link.springer. com/journal/40629

Problemstellung

Unter Anaphylaxie versteht man eine akute systemische Reaktion mit Symptomen einer allergischen Sofortreaktion, die den ganzen Organismus erfassen kann und potenziell lebensbedrohlich ist [1, 2, 3].

Auch wenn Anaphylaxie in ihrer Symptomatik hoch akut abläuft, liegt dem Ereignis eine chronische Erkrankung zugrunde, da es durch die zugrundeliegende Fehlsteuerung des Immunsystems jederzeit erneut zu Reaktionen kommen kann, was teilweise gravierende Auswirkungen psychischer und organisatorischer Art auf den Alltag von Betroffenen hat.

Die Definition der Anaphylaxie ist weltweit nicht einheitlich. Derzeit werden verschiedene Klassifikationssysteme verwendet. Im deutschen Sprachraum ist bislang überwiegend die hier verwendete Klassifikation eingesetzt worden.

Anaphylaktische Reaktionen gehören zu den schwersten und potenziell lebensbedrohlichen, dramatischen Ereignissen in der Allergologie. Die Akutbehandlung wird auf der Grundlage von internationalen Leitlinien und Empfehlungen von Lehrbüchern durchgeführt. Die vorliegende Leitlinie aktualisiert frühere Versionen von 1994, 2007 und 2014 [4, 5, 6, 7, 8] und berücksichtigt internationale Leitlinien [7] (siehe "Verfahren zur Konsensusbildung").

Anaphylaktische Reaktionen können auf jeder Stufe der Symptomatik spontan zum Stillstand gelangen, aber auch trotz adäquater Therapie fortschreiten. Diese Unwägbarkeit erschwert es, die Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen zu beurteilen. Einzelfallbeobachtungen erlauben keine Einschätzung darüber, ob spezifische Maßnahmen wirksam waren. Bekannt ist, dass Betroffene nach erfolgreich behandelter Anaphylaxie infolge eines Insektenstiches nur unzureichend nachbetreut wurden [9, 10, 11]. Diese Probleme in der Grundversorgung unterstreichen die Notwendigkeit weiterer wissenschaftlicher Arbeit sowie die Bedeutung der vorliegenden Leitlinie.

Diese Leitlinie richtet sich an alle ärztlich Tätigen sowie an andere medizinisch tätige Personen, die in der Akutbehandlung, Diagnostik und Beratung von Patient*innen mit Anaphylaxie beteiligt sind.

Geschlechtsbezogene Personenbeschreibungen werden in der Schreibweise mit Genderstern angegeben; darin sind männliche, weibliche und diverse Personen eingeschlossen.

Epidemiologie der Anaphylaxie

In den letzten Jahren gibt es zunehmend weltweit Datenerhebungen zur Häufigkeit anaphylaktischer Reaktionen [12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21]. Aufgrund der uneinheitlichen Definition beziehungsweise der Tatsache, dass eine Anaphylaxie mit Todesfolge nicht immer sicher erkannt wird, ist von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen. Eine Limitation bei den Daten zur Epidemiologie der Anaphylaxie besteht in der fehlenden einheitlichen Kodierung der Anaphylaxie nach der ICD-10. So existieren zahlreiche ICD-10-Kodierungen, die eine Anaphylaxie einschließen können. Für die Überarbeitung in Form des ICD-11, die ab 2022 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Kraft gesetzt werden wird, wird es voraussichtlich eine neue Einordnung der Anaphylaxie geben [22, 23, 24]. Insbesondere besteht Klärungsbedarf bezüglich der Frage, ob wiederholte kutane Reaktionen bei bestehender Typ-I-Allergie bereits einer Anaphylaxie zuzuordnen sind, ob per definitionem die Beteiligung von mindestens zwei Organsystemen zu fordern ist oder ob nur der Organbefall des Respirations- und/oder Herzkreislaufsystems eine schwere Reaktion darstellen und somit als Anaphylaxie zu werten sind. Hier besteht derzeit weder national noch international ein Konsens. Publizierte Daten zur Epidemiologie müssen daher unter Berücksichtigung dieser Aspekte bewertet werden [25, 26].

Retrospektive Studien lassen darauf schließen, dass bis zu 1-2 % der von einer Anaphylaxie Betroffenen in einer Notaufnahme einer Klinik der Maximalversorgung wegen anaphylaktischer Reaktionen vorstellig werden [18]. Für anaphylaxiebedingte Todesfälle wird eine Zahl von ein bis drei Fällen pro Jahr pro eine Million Einwohner geschätzt [19]. Aktuelle Studien aus den USA, Großbritannien und Australien zeigen Inzidenzen der Anaphylaxie zwischen sieben und 50 pro 100.000 Einwohner pro Jahr und weisen auf eine Zunahme der Anaphylaxie in den letzten Jahrzenten hin. Insbesondere die nahrungsmittelinduzierte Anaphylaxie bei Kindern und die arzneimittelinduzierte Anaphylaxie bei Erwachsenen haben zugenommen, jedoch ist die Mortalität gleichgeblieben [19, 20, 21].

Zahlen aus dem deutschsprachigen Anaphylaxie-Register und auch Daten aus anderen Ländern der Welt zeigen, dass Nahrungsmittel die häufigsten Auslöser einer Anaphylaxie im Kindesalter sind [26]. Insektengifte sowie Arzneimittel stehen an erster Stelle der Auslöser bei Erwachsenen in Deutschland (Tab. 1), wobei hier international bezüglich der Reihenfolge Unterschiede bestehen. Im Kindesalter sind Jungen häufiger von einer Anaphylaxie betroffen als Mädchen, vermutlich bedingt durch das häufigere Auftreten von Nahrungsmittelallergien bei Jungen. Eine Angleichung der Geschlechtsverteilung findet sich nach der Pubertät [27].

Tab. 1 : Häufige Auslöser schwerer anaphylaktischer Reaktionen bei Kindern und Erwachsenen (Daten aus dem Anaphylaxie-Register, Stand 03/2017, n = 8.046, Worm et al. 2018 [44])

Pathophysiologie

Ursächlich liegt der Anaphylaxie meist eine immunologische Reaktion - am häufigsten als Immunglobulin-E-vermittelte Allergie - zugrunde. IgE aktiviert dabei über Kreuzvernetzungen von hoch affinen IgE-Rezeptoren Mastzellen und basophile Granulozyten, was in einer erhöhten Expression von Oberflächenmarkern (CD63, CD203c) auf Basophilen indirekt messbar ist. Die Symptome anaphylaktischer Reaktionen werden insbesondere durch Mediatoren verursacht, die vor allem aus Mastzellen und basophilen Granulozyten freigesetzt werden wie Histamin, Prostaglandine, Leukotriene (LTB4, LTC4, and LTD4), Tryptase, plättchenaktivierender Faktor (PAF), Heparin, Proteasen, Serotonin und Zytokine [28, 29, 30, 31, 32]. Ihre relative Bedeutung ist beim Menschen aus methodischen Gründen schwer einzuschätzen und noch immer Gegenstand aktueller Diskussion. Es besteht allerdings Einigkeit darüber, dass Histamin an anaphylaktischen Reaktionen zentral beteiligt ist [28]. So kann die i. v.-Applikation von Histamin bei Gesunden anaphylaktische Symptome hervorrufen [33, 34]. Weiterhin wird diskutiert, dass neben IgE, in seltenen Fällen (z. B. Dextran), andere Antikörperklassen eine ähnliche Symptomatik auslösen oder eine IgE-vermittelte Reaktion verstärken können. Hierbei gelten die Komplementspaltprodukte C3a, C4a und C5a (Anaphylatoxine) als besonders wichtige Mediatoren und neben Basophilen auch Neutrophile und Makrophagen als relevante Effektorzellen, die über Immunkomplexrezeptoren (CD16, CD32 bzw. CD64) aktiviert werden können [35, 36].

Daneben gibt es anaphylaktische Reaktionen, bei denen keine immunologische Sensibilisierung fassbar ist. Diese Reaktionen werden als "pseudo-allergische Reaktionen" [35] oder als "nicht immunologische Anaphylaxie" bezeichnet [1]. Die Mechanismen dieser nicht allergischen Anaphylaxie umfassen eine IgE-unabhängige Freisetzung vasoaktiver Mediatorsubstanzen eventuell über den "MAS-related"-G-Protein-gekoppelten Rezeptor [116], eine direkte Aktivierung des Komplementsystems, Interaktionen mit dem Kallikrein-Kinin-System, Interaktionen mit dem Arachidonsäurestoffwechsel sowie psychoneurogene Reflexmechanismen. Der Kenntnisstand über die Pathophysiologie dieser Reaktionen ist wesentlich geringer als bei der allergischen Anaphylaxie.

Bei Patient*innen mit erhöhter basaler Serumtryptase und/oder Mastozytose kann die Anaphylaxie besonders schwer verlaufen [37, 38, 39, 40, 41]. Allerdings wurden häufig, insbesondere bei Kindern mit nahrungsmittelinduzierter Anaphylaxie, auch Normalwerte für die Tryptase gemessen [42]. Eine vorangegangene Einnahme von β-Adrenozeptorantagonisten und ACE-Inhibitoren (angiotensinkonvertierendes Enzym, ACE) kann zu einer Verstärkung der anaphylaktischen Symptome führen [27, 41, 43, 44].

Bei β-Adrenozeptorantagonisten spielen die Blockade der kardiostimulatorischen sowie der mastzellstabilisierenden Wirkung von Adrenalin eine Rolle, bei den ACE-Inhibitoren ein verminderter Bradykininabbau mit daraus resultierender ausgeprägter Vasodilatation. Auch nach Einnahme von Zyklooxygenase-Inhibitoren (nicht steroidale Antirheumatika, NSAR) kann es durch eine vermehrte Leukotrienbildung und durch Erleichterung der Absorption oral zugeführter Allergene zu verstärkten anaphylaktischen Reaktionen kommen.

Klinische Symptomatik

Anaphylaktische Reaktionen manifestieren sich im Wesentlichen an Haut, Atemwegen, Gastrointestinaltrakt und kardiovaskulärem System. Die Arbeitsgruppe hat diskutiert, ob der Leitlinie eine Schweregradeinteilung zugrunde gelegt werden soll, da die Behandlung der Anaphylaxie symptombezogen erfolgt. Eine Mehrzahl sprach sich für eine Schweregradeinteilung aus. In der Literatur existieren verschiedene Schweregradeinteilungen [7, 8, 10, 45]. Jede Schweregradeinteilung bringt Vor- und Nachteile mit sich. Die Gruppe hat sich für eine Modifikation der derzeit in Deutschland am häufigsten eingesetzten Schweregradeinteilung entschieden, die auch in der vorangehenden Leitlinie verwendet wurde [5, 6]. Entsprechend der Intensität der klinischen Symptomatik wird demzufolge die Anaphylaxie in die Schweregrade von I bis IV eingeteilt (Tab. 2).

Tab. 2 : Schweregradskala zur Klassifizierung anaphylaktischer Reaktionen (modifiziert nach [6, ])*

Die Symptomatik anaphylaktischer Reaktionen setzt meist akut ein und kann sehr rasch fortschreiten. So kann es innerhalb von Minuten zu einer Verstärkung der Symptome bis hin zum Schock und Tod kommen. Die Reaktion kann jedoch auch auf jeder Stufe spontan zum Stillstand kommen und im Verlauf rückläufig sein. Bei einer Reaktion vom Schweregrad I ist die weitere Entwicklung und Dynamik der Reaktion zunächst nicht absehbar. Die Symptome können in unterschiedlicher Weise gleichzeitig oder nacheinander auftreten. Es kann primär zu Kreislaufreaktionen kommen, ohne dass zuvor kutane oder pulmonale Reaktionen auftreten. In fünf bis 20 % der Fälle kommt es nach erfolgreicher Therapie zu protrahierten oder biphasischen Verläufen mit erneuter Symptomatik meist nach sechs bis 24 Stunden [47, 48, 49]. Neben einer akut einsetzenden Symptomatik unmittelbar nach Allergenkontakt und biphasischen Verläufen gibt es auch primär verzögert einsetzende anaphylaktische Reaktionen, bei denen die Symptomatik erst Stunden nach der Exposition beginnt. Diese besondere Kinetik ist beispielsweise für das Allergen Galaktose-α-1-3-Galaktose bei der Säugetierfleischallergie ("rotes Fleisch") eindrucksvoll dokumentiert und basiert wahrscheinlich auf einer verzögerten Freisetzung oder systemischen Verfügbarkeit der Allergene oder ihrer Bindungsstellen [50, 51, 52]. Aber auch bei der Erdnussallergie beträgt die Zeit vom Konsum bis zum Auftreten von Symptomen im Median 55 Minuten [53].

