Beginn der Pandemie

Mit dem Beginn der „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“(SARS-CoV-2)-Pandemie im Frühjahr 2020 wurde in Deutschland die Aufmerksamkeit v. a. auf die intensivmedizinische Versorgung der Patienten gelegt. Die Schreckensbilder aus anderen Ländern wie China oder Italien gingen durch die Medien. Mit der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems durch die vielen Intensivpatienten und den notwendigen Schutz- und Isolierungsmaßnahmen kam es in vielen anderen Bereichen des Gesundheitssystems zu Einschränkungen, auch in der Hospiz- und Palliativversorgung. So wurde beispielsweise im ersten Lockdown in manchen Pflegeeinrichtungen im Rahmen der strengen Abschottung auch den Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) der Zutritt verwehrt.

Entscheidungsfindung bei knappen Ressourcen

Die SARS-CoV-2-Pandemie führte zu einer Reihe von Herausforderungen, zu deren Bewältigung die Palliativversorgung mit ihrem Fachwissen, ihren Fähigkeiten und Haltungen beitragen kann, z. B. die ethischen Probleme in der Zuteilung von knappen Ressourcen, die Symptomkontrolle oder die psychosozialen Folgen der Schutz- und Isolierungsmaßnahmen für die Angehörigen von schwerstkranken oder sterbenden Patienten.

In den ersten Wochen der Pandemie drehte sich alles um die Sicherstellung der intensivmedizinischen Versorgung und insbesondere um mögliche Szenarien und Konzepte zur Triage, wenn die Intensiv- und Beatmungsplätze nicht ausreichen sollten. In diesen Diskussionen war oft ein Wechsel von der patientenzentrierten Medizin zu einer utilitaristischen Sichtweise zu beobachten. Die Palliativversorgung kann hier mit ihrer Expertise zur Indikations- und Prognosestellung bei schweren Erkrankungen beitragen und wie dabei der aktuelle, vorausverfügte oder mutmaßliche Wille des Patienten berücksichtigt werden kann. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) hat dementsprechend an der Leitlinie zur Zuteilung von Ressourcen mitgewirkt [3].

Symptomlinderung

Für Patienten mit „Coronavirus disease 2019“ (COVID-19) und Luftnot, Angst oder Unruhe ist eine ausreichende Symptomerfassung und -linderung notwendig. Dies betrifft Patienten, a) die in einer Triage-Situation nicht intensivmedizinisch behandelt werden können, b) bei denen eine Beatmung und Sedierung (noch) nicht indiziert ist oder c) die aus anderen Gründen, z. B. einer lebenslimitierenden Grunderkrankung, eine Krankenhausbehandlung ihrer COVID-19-Infektion ablehnen. Die Behandlung von Luftnot bei COVID-19 folgt im Wesentlichen den palliativmedizinischen Grundlagen. Jedoch sollten größere Luftbewegungen in der Umgebung des Patienten vermieden, beispielsweise keine Ventilatoren eingesetzt werden. Die symptomatische Behandlung mit Opioiden ist genauso effektiv zur Linderung von Luftnot wie bei anderen Patienten mit Luftnot in der Palliativversorgung. Empfehlungen zur Symptomlinderung bei COVID-19 wurden von der DGP gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie veröffentlicht [5].

Psychosoziale und existenzielle Belastungen

Die psychosozialen Folgen der Pandemie sind nicht nur für die betroffenen Patienten selbst, sondern auch für ihre Zugehörigen (Familienmitglieder, Partner, Nahestehende) sehr belastend. Dies gilt nicht nur für die Patienten mit einer COVID-19-Infektion, sondern auch für Menschen ohne COVID-19, aber mit einer anderen lebensbedrohlichen Erkrankung. In den Lockdown-Phasen wurden aufgrund der Besuchsverbote oder -einschränkungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Patienten von ihren Zugehörigen isoliert und blieben teilweise über Tage und Wochen ohne deren Unterstützung, manchmal bis zu ihrem Tod. Bei Patienten, die an COVID-19 oder auch an einer anderen Erkrankung verstarben, mussten die Zugehörigen weitere Einschränkungen bei Trauerfeiern und Beerdigungen hinnehmen, sodass sie wenig Trost in ihrer Trauer finden konnten.

