Infektionen mit SARS-CoV-2 betreffen bei weitem nicht nur die Lunge oder das kardiovaskuläre System. Die hier vorgestellte Kasuistik mit muskuloskelettalen Konsequenzen in Form von ausgedehnten heterotopen Ossifikationen zeigt auch den Einfluss auf den Knochenstoffwechsel. Die vielfältigen Komplikationen durch eine SARS-CoV-2-Infektion machen ein umfangreiches, fachübergreifendes und multimodales Reha-Konzept im Rahmen einer Post-COVID-19-Reha erforderlich.

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Der Fall

Der 1954 geborene Patient erlitt im Januar 2020 bei einem Skiunfall eine Humeruskopffraktur links, die konservativ behandelt wurde. Sechs Wochen später traten bei ihm Husten mit eher weißlichem Auswurf sowie Fieber auf. Bei fortbestehendem Husten und Abgeschlagenheit sowie intermittierend erhöhten Temperaturen von circa 38 °C erfolgte die stationäre Aufnahme. Der durchgeführte Corona-Abstrich wies die Infektion mit SARS-CoV-2 nach, gleichzeitig abgenommene Blutkulturen waren negativ.

Im weiteren Verlauf kam es zu einer zunehmenden Verschlechterung des Allgemeinzustandes, sodass fünf Tage nach stationärer Aufnahme die Verlegung auf die Intensivstation erforderlich wurde. Noch am gleichen Tag musste der Patient intubiert werden.

Der komplikationsreiche Verlauf beinhaltete als kardiovaskuläre Komplikationen Lungenarterienembolien beidseits und multilokuläre Hirninfarkte im vorderen Grenzzonenstromgebiet rechts- seitig, im periventrikulären Marklager rechtsseitig sowie im hinteren Grenzzonenstromgebiet beidseits. Eine im Verlauf aufgetretene hämodynamisch relevante Tachyarrhythmia absoluta wurde erfolgreich mittels Amiodaron in Sinusrhythmus konvertiert.

Zum optimiertem Weaning erfolgte eine Tracheotomie und nach achtwöchiger Beatmung, welche durch eine Escherichia-coli-Pneumonie prolongiert wurde, erfolgte schließlich die Dekanülierung, sodass anschließend die Verlegung in die neurologische Frührehabilitation erfolgen konnte.

Zum Zeitpunkt der Aufnahme auf die neurologische Frührehabilitationsstation war der Patient in reduziertem Allgemein- und kachektischem Ernährungszustand, wach und bewusstseinsklar mit einem Glasgow Coma Scale (GCS) von 15 Punkten. Die Lunge war beidseits belüftet, auskultatorisch waren links basal Giemen, apikal Brodeln und rechtsseitig feuchte, grobblasige Atemgeräusche nachweisbar (Abb. 1). Die Sättigung unter 2 Liter Sauerstoff über die Nasenbrille betrug 93 %. Es bestand eine mittel- bis hochgradige Hemiparese linksseitig, der Frühreha-Barthelindex betrug -45 Punkte. Der Patient gab starke Schmerzen (VAS 10/10 Punkten) in der linken Schulter sowie im linken Ellenbogen an, die Beweglichkeit in beiden Gelenken war nahezu aufgehoben. Aufgrund dieser Schmerzsymptomatik erfolgten drei Wochen nach Beendigung einer zwei-monatigen Beatmung Röntgenaufnahmen der linken Schulter (Abb. 2) und des linken Ellenbogens (Abb. 3), welche heterotope Ossifikationen zeigten.