Zu Beginn einer Anaphylaxie können sich im Sinne von Prodromalsymptomen leichtere Beschwerden bemerkbar machen wie Juckreiz beziehungsweise Brennen an Handinnenflächen und Fußsohlen oder im Genitalbereich, metallischer Geschmack, Angstgefühle, Kopfschmerzen oder Desorientierung. Diese Beschwerden können Kleinkinder nicht spezifisch zum Ausdruck bringen. Bei ihnen treten häufig als Initialsymptome noch vor Eintritt objektiver Beschwerden Unruhe oder Rückzugsverhalten auf.

An Haut und Schleimhäuten zeigen sich Juckreiz, Erythem (Flush) sowie Urtikaria und Angio(Quincke)-Ödeme auch an Hautarealen, die keinen direkten Kontakt mit dem Auslöser hatten (systemische Ausbreitung). Die Haut ist bei der Anaphylaxie am häufigsten betroffen.

An den oberen Atemwegen beschreiben Betroffene oft als Frühzeichen ein Brennen, Kribbeln oder Juckreiz der Zunge oder am Gaumen. Im Oropharynx kann eine Schwellung der Uvula und der Zunge beobachtet werden. Klinische Zeichen sind eine kloßige Sprache, Schluckbeschwerden mit Speicheln oder ein inspiratorischer Stridor. Die mögliche Folge eines Larynxödems kann eine innerhalb kürzester Zeit entstehende Verlegung der oberen Atemwege mit lebensbedrohlicher Hypoxie sein.

An der Lunge kann es besonders bei vorbestehendem Asthma zur Bronchokonstriktion mit Entwicklung von Dyspnoe kommen. Klinische Zeichen sind Giemen, verlängertes Exspirium und Tachydyspnoe. Die bronchiale Obstruktion ist besonders bei Kindern und Jugendlichen das führende Symptom bei lebensbedrohlichen Reaktionen. Hierbei korreliert der Grad des Asthmas direkt mit dem Schweregrad der anaphylaktischen Reaktion. In unterschiedlichem Ausmaß kann auch eine Vasokonstriktion mit zum Teil extremer Erhöhung des pulmonalen vaskulären Widerstandes entstehen, bis hin zum Atemstillstand und Reanimationspflicht. Als Folge der Permeabilitätsstörung kann ein Lungenödem auftreten [54, 55, 56].

Die gastrointestinalen Symptome umfassen teils krampfartige Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö. Darüber hinaus kann es zu verstärkter Darmmotorik mit Meteorismus und Stuhldrang bis hin zur unwillkürlichen Defäkation kommen. Weitere abdominale Symptome können als Harndrang und Miktion sowie Uteruskrämpfe auftreten. Bei Kindern sind milde orale Symptome oder periorale Rötungen mit Erbrechen als ausschließliche Symptome einer nahrungsmittelinduzierten Anaphylaxie möglich.

Infolge der Vasodilatation und Permeabilitätsstörung kommt es zu Flüssigkeitsverlust ins Gewebe und zu einer Hämokonzentration und intravasalen Hypovolämie, gefolgt von arterieller Hypotension und Tachykardie. Direkte kardiale Symptome wie Arrhythmie oder Bradykardie sind möglich.

Zentralnervöse Symptome sind Unruhe oder Rückzugsverhalten, Kopfschmerzen, zerebrale Krämpfe, Bewusstseinseinschränkung und Bewusstlosigkeit. Bei Kindern wird häufig eine Verhaltensveränderung beobachtet. Sie äußert sich in Ängstlichkeit oder teilweise auch Aggressivität. Ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene können ein "Gefühl drohenden Unheils" erleben.

Tritt eine anaphylaktische Reaktion während einer Allgemeinanästhesie auf, können Patient*innen Frühsymptome wie Juckreiz oder Unwohlsein nicht äußern. Der Beobachtung von Erythem oder Urtikaria, Herz-Kreislauf-Reaktionen (Tachykardie und Hypotonie) sowie bronchokonstriktorischen Veränderungen der Beatmung (Anstieg des Beatmungswiderstandes, verminderter exspiratorischer Fluss) kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu [57].

Ursachen eines tödlichen Verlaufs einer Anaphylaxie sind insbesondere Atemwegsobstruktion und/oder kardiovaskuläres Versagen entweder direkt am Herz oder als Folge der Mikrozirkulationsstörung mit Schock; selten liegt eine disseminierte intravaskuläre Gerinnung oder Adrenalinüberdosierung vor [58, 59].

Allergene und Auslöser

Die häufigsten Auslöser schwerer anaphylaktischer Reaktionen sind Arzneimittel, Insektengifte und Nahrungsmittel. Die Rangfolge der Auslöser wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, hierzu gehören die Art der Erhebung, die Altersgruppe und die geografische Region. Im deutschsprachigen Raum werden Auslöser anaphylaktischer Reaktionen seit 2006 in einem "Anaphylaxie-Register" erfasst, bei dem allergologische Zentren aus dem deutschsprachigen Raum aber auch Europa Fälle mit schweren allergischen Reaktionen melden. Bei Kindern sind Nahrungsmittel die häufigsten Auslöser schwerer anaphylaktischer Reaktionen, während bei Erwachsenen auch Insektengifte und Medikamente sehr häufige Auslöser darstellen [25]. Mithilfe des Anaphylaxie-Registers können auch sehr seltene Auslöser einer Anaphylaxie frühzeitig identifiziert werden, zuletzt waren dies im Bereich der Nahrungsmittel zum Beispiel Gewürze und neue exotische Früchte [44].

Der Kontakt zum Anaphylaxie-Auslöser entsteht am häufigsten durch orale oder parenterale/hämatogene Zufuhr. Selten kann eine Anaphylaxie auch aerogen oder sehr selten über die Applikation auf der Hautoberfläche (Kontaktanaphylaxie) bei stark Sensibilisierten ausgelöst werden [60, 61, 62]. Anaphylaktische Symptome können auch abhängig von einer Kombination verschiedener Faktoren auftreten, zum Beispiel Allergenexposition zusammen mit körperlicher Belastung, als "exercise-induced anaphylaxis (EIA)" [63, 64], Alkohol, mentalem oder emotionalen Stress, Infekt oder gleichzeitiger Exposition gegen andere Allergene sowie der Anwendung anaphylaxiebegünstigender Arzneimittel. Dieses Phänomen wird als Augmentation oder Summation bezeichnet. Eine häufiger vorkommende Form ist die nahrungsmittelinduzierte anstrengungsgetriggerte Anaphylaxie ("food-dependent-exercise-induced anaphylaxis", FDEIA), die am häufigsten durch Weizen (oder Unterarten, z. B. Dinkel, Grünkern, Emmer) ausgelöst wird [64, 65].

Risikofaktoren der schweren Anaphylaxie

Bestimmte endogene und exogene Faktoren können das Auftreten einer schweren Anaphylaxie fördern. Solche Risikofaktoren (Abb. 1), die unabhängig vom Auslöser bestehen, sind hohes Lebensalter, schwere Herz-Kreislauferkrankungen, bestehendes und insbesondere schlecht eingestelltes Asthma bronchiale, die Einnahme bestimmter Medikamente, die eine Mastzellaktivierung beziehungsweise Leukotrienbildung fördern (NSAR) sowie eine Mastozytose [44, 38, 66].

Abb. 1
figure 1

: Risikofaktoren für Anaphylaxie

Die Evidenz für ein erhöhtes Risiko unter Medikation mit β-Adrenozeptorantagonisten (-blockern) eine schwere Anaphylaxie zu entwickeln, beruht ursprünglich auf einer Reihe von Fallberichten und Fallserien [67, 68, 69] sowie zwei Fallkontrollstudien zu Anaphylaxiehäufigkeit und Schweregrad bei Gabe von Röntgenkontrastmitteln [70, 71]. Aktuelle Daten aus dem Europäischen Anaphylaxie-Register bestätigen, dass die Einnahme von β-Adrenozeptorantagonisten mit einem erhöhten Risiko (Odds Ratio [OR]: 1,86) für schwere Anaphylaxien assoziiert ist [44].

Unter Berücksichtigung der auslöserbezogenen Untergruppen der Anaphylaxie, gibt es für die nahrungsmittelinduzierte Anaphylaxie Daten, die zeigen, dass das allergische Asthma bronchiale auch hier einen wichtigen Risikofaktor darstellt [72]. Letztlich kann auch der Auslöser selbst einen Risikofaktor darstellen: So ist beispielsweise bekannt, dass unter anderem die primäre Sensibilisierung gegen Erdnuss oder Fisch als hoch potente Allergene einen Risikofaktor für schwere Reaktionen darstellt [73].

Diagnose und wichtige Differenzialdiagnosen

Die klinische Symptomatik der Anaphylaxie ist nicht immer charakteristisch, sodass die Diagnose Schwierigkeiten bereiten kann. Daher ist es wichtig, andere akute Reaktionen von Symptomen einer anaphylaktischen Reaktion abzugrenzen, zum Beispiel andere Manifestationen von isolierter Urtikaria, Atemwegsobstruktion, Erbrechen, Nausea, Diarrhö, Unruhe, Bewusstlosigkeit, Herzrhythmusstörungen oder Herzstillstand. Wichtige Differenzialdiagnosen sind in Tab. 3 aufgelistet. Nach adäquater Akutversorgung ist es hilfreich, im Blut Mediatoren zu bestimmen, vor allem die Serumtryptase - idealerweise etwa ein bis drei Stunden nach dem Einsetzen der Anaphylaxie, falls möglich im Vergleich zur basalen Serumtryptase. Sie kann auch im Nachhinein - sogar post mortem - bestimmt werden, muss aber nicht erhöht sein [66, 38, 42].

Tab. 3 : Wichtige Differenzialdiagnosen der Anaphylaxie

Folgende Symptome werden als charakteristische Kriterien für eine Anaphylaxie angesehen [8]:

  1. 1.

    plötzliches Auftreten von Symptomen an der Haut (z. B. akute Urtikaria, Angioödem, Flush, Schleimhautschwellung) zusammen mit plötzlichen respiratorischen Symptomen (z. B. Atemnot, Giemen, Husten, Stridor) oder plötzlichem Blutdruckabfall beziehungsweise dessen Manifestationen (z. B. Kollaps, Herzrasen, Inkontinenz) oder

  2. 2.

    plötzliches Auftreten von Symptomen an zwei oder mehr der Organsysteme Haut (z. B. akute Urtikaria, Angioödem, Flush, Schleimhautschwellung), Gastrointestinaltrakt (z. B. Bauchkrämpfe, Erbrechen), Atemtrakt (z. B. Atemnot, Giemen, Husten, Stridor) oder Kreislaufsystem (z. B. Blutdruckabfall, Kollaps, Inkontinenz) nach einem Kontakt mit einem wahrscheinlichen Allergen oder Anaphylaxie-Trigger oder

  3. 3.

    Blutdruckabfall nach Kontakt mit einem für die betroffenen Patient*innen bekannten Allergen oder einem anderen Anaphylaxie-Trigger.