Darüber hinaus kam bei den Zugehörigen möglicherweise noch die Sorge hinzu, dass sie an der Erkrankung schuld sein könnten, wenn Patienten an COVID-19 erkrankt waren. Auch das Erleben von Stigmatisierung im sozialen Umfeld konnte sie zusätzlich beeinträchtigen.

Auf der anderen Seite wurden schnell Vorschläge und Ideen umgesetzt, wie diesen Belastungen begegnet werden konnte. Digitale Medien, über Videotelefonie oder Apps für Smartphones, Tablets oder Notebooks, bieten die Möglichkeit, trotz Isolation und Besuchseinschränkungen den Patienten nahe zu sein und sich mit ihnen verbunden zu fühlen. Virtuelle Kontakte zu den nahestehenden erkrankten Menschen ermöglichen es, mit ihnen zu sprechen, sich zum gemeinsamen Essen, Beten oder Singen zu verabreden oder Bilder, Videos oder Musik zu schicken. Wenn es nicht möglich ist, diese virtuellen Möglichkeiten zu nutzen, können über die Mitarbeitenden Karten, Briefe, Bilder oder Fotos überbracht werden. Empfehlungen zur Unterstützung der Zugehörigen in der Pandemie wurden von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) bereits 2020 veröffentlicht [4].

Palliativversorgung in Zeiten der Pandemie im Netzwerk Universitätsmedizin

Im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) wurde von August 2020 bis Dezember 2021 das bundesweite Projekt „Palliativversorgung in Zeiten der Pandemie“ (PallPan) gefördert [1]. An insgesamt 16 Standorten wurden Teilstudien zu allen Bereichen der ambulanten und stationären allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung durchgeführt, die ein weites Spektrum von sehr unterschiedlichen Erfahrungen aufzeigten. So wurden beispielsweise bei vielen Palliativstationen Personal abgezogen, um die Lücken auf der Intensivstation oder anderen Abteilungen zu schließen. Einzelne Palliativstationen wurden sogar ganz geschlossen. Am anderen Ende des Spektrums standen Erfahrungen in Berlin und Freiburg, wo zusätzliche Palliativstationen nur für COVID-19-Patienten eingerichtet wurden und gut belegt waren. In allen Einrichtungen wurden Schutzkonzepte, später auch Testkonzepte eingeführt und Besuchsregelungen eingeschränkt. Allerdings gaben die meisten Einrichtungen der spezialisierten Palliativversorgung (Palliativstationen, stationäre Hospize, SAPV-Teams) an, dass sie Zugehörige auch in Zeiten eines Lockdowns weiterhin zugelassen hätten, wenn auch mit Einschränkungen hinsichtlich Besucherzahl oder Besuchszeiten. Insbesondere bei sterbenden Patienten wurde den Zugehörigen möglichst uneingeschränkt der Zutritt ermöglicht. Hausarztbesuche fanden weniger statt.

In der Pandemie war die Kommunikation zwischen Behandelnden und Patienten oder Zugehörigen erschwert, wie die Erhebungen in PallPan zeigten. Infolge der Besuchsverbote waren die Zugehörigen nicht in die Kommunikation vor Ort einbezogen. Damit fehlten ihnen Ansprechpartner und Zuständigkeiten blieben unklar. Das Tragen von Masken erschwerte die non- und paraverbale Kommunikation. Uneinheitliche Kommunikation (z. B. wechselnde Aussagen zu Schutzmaßnahmen oder Besuchsregelungen) und fehlende Transparenz über Ausbruchsgeschehen führten zu Unsicherheiten bei Patienten und Zugehörigen. Eine empathische Kommunikation war unter Pandemiebedingungen noch wichtiger und wurde gleichzeitig durch die hohe Belastung des Personals, auch durch einen deutlich erhöhten Informationsbedarf aufgrund der Besuchsverbote und allgemeinen Unsicherheit in der Pandemie, erschwert.

