Genetische Beratung und Stammbaumanalyse

Die erstmalige genetische Beratung ist ein umfassendes Gespräch mit den Ratsuchenden bzw. den Eltern eines minderjährigen Patienten mit einer Erhebung der Eigen- und Familienanamnese, einer Analyse des Stammbaumes über drei Generationen des Ratsuchenden, einer Erhebung des klinischen Status des Patienten mit Fotodokumentation und körperlicher Untersuchung, falls nötig, Übermittlung von Informationen über genetische Grundlagen und Vererbung der vermuteten bzw. bestehenden genetisch bedingten Erkrankung, Informationen über die Möglichkeiten der genetischen Abklärung, Erläuterung der Einverständniserklärung für die genetische Untersuchung und eine anschließende Probenentnahme. Ein Befund mit den Erläuterungen hinsichtlich möglicher Folgen für den Ratsuchenden selber und gegebenenfalls seiner Familie sowie mögliche therapeutische Optionen und evtl. Präventionsmaßnahmen werden dem Ratsuchenden entsprechend gesetzlicher Vorgaben im Rahmen eines Zweitgespräches ausführlich erläutert.

Allgemeine gesetzliche Regelungen zur genetischen Beratung und Diagnostik

Die gesetzliche Vorgabe zur genetischen Beratung und Diagnostik regelt das Gentechnikgesetz in Österreich [1].

Gemäß §69 des Gentechnikgesetzes darf eine genetische Analyse der Keimbahnmutationen nur nach Vorliegen einer schriftlichen Bestätigung der zu untersuchenden Person, durch vertretungsbefugte Erziehungsberechtigte oder sonstige gesetzliche Vertreter durchgeführt werden. Vor einer genetischen Untersuchung muss die Person durch einen Facharzt für Humangenetik/medizinische Genetik oder einen für das Indikationsgebiet zuständigen Facharzt über deren Wesen, Tragweite und Aussagekraft aufgeklärt werden, d. h. dass die genetische Beratung in Österreich ärztlich vorbehalten ist.

Der Ratsuchende kann jederzeit mitteilen, dass er das Ergebnis der Analyse und der daraus ableitbaren Konsequenzen nicht erfahren möchte. Beratungen vor und nach einer genetischen Analyse sind mit einem individuellen Beratungsbrief an den Ratsuchenden abzuschließen, in dem die wesentlichen Inhalte des Beratungsgespräches in allgemein verständlicher Weise zusammengefasst sind. Der Datenschutz und Umgang mit den erhobenen Daten ist durch §71 des Gentechnikgesetzes geregelt.

Der untersuchten Person sind unerwartete Ergebnisse mitzuteilen, die von unmittelbarer klinischer Bedeutung sind oder nach denen sie ausdrücklich gefragt hat. Diese Mitteilung ist insbesondere dann, wenn die untersuchte Person nicht danach gefragt hat, so zu gestalten, dass sie auf die untersuchte Person nicht beunruhigend wirkt. In Grenzfällen kann diese Mitteilung gänzlich unterbleiben.

Indikationen zur genetischen Beratung und zur genetischen Diagnostik

Die Indikationen zur genetischen Beratung sind sehr vielfältig. Die genetische Beratung ist indiziert, wenn die Symptomatik einer Person mit dem Auftreten oder der Wahrscheinlichkeit einer (epi-) genetisch bedingten oder mitbedingten Erkrankung oder Entwicklungsstörung zusammenhängen könnte. Die Indikation kann auch in einer subjektiven Besorgnis des Patienten bestehen [2].

Es werden postnatale Untersuchungen wie differentialdiagnostische Untersuchungen (symptomatische Person, Suche nach der genetischen Ursache), prädiktive Untersuchungen (asymptomatische Person, familiär bekannte Mutation), Testung auf Anlageträgerschaft bei autosomal-rezessiven Erkrankungen bzw. Konduktorinnenstatus bei X‑chromosomal gebundenen Erkrankungen sowie pränatale Untersuchungen unterschieden und auch genetische Untersuchungen im Rahmen einer Präimplantationsdiagnostik.

