Zusammenfassung
Die Energiewende verändert in Deutschland mit dem Ausstieg aus der Kernkraft und dem Ausbau erneuerbarer Energien in weitreichender Weise bisherige Strukturen der Energieversorgung und wirkt sich dabei räumlich stark aus. Einen Aspekt bilden hierbei Veränderungen im bestehenden Stromnetz. Vorhandene Leitungstrassen sollen ertüchtigt, andere umfänglich neu gebaut werden, was Widerstände und Konflikte mit sich bringt. Der Artikel untersucht vor diesem Hintergrund aus diskurstheoretischer Perspektive, wie der Stromnetzausbau und mögliche Widerstände verhandelt werden und welche Argumentationsmuster dabei vorherrschend sind. Die durchgeführten Analysen fußen auf einem Methodenmix aus quantitativ orientierten und qualitativen Analysebestandteilen, um sowohl zentrale Bezugnahmen auszudifferenzieren als auch Einzelaspekte detaillierter zu betrachten. Zusammenfassend bilden die Bedarfsfrage des Stromnetzausbaus, Beteiligung, die eingesetzte Technik, Gesundheit, Wirtschaft sowie Natur und Landschaft zentrale Konfliktfelder, die innerhalb des Stromnetzausbaus ausgehandelt werden und sich in eher kognitive, emotionale und ästhetische Bewertungsmuster einreihen.
Abstract
With its phase-out of nuclear power generation and the expansion of renewably sourced energy, the German energy transition (“Energiewende”) has radically changed existing power supply structures, with wide geographical repercussions. One aspect of this is changes within the being national power grid. Existing networks are to be upgraded and new long-distance power-lines built. This creates resistance and conflict. Against this background, our article investigates from a discourse theory perspective how power grid extensions and possible opposition are communicatively constructed, and what argumentation patterns dominate the discussion. The analyses undertaken here are based on a methodological mix of quantitative-oriented and qualitative elements that facilitates both the differentiation of central issues and detailed examination of individual aspects. In sum, the underlying need for grid extension and the technology involved on the one hand, and issues of health, local economies, natural environment, landscape, and participation in the decision-making process on the other hand, form central fields of conflict to be negotiated at cognitive, emotional and aesthetic levels of discourse.
Notes
Entsprechend den Prämissen der Diskurstheorie wurden möglichst offene Interviews mit langen Erzählpassagen geführt. Um durch die Weite des Feldes keine Verlorenheit zu produzieren, wurden Fragen als Anstöße gestellt, wodurch Erzählepisoden zu einzelnen Aspekten entstanden (vgl. auch Weber 2013: 71 ff.).
In den Google-Treffern wurden 77, in den SZ-Artikeln 135 und in den Focus-Artikeln 108 Sprecherpositionen erfasst, die den Feldern „pro Trasse“, „pro Erdkabel“, „erneute Prüfung“ und „gegen Trasse“ zugeordnet wurden.
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Danksagung
Das diesem Beitrag zu Grunde liegende Forschungsvorhaben wurde im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) durchgeführt. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. Wir danken dem Bundesamt und dem Bundesministerium für die Unterstützung. Unser besonderer Dank gilt auch unseren am Projekt beteiligten Kolleginnen und Kollegen Corinna Jenal, Kerstin Langer, Tina Sanio, Michael Igel und Tobias Sontheim sowie Cornelia Egblomassé-Roidl vom Bundesamt für Strahlenschutz.
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Weber, F., Kühne, O. Räume unter Strom. Raumforsch Raumordn 74, 323–338 (2016). https://doi.org/10.1007/s13147-016-0417-4
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