Die Ergebnisse der PallPan-Studien wurden in 33 Handlungsempfehlungen (Abb. 1) für sehr unterschiedliche Zielgruppen umgesetzt (https://pallpan.de/#Handlungsempfehlungen). Die 1. Handlungsempfehlung stellt fest, dass Versorgende infizierte und nichtinfizierte schwer kranke und sterbende Menschen und ihre Zugehörigen palliativmedizinisch bestmöglich behandeln sollen. Dazu gehört:

  • Versorgende erfassen und lindern belastende Symptome.

  • Versorgende erheben psychosoziale und spirituelle Bedürfnisse und bieten bei Bedarf Unterstützung an.

  • Die Einrichtungsleitung hält Medikamente für die Linderung der häufigsten Infektionssymptome bereit.

  • Die DGP erstellt bei einer Pandemie evidenzbasierte Empfehlungen zur symptomatischen Linderung der häufigsten Infektionssymptome.

Abb. 1
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Handlungsempfehlungen des Projekts „Palliativversorgung in Zeiten der Pandemie“ (PallPan): QR-Code scannen und online weiterlesen

Zugehörige sollen kontinuierlich durch das multiprofessionelle Team informiert und einbezogen werden. Der Einbezug soll sowohl auf informeller Ebene, z. B. Flurgespräche, als auch auf strukturierter Ebene, z. B. durch regelmäßige Telefonkontakte, stattfinden. Eine Möglichkeit zur Unterstützung von Zugehörigen, die mit der Begleitung von Schwerstkranken oder Sterbenden überfordert sind, bieten die „Letzte-Hilfe-Kurse“, die Wissen und praktische Anleitung in der Begleitung vermitteln. In der Pandemie wurde eine eintägige Onlineversion dieser bewährten Kurse entwickelt und angeboten (https://www.letztehilfe.info/kurse/).

Versorgende von infizierten schwer kranken und sterbenden Menschen sollen bei Bedarf die Expertise und Ressourcen der spezialisierten Palliativversorgung (z. B. Palliativdienste, Palliativstationen, SAPV) einbinden (Handlungsempfehlung 2). Dies gilt beispielsweise

  • bei unzureichender Symptomlinderung inkl. psychosozialer/spiritueller Unterstützung,

  • bei komplexen Situationen inkl. Therapiezielgesprächen und -entscheidungen oder

  • bei Bedarf der Begleitung von Angehörigen inkl. in der Sterbe- und Trauerphase.

Die spezialisierten Einrichtungen können andere Versorgende in der allgemeinen Palliativversorgung unterstützen, z. B. durch kurze Praxisempfehlungen, Schulungen, (konsiliarische) Mitbehandlung, Beratung über Telefon, Videosprechstunden oder Telemedizin.

Versorgende sollen Menschen, die schwer krank sind oder zur Risikogruppe für einen schweren Infektionsverlauf gehören, und ihren Angehörigen Gespräche über Therapieziele und Behandlungspräferenzen (z. B. zu Krankenhauseinweisung, Behandlung auf einer Intensivstation und Reanimation) frühzeitig anbieten (Handlungsempfehlung 6). In solchen Gesprächen sollte allerdings kein Therapieverzicht suggeriert werden mit dem Ziel, knappe Ressourcen freizuhalten, sondern es sollten unbeeinflusst die persönlichen Präferenzen und Prioritäten der Patienten festgehalten und schriftlich dokumentiert werden.

Die individuellen Bedürfnisse schwer kranker und sterbender Menschen, insbesondere das Bedürfnis nach Nähe, sollen in der Abwägung mit dem Infektionsschutz der Bevölkerung eine immer größere Gewichtung erhalten, je näher die Sterbephase rückt (Handlungsempfehlung 8). Dies kann umgesetzt werden, indem z. B. die Testung für Zugehörige auf der Palliativstation oder die Unterbringung in einem Einzelzimmer mit guter Lüftungsmöglichkeit und Einhalten der Hygienemaßnahmen angeboten wird, um auch mit mehreren Zugehörigen gemeinsam Abschied nehmen zu können, oder indem Zugehörigen angeboten wird, dass sie bis zum Versterben des Patienten permanent anwesend sein dürfen, dabei aber das Zimmer (oder das Gebäude) möglichst nicht verlassen sollen.