Pharmakologie der wichtigsten Arzneimittel in der Anaphylaxie-Behandlung

Zur spezifischen medikamentösen Therapie haben sich die nachfolgenden Substanzen bewährt.

1. Vasoaktive Substanzen

Adrenalin: Der wichtigste Arzneistoff in der Akuttherapie der Anaphylaxie ist Adrenalin (Epinephrin) [74, 75]. Adrenalin antagonisiert funktionell über Aktivierung von α- und β-Adrenozeptoren alle wichtigen Pathomechanismen der Anaphylaxie durch Vasokonstriktion, Erniedrigung der Gefäßpermeabilität, Bronchodilatation, Ödemreduktion und positive Inotropie am Herzen. Es zeigt, wenn intravenös oder intramuskulär verabreicht, den schnellsten Wirkungseintritt aller Anaphylaxie-Arzneimittel.

Bei nicht reanimationspflichtigen Patient*innen ist die sofortige intramuskuläre Applikation einer Dosis von 0,15 bis 0,6 mg Adrenalin in die Außenseite des Oberschenkels die medikamentöse Therapie der ersten Wahl. Gegenüber der intravenösen Applikation ist das Risiko schwerer kardialer Nebenwirkungen erheblich geringer. Bei fehlender Wirkung und in Abhängigkeit unerwünschter Wirkungen kann die Injektion alle fünf bis 10 Minuten je nach klinischer Symptomatik wiederholt werden.

Die subkutane Injektion von Adrenalin wird wegen unzureichender Resorption und damit verbundenem verzögertem Wirkungseintritt nicht mehr empfohlen.

Bei fehlender Stabilisierung der Symptomatik und drohender Dekompensation von Atmung oder Kreislauf sollte Adrenalin intravenös appliziert werden [76]. Hierfür wird die Verdünnung von 1 mg Adrenalin in 100 ml NaCl 0,9 %, das heißt, eine Lösung von 10 µg/ml titrierend mit einzelnen Boli von 1 µg/kg KG unter kontinuierlicher Kontrolle der Kreislaufparameter, in Abhängigkeit von Wirkung und Nebenwirkungen verabreicht. Eine Puls- und Blutdruckkontrolle ist erforderlich (zur Adrenalindosierung bei Herz-/Kreislaufstillstand siehe unten). Bei Patient*innen unter Therapie mit β-Adrenozeptorantagonisten und fehlendem Ansprechen auf mehrfache Gabe von Adrenalin oder anderer vasoaktiver Stoffe (siehe unten) wird die Gabe von Glukagon empfohlen, da es positiv inotrop wirkt und zu einer Hochregulierung von β-Adrenozeptoren auf der Zelloberfläche führt [77]. Glukagon hat jedoch ausschließlich eine Wirkung auf die kardiale Symptomatik.

Die zusätzlich zur intramuskulären Applikation inhalative Gabe von Adrenalin ist wirksam bei Larynxödem und wirkt auch bei Bronchospasmus. Hier wird die Gabe von Adrenalin, unverdünnte Lösung 1 mg/ml (z. B. 3 bis 5 ml à 1 mg/ml), über einen Vernebler mit Atemmaske/Mundstück zusammen mit Sauerstoff empfohlen. Die inhalative Applikation von Adrenalin kann die parenterale Gabe nicht ersetzen und sollte immer additiv eingesetzt werden [57].

Bei überwiegender Bronchialobstruktion sind die zusätzliche Gabe inhalativer β-Adrenozeptoragonisten, zum Beispiel Salbutamol in einer Dosierung von initial zwei, bei ausbleibender Wirkung von vier bis acht Hüben oder subkutan Terbutalin, wirksam. Die Effektivität der Inhalation eines Dosieraerosols sollte, wenn möglich, durch Anwendung eines "Spacers" für jüngere Kinder gegebenenfalls mit Maske erhöht werden.

Früher wurde bei Hypotonie in der Schwangerschaft vereinzelt statt Adrenalin die Gabe von Ephedrin empfohlen. Die Datenlage ist für Ephedrin jedoch noch unzureichender als für Adrenalin, sodass wir in Übereinstimmung mit anderen Autoren auch bei Anaphylaxie in der Schwangerschaft die Gabe von Adrenalin empfehlen [78].

Auch bei adäquater Gabe von Adrenalin können ein Therapieversagen oder unerwünschte Wirkungen beobachtet werden. Die Erhöhung des Herzminutenvolumens führt zu erhöhtem Sauerstoffverbrauch, was bis zu Herzmuskelnekrosen führen kann. Auch kann Adrenalin arrhythmogen wirken, sodass bei vorbestehender koronarer Herzkrankheit insbesondere durch intravenöse Gabe von Adrenalin Angina pectoris oder ein Myokardinfarkt ausgelöst werden können. Bei schwerer lebensbedrohlicher Anaphylaxie gibt es keine absolute Kontraindikation für Adrenalin, jedoch sollte die Indikation in Fällen mit vorbestehender Herzerkrankung geprüft werden. Beim asystolen Kreislaufstillstand beziehungsweise pulsloser elektrischer Aktivität im EKG wird bei Erwachsenen 1 mg Adrenalin i. v. oder bei Kindern 0,01 mg/kg alle drei bis 5 Minuten gegeben [101, 102].

1.1. Andere vasoaktive Substanzen

Dopamin, Noradrenalin sowie Vasopressin werden in bedrohlichen Situationen von Notärzten und unter intensivmedizinischen Bedingungen mit Monitorkontrolle eingesetzt.

Dopamin: Dopamin, das auf α- und β-Adrenorezeptoren wirkt und eine kurze Halbwertszeit besitzt [79, 80] wird heute in der deutschen Notfall- und Intensivmedizin nicht mehr genutzt, da es regelmäßig unerwünschte Tachykardien auslöst und hinsichtlich Blutdruckstabilisierung wesentlich wirkungsschwächer als Adrenalin oder Noradrenalin ist, die man ihrerseits gut mit Spritzenpumpen titrieren kann.

Noradrenalin: Noradrenalin ist ein hoch potenter α- und etwas weniger potenter β1-Adrenozeptoragonist und hat im Vergleich zu Adrenalin eine niedrigere stimulatorische Potenz am β2-Adrenozeptor, sodass in therapeutischer Dosierung die bronchodilatatorische Wirkung geringer ist. Daher überwiegt eine Zunahme des peripheren Widerstands und systolischen Blutdrucks. Die Wirkung auf die Lunge ist gering. Noradrenalin wird insbesondere bei ungenügender Wirkung von Volumenzufuhr und Adrenalin eingesetzt [81, 75]. Wegen seiner ausgeprägten vasokonstriktorischen Wirkung soll es ausschließlich als intravenöse Dauerinfusion unter striktem Blutdruck- und Pulsmonitoring verabreicht werden. Die Dosierung beträgt 0,02 bis 0,15 µg/kg/Minute.

Vasopressin: Von Anästhesisten wird zur Behandlung von schwerer Hypotonie auch der Einsatz von Vasopressin beschrieben [82].

Im Falle von volumen- und katecholaminrefraktären Schockzuständen gibt es Einzelberichte zum erfolgreichen Einsatz von Vasopressin. Es handelt sich hierbei um keine evidenzbasierte Therapie; sie obliegt verzweifelten Situationen mit persistierendem Schock bei ausgereizter Therapie mit Volumen und den gängigen Katecholaminen. Ein Effekt auf Mortalität oder Dauer des Intensivaufenthalts konnte für Kinder nicht gezeigt werden. Die Dosierung beträgt 0,01 bis 0,03 IE/min (Internationale Einheiten pro Minute).

2. Sauerstoff

Bei manifesten kardiovaskulären oder pulmonalen Reaktionen empfiehlt sich die sofortige Applikation von Sauerstoff über die Atemmaske insbesondere mit Reservoirbeutel. Die Gabe von 100 % Sauerstoff mit hohem Fluss wird empfohlen. Eine Larynxmaske oder ein Larynxtubus können hilfreich sein. Nur in seltenen Fällen wird eine endotracheale Intubation durch eine darin erfahrene Person (zumeist Notarzt*in, Anästhesist*in) notwendig werden [57]. Insbesondere wird hier auf die S1-Leitlinien zum präklinischen Atemwegsmanagement verwiesen, welche einen Algorithmus präsentieren, der sowohl die Indikation als auch die Durchführung eines invasiven präklinischen Atemwegsmanagements erläutert (Abb. 2) [57].

Abb. 2
figure 2

: Prähospitales Atemwegsmanagement - Algorithmus (nach ); EGA, epiglottic airway; ETI, endotracheale Intubation

3. Volumengabe

Ein wichtiger pathophysiologischer Aspekt der Anaphylaxie ist die resultierende relative Hypovolämie, die durch Vasodilatation und Kapillar-Leakage verursacht wird [83]. Damit wird klar, dass eine Volumentherapie die entscheidende ursächliche mastzellstabilisierende und vasokonstriktorische Adrenalintherapie lediglich flankieren kann [84, 85, 86]. Dies ist nur über großlumige intravenöse Zugänge zu erreichen. Ist ein intravenöser Zugang nicht herzustellen, muss ein intraossärer Zugang gelegt werden. Der anaphylaktische Schock erfordert innerhalb kurzer Zeit bei Erwachsenen eine Zufuhr von ein bis drei Liter balancierter Vollelektrolytlösung, je nach Ansprechen. Im Kindesalter erfolgt die initiale Gabe von 20 ml/kg KG aus der Hand so schnell wie möglich. Nach Reevaluation erfolgen weitere Bolusgaben à 20 ml/kg KG bis zur hämodynamischen Stabilisierung.

Gelatine- und Dextranlösungen sollten - trotz positiver hämodynamischer Eigenschaften - wegen ihrer histaminliberierenden Potenz beziehungsweise der Möglichkeit, selbst Anaphylaxien auszulösen (z. B. bei Dextran ohne Vorbehandlung mit niedermolekularem Dextranhapten) in der Therapie der Anaphylaxie nicht verwendet werden.

Hydroxyethylstärke(HES)-Präparate sind nach neuester Bewertung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bei kritisch Kranken kontraindiziert [87, 88, 89]. Aufgrund fehlender Literatur ist die Leitliniengruppe eher zurückhaltend mit Empfehlungen.

4. Antihistaminika (Histamin-H1-Rezeptorantagonisten)

Die zentrale Rolle von Histamin als Mediator allergischer Reaktionen und die Wirkung von H1-Antihistaminika bei akuter Urtikaria oder Rhinokonjunktivitis sind unbestritten, deren Wirkungen auf den Kreislauf und die Bronchokonstriktion sind jedoch nicht belegt [90]. Antihistaminika haben einen langsameren Wirkungseintritt im Vergleich zu Adrenalin, besitzen aber ein günstiges Nutzen-Nebenwirkungsprofil und eine große therapeutische Breite. Eine Wirkung auf die allergische Reaktion ist anzunehmen. Darum sollten sie bei allen anaphylaktischen Reaktionen zur Antagonisierung der Histaminwirkung bereits im Anfangsstadium nach Stabilisierung der Vitalfunktionen gegeben werden. Keinesfalls dürfen lebensrettende Sofortmaßnahmen, wie intramuskuläre Adrenalingabe, Sauerstoffapplikation oder die Volumensubstitution durch die Gabe von Antihistaminika verzögert werden!

Zur intravenösen Applikation in der Akuttherapie der Anaphylaxie sind nur die Histamin-H1-Antagonisten der ersten Generation Dimetinden (0,1 mg/kg KG) und Clemastin (0,05 mg/kg KG) mit den bekannten sedierenden Nebenwirkungen verfügbar. In höheren Dosierungen können Antihistaminika jedoch antimuskarinerge Wirkungen, wie Tachykardie, Mundtrockenheit, Darmatonie, Harnverhalt, Augeninnendruckerhöhung bis hin zum Glaukomanfall sowie paradoxe Erregungszustände auslösen [91]. Auf diese Symptome ist daher zu achten.

