Zusammenfassung
Der Beitrag stellt den Ansatz der Antinomien des Demokratischen Friedens und ihre Implikationen für die Kriegs- und Demokratieförderpraxis demokratischer Staaten vor und wendet sie auf den offiziellen Diskurs zur deutschen Afghanistanpolitik an. Analysiert werden die Begründungen des zivil-militärischen Engagements in Afghanistan in den Mandatsdebatten im Bundestag zwischen 2001 und 2011. Im Zentrum stehen drei Fragen: 1) Inwieweit weisen die Begründungsmuster den deutschen Militäreinsatz als „demokratischen Krieg“ aus? 2) Wie gehen die Bundesregierungen mit den Problemen und Widersprüchen um, die der praxeologischen Wendung des Demokratischen Friedens in eine aktive Politik gewaltgestützter Demokratieförderung inhärent sind? 3) Inwieweit entsprechen die Befunde zu beiden Fragen den in der Literatur herausgearbeiteten Besonderheiten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik?
Abstract
The contribution presents the approach of the antinomies of the Democratic Peace and their implications for the conduct of war and democracy promotion by democratic states, and applies this approach to the official discourse on German policies towards Afghanistan. It analyzes the justification of Germany’s civil-military engagement in Afghanistan in parliamentary debates between 2001 and 2011. Three questions are tackled: (1) To what extent does the justification of Germany’s military operations correspond to the notion of a “Democratic War”? (2) How do the Federal Governments deal with the problems and contradictions that are inherent to the Democratic Peace turned into a program of active and violence-based democracy promotion? (3) To what extent do the empirical results to the former two questions correspond to the specific features of German foreign and security policies that have been emphasized in the literature.
Notes
Siehe Punkt 2.3.
Diese Erkenntnis bestätigt auch der frühere NATO-Oberkommandierende in Afghanistan, General Stanley McChrystal (vgl. Reichelt und Meyer 2010, S. 88–90).
Siehe den Beitrag von Hans-Georg Ehrhart in diesem Band.
Siehe den Beitrag von Sebastian Harnisch in diesem Band.
Die qualitative Inhaltsanalyse orientierte sich am Vorgehen des genannten Forschungsprojekts zur Kriegsbeteiligung demokratischer Staaten (vgl. Geis et al. 2010). Allgemeine Aussagen zur Rechtfertigung des Afghanistaneinsatzes beziehen sich auf die Reden von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Position der Partei DIE LINKE (bzw. PDS), die den Einsatz von Beginn an ablehnte, wird lediglich zur Kontrastierung herangezogen.
Das Cluster „Demokratieförderung Pro“ vereinigt u. a. Argumente, die auf das Recht auf und die Universalität von Demokratie verweisen, Demokratisierung entweder direkt oder implizit (Verweise auf Selbstbestimmung, Freiheit, Rechtsstaat, Menschenrechte) als Ziel benennen.
Hier finden sich u. a. Argumente, die auf humanitäre Werte, die Verbesserung der Lebensbedingungen oder kollektive Anliegen der Weltgemeinschaft verweisen.
Begründungen im Cluster „Rolle Pro“ verweisen auf Identität/Selbstverständnis Deutschlands oder Rollenerwartungen von außen. Unter „Völkerrecht Pro“ sind positive Argumente mit Blick auf Völkerrecht/VN gruppiert, unter „Allianz/‚Der Westen‘“ Verpflichtungen gegenüber Bündnispartnern bzw. Argumente mit Blick auf die Glaubwürdigkeit oder Effektivität der Allianz.
Dies sind die Debatten 2 (57,14 %), 6 (50 %), 9 (48,48 %) und 10 (52,17 %).