Bundes- und Landesregierungen sowie kommunale Verwaltungen und Krankenhausträger sollen bei Anordnungen von Kontaktbeschränkungen solche gesonderten Regelungen für schwerstkranke, sterbende und trauernde Menschen sowie ihre Angehörigen (jeweils für Nichtinfizierte und Infizierte) erstellen (Handlungsempfehlungen 10).

Das PallPan-Projekt bietet neben den Handlungsempfehlungen und Umsetzungsbeispielen auch einen eLearning-Kurs an (https://pallpan.de/elearning/#/) mit Modulen zur Symptomkontrolle, Kommunikation, zu Besuchsregelungen, interdisziplinärer und interprofessioneller Zusammenarbeit, zum Sterben und Abschiednehmen. Für den Umgang mit Trauer und mit Trauernden wurde die Webseite „Trauer in besonderen Zeiten“ (https://trauern-in-besonderen-zeiten.de/) entwickelt. Hier finden sich neben Informationen und praktischen Tipps auch Verweise auf Literatur oder Webressourcen, außerdem werden ein virtueller Trauerraum sowie Selbsttests auf Depression oder posttraumatische Belastungsstörung angeboten.

Nach dem PallPan-Projekt

Ebenso wie es nach einer COVID-19-Infektion zu lang dauernden Folgen kommen kann, die als Long-COVID zunehmend Beachtung finden, können auch psychosoziale Belastungen bei den Zugehörigen, z. B. wenn Patienten in der Isolierung verstorben sind oder wenn keine Trauerfeier möglich war, zu lang andauernden Folgen führen. Bei der großen Zahl von Verstorbenen in der mittlerweile schon 2 Jahre anhaltenden Pandemie hat dies Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Diese oder andere mittel- und langfristigen Effekte der Pandemie sind aber bisher kaum untersucht worden. In dem Projekt CollPan (Collateraleffekte der Pandemie) wird sich in der nächsten Förderperiode im NUM ein Arbeitspaket mit den Belastungen von pflegenden ebenso wie von trauernden Angehörigen in der Pandemie befassen.

Fazit

Mit den Ergebnissen der bundesweiten PallPan-Erhebung werden die Patienten in der Palliativversorgung klar als besonders vulnerable Gruppe beschrieben, deren Versorgung in Pandemiezeiten eines besonderen Schutzes bedarf. PallPan empfiehlt, dass die Angebote der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung, sowohl stationär als auch ambulant, in der Pandemie aufrechterhalten werden sollten, selbst wenn die Ressourcen im Gesundheitssystem knapp sind. Das beinhaltet auch eine ausreichende Zuteilung von Schutz- und Testmaterial für diese Einrichtungen.

In der klinischen Versorgung liegt ein Schwerpunkt auf der Erfassung und Behandlung von belastenden Symptomen wie Luftnot, Unruhe und Angst. Hierzu lassen sich die Empfehlungen der S3-Leitlinie „Palliativmedizin bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ [2] übertragen, z. B. indem Opioide zur Linderung der Luftnot effektiv eingesetzt werden können.

Wichtig ist die kontinuierliche und empathische Kommunikation mit den Patienten und ihren Zugehörigen, insbesondere wenn die Kontaktmöglichkeiten durch Schutz- und Isolierungsmaßnahmen eingeschränkt sind. Regelmäßige Informationsangebote helfen, Unsicherheiten bei Patienten und Zugehörigen zu vermeiden.

Bei Patienten in der Palliativversorgung sollten Besucherregelungen vereinbart werden, die den Zugehörigen ermöglichen, den Kontakt zu halten und den Patienten zu unterstützen. Bei sterbenden Patienten sollte in der Palliativversorgung, aber möglichst auch in allen anderen Versorgungsorten, den Zugehörigen ein möglichst uneingeschränkter Zugang ermöglicht werden, damit sie die Patienten bis zum Lebensende begleiten können.

Nach dem Versterben sollten die Zugehörigen auf Angebote zur Trauerbegleitung (z. B. in den ambulanten Hospizdiensten in der Nähe) hingewiesen werden. Über die Webseite von „Trauer in besonderen Zeiten“ können digitale Angebote gesucht und gefunden werden.