Wir trauern um Prof. Dr. Hans Schneeweiß, der am 4. Dezember 2021 verstarb. Er war einer der führenden deutschen Ökonometriker und Statistiker und viele Jahrzehnte in herausragender Position in Forschung und Lehre tätig.

Hans Schneeweiß wurde am 13. März 1933 in Glatz, Schlesien, geboren. Er studierte Mathematik und Physik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt, wo er 1960 auch promovierte. Von 1959 bis 1965 war er an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Nach seiner Habilitation im Jahr 1964 wurde er 1965 auf den Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie an derselben Universität berufen, wo er bis 1973 blieb. Als Gastprofessor arbeitete er 1967 am Institut für Akademische Studien in Wien und 1970/71 am Department of Statistics der University of Waterloo, Kanada. Im Jahr 1973 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Ökonometrie und Statistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, den er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2001 innehatte.

Hans Schneeweiß hat sich über 40 Jahre der ökonometrischen Forschung gewidmet. Unter seinen mehr als 60 Artikeln und Monographien erhielten seine Arbeiten über Entscheidungstheorie und zu Messfehler-Modellen besondere Aufmerksamkeit. Im Jahr 2017 erschien in dieser Zeitschrift ein von Walter Krämer geführtes Interview mit Hans Schneeweiß (Krämer 2017), in dem er sehr authentisch und informativ über seine Persönlichkeit und sein Wirken berichtet. Während in dem Interview auch die Person Hans Schneeweiß sehr treffend gezeichnet wird, soll hier vorwiegend ein etwas breiterer Überblick über einige seiner entscheidenden Arbeiten gegeben werden.

Das erste Arbeitsgebiet von Hans Schneeweiß, sicherlich auch beeinflusst von seinem Lehrer, Günter Menges, war die Entscheidungstheorie im allgemeineren Sinn, die auch Spieltheorie (Schneeweiß 1962a), Operations Research (Schneeweiß 1962b) und Nutzentheorie (Schneeweiß 1963) umfasst. Die Habilitationsschrift von 1964 (Schneeweiß 1967) untersucht die Beziehung zwischen den damals verbreiteten, auf Parametern von Verteilungsmodellen basierenden Entscheidungskriterien und dem – axiomatisch als rational rechtfertigbarem – Bernoulli-Prinzip maximaler Nutzenerwartung. Im Wesentlichen ist eine wechselseitige Kompatibilität (nur) für Verteilungen möglich, die in Mittelwert und Streuung eineindeutig parametrierbar sind, also etwa Normalverteilungen.

Die Arbeit Schneeweiß (1964) entwickelt ein Entscheidungskriterium bei partiell bekannten Wahrscheinlichkeiten für Situationen, die sich in einem sehr allgemeinen Sinn als Mischtyp zwischen der in der modernen Finanzmathematik als Knightian Uncertainty bezeichneten Situation völliger, nichtprobabilistischer Unsicherheit und der durch eine präzise Wahrscheinlichkeit quantifizierbaren Risikosituation auffassen lässt. Dieses Kriterium lässt sich technisch mit dem sogenannten Gamma-Minimax-Kriterium identifizieren, wie es später im Kontext der robusten Bayes-Analyse und bei Verallgemeinerten Wahrscheinlichkeiten (Imprecise Probabilities) intensiv verwendet wird. Hierin liegt durchaus eine gewisse Pointe: Während Schneeweiß’ jahrzehntelanger Münchner Kollege Weichselberger intensiv daran arbeitete, genau solche Verallgemeinerten Wahrscheinlichkeiten zu axiomatisieren (Weichselberger 2001) und sie engagiert propagierte, war für Schneeweiß – auch später in intensiven Diskussionen mit einem der Autoren dieses Nachrufs – die klassische Wahrscheinlichkeitstheorie auch in der Entscheidungstheorie stets die unumstößliche normative Richtschnur. So versucht Schneeweiß sowohl in seinem frühen Werk (Schneeweiß 1968) als auch Jahrzehnte später (Schneeweiß 1999) das Ellsberg-Paradoxon, das als ein zentrales Argument für Verallgemeinerte Wahrscheinlichkeiten in der Entscheidungstheorie gilt, klassisch über spieltheoretische Argumente bzw. als Risikoaversion in fiktiven wiederholten Entscheidungsproblemen aufzulösen.

