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Die helfende und sorgenden Sozialarbeit auf der einen Seite und die Polizei als kontrollierend-repressiv, auch mit physischer Gewalt auftretende Ordnungsmacht des Staates auf der anderen Seite, Hilfe versus Kontrolle – diese dualistische Wahrnehmung beeinflusst bis heute das Verhältnis zwischen beiden Berufsgruppen. Auch im wissenschaftlichen Fachdiskurs der Sozialen Arbeit ist die Vorstellung einflussreich, dass Soziale Arbeit die eigentliche bessere Antwort auf die Probleme ist, auf deren direkte und indirekte Auswirkungen mit polizeilichen Kontrollen und Sanktionen reagiert wird. In den 1970er-Jahren wurde daraus vielfach die Konsequenz gezogen, jede Kooperation mit der Polizei prinzipiell abzulehnen.

Seitdem ist eine solche klare Abgrenzung nicht nur in den theoretischen Debatten, insbesondere zum präventiven Auftrag Sozialen Arbeit, in Frage gestellt worden. Auch in der Praxis haben sich unterschiedliche Kooperationsformen entwickelt. Diese sind jedoch nur selten Gegenstand des fachpolitischen Diskurses – auch nicht in dieser Zeitschrift. Umso wichtiger ist es, das Verhältnis von Sozialarbeit und Polizei kritisch in den Blick zu nehmen.

„Die Polizei verdient nicht nur unseren Respekt, sondern unser Vertrauen“.Footnote 1 Mit dieser Formulierung ließ sich Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg und ehemaliges Mitglied des Kommunistisches Bundes Westdeutschland (KBW), in der New York Times vom 23. Juni 2020 zitieren.Footnote 2 Gegenstand des Artikels ist die sog. Stuttgarter „Krawallnacht“, auf die dann im Stuttgarter Landtag am 25.06.2020 mit einer Debatte unter dem Motto „Solidarität mit der Polizei“ reagiert wurde, die sich nachzulesen lohnt.Footnote 3 Denn dort wird ein parteiübergreifender Konsens dazu deutlich, dass harte strafrechtliche Sanktionen das sind, was als angemessene Reaktionen betrachtet wurde. Aus diesem Konsens brach allein die AfD insofern aus, als einer ihrer Sprecher eine explizit rassistische Bewertung der Ereignisse einforderte.

Ergänzend wird in einem zentralen Redebeitrag des Vorsitzenden der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Andreas Schwarz, aber auch auf die mögliche präventive Bedeutung der Jugendarbeit hingewiesen: „Vieles spricht dafür, dass wir es mit einem Problem zu tun haben, bei dem wir an mehreren Stellen gleichzeitig ansetzen müssen: Polizeipräsenz ausbauen, die Sicherheitspartnerschaft mit der Landeshauptstadt unterzeichnen und neue Ideen umsetzen wie beispielsweise den Nachtbürgermeister und damit eine Schnittstelle zwischen Stadt, Polizei und der Szene implementieren, kommunale Präventionsarbeit fokussieren, mobile Jugendarbeit als ein präventives Instrument wieder aktivieren.“ (Landtag von Baden-Württemberg 2020, S. 7522).

Weiter formulierte er: „Denn sichere öffentliche Räume, ein sicheres Nachtleben, das ist nicht allein die Aufgabe von Sicherheitsbehörden. Hier brauchen wir mehr: engagiertes Streetworking, mobile Jugendarbeit vor Ort, eine umfassende kommunale Prävention, einen engen Dialog aller Akteure des Stadtlebens. All das trägt neben guter und bürgernaher Polizeiarbeit dazu bei, dass unsere Städte und unser öffentlicher Raum sicherer werden.“ (ebd. S. 7520).

