Ausgangspunkt des Beitrags ist das BMBF-geförderte, bi-nationale (Deutschland und England) Forschungsprojekt „geste“. Ausgehend von der Frage, wie Kinder und Jugendliche, die in Wohngruppen leben, die Qualität von Heimerziehung wahrnehmen, besteht das Anliegen darin, Partizipationsmöglichkeiten auszuloten, die die jungen Menschen durch Interessenvertretung in stationären Hilfen zur Erziehung in London und Hamburg haben bzw. haben könnten.

Ein Hintergrund dieser ländervergleichenden Studie ist, dass im Gegensatz zu England mit seinem Service User Involvement in Deutschland eine (selbstorganisierte) Interessenvertretung von Adressat_innen der Jugendhilfe bestenfalls innerhalb einzelner Träger, nicht jedoch flächendeckend existiert. Interessenvertretung und Selbstorganisation von Betroffenen bzw. Nutzer_innen sozialer Dienstleistungen sollen dazu dienen, dass diese an der Gestaltung ihres eigenen Lebensumfelds beteiligt werden und in gewissen Maßen Entscheidungs- und Verfügungsgewalt über ihr eigenes Leben erhalten oder wiedererlangen können. Sie haben ihrem Anspruch nach ein transformatives Potenzial, die Regeln von Organisationen und Institutionen zu Gunsten eines betroffenen Kollektivs zu verändern bzw. korrigieren.

Die Beteiligung an einer Interessenvertretung ist aber in hohem Maße voraussetzungsvoll: Die Betroffenen müssen sich sowohl als Teil eines Kollektivs als auch als politisches Subjekt verstehen, das tatsächlich Einfluss auf institutionelle und organisationale Prozesse nehmen kann. Damit dies gelingt, so die These der Nutzer_innenforschung, muss Heimerziehung für die Kinder und Jugendlichen einen spezifischen Gebrauchswert für ihre Lebensführung entfalten können. Dazu eignen sie sich über die „situative und lokale Hervorbringung von individuellen Bedeutungen“ (Schaarschuch und Oelerich 2020, S. 18) ihre (Lebens‑)Situation aktiv selbst an und produzieren sich damit als spezifische Subjekte.

Aneignung wird dann als eine soziale Tatsache verstanden, die Subjekte notwendigerweise betreiben, wenn sie mit der sozialen Welt interagieren und sich innerhalb dieser sozialen Zusammenhänge bilden und entfalten (ebd.). Dies sagt jedoch nichts über die Qualität der Aneignungsprozesse oder der Güte des Gebrauchswerts aus. Ob Bildungsprozesse eine emanzipatorische Qualität haben oder Aneignung in Form von Assimilation und/oder strategischer Unterwerfung geschieht – um beispielsweise Sanktionen zu vermeiden oder den Maßstäben der Institutionen und Organisationen gerecht zu werden – bleibt offen. Folglich sind Aneignungsprozesse in pädagogischen Settings auch nicht per se eine demokratische Einbahnstraße, auf der sich die beteiligten Subjekte ihren sozialen Kontext in gestalterischer Weise zu eigen machen. Vielmehr können sich die Organisationen die Adressat_innen insofern aneignen, indem sich in Form von alltäglichen Handlungsvollzügen eine Korrekturfunktion manifestiert, die mit disziplinarischen Mitteln implizit auf eine Verinnerlichung der Organisationslogiken abzielt. Die Aneignung führt dann nicht zu einer ‚autonomeren‘ Lebensführung, sondern lediglich zur Anpassung des Subjekts an Organisationslogiken – was im schlimmsten Fall eine Schädigung von dessen Autonomiefähigkeit bedeuten kann.

Dieser Beitrag widmet sich ebendiesen Schädigungen der Autonomiefähigkeit im Kontext der Organisation der Heimerziehung als Hindernis einer selbstorganisierten Interessenvertretung. Dazu soll im Folgenden zuerst in Kürze die Produktivität des Entfremdungsbegriffes für die Bewertung von Aneignungsprozessen skizziert werden. Im Anschluss wird eine exemplarische AnalyseFootnote 1 eines Sprechaktes aus einer Gruppendiskussion dargestellt, die im „geste“-Projekt entstanden ist. In der Analyse zeigt sich in exemplarischer Form, wie Regeln als entfremdende Kontextkategorie eine Selbstaneignung als selbstbestimmungsfähiges Subjekt verunmöglichen.

