Zusammenfassung
In dem Beitrag wird die Bedeutung einer Auseinandersetzung mit nationalen und xenophobischen Positionen und Handlungen in Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit betont. Angemahnt wir zudem eine Aufarbeitung der Erfahrungen mit Projekten gegen rechts motivierte Gewalt. Eine Sensibilisierung der Sozialen Arbeit für antihumanistische Selbst- und Weltdeutungen von Adressat_innen scheint zudem ebenso angebracht wie eine kontinuierliche Förderung von Projekten, die sich gegen rechtsnationale Haltungen engagieren.
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Rechte, national-rechte, autoritäre, xenophobische und rechtsextreme Einstellungen und darüber motivierte Handlungen stellen spätestens, wenn auch mit wechselnder Aufmerksamkeit, seit den 1990er Jahren für die Praxis wie für die Theorie der Sozialen Arbeit eine Herausforderung dar. In der Praxis und den Projekten der Jugendarbeit, aber auch in der schul- und berufsbezogenen Sozialen Arbeit – und gegenwärtig auch massiver als je zuvor wahrgenommen in KiTas – wird sie mit der Frage konfrontiert, welche Positionen und welche Handlungsweisen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als nationalistisch, antisemitisch, homophob, antiziganistisch oder rassistisch einzuschätzen sind sowie mittels welcher Interventionen sich zu diesen sich verhalten werden kann.
Sozialwissenschaftliche Studien haben für die Bundesrepublik Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre immer wieder ein rechtsextremes Einstellungspotenzial von ca. zehn Prozent der Bevölkerung festgestellt. Bis vor nicht allzu langer Zeit konnte diesbezüglich die Einschätzung vertreten werden, dass dieses Potenzial zwar erstaunlich stabil ist, aber auf der Ebene von Parteipolitik in Parlamenten keinen wirksamen Ausdruck findet und sich auch nicht deutlich ausweiten scheint. Inzwischen sind diesbezüglich jedoch erhebliche Veränderungen eingetreten. Die Alternative für Deutschland (AfD), eine Partei, in der sich auch erhebliche rechtsextreme Strömungen und ein Landesvorsitzender finden, der nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen als Faschist bezeichnet werden darf, hat inzwischen ein stabiles Zustimmungspotenzial von deutlich über zehn Prozent und gewinnt durch ihre Repräsentanz in Parlamenten erhebliche öffentliche Sichtbarkeit. Nationalistisch motivierte, partiell völkisch Haltungen und feindselige, xenophobische Stimmen gegen Geflüchtete und andere Migrant_innen sind ebenso deutlich über die Wählerschaft der AfD hinaus verbreitet wie antiislamisch motivierter Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus.
Politisch aufgegriffen wurde die Verbreiterung und öffentliche Präsenz nationalistischer Stimmungen seit 2016 nicht zuletzt durch massive Verschärfungen des Flüchtlingsrechts, die unter anderem weitreichende Sanktionen für diejenigen vorsehen, denen unterstellt wird, sich der Mitwirkung an der Klärung ihrer Identität zu entziehen. Zudem ist eine erschreckende Gewöhnung an die Zahlen festzustellen, mit dem über die Toten im Mittelmeer und der Sahara berichtet wird. Proteste gegen Abschiebungen finden kaum noch öffentliche Resonanz. Diese Veränderungen sind nicht nur, aber auch Ausdruck eines angestiegenen gesellschaftlichen Einflusses rechtspopulistischer Ideologien.
Positiv zu vermerken ist gleichwohl, dass in Folge der Gewaltdelikte aus dem rechten Milieu inzwischen durch staatliche Institutionen zunehmend anerkannt wird, dass es eine problematische rechtsextreme Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gibt. So formulierte unlängst der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, in einem Interview im „Tagesspiegel“: „Rechtsextremer Terror existiert seit den 60er Jahren in Deutschland. Einige Behördenvertreter haben die Gefahr in den vergangenen Jahren allerdings teilweise anders eingeschätzt und leider heruntergespielt“. Allerdings gibt es – auch in Reaktion auf Forderungen der AfD – einflussreiche Bemühungen, einen neuen Diskurs über Linksextremismus zu etablieren. Durch vordergründige Vergleiche wird so versucht, den genuin antidemokratischen Charakter des Rechtsextremismus und seine Ablehnung der Menschenrechte zu verharmlosen.
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© Ruth Hebler
Damit ist knapp auf eine Situation hingewiesen, die auch für die Soziale Arbeit folgenreich ist, als solche aber nicht durchgehend erkannt und diskutiert wird. Soziale Arbeit ist herausgefordert, sich erneut der Frage zu stellen, wie sie gegenüber xenophobischen, autoritär-nationalen oder homohoben Artikulationen von Adressat_innen verhält und was sie zur Zurückdrängung von Rechtsextremismus, nationalem Populismus, Nationalismus und Autoritarismus leisten will, kann respektive leisten könnte. Notwendig scheint einerseits, das Wissen über und die professionelle Sensibilität gegenüber menschenfeindlichen Haltungen und Rhetoriken zu schärfen. Andererseits ist eine ausreichende finanzielle Absicherung von Initiativen und Projekten zu gewährleisten, die sich für humanistisch-demokratische und gegen rechtsnationale Haltungen engagieren.
Eine systematische Aufarbeitung der Erfahrungen, die diesbezüglich in der Sozialen Arbeit seit den 1990er Jahren gemacht wurden, steht zudem aus. Dies hängt damit zusammen, dass kaum noch eine von politischen Vorgaben und Rücksichtnahmen unabhängige und kritische wissenschaftliche Begleitforschung zu den einschlägigen Förderprogrammen existiert. Zudem erwartet die Förderpolitik des Bundesprogramms „Demokratie leben“ die Entwicklung von immer neuen und noch innovativeren Modellen statt die Fortsetzung bewährter Konzepte durch eine kontinuierliche und verlässliche Finanzierung zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie verhindert werden kann, dass sowohl Akteure aus der rechten Szene als auch Ideologiefragmente aus dem rechts-nationalen, fremdenfeindlich grundierten und autoritäre Positionen revitalisierenden Diskurs Eingang in die Soziale Arbeit finden. Die Zeiten, als naiv darauf vertraut werden konnte, dass menschenfeindliche, autoritäre und nationalistische Diskurse in der Sozialen Arbeit keine Resonanz finden, sind vorbei, wenn sie denn jemals geben waren.
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Scherr, A., Thole, W. Rechtsnationale, autoritäre Orientierungen und Soziale Arbeit. Sozial Extra 44, 85–86 (2020). https://doi.org/10.1007/s12054-020-00267-6
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