Soziale Arbeit wird hier also in die Funktion eingerückt, ergänzend zur Polizei zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit beitragen. Dass sie sich dieser Aufgabe nicht entziehen kann, wird in der Entwicklung nach den Stuttgarter Ereignissen ebenso deutlich (s. dazu den Beitrag von Christiane Bollig und Georg Grohmann) wie die erhebliche Anerkennung, die ihr dafür zuteil wird. Exemplarisch dafür ist, dass selbst die New York Times einen Mitarbeiter der mobilen Jugendarbeit in dem bereits erwähnten Bericht zitiert: „Simon Fregin, ein Sozialarbeiter, der sich mit Projekten für lokale Jugendliche beschäftigt, machte eine Kombination aus Langeweile, Erfahrungen mit der Polizei und den Einschränkungen im Zusammenhang mit der Pandemie für die Explosion am Samstagabend verantwortlich. ‚Es ist eher eine Frage: Welche Perspektiven habe ich? Was kann ich mit meinem Leben anfangen und was für ein Bild habe ich vom Staat oder der Polizei (…)?‘“ (New York Times vom 23. Juni 2020; Übersetzung A.S./H.S.).

Hier wird die Notwendigkeit hervorgehoben, die Ursachen zu betrachten und die klassische sozialarbeiterische Sichtweise eingenommen, dass die Probleme, die Jugendliche machen, eine Folge der Probleme sind, die sie haben. Nimmt man einen solchen Zusammenhang an, was in mancher Hinsicht plausibel, aber keineswegs unproblematisch ist (Scherr 2018), dann liegt die Zuschreibung einer kriminalpräventiven Rolle an der Jugendsozialarbeit zweifellos nahe. Lösen sich also – nicht nur in diesem Fall – die Abgrenzungen zwischen Sozialer Arbeit und Polizei zunehmend auf, und ist das tradierte Selbstverständnis Sozialer Arbeit, Hilfe und Unterstützung am Bedarf, den Bedürfnissen und Interessen der Adressat_innen, und nicht an vermuteten kriminalpräventiven Effekten auszurichten, in Frage gestellt, wie in der Fachdiskussion wiederkehrend befürchtet worden ist (Lutz 2017; Scherr und Ziegler 2013)? Diese Frage ist mit dem Blick auf die Praxis nicht eindeutig zu beantworten und erfordert nicht zuletzt deshalb eine kritische Auseinandersetzung, weil hier ein zentrales Prinzip lebensweltorientierter, emanzipatorischer und subjektorientierter Konzepte Sozialer Arbeit auf dem Spiel steht.

Rückblick auf die historische Entwicklung einer schwierigen Beziehung

1971, also vor 50 Jahren, markierte die Einführung einer „Jugendpolizei“ als Spezialabteilung der Polizei in München – ein Jahr vor dem dortigen Beginn der als „friedlicher Wettkampf der Jugend der Welt“ geplanten Olympischen Spiele – den Beginn einer neuen Phase des Diskurses innerhalb der Polizei und zwischen Sozialarbeit und Polizei über deren historische „Verwandtschaft“ (Rothschuh 1982). Diese historische Verwandtschaft hat ihren Ursprung im Konzept des polizeilichen Wohlfahrtstaates, das dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugunsten einer stärkeren Ausdifferenzierung von Polizei und Sozialstaat überwunden wurde (Feltes 2011; Jessen 1994), u. a. durch die Herauslösung der Wohlfahrtspflege aus der auf Gefahrenabwehr ausgerichteten Polizei.

Dies führte jedoch nicht von einer umfassenden Abgrenzung der Aufgaben. So entwickelten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen deutschen Städten mit dem neuen Beruf der „Polizeiassistentin“ – auch „Fürsorgedamen“ genannt – erste Ansätze einer sozialarbeiterischen Polizeitätigkeit mit dem Fokus auf straffällig gewordene, häufig arbeitslose Jugendliche aus verarmten Gesellschaftsschichten (Lessing und Liebel 1979, S. 247 ff.). Parallel etablierte sich während der Weimarer Republik die staatliche und freie Wohlfahrtspflege auf der Grundlage des neuen Reichjugendwohlfahrtsgesetzes RJWG von 1922, dem bis 1961 gültigen Vorläufer der Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG), das in § 4 Nr. 6 unspezifisch „die Mitwirkung in der Jugendhilfe bei den Polizeibehörden, insbesondere bei der Unterbringung zur vorbeugenden Verwahrung“ vorsah.