Entfremdung als Hindernis guten Lebens und Gegenstand Sozialer Arbeit

Soziale Arbeit beschäftigt sich mit Fragen von Lebensführungen und wie diese gelingen können. In diesem Kontext ist in den letzten Jahren vor allem im Zuge der Rezeption des Capabilities Approach (CA) in der Sozialpädagogik und der Erziehungswissenschaft die Frage nach einem guten und gedeihlichen menschlichen Leben breit diskutiert und plausibilisiert worden (z. B. Clark 2015; Mührel et al. 2017; Ziegler 2018). Hintergrund ist die Entwicklung eines Maßstabs für gerechte Institutionen des Aufwachsens. Der CA wird für die Formulierung eines ethisch begründeten Minimalstandards herangezogen, der Rahmenbedingungen für Institutionen setzen soll, die den betroffenen Menschen ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben ermöglichen – ohne deren individuellen Lebensentwürfe zu übergehen. Dabei zielt der CA auf die Maximierung der realen Verwirklichungschancen für die Menschen, ein Leben entsprechend ihrer eigenen Entwürfe realisieren zu können. Eine zentrale Annahme des CA ist es, dass es deshalb unzureichend ist, das ‚gute Leben‘ ausschließlich subjektiv zu bestimmen, weil Menschen ihre Präferenzen und Bedürfnisse – so miserabel sie auch sein mögen – an gegebene Verhältnisse anpassen.

So gesehen reichen Glück oder Zufriedenheit als Maßstab guter Heimerziehung nicht aus: Die sozialisatorische Wirkung von Einrichtungen könnte ebenso darin bestehen, dass Lebensentwürfe und Ansprüche junger Menschen übergangen werden und insofern deren Selbstbestimmtheit reduziert ist, was sich etwa in einer Genügsamkeit, einer Aneignung an potenziell unzureichende Bedingungen für gelingende Lebensläufe ausdrückt.

Der CA bietet eine breite Folie für die Theorie des Guten bzw. eines gelingenden Lebens. Ebenjene Deformierung von Präferenzen, Wünschen, Bedürfnissen oder Ansprüchen, die jungen Menschen an ihre Lebenswelt bleibt jedoch – obgleich sie von großer Relevanz für die sozialpädagogische Praxis ist – weitgehend eine Leerstelle des Ansatzes. An diesen Punkt schließt u. a. gegenwärtig Ziegler (2018) mit dem Konzept der Entfremdung als mögliche Beurteilungsheuristik an. Entfremdung wird darin – in Abgrenzung als allgemeiner Bestandteil kapitalistischer Gesellschaften – als bearbeitbares Problem verstanden, nämlich „als Beschränkung von gelingenden Lebensformen und Lebensführungen unterschiedlicher Akteur_innen innerhalb der allgemeinen Parameter gesellschaftlicher Verhältnisse“ (Ziegler 2018, S. 133).

Entfremdung als relationale Perspektive

Ein sozialpädagogisch nutzbarer Gegenentwurf zu den vorhandenen konservativ-kulturalistischen und idealistischen Interpretationslinien der Entfremdungsdeutungen bildet das relationale Entfremdungskonzept. Hier geht es gerade nicht um einen wahren oder inneren Wesenskern des Menschen und entsprechend nicht darum, Entfremdungsphänomene auf rein geistige oder sittliche Dimensionen zu reduzierten oder auf sozialpsychologische Weise lediglich in der Erlebniswelt der Individuen festzumachen (ebd., S. 133 ff.). Stattdessen besteht die Pointe relationaler Entfremdungskonzepte darin, Entfremdung als ein radikal soziales Phänomen zu verstehen, das zum einen die Nicht-Verfügbarkeit von Autonomie und Kontrolle über die eigene Lebensführung, zum anderen aber einen Zustand des Abgeschnitten-Seins von sozialer Welt beschreibt. Menschen sind als verletzliche und bedürftige Wesen genuin darauf angewiesen, „Beziehungen zur natürlichen Welt“ (ebd., S. 135) – also Arbeits- und Sozialbeziehungen – aufrecht zu erhalten. Daraus ergibt sich, dass Zustände des Leidens oder der Entfaltung niemals reine und von der Welt unabhängige Zustände sind. „Weltentfremdung“, so diagnostiziert auch Jaeggi (2016) die relationale Dimension der Entfremdung unter Rekurs auf Karl Marx und Hannah Arendt, „bedeutet also Selbstentfremdung und umgekehrt, das Subjekt ist ‚von sich‘ entfremdet, weil es von der Welt entfremdet ist […]. Der Ansatz bei der ‚Selbstentfremdung‘ schließt also immer auch das Verhältnis ein, welches das Subjekt zu den unterschiedlichen Dimensionen der ‚Welt‘ hat“ (Jaeggi 2016, S. 14).