Einige Beispiele der Indikationen für genetische Beratung und genetische Diagnostik: unerfüllter Kinderwusch und Infertilität, wiederholte Aborte, Präimplantationsdiagnostik, fetale Ultraschallauffälligkeiten bzw. pathologische biochemische Messungen während der Schwangerschaft, neuropädiatrische Auffälligkeiten (faziale Dysmorphien, Fehlbildungen, Entwicklungsstörung, mentale Retardierung, Epilepsie), erbliches Tumorleiden (u. a. hereditäres Mamma- und Ovarialkarzinom, hereditäres nicht-polyposes Kolonkarzinom (HNPCC, Lynch-Syndrom), Li-Fraumeni-Syndrom), weitere erblich bedingte Erkrankungen im Erwachsenenalter (u. a. neurologische, neuromuskuläre, internistische, ophthalmologische).

Einteilung der genetischen Diagnostik

Genetische Diagnostik der Keimbahn kann grob in zytogenetische bzw. molekularzytogenetische und molekulargenetische Analysen unterteilt werden (Tab. 1). Die in der Tab. 1 aufgeführten diagnostischen Möglichkeiten werden aktuell routinemäßig in Österreich angeboten (außer einer Genomanalyse) und werden nachfolgend ausführlich aufgeführt. Ferner können diese Analysen bei entsprechender Indikation sowohl pränatal als auch postnatal durchgeführt werden.

Tab. 1 Möglichkeiten der genetischen Diagnostik

Genetische Analysen werden auch für die Detektion somatischer Mutationen z. B. in der Tumorgenetik verwendet. Diese sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.

Chromosomenanalyse

Grundlagen

Als Chromosomenanalyse wird eine Untersuchung der Chromosomen mit Hilfe eines Lichtmikroskops bezeichnet. Für die Analyse sind kernhaltige, teilungsfähige und in der (Pro‑) Metaphase arretierte Zellen notwendig. Unter optimalen Bedingungen haben die Chromosomen eine Auflösung zwischen 550–800 Banden pro haploiden Chromosomensatz. Der Gesamtstatus der Chromosomen in der Metaphase wird Karyogramm und die Darstellung des Chromosomenbestandes einer Zelle, eines Gewebes oder eines Individuum als Karyotyp bezeichnet [3]. Zur Darstellung der Chromosomen können diese mit unterschiedlichen Farbstoffen angefärbt werden (z. B. Giemsa-Trypsin-Bänderung, GTG-Banding) und dann bei ca. 1000-facher Vergrößerung im Lichtmikroskop analysiert werden. Die Auswertung erfolgt in der Regel mittels spezifischer Software-Programme. Die Beschreibung einer Chromosomenanalyse erfolgt nach einem international anerkannten System ISCN (An International System of Human Cytogenomic Nomenclature) [4].

Indikationen

V. a. numerische Chromosomenaberration (z. B. Trisomie 21, 18, 13, Turner-Syndrom, Klinefelter-Syndrom), balancierte bzw. nicht-balancierte strukturelle Chromosomenaberration wie Translokationen, Inversionen (z. B. habituelle Aborte, familiär bekannte Translokation, Störungen der Fertilität, Tumorzytogenetik).

Untersuchungsmaterial

Meist Lymphozyten aus venösem Vollblut (3–10 ml heparinisiertes Blut), Chorionzotten bzw. Fruchtwasserzellen, spezielle Fragestellungen: u. a. kultivierte Fibroblasten aus einer Hautbiopsie.

Auflösung

Auflösungsgrenze der klassischen Zytogenetik abhängig von der erreichten Bandenauflösung ca. 5–10 Megabasen.

Grenzen der Methode

Kleine strukturelle Veränderungen an den Chromosomen sind nicht nachweisbar (Detektionsgrenze <5–10 Megabasen).

Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH)

Grundlagen

Die FISH-Technik ermöglicht Chromosomen bzw. chromosomale Abschnitte mittels fluoreszierender Farbstoffe lichtmikroskopisch zu markieren. Mit Fluoreszenzfarbstoff markierte DNA-Sonden hybridisieren (binden) spezifisch an komplementäre einzelsträngige DNA-Abschnitte der Chromosomen. Die Untersuchung kann an Chromosomen in der Metaphase (Metaphase-FISH) oder an dekondensierten Chromosomen in der Interphase des Zellzyklus (am Zellkern) durchgeführt werden (Interphase-FISH). Es existieren gen-, locus- und chromosomenspezifische DNA-Sonden (chromosome painting) (z. B. für unklare strukturelle Aberrationen) [3].