Der sozialen Bewegungen in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre forderten demgegenüber eine klare und konsequente Abgrenzung der Sozialen Arbeit gegenüber der Polizei ein. „1968“ steht symbolisch nicht nur für eine Studierendenbewegung, sondern auch für eine umfassendere antiautoritäre Revolte von Schüler_innen und Ausbildenden, etwa die Kampagne gegen Gewaltverhältnisse in geschlossenen Heimen, die Jugendzentrumsbewegung, Forderungen nach einer Reform des Strafvollzugs, usw. Der Zeitgeist der antiautoritären Revolte und die damit einhergehende Konjunktur von Kapitalismus- und Gesellschaftskritik ging auch mit einem veränderten Selbstverständnis der Sozialen Arbeit einher. Dadurch wurden Strömungen einflussreich, deren Kern die Forderung war, Soziale Arbeit als gesellschaftskritische und gesellschaftsverändernde Praxis zu begreifen. Polizei und Strafjustiz wurden dabei auf einflussreiche Weise in eine Perspektive eingerückt, die sie als Herrschaftsinstrumente der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft betrachtete, als repressive Staatsorgane, deren Auftrag in einem Gegensatz zu den Anliegen kritischer-emanzipatorischer Sozialarbeit steht. „Keine Kooperation mit Bullen“ und „das Auge des Gesetzes sitzt im Gesicht der herrschenden Klasse“ waren Parolen, die während der 1970er-Jahre in Studiengängen der Sozialen Arbeit auf eine breite Resonanz trafen. Diese waren Ausdruck einer politisierten Vereinfachung und Vereindeutigung dessen, was an substantieller Kritik von Polizei und Strafjustiz entwickelt worden war, einer Kritik, deren Notwendigkeit und Berechtigung seitdem immer wieder erneut deutlich geworden ist und die durchaus auch Reformen im Strafvollzug und bei der Polizei mit angestoßen hat.Footnote 4

Die Tendenz zu einer Distanzierung der Sozialen Arbeit von sozialer Kontrolle und Repression ging zeitlich mit dem Aufstieg eines Sicherheitsdiskurses einher, in dem wachsende Kriminalität und politischer Terrorismus als zentrale gesellschaftliche Bedrohungen wahrgenommen wurden – insbesondere die Anschläge und Morde der Baader-Meinhof-Gruppe führten zu einer weitreichenden Veränderung des gesellschaftlichen Klimas. In Zusammenhang damit erfolgten nicht nur ein Ausbau des Überwachungsapparats und eine sicherheitstechnische Aufrüstung der Polizei, sondern es entwickelte sich auch ein erweitertes Verständnis polizeilicher Aufgaben, das Horst Herold, damaliger Präsident des BKA, in den Formulierungen zum Ausdruck brachte, die Polizei mit ihrem computerisierten Datenreservoir als „gesellschaftliches Diagnoseinstrument“ und „Prävention neuen Stils“ zu nutzen, was der Gesellschaft „Möglichkeiten der Therapie (…) eröffnen würde“ (Cobler 1980, S. 64).

Eine Folge der damit angedeuteten Veränderung der Selbstverständnisses der Polizei war die Ausweitung ihrer Arbeit durch die polizeiliche Verwendung von methodischen Elementen präventiv orientierter Sozialarbeit, insbesondere im Jugendbereich (vgl. Brockmann et al. 1979, S. 173–253): Besonders geschulte „Jugendpolizist_innen“ auf zusätzlichen Stellen in eigens eingerichteten Jugenddezernaten sollten versuchen, mit ihrer formal-rechtlich durch das Legalitätsprinzip abgesicherten Macht im Rücken vor allem über informelle Beziehungen zu „gefährdeten“ jungen Menschen bei diesen Vertrauen schon im Vorfeld von potenzieller Straffälligkeit aufzubauen. Exemplarisch dafür waren Sportangebote der Polizei, die auch zu Zeiten angeboten wurden, zu denen die Jugendzentren längst geschlossen waren.

Der Vorstoß der Polizei in ein bis dahin von der Offenen Jugendarbeit und Streetwork allein beanspruchtes Handlungsfeld provozierte in den 1970er-Jahren eine massive Kritik linker Sozialarbeiter_innen und Wissenschaftler_innen an Versuchen, „die Polizei zum selbstverständlichen und nolens volens akzeptierten Bestandteil des Alltags potenziell aller Kinder, Jugendlicher und ihre Eltern werden zu lassen“ sowie an Bemühungen, „ihre repressive Seite möglichst weitgehend hinter dem Bild des ‚Freund und Helfers‘ zu verbergen“ (Lessing und Liebel 1979, S. 236).