Die analytische Stärke solcher Perspektiven liegt in ihrem Potenzial, „die Entstehung menschlichen Leidens und lebenspraktischer Verwerfungen aus spezifischen sozialen Beziehungen und Strukturen, kulturellen Vorgaben und ökonomischen Zwängen zu untersuchen“ (Ziegler 2018, S. 135). Solche Strukturen und Vorgaben sind beispielsweise die Beziehungen, Regelwerke und Partizipationsmöglichkeiten in den einzelnen Wohngruppen. Mit diesem relationalen Konzept der Entfremdung wird die Möglichkeit einer Kritik an sozialen Institutionen und den Lebensformen eröffnet, die sie bedingen: Heimerziehung – als für die Betroffenen erlebte Organisation der alltäglichen Lebensführung – lässt sich demnach durch die Bereitstellung emanzipativer Bildungsbedingungen oder deformierender Aneignungsangebote als potenziell entfremdete und damit den ethischen Ansprüchen an ein gelingende Lebensform nicht gerecht werdende Praxisform untersuchen.

Organisation, Nutzer_innen und Entfremdung

Stationäre Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung unterscheiden sich mannigfaltig. Eine besondere Rolle nehmen aber überall die Regeln und der Umgang mit ihren Verstößen in den einzelnen Wohngruppen ein. Die Regeln dienen der Strukturierung des Alltags der Kinder und Jugendlichen und machen durch ihre Omnipräsenz und Sanktionsdrohung ein Ignorieren unmöglich. Die jungen Menschen sind insbesondere mit der Anforderungen konfrontiert, sich aktiv mit den Regeln der Wohngruppe auseinanderzusetzen und – so die Leseart der sozialpädagogischen Nutzer_innenforschung – sich diese Verhältnisse aktiv selbst aneignen zu müssen: „Zwar werden im Dienstleistungsprozess keine gegenständlichen Dinge konsumiert, gleichwohl geht es um die produktive Aneignung der sozialisatorischen, symbolischen und kulturellen Gehalte der gesellschaftlichen ‚zweiten Natur‘, die – vermittelt über die Tätigkeit von Professionellen – konsumiert werden“ (Schaarschuch und Oelerich 2020, S. 16).

Unter Einbezug der oben skizzierten Entfremdungsperspektive ist es nun möglich, die Regeln nicht nur als kontingente und dynamische Materialisierung sozialer Probleme zu untersuchen, sondern auch qualifizierende Aussagen zu ihrem Emanzipations- und Entfremdungsgehalt zu treffen. Beurteilungsmaßstab sind hierbei nicht die Intentionen der Regelaufstellenden, sondern die individuellen Selbstaneignungen der Kinder und Jugendlichen der sie umgebenden organisatorischen Anforderungen sowie derer Potenzialität, zu einem gelingenderen Leben beizutragen. Dies führt zu folgenden Fragen: Tragen Regeln als sozialräumliche Komponente dazu bei, dass sich die Prozesse der Aneignung ihrer Welt für Kinder und Jugendlichen in einer Weise vollziehen, die es ihnen ermöglicht, sich erstens „mit dem, was man tut, und mit denjenigen, mit denen man es tut, sinnhaft zu identifizieren; zweitens […] über das, was man tut, Kontrolle auszuüben, d. h. individuell oder kollektiv in dem, was man tut, ‚Subjekt seiner Handlungen‘ zu sein“ (Jaeggi 2016, S. 33)? Oder muss vielmehr angenommen werden, dass sie dazu beitragen, dass sich die Jugendlichen die Welt – und damit eben auch sich selbst – nicht autonomiefördernd und in der Verwirklichung ihrer eigenen Lebensprojekte aneignen können, z. B. indem sie Ansprüche auf eine selbstbestimmte Gestaltung des eigenen Lebensumfelds negieren?