Indikationen

Verdacht auf ein bestimmtes Mikrodeletions- bzw. Mikroduplikations-Syndrom (wie z. B. Cri-du-chat-Syndrom, Williams-Beuren-Syndrom, DiGeorge‑/Velocardiofaciales Syndrom), pränatal vorkommende numerische chromosomale Aberrationen (wie z. B. Trisomie 21, 13, 18), Mosaikbestimmung (z. B. Turner-Syndrom in Mosaikform), Charakterisierung von Marker-Chromosomen (ein Markerchromosom nach ISCA Definition: abnormales Chromosom, in dem kein Teil mittels herkömmlicher Chromosomenanalyse identifiziert werden kann).

Untersuchungsmaterial

CVS bzw. Fruchtwasser (natives Material), Lymphozyten aus venösem Vollblut (3–10 ml Heparinblut), Mundschleimhautabstrich und weitere kernhaltige Zellen.

Auflösung

Ca. wenige Kilobasen (bzw. abhängig von verwendeten Sonden).

Grenzen der Methode

Über die untersuchte Region hinaus sind keine Aussage hinsichtlich des restlichen Genoms möglich, genaue Größenangabe zur strukturellen Aberration nicht möglich.

Array-CGH

Grundlagen

Die Array-CGH (Engl.: comparative genomic hybridization; Deutsch: vergleichende genomische Hybridisierung) ist eine Methode zur genomweiten Detektion von zahlenmäßigen als auch nicht-balancierten chromosomalen Veränderungen. Ursprünglich wurden Patienten-DNA und Kontroll-DNA mit unterschiedlichen Fluoreszenzfarbstoffen (meist rot und grün) markiert und äquimolar auf Metaphasen hybridisiert. Abweichungen von der Mischfarbe (gelb) deuteten entweder auf Zugewinne oder Verluste an genetischem Material bei dem Patienten hin. Mittlerweile wurde die CGH weitgehend durch die technisch nicht so anspruchsvolle Array-CGH Analyse ersetzt. Hierbei werden auf ein Trägermaterial kurze DNA-Moleküle in definierten Bereichen (Spots) aufgebracht. Die DNA-Fragmente eines Spots decken einen bestimmten Bereich des Genoms ab. Derzeit gängige Arrays haben ca. 60–180 tausend solcher Spots über das gesamte Genom verteilt. Eine Laserkamera detektiert die Bindung der Proben innerhalb eines Spots anhand ihrer unterschiedlichen Fluoreszenzintensitäten. Auch hier ermöglicht die Abweichung von der Mischfarbe (rot-grün) die genomweite Feststellung von Duplikationen (stärkeres Farbsignal der Patienten-DNA) bzw. Deletionen (stärkeres Farbsignal der Kontroll-DNA) (Abb. 1; [5]).

Abb. 1
figure 1

Vereinfachte Darstellung der Array-CGH-Methode. a Die schwarze Farbe repräsentiert die Kontroll-DNA, die hell-graue die Patienten-DNA. Das Gemisch der beiden DNA-Proben hat eine dunkel-graue Farbe. b Die hell-graue Farbe deutet auf einen Überschuss der Patienten-DNA hin, was auf eine Duplikation hinweist, die schwarze Farbe zeigt eine Unterrepräsentation der Patienten-DNA, was auf eine Deletion in der Patienten-DNA hindeutet

Indikationen

Mikrodeletions- und Mikroduplikations-Syndrome; Charakterisierung des euchromatischen Anteils von Markerchromosomen und dessen potentielle klinische Auswirkung; multiple Fehlbildungen bzw. ungeklärtes Dysmorphiesyndrom, psychomotorische Entwicklungsverzögerung bzw. geistige Behinderung, psychiatrische Krankheiten.