Solche Überlegungen bewegen sich im Rahmen eines Paradigmas, das die Polizei auf der schlechten und die Soziale Arbeit auf der guten Seite möglicher Interventionen verortet. Anfang der 1980er-Jahre stellte Michael Rothschuh (1982) in dieser Zeitschrift den Diskurs über das Verhältnis von Polizei und Sozialarbeit demgegenüber auf eine veränderte Grundlage, indem er beide Institutionen in Anlehnung an Bourdieus Unterscheidung der rechten (= strafenden) und der linken (= helfenden) Hand des Staates in den Blick nahm, also als institutionelle Ausdrucksformen staatlicher Politik. Die damals formulierten Thesen zu den „Bedingungen für eine vom polizeilichen Muster emanzipierten Sozialarbeit“ sind auch vier Jahrzehnte später prinzipiell noch zutreffend: Obwohl Polizei und Soziale Arbeit Institutionen des Staates sind, gibt es „Widersprüche zwischen Polizei und Sozialarbeit und jeweils in beiden“, weil der Staat keine in sich widerspruchsfreie Einheit darstellt. Diese Widersprüche sind nicht aufhebbar, sondern müssen ausgehalten werden, und es sollte versucht werden, diese im Interesse einer solchen Sozialen Arbeit zu nutzen, die anwaltschaftlich für ihre Adressat_innen eintritt. Da sich Sozialarbeit jedoch in bestimmten Situationen (z. B. Gefahr für Leib und Leben von Betroffenen) „nicht an der Polizei vorbei bewegen“ (ebd. S. 36) könne, sei es die Aufgabe der Sozialarbeiter_innen, den Betroffenen gegenüber die Konsequenzen dieses Sachverhalts offen zu legen. Zudem wird eingefordert, Machtasymmetrien zu berücksichtigen: „Der Polizist hat, weil er die soziale Situation definiert, einen Handlungsspielraum, in den er auch pädagogisch und soziale Einsichten einbeziehen kann. Aber (…) die Polizei ist gesellschaftlich die dominante Institution: Viel eher wird das Handeln des Sozialarbeiters ein Bestandteil des polizeilichen Programms als umgekehrt.“ (ebd., S. 35).

Noch Ende 1989 glaubten manche „antikapitalistisch“ orientierte „linke“ Sozialarbeiter_innen jedoch zum Teil dagegen immer noch, dass ihre mühsam errichtete Mauer gegenüber der Polizei auch in Zukunft halten würde (vgl. dazu selbstkritisch Liebel 2018). Dies erwies sich jedoch als wenig realitätsgerecht. Ihre diesbezüglichen Beobachtungen der Entwicklung resümierten Hummel und Krauss (1989) in dieser Zeitschrift dahingehend, dass es zwar – nicht zuletzt unter dem vehementen Druck aus der sozialarbeiterischen Fachöffentlichkeit – gelungen sei, die Etablierung einer Jugendpolizei als Organisationseinheit unter dieser Bezeichnung in den meisten betroffenen Kommunen abzuwehren. Auch die Eingliederung von Sozialarbeiter_innen in Polizeireviere oder die polizeiliche Initiierung sozialarbeiterischer Interventionen – in Anlehnung an das 1979 in Hannover gestartete „Präventionsprojekt Polizei-Sozialarbeit (PPS)“ – sei in der ursprünglich geplanten Form gescheitert. Doch trotz der „präventiven Ernüchterung“ der Polizei (Lehne 1987, S. 54) bedeutete dies nicht deren Rückzug aus institutionsüberschreitenden Interventionsformen. Im Kern werde weiterhin angestrebt, die Polizei „weg von einer reaktiven, im Wesentlichen durch Anzeigen gesteuerten Verbrechungsbekämpfungs- und Dienstleistungsinstitution“ hin zu einer solchen zu entwickeln, „die proaktiv in lokalen Bezirken und gegen Gruppen eingesetzt werden kann, die von der Polizei oder Politik als Gefahr definiert werden“ (ebd., S. 52).