Die Histamin-H1-Antagonisten der zweiten Generation sind zur Therapie der Anaphylaxie noch nicht zugelassen und stehen nicht zur intravenösen Injektion zur Verfügung. Dennoch werden zur oralen Notfalltherapie häufig die neueren selektiveren Histamin-H1-Antagonisten empfohlen, die in placebokontrollierten Hautteststudien einen schnellen Wirkungseintritt zeigten [90]. Bei der oralen Antihistaminika-Gabe wird offiziell primär die maximal zugelassene Dosis empfohlen. Die Expertengruppe ist sich jedoch einig, dass in Einzelfällen auch erhöhte Dosen (bis maximal der vierfachen Dosis der jeweilig zugelassenen Einzeldosis) gegeben werden können, wie das für die Behandlung der chronischen Urtikaria empfohlen wurde [92]. Weitere Studien mit neueren Histamin-H1-Antagonisten zur Therapie der Anaphylaxie sind dringend zu fordern. Dabei wären insbesondere intravenöse Präparate moderner nicht sedierender H1-Antihistaminika wünschenswert.

Zur Wirksamkeit von Histamin-H2-Rezeptorantagonisten in der Therapie akuter anaphylaktischer Reaktionen gibt es wenig Evidenz. Eine Studie berichtet über eine Reduktion kutaner Symptome nach zusätzlicher Verabreichung von Ranitidin gegenüber der alleinigen Gabe eines H1-Rezeptorantagonisten in der Therapie allergischer Reaktionen [93]. Die Prävention von Überempfindlichkeitsreaktionen durch Zugabe von H2-Rezeptorantagonisten ist etwas besser belegt, wobei der Effekt nicht getrennt von anderen Arzneistoffen untersucht wurde [94, 95]. Zu anaphylaktischen Reaktionen durch Ranitidin finden sich Fallberichte in der Literatur [96]. Die kombinierte Gabe von Histamin-H1- und -H2-Rezeptorantagonisten kann versucht werden [97].

5. Glukokortikoide

Glukokortikoide spielen aufgrund des langsamen Eintritts ihrer Wirkung in der akuten Phase einer anaphylaktischen Reaktion therapeutisch eine untergeordnete Rolle [98]. Zu ihrer Anwendung in dieser Indikation liegen keine systematischen klinischen Studien vor. Glukokortikoide sind aber effektiv bei Behandlung von Asthma. Eine unspezifische membranstabilisierende Wirkung innerhalb von 10 bis 30 Minuten nach Zufuhr hoher Glukokortikoiddosen (bei Erwachsenen 500 bis 1.000 mg unabhängig von der Potenz der Substanz) wurde in Übersichtsartikeln postuliert [4, 98, 99]. Bei fehlendem intravenösem Zugang können Glukokortikoide besonders bei Kleinkindern oral als Saft oder rektal (z. B. Prednisolon-Zäpfchen oder als Rektiole) appliziert werden. Die empfohlene Dosis liegt hier bei 2 mg/kg.

Bei langer Ansprechzeit und unklarer Evidenz sollte die Therapie mit Glukokortikoiden nur nach Stabilisierung der Vitalfunktionen und lebensrettenden Sofortmaßnahmen wie Sauerstoffapplikation, intramuskulärer Adrenalingabe oder Volumensubstitution erfolgen!

Praktische Umsetzung der Therapie

Für die Notfalltherapie der Anaphylaxie ist wichtig, dass sie zeitnah und symptomgerecht erfolgt. Ein Schema, welches die Therapie für Ärzt*innen und Notfallteam abbildet, wurde bereits publiziert und im Rahmen dieser Leitlinie aktualisiert und angepasst (Abb. 3) [100].

Abb. 3
figure 3

: Akutmaßnahmen je nach Hauptsymptomatik

Je nach Umfeld gestaltet sich die Akutbehandlung der Anaphylaxie - abhängig von den vorhandenen Möglichkeiten - unterschiedlich. Diese Leitlinie geht vorwiegend auf die Situation in ärztlicher Praxis oder Klinik ein.

In einem eigenen Teil werden die Maßnahmen zum "Selbstmanagement" behandelt, die von Betroffenen oder Angehörigen außerhalb von Praxis und Klinik durchgeführt werden.

Kurz wird auch auf die Situation unter intensivmedizinischen Bedingungen eingegangen. Für die schwersten Reaktionen (Grad IV) mit Herz- und/oder Atemstillstand erfolgt die sachgerechte Reanimation nach den aktuellen Leitlinien [76, 101, 102, 103 Deutscher Rat für Wiederbelebung].

Ebenso wird auf die Besonderheiten der Anaphylaxie-Behandlung im Kindesalter extra eingegangen.

Allgemeine Aspekte und Maßnahmen

1. Wann und wie sollte die Allergenzufuhr unterbrochen werden?

Bei einer Anaphylaxie sollte zunächst geprüft werden, ob ein Stopp einer weiteren Allergenexposition möglich ist. In besonderen Situationen (z. B. Infusionen) ist dies ohne größeren Zeitaufwand möglich und hat umgehend zu erfolgen. Das Abbinden einer Extremität und/oder die subkutane Umspritzung eines lokalen Allergendepots (z. B. Wespenstich oder Injektionsstelle einer spezifischen Immuntherapie) mit Adrenalin wird nicht empfohlen, da dies von zweifelhaftem therapeutischem Nutzen ist und das Risiko birgt, von wichtigen Maßnahmen abzulenken.

2. Sollte Hilfe angefordert werden?

Wenn möglich, ist weitere Hilfe anzufordern, um die Voraussetzungen für eine ausreichende medizinische Versorgung zu schaffen. Jede/r Ärzt*in in der Praxis sollte eine Notfallausrüstung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen vorrätig haben (Tab. 4). Eine Arbeit im regelmäßig trainierten Team mit der Möglichkeit der Arbeitsteilung ist anzustreben. Bei schwerwiegenden anaphylaktischen Reaktionen ist der Notarzt- und Rettungsdienst (in D und A: Tel. 112, in der CH: Tel. 144) zu alarmieren.

Tab. 4 : Notfallausstattung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen in der Praxis

3. Wie sollen die Symptomatik und die Beschwerden erfasst werden?

Zunächst sind eine kurze Anamnese und eine Basisuntersuchung durchzuführen. Dies beinhaltet folgende Schritte, die in der "5-Sekunden-Runde" plakativ zusammengefasst sind (Tab. 5 nach "Pyramidenprozess", Ärztliche Leiter Rettungsdienst Deutschland, www.aelrd.de).

Tab. 5 : 5-Sekunden-Runde zur schnellen Prüfung der Vitalparameter (nach "Pyramidenprozess", Ärztliche Leiter Rettungsdienst Deutschland (www.aelrd.de)

Alarmwerte von Vitalparametern sind in Tab. 6 angegeben. Diese Untersuchungen sollten im Verlauf regelmäßig wiederholt werden.

Tab. 6 : Alarmgrenzen für Vitalwerte*

Jüngere Kinder können initial oft auf dem Arm der Eltern untersucht werden. Ziel ist zunächst die Beruhigung des Kindes und der Eltern, um eine adäquate Untersuchungs- und Behandlungsatmosphäre zu schaffen. Bei unruhigen Kleinkindern sind die Untersuchung der Mundhöhle und die Auskultation oft schwierig beziehungsweise nicht durchführbar. Irritationen mit dem Mundspatel können eine obere Atemwegsobstruktion verstärken und sind zu vermeiden. In diesem Fall sollte neben allgemeinen Dyspnoezeichen, wie Einziehungen von Thorax oder Nasenflügeln, auf klinische Zeichen einer oberen Atemwegsobstruktion mit inspiratorischem Stridor oder Speicheln sowie einer unteren Atemwegsobstruktion mit verlängertem Exspirium und exspiratorischem Stridor oder Giemen geachtet werden.

4. Wie sollte der Schweregrad beurteilt werden?

Aufbauend auf dieser Untersuchung sollten der Grad der Bedrohlichkeit der Anaphylaxie und das bedrohlichste, führende Symptom der Anaphylaxie identifiziert werden. Das vital bedrohlichste Symptom der Anaphylaxie sollte zuerst therapeutisch angegangen werden. Dies führt zu den häufigsten sechs Szenarien (Abb. 3):

  1. 1.

    Anaphylaxie mit Herz-Kreislauf-Versagen (Anaphylaxie Grad IV),

  2. 2.

    Anaphylaxie mit führender Herz-Kreislauf-Reaktion (Anaphylaxie Grad II/III),

  3. 3.

    Anaphylaxie mit führender Obstruktion der oberen Atemwege (Anaphylaxie Grad II/III),

  4. 4.

    Anaphylaxie mit führender Obstruktion der unteren Atemwege (Anaphylaxie Grad II/III),

  5. 5.

    Anaphylaxie mit führender gastrointestinaler Beteiligung (Anaphylaxie Grad II),

  6. 6.

    Anaphylaxie mit systemisch vermittelter, generalisierter Hautmanifestation und subjektiven Symptomen (Anaphylaxie Grad I).

5. Wie sollte die Lagerung vorgenommen werden?

Als Sofortmaßnahme nach Untersuchung ist eine symptomorientierte Lagerung der Betroffenen vorzunehmen. Eine Flachlagerung und die Vermeidung abrupter Lageveränderungen (Aufsitzen, Aufstehen) oder weiterer körperlicher Anstrengung (Laufen, Rennen) stellen die Grundstrategie dar. Situationsabhängig kann die Lagerung variiert werden. Aufrichtung und körperliche Anstrengung (Laufen, Rennen) sind wegen der Gefahr einer abrupten Volumenverlagerung "venöses Versacken" oder Aggravation der Anaphylaxie (Kofaktor) zu vermeiden. Bei eingeschränkter Bewusstseinslage und intaktem Kreislauf, insbesondere in präklinischer Situation, ist die stabile Seitenlage unter kontinuierlicher gegebenenfalls klinischer Überwachung der Atmungsfunktion anzuwenden. Zur Verbesserung der hämodynamischen Situation kann eine Trendelenburg-Lagerung (Beine hoch) durchgeführt werden. Bei Situationen mit führender Atemnot ist eine (halb-)sitzende Position zu bevorzugen. Bei der Therapie von Kindern ist darauf zu achten, mit der Lagerung keinen Zwang auszuüben, um die Angst der Kinder nicht zusätzlich zu erhöhen.

6. Wie sollte eine Anaphylaxie mit Herz-Kreislauf-Stillstand behandelt werden?

Eine kardiopulmonale Reanimation mit Thoraxkompressionen und Beatmung im Verhältnis von 30 : 2 bei Erwachsenen ist zu beginnen. Bei Kindern wird analog den aktuell gültigen Reanimations(ERC-)Leitlinien mit fünf initialen Beatmungen begonnen, gefolgt von 15 Thoraxkompressionen und jeweils zwei Beatmungen. Ein automatischer Defibrillator ist anzulegen und im Fall eines Kammerflimmerns ist eine Früh-Defibrillation durchzuführen. Für die weitere medikamentöse Therapie ist ein intravenöser oder ersatzweise ein intraossärer Zugang erforderlich. Intravenös oder intraossär verabreichtes Adrenalin in einer Dosierung von 1 mg bei Erwachsenen oder 0,01 mg/kg ist Arzneistoff der ersten Wahl und wird alle drei bis fünf Minuten bis zum Wiedererlangen eines Spontankreislaufs gegeben [101, 102]. Für eine suffiziente Oxygenierung ist in der Erstversorgung zumeist eine Beutel-Maskenbeatmung mit Reservoir und 100 % Sauerstoff ausreichend. Sollten bei Problemen mit der Maskenbeatmung Maßnahmen zur Optimierung (Kopfposition, Guedel-Tubus, 2-Personen-Technik) nicht erfolgreich sein, sollten supraglottische Atemwegshilfen verwendet werden. Hier können in allen Altersstufen eine Larynxmaske oder ein Larynxtubus zum Einsatz kommen. Alternativ kann im Kleinkindesalter ein Rachentubus zum Einsatz kommen. Hierbei wird über einen nasal eingeführten Tubus (Tubuslänge: Nasenspitze - Ohrtragus) unter Zuhalten des Mundes und des anderen Nasenlochs eine Beatmung induziert. Eine endgültige Atemwegssicherung stellt die endotracheale Intubation dar. Diese kann auch primär bei geeigneter Erfahrung erfolgen. Es konnte für alle Altersstufen gezeigt werden, dass eine endotracheale Intubation nur von in der Intubation erfahrenen Personen durchgeführt werden sollte [103, 57].