Untersuchungsmaterial

DNA aus EDTA-Blutprobe (3–10 ml), DNA aus Chorionzotten bzw. Fruchtwasserzellen.

Auflösung

Generell 50–100 Kilobasen, im Einzelfall können auch Zugewinne oder Verluste einzelner Exons nachgewiesen werden.

Grenzen der Methode

Keine niedriggradigen Mosaike, keine Sequenzveränderungen, keine balancierten chromosomalen Aberrationen, routinemäßig keine uniparenterale Disomie (UPD) nachweisbar.

SNP-Array

Grundlagen

Bei dieser Methode finden sich neben den Sonden zur Detektion von Zugewinnen und Verlusten auch ca. 50.000 Proben zur Identifizierung von SNPs (Engl. „Single Nucleotide Polymorphism“, Deutsch: Einzelnukleotidpolymorphismen). In der Regel liegt die Mehrzahl dieser SNPs heterozygot vor, sodass größere Bereiche bei denen diese Heterozygotie nicht nachweisbar ist üblicherweise als LOH (Loss of Heterozygosity) bzw. als ROH (Region of Homozygosity) bezeichnet werden, leicht identifiziert werden können [3]. Die computergestützte Analyse kann dann zwischen dem Vorliegen einer Deletion oder einer Region mit dem identischen Haplotyp beider Chromosomen (ROH) unterscheiden. Neben einem Einsatz in der Tumorgenetik werden SNP-Arrays häufig bei Kindern aus konsanguinen Familien eingesetzt, um homozygote Bereiche nachzuweisen. Diese Regionen können folgend auf solche Gene überprüft werden, die potentiell als Ursache der Symptomatik bei diesen Kindern in Frage kommen.

Indikationen

Wie Array-CGH jedoch zusätzlich Nachweis von uniparenteralen Isodisomie (UPD) und LOHs.

Untersuchungsmaterial

Wie bei Array-CGH.

Auflösung

Abhängig vom verwendeten Array (etwa 100–200 Kilobasen), LOH je nach Auflösung 2–10 Megabasen.

Grenzen der Methode

Keine niedriggradigen Mosaike, keine Sequenzveränderungen, keine balancierten chromosomalen Aberrationen nachweisbar.

Analyse der Repeat-Erkrankungen

Grundlagen

Bei den sogenannten Repeat-Erkrankungen handelt es sich um Veränderungen in der Anzahl aufeinanderfolgender Wiederholungen von (meist) Trinukleotiden, wie z. B. des Trinukleotids CAG bei der Chorea Huntington. Bei der Anzahl der Repeats wird häufig zwischen der Anzahl im Normbereich und im pathologischen Bereich („Vollmutation“) unterschieden. Öfter gibt es zwischen diesen beiden Extremen einen sog. Zwischenbereich, der oft nicht eindeutig einzuordnen ist (in einigen Fällen als „Prämutation“ bezeichnet). Solche Trinukleotide zeichnen sich oftmals durch eine Instabilität aus, d. h., dass es in der Keimbahn eines Elternteils zu einer Zunahme der Repeatzahl kommen kann, bei der Chorea Huntington kann es so bei den Kindern eines Betroffenen zu einer Verschlimmerung der Symptomatik kommen (sog. Antizipation). Die Zunahme kann unter Umständen eine Prämutation oder im Extremfall eine Vollmutation bedingen. Bei den Prämutationen befinden sich die Repeatzahlen noch unterhalb der Grenze für die volle Ausprägung/Entwicklung der Erkrankung und haben abgesehen von der Expansionsmöglichkeit bei der Weitergabe an die nächste Generation i. d. R. keine klinische Bedeutung (z. B. Myotone Dystrophie Typ 1) oder können u. U. ein anderes, weniger schwerwiegendes Krankheitsbild verursachen (z. B. das Fragile-X-assoziierte-Tremor-Ataxie-Syndrom (FXTAS) bzw. POF (premature ovarian failure) bei Frauen mit Prämutation im FMR1-Gen für das Fragile-X-Syndrom). Eine Expansion eines Repeats führt ab einem bestimmten Schwellenwert zur Vollmutation mit Beeinträchtigung von Funktion bzw. Expression des Genproduktes, was letztendlich die Erkrankung hervorruft.