Entfremdende Regeln? „Da muss man dann auch mit zurechtkommen …“

Ausgehend von der Frage, wie eine selbstbestimmte und -organisierte Interessenvertretung junger Menschen in stationären Hilfen zur Erziehung strukturell verankert werden kann, gilt es, den Blick auf das Zusammenspiel von (entfremdenden) Organisationsbedingungen auf der einen und den Optionen des Subjekts wie auch der Organisation auf der anderen Seite zu richten, sich diese Organisationsbedingungen auf transformative Weise anzueignen. Einen Eindruck über dieses Zusammenspiel bekommen wir durch protokollierte Gruppendiskussionen. In ihnen zeigt sich exemplarisch, dass sich implizite Selbstkonzepte junger Menschen in Wohngruppen bisweilen durch eine fatalistische Akzeptanz des Umstandes auszeichnen, den Regeln der Organisation ‚ausgeliefert‘ und insofern keine selbstbestimmten Subjekte zu sein. Ein Beispiel:

Jw: ähm aber es gibt natürlich auch ähm (.) Dinge die einem nicht gefallen und da muss man dann auch mit zurechtkommen also im Endeffekt im Nachhinein empfindet man das doch als gut aber (..) ja am Anfang eher weniger

Der Sprechakt bezieht sich auf die „sozialen Tatsachen“ (Durkheim 1961 [1895]), mit denen Jw in der Wohngruppe, in der sie lebt, konfrontiert ist. Er verrät zugleich, welche Haltung die Jugendliche gegenüber jenen Tatsachen – etwa: Regeln wie Haus, Kleidungs- und Essensordnungen – einnimmt. Blicken wir auf den Beginn der protokollierten Äußerung, so fällt mehrerlei auf: Erstens springt ins Auge, dass mit ähm aber es gibt natürlich auch ähm (.) Dinge die einem nicht gefallen nur scheinbar Kritik geübt wird. Bei näherer Betrachtung zeigt insbesondere der Sprechaktabschnitt es gibt natürlich auch, dass eine rein deskriptive Beschreibung der Organisationslogik realisiert ist. Auffällig ist, dass sich in ihr zugleich ein implizites Verständnis über Standards in der Wohngruppe ausdrückt. Mit anderen Worten: Dort zu leben bedeutet, auch mit Gegebenheiten konfrontiert zu sein, die einem nicht gefallen. Die Sprechaktsequenz offenbart zweitens, dass Jw keine personellen Verantwortlichkeiten bezüglich jener Dinge die einem nicht gefallen, vornimmt. Es scheint fast, als seien alle in der Organisation handelnden Akteur_innen – dies umfasst auch das pädagogische Personal – bestimmten organisationsimmanenten Regeln unterworfen und insofern nicht dafür verantwortlich zu machen, dass bestimmte Regeln exekutiert werden. Drittens fällt die innere Distanz, mit der Jw über ihre Wohngruppe berichtet, auf. Es entsteht der Eindruck einer Haltung innerer Befremdung, aus der heraus die Jugendliche über ihr Leben in der Wohngruppe spricht, der sich erhärtet, wenn wir dem weiteren Verlauf des Sprechaktes folgen.

Mit der Äußerung und da muss man dann auch mit zurechtkommen ist bei oberflächlicher Betrachtung zum Ausdruck gebracht, dass man sich dessen bewusst ist, mit bestimmten Widrigkeiten umgehen zu müssen, an denen man nichts ändern kann. Was sich allerdings in der Formulierung implizit zeigt, ist, dass es hier um mehr geht, als nur darum, sich mit etwas zu arrangieren. Zur Verdeutlichung: Wird eine Person nach dem Tod der angehörigen Person gefragt, wie sie denn nun allein zurechtkomme, dann ist gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass der Umgang mit dem Verlust schwierig ist. Es ist auf die Krisenhaftigkeit der neuen Situation im Sinne eines „brute facts“ (vgl. u. a. Oevermann 2004, S. 165) verwiesen, auf die man nicht nicht reagieren kann. Übertragen auf den Kontext, mit dem wir es hier zu tun haben, zeigt sich also in deutlicher Weise, dass auch das Leben in der Wohngruppe für das Subjekt bestimmte Krisen im Sinne bestimmter Ereignisse und Erfahrungen bereithält, mit denen es umgehen muss. Sozialisationstheoretisch gesprochen ist nun interessant, dass die Art und Weise, wie das Subjekt mit jenen Dingen umgeht, Aufschluss über Aneignungsprozesse des sozialen Raums liefert, innerhalb dessen es sich bewegt und die seine Identität formen.