Für eine erfolgreiche Reanimation ist es erforderlich, entsprechend der Pathophysiologie der Anaphylaxie, den zugrundeliegenden Volumenmangel mittels forcierter Volumensubstitution auszugleichen. Eine sofortige Verlegung und Therapie auf eine/r Intensivstation sind anzustreben.

7. Wie sollte eine Anaphylaxie mit dem führenden Symptom Herz-Kreislauf-Reaktion behandelt werden?

Als Sofortmaßnahme ist hier die (gewichtsadaptierte) intramuskuläre Injektion von Adrenalin zu empfehlen, dies gilt insbesondere, wenn noch kein intravenöser Zugang besteht (Abb. 3, Tab. 7). Die in der Laientherapie etablierten Adrenalin-Autoinjektoren können wegen ihrer sehr schnellen Anwendbarkeit in diesen Situationen von Vorteil sein. Die standardisierten Dosen der Autoinjektoren von 0,15 mg, 0,3 mg beziehungsweise 0,5 mg stellen praktikable Einzeldosen der Applikation dar. Bei nicht ausreichendem Ansprechen kann nach circa fünf bis zehn Minuten die intramuskuläre Injektion wiederholt werden.

Tab. 7 : Pharmakotherapie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter Intensivbedingungen

Die Gabe von Sauerstoff mit dem Ziel der Anreicherung des inspiratorischen Sauerstoffanteils (FiO2) auf > 0,5 ist zu empfehlen. Dies lässt sich mit Sauerstoffatemmasken mit Reservoir erreichen. Nasensonden heben den FiO2 nur ungenügend an.

Bei allen Formen der Bewusstseinsstörung muss ständig mit Erbrechen der Betroffenen gerechnet werden. Dies ist bei der Lagerung zu berücksichtigen. Mittels Esmarch-Handgriff ist der Mund zu öffnen und die Mundhöhle auf Erbrochenes oder Fremdkörper (Prothesen) zu inspizieren und gegebenenfalls abzusaugen. Eine einsatzbereite Absaugeinheit ist sinnvoll.

Für die weitere Therapie ist ein intravenöser Zugang erforderlich (Tab. 7). Sollte es nicht gelingen ihn zu legen, ist die Anlage eines intraossären Zugangs indiziert. Zentrales Therapieziel ist der Ausgleich eines relativen Volumenmangels. Hierfür ist eine forcierte Volumensubstitution mit einer kristalloiden Infusionslösung (z. B. balancierte Vollelektrolytlösung) als Volumenbolus über fünf Minuten erforderlich. Beim Erwachsenen werden 500 bis 1.000 ml verabreicht, in der Pädiatrie beträgt der Volumenbolus initial 20 ml/kg. Eine derartige Flussleistung erfordert eine großlumige Venenverweilkanüle (≥ 18 Gauge) oder mehrere Zugänge.

Bei persistierenden oder bedrohlichen Schockzuständen ist die fraktionierte intravenöse/intraossäre oder intramuskuläre Gabe von Adrenalin oder auch als Dauertropfinfusion indiziert. Antiallergische Arzneimittel wie Antihistaminika oder Glukokortikoide sind nach Stabilisierung der Vitalfunktionen und Applikation von Adrenalin i. m. hochdosiert (cave antimuskarinerge Nebenwirkungen sedierender Antihistaminika!) einzusetzen (Tab. 7). Eine Überwachungsmöglichkeit mit kontinuierlichem Blutdruck- und Pulsmonitoring ist in diesen Situationen dringlich angezeigt. Bei entsprechenden notfallmedizinischen Kenntnissen können weitere sympathikomimetische Wirkstoffe wie Noradrenalin zugegeben oder eine kontinuierliche Dauerinfusion über Pumpensysteme unter Monitorkontrolle eingesetzt werden.

8. Wie sollte eine Anaphylaxie mit dem führenden Symptom Obstruktion im Bereich der oberen Atemwege behandelt werden?

Kennzeichnend hierfür ist eine klinisch fassbare Schwellung im Bereich der oberen Atemwege. Dies kann an einer Zungen- oder Uvulaschwellung, an einer Dysphonie oder einem inspiratorischen Stridor erkennbar sein. Diese Situationen können durch eine Verlegung des Kehlkopfeingangs lebensbedrohlich werden. Als Sofortmaßnahme werden auch in diesen Situationen die intramuskuläre Injektion von Adrenalin und die Sauerstoffgabe empfohlen (Abb. 3). Die inhalative Applikation von Adrenalin ist additiv indiziert (Tab. 7 und 8). Bei unzureichendem Ansprechen auf die therapeutischen Maßnahmen ist das Atemwegsmanagement entsprechend des Algorithmus der S1-Leitlinie zum prähospitalen Atemwegsmanagement (Abb. 2) und gegebenenfalls eine Koniotomie vorzunehmen [57].

9. Wie sollte eine Anaphylaxie mit dem führenden Symptom bronchiale Obstruktion behandelt werden?

Dieses Symptom gehört zu den häufigsten bei einer Anaphylaxie. In allen bedrohlich eingeschätzten Situationen ist als Sofortmaßnahme Adrenalin intramuskulär zu injizieren. Die topische bronchodilatatorische Therapie ist von zentraler Bedeutung [105] (Abb. 2). Verschiedene kurzwirksame β2-Adrenozeptoragonisten (z. B. Salbutamol, Terbutalin) sind zur Therapie einer bronchialen Obstruktion zugelassen (Tab. 7 und Tab. 8). Zu beachten ist, dass manche Anaphylaxiepatient*innen wenig Erfahrung mit einer Inhalationstherapie haben und daher Inhalationshilfen (Spacer) bei Dosieraerosolen oder die Anwendung von Inhalationsverfahren mit kontinuierlicher Aerosolabgabe (Aerosolmasken für Druck-/Sauerstoffanschluss oder elektrische Vernebler) vorteilhaft sind. Dies gilt auch für jüngere Kinder und Kinder ohne Erfahrung mit Inhalationstherapie. Mittlerweile sind sehr kompakte batteriebetriebene Vernebler erhältlich, die auch für den rettungsdienstlichen präklinischen Einsatz geeignet sind. Im Fall der Notwendigkeit der Therapieeskalation ist eine repetitive Gabe von intramuskulärem Adrenalin oder bei drohender Reanimationspflichtigkeit der intravenöse Einsatz von Adrenalin möglich. Eine weitere Therapiemöglichkeit stellt die Gabe eines injizierbaren β2-Adrenozeptoragonisten (Terbutalin s. c. oder Reproterol i. v.) dar (Tab. 7).

Tab. 8 : Pharmakotherapie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter Nicht-intensiv-Bedingungen (z. B. ambulanten Bedingungen)

Bei einem Status asthmaticus mit muskulärer Erschöpfung kann eine Notfallnarkose und Beatmung (nicht invasiv, nur in verzweifelten Fällen invasiv) erforderlich werden [64]. Wir verweisen auf die entsprechende Leitlinie und die Narkoseführung mit Esketamin und Midazolam [103].

10. Wie sollte eine Anaphylaxie mit dem führenden Symptom abdominale Symptomatik behandelt werden?

Eine abdominale Symptomatik wird zunächst wie eine Anaphylaxie mit Hautbeteiligung therapiert (Abb. 3). Nur bei unzureichendem Ansprechen auf systemisch verabreichte antiallergische Medikamente bekommen gastrointestinale Symptome eigenständigen Krankheitswert. Übelkeit, Brechreiz sowie Abdominalkoliken stellen in diesen Fällen zumeist die relevante Symptomatik dar. Therapeutisch zu erwägen sind Antiemetika wie Metoclopramid, Histamin-Antagonisten wie Dimenhydrinat oder die Gabe eines Serotonin-(5-HT3)-Antagonisten (z. B. Ondansetron). Bei Abdominalkrämpfen kann die intravenöse Gabe eines Muskarinrezeptorantagonisten (Butylscopolamin) lindernd wirken.

11. Wie sollte eine Anaphylaxie mit den führenden Symptomen einer Hautmanifestation behandelt werden?

Das Legen eines intravenösen Zugangs stellt in diesen Fällen die Sofortmaßnahme dar. Es empfiehlt sich, den Zugang mittels Anlegens einer Infusion mit einer kristalloiden Infusionslösung (z. B. balancierte Vollelektrolytlösung) offen zu halten. Antiallergische Arzneistoffe wie Dimetinden und Glukokortikoid sind in üblicher Dosierung zu verabreichen (Abb. 3, Tab. 8).

Besonderheiten bei Therapie in der Klinik

1. Welche Notfallmedikamente sollten in der Notaufnahme und auf der Station vorgehalten werden?

In der Notaufnahme und auf Stationen, auf denen Provokationstestungen oder allergologische Therapien mit erhöhtem Risiko des Auftretens anaphylaktischer Reaktionen durchgeführt werden, sollten bis zu je zwei Adrenalin-Autoinjektoren in den Dosierungen 300 µg oder 500 µg vorrätig sein. Wenn die Versorgung von Kindern zu erwarten ist, müssen zwei weitere Autoinjektoren in der Dosierung von 150 µg Adrenalin vorgehalten werden. Es sollte eine Möglichkeit vorhanden sein, Adrenalin zur Inhalation zu vernebeln. Zusätzlich sollten injizierbare Histamin-H1-Rezeptorantagonisten und Glukokortikoide sowie Salbutamol zur Inhalation mit entsprechendem Hilfsmittel (Spacer oder Feuchtinhalationen) bevorratet werden.

2. Wie sollten Betroffene mit akuter Anaphylaxie in der Notaufnahme versorgt werden?

Werden Personen mit Verdacht auf Anaphylaxie in der Notaufnahme vorstellig, ist eine sofortige bevorzugte Versorgung unerlässlich. Um die Diagnose Anaphylaxie zu stellen, sollen die klinischen Kriterien angewendet werden (s. oben). Neben der sofortigen Beurteilung der klinischen Symptomatik und der vorherrschenden Beschwerden (Abb. 3) ist eine permanente Kreislaufüberwachung mit Messung des Blutdrucks, der Herzfrequenz und der peripheren Sauerstoffsättigung mittels Pulsoximetrie zu etablieren. Patient*innen mit schweren (z. B. Adrenalin-Autoinjektor-pflichtigen) anaphylaktischen Reaktionen sollten stationär aufgenommen und wegen des Risikos einer biphasischen (zweigipfligen) Reaktion für 24 h stationär überwacht werden.

3. Wie sollte eine Anaphylaxie auf Station versorgt werden?

Auslöser für eine Anaphylaxie auf Station sind meist dort verabreichte Arzneistoffe. Die Reaktionen auf parenteral verabreichte Substanzen treten rasch nach Beginn der Gabe auf. Bei enteral verabreichten Substanzen ist eine verzögert auftretende Symptomatik möglich. Erste Maßnahme ist der Stopp der Allergenzufuhr und je nach Schweregrad die Alarmierung des Notfallteams.