Der Fokus auf Regierungserklärungen ist erstens dadurch begründet, dass die Begründungsnot zu zentralen Teilen auf Seiten der Regierung liegt. Zweitens zeigt die quantitative Analyse, dass die Unterschiede zwischen Regierung und Opposition (ohne LINKE) begrenzt sind, sich beide also auf einen gemeinsamen Pool an Gründen stützen, wenn auch die Rechtfertigungen auf Regierungsseite (wie zu erwarten) teils deutlicher ausgeprägt sind. Drittens interessieren wir uns hier neben der Begründung des Engagements – im Sinne der zweiten Fragestellung – auch für den (operativen) Umgang der wechselnden Bundesregierungen mit der Einsatzrealität sowie für die Art und Weise, wie Begründung, Lageanalyse und Praxisoptionen miteinander verbunden werden.
Ergänzend verweist Steinmeier auf die „Solidarität“, die man „dem Bündnis“ schuldig sei (Deutscher Bundestag 2007, S. 8128).
Hinzu kommen Verantwortungs- und Allianzargumente (vgl. Deutscher Bundestag 2009, S. 385–386).
Siehe Punkt 3.
Dem Abrücken von Demokratie entspricht eine weniger dichotome Sicht auf die Akteure in Afghanistan. Statt gute Demokraten und ihre bösen Feinde gegenüberzustellen, werden nun einerseits die eigenen Alliierten – namentlich der afghanische Präsident Hamid Karzai – mit Blick auf gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung ambivalent betrachtet; andererseits wird ein harter Kern von Taliban identifiziert, den es zu isolieren gilt, indem Aufständische „zur Aufgabe des Kampfes“ bewegt und ihnen bei Erfüllung von „Mindestkriterien“ „ein Angebot zur Rückkehr in die afghanische Gesellschaft“ gemacht wird (Deutscher Bundestag 2009, S. 385). Entsprechend geht es nun um Reintegration und Aussöhnung (vgl. Deutscher Bundestag 2010, S. 8908) inklusive notwendiger Gespräche „mit Vertretern der Aufständischen“, um eine „politische Lösung“ zu finden (Deutscher Bundestag 2010, S. 8910).
Generell erinnert der Bericht zur Begründung des deutschen Einsatzes „an den Ausgangspunkt und fortgeltenden Grund für die enormen Anstrengungen und Opfer der Bundeswehr wie der zivilen Vertreter und Aufbauhelfer bei ihrem Einsatz: Die Bedrohung auch der Bundesrepublik durch internationalen Terrorismus und islamistischen Extremismus“ (Bundesregierung 2010, S. 4).
Was Afghanistan „braucht“ (das ist der Ausgangspunkt der Überlegungen in diesem Kapitel) sind „leistungsfähige Ordnungs- und Sicherheitskräfte, um ein staatliches Gewaltmonopol durchzusetzen“. „Die Regierung“ ist – dafür? – ihrerseits „vor allem darauf angewiesen, dass sie in den Augen der Bevölkerung ausreichende Legitimität besitzt“. „Dies setzt ein Mindestmaß an effektiver und guter Regierungsführung auf der Ebene des Zentralstaats und in den Provinzen voraus.“ Eine „unabhängige Verwaltung und Justiz“ sowie Korruptionsbekämpfung sind dafür nötig (Bundesregierung 2010, S. 41).
Siehe den Beitrag von Klaus Brummer und Stefan Fröhlich in diesem Band.
Der einzige Hinweis darauf, was strategisch verändert wurde, bezieht sich auf den Versuch, „dass wir alle einbinden“; konkret nennt Westerwelle hier die „betroffenen Nachbarländer“, sagt aber nichts über die Einbindung innerafghanischer Akteure (Deutscher Bundestag 2011, S. 9604).
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Müller, H., Wolff, J. Demokratischer Krieg am Hindukusch? Eine kritische Analyse der Bundestagsdebatten zur deutschen Afghanistanpolitik 2001–2011. Z Außen Sicherheitspolit 4 (Suppl 1), 197 (2011). https://doi.org/10.1007/s12399-011-0211-x
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DOI: https://doi.org/10.1007/s12399-011-0211-x