Zusammenfassung
Die Reflexion (sozial-)pädagogischer Beziehungen war bis in die 1960er Jahre ein Kernthema geisteswissenschaftlicher und kulturphilosophischer Pädagogik. In letzter Zeit hat dieses Thema wieder Hochkonjunktur, nun in neuen Begründungszusammenhängen und Darstellungsformen. Zentrale These dieses Aufsatzes ist, dass die neuerliche Beschäftigung mit ‚Beziehung‘ als Ausdruck systemlogisch immanenter Struktur- und Diskursentwicklungen erläutert werden kann. Im Zuge der vom politischen System forcierten Implementierung neuer – der Ökonomie entlehnter – Steuerungsmodelle im Bildungs- und Sozialbereich wird der Zusammenhang von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zum Gegenstand von Evaluationen. Demnach bemisst sich der Outcome einer Organisation vor allem nach der Güte der Prozesse. In (sozial-)pädagogischen Not-for-Profit-Organisationen meint Prozessqualität immer die Güte der Beziehungen, Interaktionen und Anregungen, die zu einem hohen Outcome aufseiten der AdressatInnen führen. In kritischer Distanz zur bildungsökonomischen Ideologie der Effizienzsteigerung und zu Tendenzen eines eher technologischen Verständnisses der personalen Dimension von (Sozial-)Pädagogik wird hier für die Entwicklung eines spezifischen Verständnisses von (sozial-)pädagogischer Beziehungsqualität plädiert, das aus der pädagogischen Theorietradition zu personalen Beziehungen gewonnen wird.
Abstract
Reflections on educational relationships in the tradition of humanist pedagogics seemed to have been forgotten for a long time. Today ‘educational relationship’ comes into focus again but in economic and technical terms of structures, processes and outcomes. As a result even educational (not-for-profit-)organisations’ quality of processes are referred to as relationships and interactions that lead to an organisation’s high outcome. This contribution however puts forth an approach that is particularly based on a specific understanding of a (socio)pedagogical quality of relationships that can only be gained with reference to the theories and the tradition of personal pedagogy.
Notes
Bemerkenswert ist, dass in der Fassung von 2010 die nationale Berichterstattung wieder mit einem engeren Begriff von „Bildungssystem“ operiert, in dem etwa Entwicklungen in der Jugendberufshilfe, im nonformalen und informellen Angebot von Bildungspartnerschaften zwischen Schule und Sozialarbeit, in der Familienarbeit etc. nicht mit aufgeführt sind. Diese Umkehrbewegung muss auf ihre Sachangemessenheit hin problematisiert werden.
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Gaus, D., Drieschner, E. Prozessqualität oder pädagogische Beziehungsqualität? Erörterungen aktueller Qualitätsdiskurse im Spiegel personaler Pädagogik. Soz Passagen 4, 59–74 (2012). https://doi.org/10.1007/s12592-012-0100-8
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