4. Welche Besonderheiten gelten für eine Anaphylaxie bei einer geplanten Provokationstestung?

Wird eine Prozedur geplant, bei der eine Anaphylaxie (allergologische Provokationstestung, spezifische Immuntherapie mit Hymenopterengift) droht, ist eine sorgfältige Vorbereitung unerlässlich. Diese schließt Folgendes ein:

  • Überwachungsbogen mit angeordneter Notfallmedikation und angepasstem Notfallplan,

  • in gewichtsadaptierter Dosierung vorbereitete Notfallmedikamente, patientennah verfügbar,

  • rasche ärztliche Versorgung beim Auftreten allergischer Symptome.

  • Ein liegender intravenöser Zugang ist sinnvoll zur raschen Gabe intravenöser Medikamente und von Volumen.

  • Die Indikation zur Gabe der Medikation erfolgt entsprechend dem Flussdiagramm (Abb. 3).

Wünschenswert ist es, dass die Betroffenen beziehungsweise bei kleinen Kindern die Eltern lernen, den Autoinjektor unter enger Anleitung des ärztlichen Personals selber zu verabreichen, um die Anwendung für die weitere häusliche Versorgung zu trainieren. Hierbei sollte nach Möglichkeit ein Autoinjektor des gleichen Typs wie vom Betroffenen genutzt, eingesetzt werden. Dieses Vorgehen ist geeignet, den Patient*innen Sicherheit in der Anwendung des Autoinjektors zu geben und Angst vor der Anwendung abzubauen.

5. Wie soll eine Anaphylaxie auf Intensivstationen behandelt werden?

Vorteile von High Care (Intensivstationen), die mit kontinuierlichem Monitoring ausgestattet sind, liegen unter anderem darin, dass Schocksituationen frühzeitiger erkannt und behandelt werden können. Auch wenn das Personal auf einer Intensivstation auf die Anaphylaxie durch Hypotonie und Tachykardie, durch Alarm des Überwachungsmonitors oder durch eine niedrige Sauerstoffsättigung aufmerksam wird, unterscheidet sich das Vorgehen nicht grundsätzlich von anderen Umgebungen. Häufige Ursachen für eine Anaphylaxie auf Intensivstationen sind Arzneimittel- oder Blutprodukte, sodass die allererste Maßnahme das Abstellen der Zufuhr des potenziellen Allergens oder Auslösers ist. Weiterhin erfolgt das oben beschriebene prioritätenorientierte ABCDE-Vorgehen (airway, breathing, circulation, disability, exposure) (Tab. 5). Je nach laufender i. v.-Katecholamintherapie über Spritzenpumpen muss diese lediglich angepasst werden. Dabei sollte Adrenalin wegen seiner unter den Katecholaminen einzigartigen mastzellstabilisierenden Wirkung zusätzlich gegeben werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei laufender Vasopressorentherapie die übliche i. m.-Gabe von 0,3 bis 0,6 mg Adrenalin aufgrund der peripheren Hypoperfusion vermindert wirksam sein wird. Daher sollte die i. v.-Gabe in der Intensivmedizin in 50 μg Boli beim Erwachsenen und von 1 μg/kg Boli beim Kind [102] bis zur Stabilisierung des Betroffenen bevorzugt über einen bereits liegenden zentralen Venenkatheter erfolgen, alternativ ist die Applikation auch peripher möglich. Die endgültige Dosierung richtet sich nach dem beobachteten klinischen Effekt.

6. Was ist beim Entlassmanagement nach stattgehabter Anaphylaxie zu beachten?

Nach erfolgreich behandelter Anaphylaxie sollten die Betroffenen und gegebenenfalls auch die Angehörigen über das Krankheitsbild informiert und einer adäquaten Allergiediagnostik zugeführt werden (Tab. 8). Trat die Anaphylaxie intraoperativ auf, so ist ein Anästhesieausweis auszustellen, und die Betroffenen sind über den Zwischenfall aufzuklären. Unbedingt notwendig ist die Dokumentation der Reaktion mit ihrer Symptomatik, Kofaktoren sowie den möglichen Auslösern.

Es wird ein Notfallset verordnet (s. unten).

Patient*innen mit einer Nahrungsmittelallergie sollten eine individuell angepasste therapeutische Eliminationsdiät bei einer in der Allergologie erfahrenen Ernährungsfachkraft erhalten (Adressen zertifizierter Fachkräfte beim Deutschen Allergie- und Asthmabund, DAAB, und dem Arbeitskreis Diätetik in der Allergologie). Nach Reaktionen auf Insektenstiche sollte die Möglichkeit einer allergenspezifischen Immuntherapie erläutert werden.

Ist der Auslöser nach stattgehabter Anaphylaxie mit extrakutanen Symptomen nicht sicher vermeidbar (Insektenstiche, Nahrungsmittel) oder besteht ein erhöhtes Anaphylaxierisiko, sollten Betroffene eine Empfehlung zum stetigen Mitführen und zur Zusammensetzung eines Sets zur Selbstmedikation und einen schriftlichen Anwendungshinweis wie den Anaphylaxie-Pass erhalten (s. Abschnitt Selbstmedikation). Patient*innen sollten dann eine Instruktion über das Notfallmanagement und die Anwendung der Notfallsets erhalten. Ist der Auslöser ein in der Klinik verabreichter Arzneistoff sollte ein Allergiepass ausgestellt werden oder eine detaillierte Dokumentation der Reaktion gegeben werden, um eine weitere allergologische Diagnostik zu planen. Bei rezidivierenden Reaktionen kann gegebenenfalls der Versuch einer langfristigen medikamentösen Therapie (z. B. langfristige Gabe von Antihistaminika oder Anti-IgE wie Omalizumab) erwogen werden [106, 107].

Für Fragen zum Alltagsmanagement, insbesondere bei nahrungsmittelinduzierten Anaphylaxien, sollte der Hinweis auf Hilfestellung durch eine Patientenorganisation (z. B. DAAB) erfolgen.

7. Wie sollte eine perioperative Anaphylaxie versorgt werden?

Während einer Analgosedierung oder einer Allgemeinanästhesie können die Betroffenen Frühsymptome wie Juckreiz und Unwohlsein nicht äußern, weswegen der kontinuierlichen Überwachung und Beobachtung von Atmung und Beatmung sowie der Herz-Kreislauffunktionen eine besondere Bedeutung zukommt. Tritt perioperativ unerwartet eine Hypotonie und Tachykardie auf, so ist unmittelbar nach möglichen weiteren Symptomen einer Anaphylaxie zu suchen:

  1. 1.

    Treten Hautrötungen oder Urtikaria auf - eventuell beginnend am Infusionsarm?

  2. 2.

    Ist ein verlängertes Exspirium mit vermindertem exspiratorischem Flow, einem Anstieg des Beatmungsdruckes oder ein Abfall der pulsoximetrischen Sättigung zu beobachten?

  3. 3.

    Hat sich die Compliance der Lungen vermindert?

Differenzialdiagnostisch ist im Rahmen viszeralchirurgischer Eingriffe ein Eventerationssyndrom abzugrenzen, welches sich klinisch Prostazyklin-vermittelt durch eine Flush-Symptomatik mit Tachykardie und Hypotonie manifestiert.

Ist die Arbeitsdiagnose schwere Anaphylaxie oder anaphylaktischer Schock bestätigt, beginnt unmittelbar die Therapie mit Adrenalin. Bei Erwachsenen wird beim schweren Schock mit noch bestehendem Kreislauf Adrenalin titrierend mit 0,1 bis 0,3 mg Boli Adrenalin solange appliziert, bis der Blutdruck auf über 100 mm Hg systolisch gestiegen ist. Zeitgleich beginnt die Volumentherapie mit ein bis drei Litern einer balancierten Vollelektrolytlösung. Anschließend werden Histamin-H1-Rezeptorantagonisten sowie Glukokortikoide - wie oben beschrieben - i. v. appliziert. Ein erweitertes hämodynamisches Monitoring soll erwogen werden. Lassen sich die Betroffene mit diesen Maßnahmen stabilisieren, muss interdisziplinär entschieden werden, ob und in welchem Umfang die Operation durch- oder fortgeführt werden kann. Eine weitere Intensivüberwachung soll - je nach Schweregrad - erwogen werden.

Welche Besonderheiten gibt es bei der Therapie in der Praxis?

1. Welche Auslöser sind bei Anaphylaxien in der ärztlichen Praxis zu erwarten?

Mögliche Auslöser in der Praxis sind Allergenlösungen im Rahmen der allergenspezifischen Immuntherapie (Hyposensibilisierung), aber auch Naturlatex, Lokalanästhetika, und in der Praxis gegebene Arzneimittel (z. B. ambulant gegebene Arzneimittel wie Antibiotika, Zyklooxygenase-Inhibitoren, Röntgenkontrastmittel, Impfstoffe oder intravenöses Eisen). Daneben könnten Patient*innen bei schweren allergischen Reaktionen, zum Beispiel durch Hymenopterengifte oder Nahrungsmittel, auch selbstständig die nächstgelegene Praxis zur Behandlung aufsuchen.

2. Wie sollte sich eine ärztliche Praxis auf eine Notfalltherapie vorbereiten?

In jeder Praxis sollte eine Notfallausrüstung zur Behandlung einer Anaphylaxie vorhanden sein. Da in nur wenigen ärztlichen Praxen Anaphylaxien häufig vorkommen, sollte ein regelmäßiges Training zur Erkennung der Anaphylaxie, zur medikamentösen und nicht medikamentösen Therapie (insbesondere wichtig: Aufgabenverteilung, aber auch Lagerung, Hilfe rufen, Sauerstoff, Atem- und Kreislauffunktion erfassen) durchgeführt werden. Das regelmäßige Üben der Abläufe im Falle einer Anaphylaxie im Team führt zu einer Verbesserung der ärztlichen Versorgung im Notfall. Ein schriftlicher leicht zugänglicher Notfallplan und eine Beschriftung der notwendigen Medikamente mit Dosierungen sind sehr zu empfehlen. Ein möglichst von den anderen in der Praxis behandelten Personen abgeschiedener, für mehrere Helfer leicht zugänglicher Liegeplatz sollte für Patient*innen mit Anaphylaxie zur Verfügung stehen. In der Pädiatrie können bei Kindern mit allergenspezifischer Immuntherapie die gewichtsadaptierten Dosierungen für Notfalltherapie bereits auf dem Dokumentationszettel vermerkt werden.

Folgende Festlegungen sind zur Vorbereitung für den Notfall hilfreich:

  1. 1.

    Wo ist die Notfallausrüstung gelagert?

  2. 2.

    Wie ist der genaue Ablauf im Notfall?

  3. 3.

    Wer ist für was zuständig? (Ärztin/Arzt informieren, Patient*in mitversorgen, Notruf absetzen etc.)

  4. 4.

    In welchem Raum findet die Versorgung von Patient*innen statt?

3. Welche Notfallausrüstung sollte eine ärztliche Praxis vorhalten?

Als Notfallausrüstung sind die Elemente in Tab. 4 zu empfehlen. Ein Pulsoximeter sollte vorhanden sein, während EKG-Blutdruck-Monitore nicht in jeder Praxis zur Regelausrüstung zählen.

4. Wie ist der Ablauf im Notfall?

Die Behandlung erfolgt wie oben (Therapie in der Klinik) beschrieben und unterscheidet sich nicht prinzipiell.

Adrenalin wird auch in der Praxis durch nicht in der Notfalltherapie erfahrene Ärzt*innen bevorzugt intramuskulär gegeben. Bei fehlender Stabilisierung des Kreislaufs kann die Gabe wiederholt werden. Bei fehlendem Monitor kann neben Erfassung von Herzfrequenz und Blutdruck die Rekapillarisierungszeit an der Haut des Thorax oder an der Fingerkuppe Hinweis auf die Kreislauffunktion liefern.