Das Thema „Fehler in den Variablen“, das sich mit der Modellierung von Messfehlern in ökonometrischen Modellen auseinandersetzt, war in der Forschung von Hans Schneeweiß der zweite Schwerpunkt, der immer stärker die Entscheidungstheorie ablöste. Das Buch mit Hans-Joachim Mittag von 1987 (Schneeweiß und Mittag 1987) ist eine der ersten Monografien zu diesem Thema weltweit. Im Rahmen des SFB 386 „Statistische Analyse diskreter Strukturen“, der von 1995 bis 2006 am Institut für Statistik angesiedelt war, hat Hans Schneeweiß das Thema „Fehler in den Variablen“ mit seiner Arbeitsgruppe und mit vielen internationalen Kooperationspartnern weiter vorangetrieben. Es entstanden unter anderem hochrangig publizierte Arbeiten zu Messfehlern in der polynomialen Regression (Cheng und Schneeweiß 1998; Cheng et al. 2000; Kukush et al. 2005; siehe auch: Cheng et al. 2019), die durch ihren unter Messfehlern hervortretenden nichtlinearen Charakter eine wichtige Grundlage bildete für die Betrachtung von Messfehlern in verallgemeinerten linearen Modellen (etwa: Schneeweiß und Augustin 2006; Schneeweiß und Kukush 2009). Eine interessante nichtklassische Form von Messfehlern tritt bei einer genauen Analyse von Rundungsfehlern auf (Schneeweiß et al. 2010).

Der enge Bezug von Messfehlermodellen zu Modellen mit latenten Variablen war für Hans Schneeweiß ein weiterer, besonders wichtiger Aspekt. Seine meistzitierte Arbeit (Schneeweiß und Mathes 1995) beschäftigt sich mit der Relation der Methodik der Faktorenanalyse und der Hauptkomponentenanalyse. Hier wird aufgezeigt, unter welchen Bedingungen die beiden Verfahren mit unterschiedlicher Grundstrategie zu ähnlichen Ergebnissen kommen.

Zum Ende seiner akademischen Karriere widmete sich Hans Schneeweiß insbesondere dem Thema „Anonymisierung von Daten“ – ein Gebiet, das in der Ära von „Big Data“ und im Spannungsfeld zwischen Data-Sharing-Initiativen und EU-Datenschutzgrundverordnung nichts von seiner Aktualität verloren hat (Templ 2017; McKay Bowen 2021). Eine wichtige Eigenschaft von Anonymisierungsverfahren besteht darin, dass sie den datengenerierenden Prozess systematisch verändern; aus diesem Grund müssen sie nicht nur hinsichtlich ihrer Schutzwirkung, sondern auch ihrer Auswirkungen auf statistische Analyseergebnisse untersucht werden. Hans Schneeweiß erforschte insbesondere die Eigenschaften des Mikroaggregationsverfahrens, bei dem einzelne Datenwerte zu kleinen Gruppen (z. B. der Größe 3 oder 5) zusammengefasst und durch aggregierte Werte (z. B. Gruppenmittelwerte) ersetzt werden. So konnte in Schmid et al. (2007) analytisch gezeigt werden, dass das sogenannte „Single-Axis-Sorting“-Mikroaggregationsverfahren (bei dem die Gruppenbildung anhand einer Sortier-Variablen erfolgt) zu einer systematischen asymptotischen Verzerrung der Kleinste-Quadrate-Schätzung im linearen Regressionsmodell führen kann. Basierend auf diesem Ergebnis wurde von den Autoren ein Korrekturverfahren für Punktschätzer und Konfidenzintervalle entwickelt, mit welchem die vorgenannten Verzerrungen rückgängig gemacht werden können. Gegenstand der Arbeiten von Schmid und Schneeweiß (2008, 2009) ist das sogenannte „Individual-Ranking“-Mikroaggregationsverfahren, bei dem – anders als beim Single-Axis-Sorting – jedes Merkmal im Datensatz separat mikroaggregiert wird (und somit eine deutlich geringere Schutzwirkung erzielt wird). Für dieses Verfahren konnte gezeigt werden, dass die aus den mikroaggregierten Daten berechneten Momentenschätzungen unter milden Regularitätsbedingungen konsistent und asymptotisch effizient bleiben. Insbesondere gilt dieses Ergebnis für erste, zweite und Produkt-Momente, so dass es die Konsistenz des Kleinsten-Quadrate-Schätzers im linearen Regressionsmodell (auch unter Einbeziehung von Variablentransformationen nach Mikroaggregation) garantiert. Neben der Untersuchung des Mikroaggregationsverfahrens lag ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Hans Schneeweiß auf der Anonymisierung durch Zufallsfehler-Überlagerung. Bei diesem Verfahren werden die originalen Datenwerte mit zufällig erzeugten Fehlertermen entweder additiv oder multiplikativ überlagert – eine Methode, die unmittelbaren Bezug zur oben genannten Messfehlerthematik aufweist. Hans Schneeweiß erforschte dabei insbesondere die Auswirkungen der multiplikativen Zufallsfehler-Überlagerung auf die Analyse von Paneldaten; beispielsweise wurden in seinen gemeinsamen Arbeiten mit Gerd Ronning (Ronning und Schneeweiß 2011; Schneeweiß et al. 2015) mit Hilfe der generalisierten Momenten-Methode konsistente Schätzer für die Effekte im linearen Paneldaten-Modell hergeleitet.