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: Röntgenbild des Thorax a. p. (Bettaufnahme) zeigt massive Lungenstrukturveränderungen beidseitig, Lungenbild insgesamt ähnlich dem einer "dirty chest" mit unregelmäßigen Lungenstrukturen, mit streifigen Verdichtungen sowie Auflockerungen, Zwerchfellhochstand rechts

Abb. 2
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: Röntgenbild der linken Schulter a. p. drei Wochen nach Beendigung einer zweimonatigen Beatmung: Ausbildung von heterotopen Ossifikationen insbesondere um den Humeruskopf; vollständig verheilte Tuberculum-majus-Fraktur

Abb. 3
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: Röntgenbild des linken Ellenbogens drei Wochen nach Beendigung einer zweimonatigen Beatmung: Ausbildung von heterotopen Ossifikationen insbesondere im Bereich des Humeroulnargelenkes

Die alkalische Phosphatase war während der gesamten stationären Behandlung erhöht, in der Spitze bis 299 U/l (Normbereich bis 130 U/l) bei einem Kalzium im Normbereich. Ebenso waren GPT und Kreatinin stets im Normbereich.

Diagnose

Heterotope Ossifikationen im linken Schulter- und Ellenbogengelenk bei Zustand nach Langzeitbeatmung bei schwerem COVID-19-Verlauf. (siehe Kasten Heterotope Ossifikationen).

Prozedere

Aufgrund der akuten Schmerzsymptomatik und der nahezu aufgehobenen Beweglichkeit des linken Armes erfolgte eine orale Kortisonbehandlung mit initial 40 mg Prednisolon/Tag über vier Wochen, dann stufenweise Reduktion um 10 mg/Tag nach jeweils vier Wochen bei einer Erhaltungsdosis von 5 mg.

Im Rahmen der Frührehabilitationsmaßnahme erhielt der Patient ein multimodales Rehabilitationsprogramm. Wesentliche Inhalte waren hier neben einer intensiven physio- und ergotherapeutischen Behandlung Logopädie und neuropsychologische Therapie. Die krankengymnastische Mobilisation des betroffenen linken Armes wurde vorsichtig und ohne Kraftanstrengung durchgeführt.

Verlauf

Unter der oralen Kortisonbehandlung kam es zu einer weitgehenden Schmerzreduktion im Bereich des linken Schulter- und Ellenbogengelenkes. Bei inzwischen ausgereiften brückenbildenden periartikulären Ossifikationen blieb die Funktionseinschränkung des linken Armes allerdings weitgehend unverändert.

Bei Entlassung aus der insgesamt fast fünfmonatigen Rehabilitationsbehandlung (inklusive neurologischer Frührehabilitation der Phase B) fuhr der Patient selbständig im Leichtgewichtsrollstuhl über 50 m. Sein Gangbild zeigte ein fehlendes Abrollen rechts und links sowie ein reduziertes Gleichgewicht. Die Schrittlänge war verkürzt, Treppensteigen war nur mit therapeutischer Hilfe möglich. Der Patient konnte mit der rechten Hand mit Hilfe durch Vorbereiten essen und trinken. Der Einsatz der linken Hand als Halte- und Transporthand war nicht möglich.

Es wurde eine ambulante Fortsetzung der Physio- und Ergotherapie sowie der Atemtherapie vereinbart bei hausärztlicher und neurologischer Weiterbehandlung. Ebenso war eine weitere ambulante pulmonologische Betreuung erforderlich.

Beurteilung

Eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 kann sich in verschiedenen Verlaufsformen äußern und hat unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Organsysteme des Körpers.

Während bei den in der Regel im Vordergrund stehenden neurologischen, kardiovaskulären und pneumologischen Komplikationen Pathomechanismus und Behandlungsoptionen schon gut erforscht sind, ist über muskuloskelettale Konsequenzen von COVID-19 und deren Behandlungsoptionen bisher noch relativ wenig bekannt.