Vorsicht bei der i. v.-Gabe von Adrenalin, diese sollte einem/er Arzt*Ärztin mit intensiv- beziehungsweise notfallmedizinischen Kenntnissen vorbehalten sein und erfordert kontinuierliches Blutdruck- und Pulsmonitoring (Ausnahme: Reanimationssituation mit liegendem Zugang).

Bei Anaphylaxie mit mittlerer bis schwerer Beteiligung des Atem- oder Kreislaufsystems ist nach Unterbrechung der Allergenzufuhr frühzeitig der Notarzt- und Rettungsdienst zu alarmieren (in Deutschland: Tel.: 112).

5. Wie ist das Entlassmanagement in der ärztlichen Praxis?

Da die Überwachungsmöglichkeiten in der Praxis beschränkt sind, sollte bei schwerer oder im Schweregrad nicht sicher einzuordnender Anaphylaxie eine Verlegung zur Überwachung im Krankenhaus erfolgen.

Ansonsten entspricht das Entlassmanagement demjenigen aus einer Klinik, wie oben (Tab. 9) aufgelistet.

Tab. 9 : Maßnahmen beim Entlassmanagement

Besonderheiten im Kindesalter

Bezüglich der Dosierung bestimmter in der Behandlung der Anaphylaxie verwendeter Medikamente sind die besonderen Dosierungen im Kindesalter zu berücksichtigen.

Patientenmanagement und Selbstmedikation

1. Zielgruppen für die Verschreibung eines Notfallsets zur Soforthilfe inklusive Adrenalinautoinjektor

Indikationen zur Verschreibung eines Notfallsets zur Soforthilfe inklusive Adrenalin-Autoinjektor sind in Tab. 10 und Tab. 11 aufgelistet. Wir empfehlen allen Patient*innen:

Tab. 10 : Indikationen für die Verordnung eines Adrenalin-Autoinjektors
Tab. 11 : Indikationen für die Verschreibung eines zusätzlichen zweiten Adrenalin-Autoinjektors
  • mit bereits erlittener Anaphylaxie,

  • nach systemischer allergischer Reaktion mit extrakutanen Symptomen oder mit einem hohen zukünftigen Anaphylaxierisiko (z. B. durch bekannte potente Allergene wie Erdnuss, Baumnüsse, Milch, Sesam) oder mit hohem Risiko für lebensbedrohliche Reaktionen (z. B. bei Asthma bronchiale) und

  • hoch sensibilisierten Personen ohne bisherige anaphylaktische Reaktion, aber hochgradigem Verdacht auf stark erhöhtes Anaphylaxierisiko - vor der allergologischen Provokationstestung

mit einem Notfallset zur Soforthilfe auszurüsten, wenn der Auslöser nicht sicher vermieden werden kann, zum Beispiel bei Insektengift- oder Nahrungsmittelanaphylaxie. Eine sichere Auslösermeidung ist normalerweise bei Arzneimittelanaphylaxie nach ausreichender Allergiediagnostik, Aufklärung und Ausstellung eines Allergiepasses möglich. Die genauen Indikationen werden in Tab. 10 präzisiert.

2. Kann ein Notfallset zur Soforthilfe bei hochgradigem Verdacht auf eine Anaphylaxie auch vor der allergologischen Testung verschrieben werden?

Kinder mit atopischem Ekzem (atopischer Dermatitis, Neurodermitis) sensibilisieren sich häufig gegen Nahrungsmittelallergene, insbesondere wenn das Ekzem früh beginnt und schwer verläuft [108, 109]. Bei klinisch relevanter Sensibilisierung reagieren diese Patient*innen oft anaphylaktisch auf die erste orale Exposition. Zum Nachweis der klinischen Relevanz wird in der Regel eine stationäre orale Nahrungsmittelprovokation durchgeführt [110]. Da zwischen Indikationsstellung und Durchführung der oralen Nahrungsmittelprovokation oft mehrere Wochen bis Monate liegen, können Patient*innen bis zu diesem Termin einen Adrenalin-Autoinjektor erhalten. Die Instruktion zur Anwendung mittels eines Autoinjektor-Trainers ("dummy") ist unabdingbar. Bei der Abwägung der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme sollte man die Zeit bis zur oralen Provokationstestung, die Wahrscheinlichkeit einer klinisch relevanten Nahrungsmittelallergie, die wahrscheinliche Schwere einer klinischen Reaktion abhängig von Allergen, Begleiterkrankungen wie Asthma und die Wahrscheinlichkeit einer akzidentellen Exposition in Betracht ziehen.

Bei der Erdnuss- und Schalenfruchtallergie steigt die Wahrscheinlichkeit einer systemischen Reaktion mit der Höhe der allergenspezifischen IgE-Antikörper gegen die Samenspeicherproteine [109, 111]. Bester Prädiktor der klinischen Relevanz ist das spezifische IgE gegen die 2S-Albumine (Ara h 2 der Erdnuss, Cor a 14 der Haselnuss oder Ana o 3 der Cashewnuss). Bei einigen Patient*innen ist das 2S-albuminspezifische IgE so hoch, dass man von einer 90-95 %-Wahrscheinlichkeit ausgehen kann, dass diese Patient*innen, obwohl sie das Nahrungsmittelallergen bis dahin nie gegessen haben, eine anaphylaktische Reaktion entwickeln [109, 111]. Bei diesen Patient*innen wird häufig keine orale Nahrungsmittelprovokation durchgeführt oder erst zu einem späteren Zeitpunkt (z. B. bei Schuleintritt). Bei ihnen kann die Diagnose eines "hochgradigen Verdachts auf", zum Beispiel Erdnuss- oder Schalenfruchtallergie gestellt werden, ohne dass sie jemals eine klinische Reaktion erlitten hätten. Auch diese Patient*innen sollten einen Adrenalin-Autoinjektor verordnet bekommen und eine ernährungstherapeutische Beratung zur konsequenten Meidung der hochgradig verdächtigen Nahrungsmittel erhalten, gegebenenfalls auch zum Ersatz unzureichend zugeführter Nährstoffe mit Umsetzung der Diät.

3. Was sollte in der Selbstmedikation (Notfallset zur Soforthilfe) enthalten sein?

In deutschsprachigen Ländern werden vom Arzt häufig mehrere einzeln zu verordnende Medikamente zu einem Notfallset zur Soforthilfe zusammengefasst, die von Betroffenen mit dem Anaphylaxie-Pass immer mitgeführt werden sollen. Wir empfehlen einen Adrenalin-Autoinjektor, einen Histamin-H1-Rezeptorantagonisten, ein Glukokortikoid und bei Patient*innen mit Asthma bronchiale oder vorheriger Reaktion mit Bronchospasmus einen inhalativen Bronchodilatator (ß2-Adrenozeptoragonist) (Tab. 12).

Tab. 12 : Bestandteile eines "Notfallset zur Soforthilfe" für Patient*innen

Bei der Auswahl des Histamin-H1-Rezeptorantagonisten sollten die Schluckfähigkeit und die individuelle Präferenz bei der Auswahl der Applikationsform (Tropfen für Kleinkinder, Tabletten oder Schmelztabletten für größere Kinder und Erwachsene) berücksichtigt werden. Bei Schwierigkeiten beim Schlucken in der Anamnese (z. B. Larynxödem) sollte eine flüssige Applikation gegeben werden. Gleiche Kriterien gelten für Glukokortikoide (1 bis 2 mg/kg KG), wobei auch eine rektale Applikation möglich ist. Die Expertengruppe empfiehlt die Behandlung der Anaphylaxie mit Antihistaminika in erhöhten Dosen (bis zur vierfachen Dosis der jeweilig zugelassenen Einzeldosis). Die neueren selektiven Histamin-H1-Rezeptorantagonisten der zweiten Generation sind zwar zur Therapie der Anaphylaxie nicht zugelassen, können jedoch neben den sedierenden Antihistaminika auch zur oralen Notfalltherapie empfohlen werden, da sie in placebokontrollierten Hautteststudien einen schnellen Wirkungseintritt und weniger Nebenwirkungen wie Sedierung zeigten. Bei vorbestehendem Asthma wird zusätzlich ein inhalativer ß2-Adrenozeptoragonist, bei einer Vorgeschichte von Larynxödem alternativ gegebenenfalls ein Adrenalinpräparat zum Inhalieren verordnet.

Es stehen unterschiedliche Adrenalin-Autoinjektor-Modelle zur Verfügung, die sich in Dosis, Handhabung, Auslösemechanismus und Nadellänge unterscheiden. Eine spezielle Instruktion ist erforderlich, die Präparate sind nicht einfach austauschbar, die Nachverordnung muss sichergestellt sein [112]. Bei der Rezeptur soll das "Aut-idem-Kästchen" auf dem GKV-Rezept angekreuzt werden.

4. Wann sollten zwei Adrenalin-Autoinjektoren verschrieben werden?

Indikationen zur Verordnung von zwei Adrenalin-Autoinjektoren werden in Tab. 11 aufgelistet.

Die Dosierung von Adrenalin zur Selbstanwendung bei Anaphylaxie ist eine weniger kontrollierte Erstmaßnahme und muss nicht derjenigen unter medizinischer Aufsicht mit entsprechendem Monitoring entsprechen. Dosierungsempfehlungen bei Selbstanwendung werden aufgrund fehlender Daten zwar bei Kindern grob dem Körpergewicht angepasst, bei Erwachsenen aber nicht direkt aus dem Körpergewicht errechnet [113]. Zur Frage der optimalen Adrenalindosis oder der Anzahl erforderlicher Adrenalin-Autoinjektoren für die Selbstanwendung gibt es wenig Evidenz. Es gibt Fälle, bei denen es sinnvoll ist, zwei Adrenalin-Autoinjektoren zu rezeptieren. Koexistierendes Asthma bronchiale ist ein identifizierter Risikofaktor für die Applikation eines zweiten Adrenalininjektors. Wir empfehlen die Verschreibung eines zweiten Adrenalin-Autoinjektors bei den in Tab. 11 aufgelisteten Indikationen. Es ist darauf zu achten, dass die Patient*innen bei Verordnung eines zweiten Autoinjektors oder bei Folgeverordnungen Autoinjektoren gleicher Technik bekommen. Das Notfallset zur Soforthilfe sollte immer mitgeführt werden. Auch aus organisatorischen Gründen kann es im Einzelfall sinnvoll sein, zwei Adrenalin-Autoinjektoren zu verordnen, z. B. für verschiedene Aufenthaltsorte (getrenntlebende Eltern, Schule, Kinderbetreuungsstätte, Arbeitsplatz). Hierbei kann es jedoch im Vergleich zum ständigen Mitführen des Autoinjektors am Betroffenen zu Unklarheiten oder fehlender Abdeckung kommen. Die Leitliniengruppe empfiehlt deshalb die Verschreibung eines einzelnen Autoinjektors, der immer mitgeführt werden soll.