Parallel dazu interpretierten Hummel und Krauss (1989) die neuen niederschwelligen sozialarbeiterischen Arbeitsfelder und Interventionsformen (in den Bereichen Gemeinwesenarbeit, gemeindenahe sozialpsychiatrische Versorgung, Therapie und Ambulante Dienste), aber auch die Kooperation von Polizist_innen mit Sozialarbeiter_innen aus dem Bereich Streetwork und in Fußballfan-Projekten als Zeichen für die „veränderten Ansprüche von staatlicher Kontrolle über das Individuum“ (ebd., S. 14). Die fortschreitende sozialpädagogische Durchdringung von Lebenswelten habe zwar zur Folge, dass „die polizeilichen Notwendigkeiten sowohl praktisch als auch theoretisch in den Hintergrund treten können, da sozialarbeiterische Praxis zunehmend an ihre Stelle“ trete (ebd.). Eine solche Entwicklung berge jedoch die Gefahr einer verstärkten „Verpolizeilichung“ der Sozialarbeit und führe in ihrer Praxis zu einer „neuen Qualität“ ihres sozialintegrativen und kontrollierenden Effekts im Vorfeld von Auffälligkeit (ebd., S. 13).

In ihrer Bilanz der seitdem eingetreten Entwicklung kommen Feltes und Fischer (2018, S. 1217) zu der Einschätzung, dass sich die „gestörte Beziehung zwischen Sozialarbeit und Polizei“ in Deutschland seit den 90er-Jahren aufgrund zunehmend auch gesetzlich vorgegebener Schnittstellen im alltäglichen Umgang mit gemeinsamen Zielgruppen überwiegend in ein gegenseitig akzeptiertes Neben- und zuweilen Miteinander verwandelt hat (s. dazu Feltes und Fischer 2018; Feltes 2011)Footnote 5.

Grenzverwischungen

Schon 15 Jahre bevor sich in Deutschland wechselseitige Annäherungen abzeichneten, haben sich in einigen sozial und ethnisch segregierten US-amerikanischen bzw. britischen Städten – zunächst zur Prävention von Kriminalität unter Jugendlichen mit „Risikofaktoren“ sowie sozialstrukturell vor allem auf schwarze Minderheitsgruppen bezogen – Konzepte des „Community Policing“ bzw. „Neighbourhood Policing“ (Lord Scarman 1985, S. 12 f.) im Sinne von „bürgernaher Polizeiarbeit“ entwickelt. In den 80er-Jahren wurden sie auch von Polizeibehörden in anderen „multi-ethnischen Regionen Europas“ erprobt (vgl. The Cranfields Papers 1979; Brown 1984, 1985). Dabei wird das Ziel verfolgt, die sozialen Konflikte zwischen jungen Menschen aus verschiedenen, meist ethnisch definierten Gemeinschaften und der Polizei bzw. etablierten Einwohner_innen eines Stadtviertels mit Hilfe von Methoden der Jugend- und Gemeinwesenarbeit abzubauen. „Abweichendes Verhalten soll demnach durch ‚weiche‘ Formen sozialer Kontrolle verhindert werden“ (Schweitzer 1989, S. 23). Diese auf Basis von differenzierten Sozialraumanalysen umgesetzten, z. T. wissenschaftlich begleiteten Konzepte weiten das polizeiliche Mandat in einer Weise aus, die zugespitzt als Tendenz zu einer feindlichen Übernahme von Elementen sozialarbeiterischer Gemeinwesenarbeit charakterisiert werden kann.

Solche Ansätze „proaktiver Polizeiarbeit“ beinhalten „alle Elemente von Präventivstrategien, gehen aber darüber hinaus“ (Alderson, 1979, S. 18): Community Policing kommt dann ins Spiel, wenn beim Kampf gegen (Jugend‑) Kriminalität unter sozio-ökonomisch deklassierten Einwohner_innen aus Stadtvierteln mit extrem schlechter Wohnqualität und öffentlicher Infrastruktur (insbesondere im Bildungsbereich) primärpräventive Maßnahmen, die solchen allgemeinen Entstehungsbedingungen von straffälligem Verhalten entgegenwirken sollen, nicht mehr ausreichen, um auf der Grundlage des Vertrauens der lokalen „community“Footnote 6 in die Polizei „Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ zu gewährleisten (zu Beispielen vgl. Treger 1979; Newman 1979, S. 201 ff.; Moore und Brown 1981, S. 26 f.).