Auf Grund der Verwandtschaft des SARS-CoV-2 zum SARS-CoV-1 kann von einem ähnlichen Pathomechanismus ausgegangen werden. Epidemiologische Daten aus der SARS-Pandemie 2002-2004 zeigten Myalgien, Muskeldysfunktionen, Osteoporose und Osteonekrosen als Folgen einer Infektion. Aus ersten Studien von COVID-19-Patienten ist bekannt, dass 25-50 % aller symptomatischen Patienten unabhängig vom Schweregrad Myalgien und generelle Schwäche erleben, wobei das Auftreten von Myalgien ein Prädiktor für einen schweren Verlauf zu sein scheint. In einzelnen Fällen wurde die Ausbildung heterotoper Ossifikationen nach COVID-19 beschrieben.

Das Auftreten von heterotopen Ossifikationen (Myositis ossificans circumscripta) im Rahmen eines Schädel-Hirn-Traumas oder nach Verletzungen des Rückenmarks ist bekannt. Der genaue Pathomechanismus der Aktivierung von Knochenformation und Ausbildung von heterotopen Ossifikationen nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma ist aber noch unklar. Mögliche Erklärungsansätze sind die Beteiligung peripherer Nerven, eine traumainduzierte Freisetzung von Bone morphogenic protein 2 (BMP2) oder die Aktivierung neuroinflammatorischer Prozesse. Ebenso verursachen lange Beatmungszeiten unabhängig von der Ursache proinflammatorische Prozesse, welche zu Muskel- und Knochenschwäche und auch heterotopen Ossifikationen führen können.

Alle beschriebenen Fälle mit heterotopen Ossifikationen nach COVID-19, den vorliegenden Fall eingeschlossen, waren schwere Verläufe mit erforderlicher längerfristiger Beatmung. Ebenso trat bei allen Fällen eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase auf. Die häufigsten Lokalisationen neurogener heterotoper Ossifikationen sind Schulter-, Hüft-, Knie- und Ellenbogengelenke.

Fazit

Infektionen mit SARS-CoV-2 betreffen bei weitem nicht nur die Lunge oder das kardiovaskuläre System. Die dargestellte Kasuistik zeigt auch einen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel. Es sind ausgedehnte heterotope Ossifikationen entstanden, die zu einer Funktionseinschränkung beziehungsweise zum Funktionsverlust der betroffenen Gelenke verbunden mit starker Schmerzhaftigkeit führten. Wichtig ist ein frühzeitiges Erkennen der Ausbildung heterotoper Ossifikationen. Zur Therapie erfolgt bei invalidisierenden Einsteifungen eine operative Entfernung der heterotopen Ossifikationen nach Ausreifung des Knochens bei negativem Knochenszintigramm und normalisierter alkalischer Phosphatase etwa 1,5 Jahre nach diagnostischer Erstmanifestation. Eine postoperative Radiatio von 12-20 Gy wird empfohlen.

Die insbesondere bei schweren und protrahierten Verläufen von COVID-19 auftretende langfristige Immobilisation, der Muskelverlust und das damit einhergehende Osteoporoserisiko haben bisher zu wenig Beachtung gefunden, sodass hier vermehrte Grundlagen- und klinische Forschung angezeigt sind.

Unabhängig von der Ursache der aufgetretenen kardiovaskulären und osteologischen Komplikationen durch eine SARS-CoV-2-Infektion ist ein umfangreiches, fachübergreifendes und multimodales Reha-Konzept im Rahmen einer Post-COVID-19-Reha erforderlich. Dieses sieht verschiedene physiotherapeutische Anwendungen (passive Bewegungsübungen bis zur Schmerzgrenze, medizinische Trainingstherapie, Atemtherapie, Gleichgewichtsübungen), Ergotherapie sowie Hirnleistungstraining bei Konzentrations- und Gedächtnisstörungen vor. Es sind eine engmaschige ärztliche Begleitung sowie eine ständige interdisziplinäre Reevaluation von Symptomatik und Therapieprogramm im multiprofessionellen Reha-Team erforderlich (siehe Kasten Rehabilitation). Entsprechende Empfehlungen wurden durch verschiedene Fachgesellschaften konsentiert.