5. Wann besteht keine Indikation mehr für einen Adrenalin-Autoinjektor?

Eine Expertengruppe der EAACI (European Academy of Allergy and Clinical Immunology) hat sich intensiv mit dem Thema der notwendigen Notfall-Selbstmedikation bei Insektengiftallergie befasst [104] und Empfehlungen zur Verschreibung von Adrenalin-Autoinjektoren formuliert, die auch in die aktuelle Leitlinie zur Therapie der Insektengiftallergie Eingang gefunden haben [43]. Auf die Verschreibung eines Adrenalin-Autoinjektors kann demnach verzichtet werden, wenn das Risiko einer erneuten systemischen Stichreaktion annähernd vergleichbar ist mit dem der Normalbevölkerung. Dies kann angenommen werden bei erfolgreich durchgeführter Immuntherapie und vertragener Stichreaktion entweder nach Feldstich oder nach Stichprovokation. Nach Abschluss der Immuntherapie kann auf den Adrenalin-Autoinjektor verzichtet werden bei Patient*innen, die nur mit kutanen/mukosalen Symptomen reagiert haben (Grad I) und bei Patient*innen, die mit mehr als kutanen Symptomen (Grad II) reagiert haben, aber keine zusätzlichen Risikofaktoren für Nichtansprechen der "venom immunotherapy" haben [104]. Als Risikofaktoren gelten hierbei schwere Insektengiftanaphylaxie (Grad III oder IV), Bienengiftallergie, hohes Expositionsrisiko (z. B. Imker), systemische Reaktion unter Immuntherapie, Mastzellerkrankungen, erhöhte basale Serumtryptase und ACE-Hemmertherapie. Ob bereits nach Erreichen der Erhaltungsdosis auf den Adrenalin-Autoinjektor verzichtet werden kann, wird unterschiedlich beurteilt. Unter den Experten waren 70-80 % der Meinung, dass bei Patient*innen, die nur mit kutanen/mukosalen Symptomen reagiert haben (Grad I), auch schon nach Erreichen der Erhaltungsdosis auf die Verschreibung eines Adrenalin-Autoinjektors verzichtet werden kann. Tab. 10 fasst die Indikationen zur Verordnung von Adrenalin-Autoinjektors bei Anaphylaxie zusammen.

6. Was sollte eine Instruktion mit dem Notfallset zur Soforthilfe umfassen?

Die meisten anaphylaktischen Notfälle finden im Alltag, oft im häuslichen Umfeld der Betroffenen statt. Daher muss die Aufklärung über das Notfallselbstmanagement alle Maßnahmen umfassen, die die Betroffenen selbst im (erneuten) Notfall zu beachten haben beziehungsweise durchführen sollten. Sie sollten angeleitet werden: (1) anaphylaktische Reaktionen zu erkennen, (2) die Selbstmedikation symptombezogen anwenden zu können, (3) eine korrekte Lagerung durchzuführen, und (4) den Notruf abzusetzen (Deutschland und Österreich: Tel.: 112, Schweiz: Tel.: 144; Anaphylaxie/anaphylaktischer Schock angeben, Gesprächsleitung durch die Rettungszentrale). Potenzielle Auslöser (Nahrungsmittel, Insekt, Arzneimittel) sollten nach Möglichkeit asserviert werden.

Die Selbstmedikation wird entsprechend der Symptomatik und der Gewissheit über einen sicheren Allergenkontakt gegeben: Die korrekte stadiengerechte Verabreichung der verschiedenen Medikamente zur Akutmedikation ist essenzieller Bestandteil der Patientenaufklärung, da diesbezüglich die größte Unsicherheit bei Patient*innen und Angehörigen besteht. Hat ein sicherer Kontakt mit dem Anaphylaxie-Auslöser stattgefunden (Insektenstich ohne erfolgreiche allergenspezifische Immuntherapie, Verzehr des allergieauslösenden Nahrungsmittels, Einnahme des allergieauslösenden Arzneimittels) ist nach dem Anaphylaxie-Notfallplan zu verfahren (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

: Anaphylaxie-Notfallplan

Der Notfallplan und Anaphylaxie-Pass sind wichtige Hilfsmittel, die stets persönlich mitgeführt werden sollten.

Jeder von Anaphylaxie Betroffene beziehungsweise zugehörige Angehörige oder Sorgeberechtigte sollte eine individuelle Einzelinstruktion mit praktischer Demonstration der Anwendung des Notfallsets bei der Verschreibung erhalten.

Diese Instruktion umfasst eine Aufklärung über die Auslöser der Anaphylaxie, deren Meidung, bei nahrungsmittelinduzierter Anaphylaxie Vermittlung an eine in der Allergologie versierte Ernährungsfachkraft zur Beratung zu einer therapeutischen Eliminationsdiät, die Symptomatik einer Anaphylaxie sowie die theoretische und praktische Anwendung von Notfallmedikamenten (mit Demonstration) bei erneuten Anaphylaxien. Bei jeder Neuverschreibung eines Adrenalin-Autoinjektors sollte erneut instruiert werden. Die Betroffenen selbst sowie Personen des sozialen Umfelds, bei Kindern insbesondere Betreuungspersonen werden in den Gebrauch der Selbstmedikation eingewiesen. Hierfür gibt es standardisierte Anaphylaxie-Notfallpläne (Abb. 4) sowie Anaphylaxie-Atteste und Handlungsanweisungen zum Notfallmanagement für Kinderbetreuungsstätten und Schulen. Eine Zusammenfassung der Selbsttherapieanweisung, die neben den Auslösern auch die Dosierung der Medikamente und die Anwendung der Medikamente in Abhängigkeit vom Bild der Reaktion festlegt, ist auch im Anaphylaxie-Pass dargestellt.

7. Wer sollte eine Anaphylaxie-Gruppenschulung erhalten?

Eine Anaphylaxie-Gruppenschulung wird für alle Patient*innen mit hohem Risiko für erneute Anaphylaxie empfohlen.

In Ergänzung zur obligaten Einzelinstruktion mit dem Notfallset zur Soforthilfe wurde ein ambulantes (aus einzelnen Unterrichtseinheiten aufgebaut, 2 × 3 Zeitstunden), schriftlich fixiertes, einheitliches, interdisziplinäres und zielorientiertes, in sich geschlossenes strukturiertes Gruppenschulungskonzept für Patient*innen mit Anaphylaxie und Sorgeberechtigte von Kindern und Jugendlichen (z. B. Eltern) von Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie Training und Edukation e. V. (AGATE) mit Manual, Teilnehmerunterlagen und Musterstundenplänen erstellt [113, 114]. Schwerpunkte der Schulung liegen auf der praktischen Selbsttherapie, unter anderem in Form von Rollenspielen, inklusive der Anwendung der Adrenalin-Autoinjektoren, aber auch auf Allergenmeidungsstrategien, Umsetzung der chronischen Gefährdungssituation im Alltag und Möglichkeiten des Risikomanagements. Eine Individualisierung vor dem Hintergrund der erfassten individuellen Probleme und Erwartungen ist häufig notwendig. Wir empfehlen bei regionaler Verfügbarkeit die Durchführung einer Anaphylaxie-Gruppenschulung. Aufgrund fehlender Kostenübernahme regional durch manche Krankenkassen werden in Deutschland noch nicht flächendeckend Schulungen angeboten.

8. Wo gibt es weitere Hilfsmittel zum Alltagsmanagement bei Anaphylaxie?

Neben schriftlichen standardisierten Anaphylaxie-Notfallplänen und dem Anaphylaxie-Pass können weitere Infomaterialien (z. B. Broschüren, Einkaufsratgeber, Restaurantkarten mit Informationen zu speziellen Nahrungsmittelallergien für die Küche, ein Attest für Flugreisen etc.) über den DAAB bezogen werden. Darüber hinaus erhalten Patient*innen hier Hilfestellungen für das Alltagsmanagement (Tab. 9).

Adrenalin-Autoinjektions-Trainer und Anleitungsmaterial zum Üben sind bei den Herstellern von Autoinjektoren und beim DAAB erhältlich. Weitere Hilfsmittel (z. B. Aufbewahrungstaschen für das Notfallset, Aufkleber oder Kleidung mit Warnhinweisen) können ebenfalls über den DAAB oder über das Internet erworben werden. SOS-Notfall-Armbänder oder -kapseln haben sich in deutschsprachigen Ländern noch nicht durchgesetzt und werden in Notfallsituationen oft nicht bemerkt.

Es erscheint wichtig, nicht nur die Betroffenen und deren soziales Umfeld (Eltern) sowie die ärztlich allergologisch Tätigen in das Anaphylaxie-Management einzubinden, sondern auch weitere Berufsgruppen, zum Beispiel Rettungsdienste, ärztliche Notdienste, die Vereinigung der Notfallambulanzen sowie Organisatoren von Erste-Hilfe-Kursen und Patientenorganisationen [115].

Insgesamt ist die Akutversorgung von Anaphylaxiepatient*innen in Deutschland positiv zu bewerten, allerdings bestehen immer noch erhebliche Probleme im Langzeit-Management, beispielsweise bei Kindern in Kita und Schule sowie Lücken im rechtzeitigen Einsatz von Adrenalin und in der weiterführenden Diagnostik, Instruktion und Schulung [44, 74].

Es ist wichtig, die Ärzteschaft auf dieses potenziell lebensbedrohliche Problem hinzuweisen und sie mit der Möglichkeit der intramuskulären Gabe von Adrenalin auch mittels Adrenalin-Autoinjektor zur Selbstmedikation vertraut zu machen.

Anaphylaxie nach COVID-19-Impfung

Seit Kurzem werden in verschiedenen Staaten - auch in Deutschland - Impfungen gegen COVID-19 durchgeführt. Dabei sind aus Großbritannien und USA vereinzelte Fälle von Anaphylaxie berichtet worden, die zur Verunsicherung von Patienten und Impfärzten geführt haben. Die Leitliniengruppe Anaphylaxie sowie die allergologischen Fachgesellschaften haben sich dazu in kurzen Stellungnahmen [117, 118] dahingehend geäußert, dass bei bestimmten Patienten mit allergischen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für Anaphylaxie nach COVID-19-Impfung bestehen kann, nämlich bei Patienten mit schweren allergischen Reaktionen auf Medikamente oder Impfstoffe sowie bekannten Überempfindlichkeiten gegen Inhaltsstoffe der verwendeten COVID-19-Vakzinen. In unklaren Fällen sollte vor COVID-19-Impfung eine allergologische Abklärung erfolgen. Auch sollte die Beobachtungszeit nach Impfung bei Risikopatienten 30 Minuten betragen. Die Ärzte und medizinischen Hilfskräfte der Impfzentren sollten auf die Möglichkeit einer Anaphylaxie und die dann notwendigen Sofortmaßnahmen hingewiesen werden [117, 118].

Verfahren zu Konsensbildung

Auf Vorstandsbeschluss der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) von 2017 wurde die Arbeitsgruppe "Anaphylaxie" beauftragt, zusammen mit anderen Fachgesellschaften die bestehende Leitlinie zu aktualisieren und auch Experten aus anderen Bereichen zu gewinnen. Sie kommen neben den Allergologieexperten aus den Bereichen Anästhesiologie und Intensivmedizin, Dermatologie, Pädiatrie, Innere Medizin, Otolaryngologie, Notfallmedizin, Pharmakologie, Pneumologie und Theoretische Chirurgie. Allergologische Fachgesellschaften aus Österreich und der Schweiz sowie Vertreter von Patientenorganisationen sind ebenfalls vertreten.

Neben Mitgliedern der DGAKI sind Vertreter des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (AeDA), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), des Berufsverbands der Kinder und Jugendärzte Deutschlands (BVKJ), der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) der Deutschen Akademie für Allergologie und Umweltmedizin (DAAU), der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI), der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI), der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), der Deutschen Gesellschaft für Pharmakologie (DGP), der Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie-Training und Edukation e. V. (AGATE) sowie der Patientenorganisation Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB) eingebunden. Im September 2017 in Wiesbaden, März 2018 in Mainz, Juni 2018 in Kassel, März 2019 in Mainz und September 2019 in Hannover fanden Konsensuskonferenzen statt. Die auf den Konferenzen erarbeiteten Empfehlungen beruhen auf Literaturrecherchen unter Bewertung klinischer Studien, Fallserien, Einzelfallbeschreibungen, experimentellen Untersuchungen, auf eigenen Erfahrungen sowie auf theoretischen Überlegungen. Fallserien erlangten die größte Bedeutung, während theoretische Überlegungen nur dann in die Bewertung einflossen, wenn weder Einzelfälle noch Fallserien oder experimentelle Untersuchungen für die Beurteilung herangezogen werden konnten. Insgesamt ist die Anzahl wissenschaftlich aussagekräftiger Studien zur Anaphylaxie so gering, dass das Management in vielen Bereichen empirisch bleibt und sich häufig aus pathophysiologischen Überlegungen ableitet.