Dabei wird – wie in der Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip der Sozialen Arbeit (bezogen auf deutschsprachige Länder s. dazu Hinte 2019 vs. Stövesand et al. 2013) – jedoch in fragwürdiger Weise vorausgesetzt, dass die Professionen bereits im Vorfeld einer möglichen Zuspitzung von Konflikten vertrauensvolle und stabile informelle Kontakte zu den unterschiedlichen Bewohner_innengruppen aufgebaut haben. Denn nur dann kann erwartet werden, dass sie von diesen als kompetente, d. h. unterstützende und u. U. vermittelnde Gesprächspartner_innen bzw. „hilfreiche“ Institutionsvertreter_innen akzeptiert werden.

Anspruch und Wirklichkeit von Community policing

Die polizeiliche „Durchdringung des Gemeinwesens“ durch die Herstellung und Aufrechterhaltung „gegenseitigen Vertrauens“ (Alderson 1979, S. 21) wird vor Ort noch erschwert, wenn dort Menschen aus den lokalen People-of-Colour-Comunities angesichts ihrer Erfahrungen mit racial profiling und anderen Formen der Diskriminierung ein massives Misstrauen und ggf. auch feindliche Haltungen gegenüber der Polizei entwickeln, so dass auch die gesetzestreuen „Guten“ unter den lokalen Gemeinschaften nicht für die Unterstützung der Ordnungsmacht „aktiviert“ werden können. Das Ziel einer Durchdringung wäre dagegen dann erreicht, wenn die Aktivierung durch Community Policing langfristig zu „policing by the community“ (Schweitzer 1989, S. 26) – u. a. mit Hilfe von „Nachbarschaftswachen“ – also zur Selbstkontrolle eines Gemeinwesens führen würde.

Sozial- und kriminalpolitisch international bedeutsam wurde „Community Policing“ während der ersten Amtsjahre der britischen Premierministerin Magret Thatcher, nachdem im Sommer 1981 Ausbrüche massiver Gewalt zwischen jungen, teilweise Geschäfte plündernden bzw. sie in Brand steckenden Menschen aus den Minderheiten und der Polizei im Londoner Stadtteil Brixton weltweit Aufsehen erregt hatten. Der Vorsitzende der daraufhin von der Regierung eingesetzten Untersuchungskommission, Lord Scarman, erklärte ein Jahr später in seinem Vorwort zu einer Studie des Polizeiforschers John Brown über die seines Erachtens modellhafte Praxis von Community Policing im Birminghamer Stadtteil Handsworth (Brown 1982) die konsequente Umsetzung dieser Form von polizeilicher Gemeinwesenarbeit sogar zu einer Frage „unseres Überlebens als zivilisiertem Gemeinwesen“ (Lord Scarman 1982, S. IX).

Im Sommer 1985 fiel jedoch ausgerechnet in Handsworth der Startschuss für eine Reihe von Konflikteskaltionen in mehreren britischen Städten. Insofern überrascht es nicht, dass bereits Anfang der 80er Jahre der Erfolg des „Handsworth_Experiments“ (Brown 1982) als Modell für Community Policing – mit einem von der Polizei geleiteten Jugendzentrum als Herzstück – mehr im „symbolischen Effekt ihrer Anwesenheit und dem öffentlichen Glauben an ihre Effektivität“ (Carby 1982, S. 169; Schweitzer 1989, S. 24 ff.) gesehen wird, als in seiner tatsächlichen kriminalpräventiven Wirksamkeit.Footnote 7

Die Reaktion der deutschen Polizei auf die weit weniger gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Stuttgarter „Krawallnacht“ während des Corona-Sommers 2020 nimmt Rüdiger Schilling in diesem Schwerpunkt zum Anlass, um kritisch aufzuzeigen, wie in der Diskussion um Erfordernisse der Prävention rechtliche Grauzonen betreten und institutionelle Abgrenzungen in Frage gestellt werden.