Im Fall von Jw lässt sich die zuvor festgestellte distanzierte Haltung, aus der heraus sie über ihr Leben in der Wohngruppe spricht, genauer fassen. Der Versuch, eine Abgeklärtheit im Hinblick auf Dinge mit denen man zurechtkommen müsse zu suggerieren, scheitert nun daran, dass dieses Zurechtkommen als ein Akt des Bewältigens interpretiert werden muss. Die Art und Weise der Bewältigung drückt sich in der sich anschließenden Sequenz also im Endeffekt im Nachhinein empfindet man das doch als gut aber (..) ja am Anfang eher weniger aus. Hier zeigt sich ein Transformationsprozess: Die anfängliche Unzufriedenheit mit den Verhältnissen wird retroperspektiv aberkannt. Die Aneignung der Lebenssituation geschieht nicht durch die Artikulation der Bedürfnisse, sondern durch ein ‚Zurechtkommen‘ – also einer Anpassung der eigenen Validierungsmaßstäbe an die Regeln und einer Desavouierung eigener Bedürfnisse. Dies kann zwar einen (situativen) Gebrauchswert haben (z. B. die Stressvermeidung im direkten Lebensumfeld) aber führt nicht zu einer Erweiterung der realen Verwirklichungschancen eigener Lebensentwürfe. In der Analyse des Sprechaktes stellen die Regeln der Einrichtungen eine sozialräumliche Welt dar, die sich nur entfremdetet angeeignet werden kann: Die Reduzierung der Kontrolle über die eigene Lebensführung muss hingenommen werden, eine sinnhafte Identifikation mit den beteiligten Akteur_innen scheint nicht möglich und es kommt zu einer befremdeten Wahrnehmung der eigenen Involviertheit in die Prozesse.

Fazit

Da muss man dann eben auch mit zurechtkommen“ lautet die verallgemeinerte Formel eines jungen Menschen für den Umgang mit den Regeln in der Heimerziehung. Dies steht in einem fundamentalen Gegensatz zu dem Anspruch, der mit einer Etablierung einer Interessenvertretung junger Menschen in den stationären Hilfen zur Erziehung einhergehen würde: Effektiv an der Gestaltung ihres eigenen Lebensumfeld beteiligt zu werden und in gewissen Maßen Entscheidungs- und Verfügungsgewalt über ihr eigenes Leben erhalten. Wie im Vorangegangen ausführlich dargestellt wurde, besteht ein wesentliches Kriterium des ‚guten Lebens‘ darin, individuelle Lebensentwürfe in selbstbestimmter Weise realisieren zu können. Es wurde auch gezeigt, dass deformierende Aneignungsangebote – etwa in Form von Regeln der Wohngruppe – das Potenzial besitzen, die Herausbildung eines Selbstverständnisses zu verhindern, das sich dadurch auszeichnet, das eigene Leben handlungsfähig und autonom mitzugestalten.

Auf jenem Mitbestimmungsanspruch wiederum gründet der Anspruch einer Interessenvertretung junger Menschen in Hilfen zur Erziehung, der nicht zuletzt durch die Reform des SGB VIII, beispielsweise dem § 4a, eine rechtliche Grundlage findet. Die für eine selbstorganisierte Interessenvertretung notwendige Entfaltung junger Menschen zu politischen Subjekten geschieht durch die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensführung und ihren institutionellen Bedingungen. Deswegen werden die Grundlagen zur Durchsetzung dieses Anspruchs schon im Alltag gelegt: Um sich überhaupt effektiv an einer Interessenvertretung beteiligen zu können, müssen Kinder- und Jugendliche schon in einer Umgebung aufwachsen, die sie sich als beschwerde- und mitbestimmungsfähige Wesen aneignen können. Wird diese Aneignung jedoch vor allen als ein Zurechtkommen mit den Regeln der Organisation verstanden, führt dies zu entfremdeten Selbst- und Weltverhältnissen. Die Regeln der Organisation dienen dann gerade nicht der Erweiterung der realen Lebensführungsmöglichkeiten, wie sie im CA betont wird, sondern schränken diese durch eine entfremdete und – auf die Autonomie der Lebensführung bezogene – deformierte Aneignung der Welt ein. Solche Selbstkonzepte stehen einer selbstorganisierten Interessenvertretung diametral entgegenstehen. Wenn also tatsächlich eine Stärkung der Interessen junger Menschen erreicht werden soll, dann erscheint es erstens notwendig, Strukturen stationärer Hilfen zur Erziehung im von uns entworfenen Verständnis kritisch im Hinblick auf ihr Entfremdungspotenzial zu analysieren. Es erscheint zweitens sinnvoll, diese Strukturen auch in ihrem Verhältnis zu Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe, die jene Stärkung womöglich verhindern, nachzuvollziehen – um sie letztlich zugunsten einer autonomieförderlicheren Ausgestaltung der Hilfe umzugestalten.