An der Ludwig-Maximilians-Universität München hat Hans Schneeweiß die Ausrichtung des 1974 gegründeten Instituts für Statistik (und Wissenschaftstheorie) wesentlich mitgestaltet. Er war lange Zeit Leiter des Instituts und über mehrere Perioden Dekan der damaligen Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Statistik. Die Etablierung eines eigenen Instituts für Statistik in einem universellen Sinne an der LMU, ohne Anbindung an ein bestimmtes Anwendungsgebiet und nicht als Teil der Mathematik, war eine bewusste Entscheidung, die substanziell zur Institutionalisierung der Statistik als eigenständiges Fach in Deutschland beitrug. Auch Hans Schneeweiß als Ökonometriker verfolgte diese Positionierung engagiert und stringent und war wesentlich an der Einrichtung eines eigenen Diplom-Studiengangs Statistik beteiligt, welcher bis heute in seiner gegenwärtigen Form als Bachelor/Master-Programm ein besonderes, intensiv nachgefragtes Studienangebot der LMU darstellt.

Als besonderer Ausdruck des Engagements von Hans Schneeweiß für die Wissenschaftswelt seien exemplarisch sein unermüdlicher Einsatz als Gutachter in der DFG und für zahllose Zeitschriften, seine langjährige Herausgeberschaft der Statistischen Hefte und seine Rolle als Vorsitzender des Ausschusses für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie der Deutschen Statistischen Gesellschaft erwähnt.

Hans Schneeweiß war zudem ein hervorragender Lehrer. Seine stets vorbildlich strukturierten, mit großem Enthusiasmus vorgetragenen Vorlesungen sind vielen seiner früheren Studentinnen und Studenten in bester Erinnerung; sie haben oft ihren späteren Weg mitgeprägt. Sein 1971 erstmals aufgelegtes Buch über Ökonometrie (Schneeweiß 1990) war lange Zeit ein Standardwerk in Deutschland.

Seine zahlreichen Doktorandinnen und Doktoranden profitierten stets von seiner äußerst effizienten und genauen Arbeitsweise, seiner Aufgeschlossenheit für neue Ideen und seiner Fähigkeit, andere zu inspirieren. Studierende, Promovierende, und Kolleginnen und Kollegen, die das Glück hatten, mit ihm zusammenzuarbeiten, schätzten seine hohe Kompetenz, sein immer reges, breit gefächertes Interesse und seine freundliche und ausgeglichene Persönlichkeit.

Wir nehmen Abschied von einem hoch geschätzten Lehrer und Kollegen, dem wir stets ein ehrendes Andenken bewahren werden.

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