Anjana Narayan und Gabriele Plickert setzen sich in ihrem Beitrag zu diesem Schwerpunkt mit der Entwicklung von Community-Policing-Strategien in den USA auseinander und verdeutlichen, dass eine kritische Abgrenzung der Sozialen Arbeit zur Polizei dort kaum im Fachdiskurs verankert ist.

In Deutschland erfolgte die Implementierung dieser sozialraumbezogenen Schnittstellen-Konzepte aus den USA und Großbritannien bislang nur sehr zurückhaltend.Footnote 8 Festzustellen ist jedoch, dass sich seit Ende der 70er-Jahre Kriminolog_innen und Polizeibeamt_innen auf allen Hierarchieebenen wiederkehrend bei internationalen Fachtagungen und durch Exkursionen über Theorie und Praxis von Community-Policing in den USA und Westeuropa informiert haben (The Cranfields Papers 1979; Brown 1984, 1985; Schweitzer 1989; Bässmann und Vogt 1997).

Der Tagungsbericht von Alexander Werner aus dem LKA-NRW verdeutlicht jedoch, dass es Anzeichen für eine erneute Diskussion dazu gibt und in einigen sozialstrukturell benachteiligten Regionen, Kommunen bzw. Stadtvierteln auch einen vorsichtigen konzeptionellen Austausch über gemeinwesenorientierte Ansätze bei Sozialarbeit und Polizei, vor allem bezogen auf die Prävention von Kriminalität unter Mitgliedern arabischer Großfamilien – sogenannte „Clan-Kriminalität“, ohne dass dies bislang zu einer flächendeckend von beiden Seiten vorangetriebenen professionellen Kooperation geführt hat (vgl. Boettner und Schweitzer 2020).

Beate Krafft-Schöning als langjährige Kennerin der Szene und Thomas Müller als ehemaliger Integrationsbeauftragter der Bremer Polizei beziehen sich in ihrem Beitrag über gegensätzliche Polizeistrategien im Umgang mit abweichendem Verhalten in solchen Familien deshalb nicht zufällig auf zehn Jahre alte community policing-Ansätze in diesem Bundesland.

Wie weiter?

Positionen, die einen unvereinbaren fundamentalen Gegensatz zwischen polizeilichem und sozialarbeiterischem Mandat behaupten und in der Folge jede Zusammenarbeit ablehnen, sind weder theoretisch gut begründbar, noch können sie praktisch durchgehalten werden. Sie tendieren zudem zu einer Verklärung Sozialer Arbeit als moralische Instanz, die vermeintlich jenseits von Staat und Recht angesiedelt ist und die damit die problematischen Seiten Sozialer Arbeit ausblendet. Es kann also nicht um die Frage des Ob, sondern nur um die Frage des Wie einer solchen Kooperation gehen, die an Prinzipien einer anwaltschaftlichen Sozialer Arbeit festhält und diese nicht zugunsten einem Primat vermeintlicher oder tatsächlicher Sicherheitsinteressen preisgibt. Worum es dabei prinzipiell gehen muss, hat Fritz Schütze (1996, S. 247) treffend wie folgt gefasst: „Sozialarbeiter_innen würden den Zugzwängen und dem vielfältigen Druck des hoheitsstaatlichen Verwaltungs- und Herrschaftsapparats weniger schutzlos ausgeliefert sein, wenn sie ihre unabweislichen hoheitsstaatlichen Verwaltungs- und Herrschaftsaufgaben aktiv und beherzt, staatskritisch, organisationskritisch und selbstkritisch angehen und gestalten würden.“

Was dies je konkret in unterschiedlichen Arbeitsfeldern heißt – z. B. Verkehrserziehung in Jugendhäusern, Kindeswohlgefährdung und häusliche Gewalt, Streetwork, Fan-Projekte, Jugendgerichtshilfe oder Kooperation in Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen bei der Prävention rassistischer, rechtsextremer, sexistischer und islamistischer Gewalt – gilt es in Theorie und Praxis fachlich kompetent auszubuchstabieren sowie in einer gesellschaftlichen Situation durchzusetzen, in der Kritik an der Polizei – jenseits der Kritik rassistischer Praktiken – politisch auf wenig Akzeptanz stößt.