Indikationen

Verschiedene Repeat-Erkrankungen (u. a. Huntington-Erkrankung, Fragiles-X-Syndrom, spinozerebelläre Ataxien, Myotone Dystrophien).

Untersuchungsmaterial

DNA aus EDTA-Blutprobe (3–10 ml), DNA aus Chorionzotten bzw. kultivierten Fruchtwasserzellen.

Auflösung

Analysiert wird nur ein spezifisches Repeat.

Grenzen der Methode

Keine Veränderungen außerhalb des Repeats nachweisbar, bei Homozygotie kann ein Allele-Drop out (Allelausfall; nur ein Allel wurde untersucht) nicht völlig ausgeschlossen werden.

Sanger-Sequenzierung

Grundlagen

Bei der DNA-Sequenzierung nach Sanger (auch als Dideoxymethode, Kettenabbruchmethode oder Sanger-Sequenzierung bezeichnet) handelt es sich grundsätzlich um die Analyse der primären, linearen Basenzusammensetzung eines DNA-Abschnittes [6].

Indikationen

Z. B. zur molekulargenetischen Sicherung einer klinischen Diagnose (z. B. Sichelzellanämie) mit Analyse eines Gens, Analyse mehrerer kleiner Gene (da dies kostengünstiger als eine NGS-Analyse ist), prädiktive/differentialdiagnostische Untersuchung auf familiär bekannte Sequenzveränderung, Bestätigung der Sequenzveränderungen, die mittels NGS-Methoden (siehe unten) detektiert worden sind.

Untersuchungsmaterial

DNA (aus EDTA-Blutprobe, Mundschleimabstrich, Chorionzotten, Fruchtwasserzellen, Gewebeproben etc.).

Auflösung

Veränderungen einzelner bis mehrerer Nukleotide.

Grenzen der Methode

In der Regel keine Aussage über Deletionen/Duplikationen einzelner Exons im Gen bzw. des gesamten Gens möglich, Mosaike <10–15 % sind schwer nachweisbar, falsch negative Befunde durch Allele-Drop out (nur ein Allel wird untersucht, aufgrund fehlerhafter PCR).

Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification (MLPA) Analyse

Grundlagen

Die Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification (MLPA)-Analyse ist eine Methode zur relativen quantitativen Darstellung der Kopienzahl in bis zu 50 unterschiedlichen kurzen genomischen DNA- bzw. RNA-Proben in einem Versuchsansatz. Bei der MLPA-Methode werde PCR-Produkte generiert, deren Quantifizierung im Vergleich zu einem parallel mitgeführten Ansatz aus Kontroll-DNA Rückschlüsse auf die Gendosis ermöglicht und somit die Identifizierung von Duplikationen oder Deletionen in definierten Regionen im Genom [7] gewährleisten kann.

Es wurden auch methylierungsspezifische MLPAs (MS-MLPA) entwickelt, bei denen sowohl die Bestimmung der Kopienzahl als auch die Analyse des Methylierungsmusters erfolgt. Die MS-MLPA wird oft zur Untersuchung genomisch geprägter Gene eingesetzt, etwa bei der Diagnostik des Prader-Willi/Angelman-Syndroms und Beckwith-Wiedemann/Silver-Russell-Syndroms.

Indikationen

Deletionen bzw. Duplikationen einzelner Exons des Gens, des gesamten Gens oder mehrerer Gene (anhängig vom verwendeten MLPA-Kit), Methylierungsmuster bestimmter Regionen mit MS-MLPA.

Untersuchungsmaterial

Qualitativ hochwertige DNA (u. a. aus EDTA-Blutprobe (3–10 ml), Chorionzotten bzw. kultivierten Fruchtwasserzellen).

Auflösung

Heterozygot/homozygot vorliegende Deletionen bzw. Duplikationen einzelner Exons des Gens, des gesamten Gens oder mehrerer Gene, Veränderungen in der genomischen Prägung.

Grenzen der Methode

Bei schlechter Qualität der DNA kann es zu falsch positiven bzw. falsch negativen Ergebnissen kommen. Steht nur für eine begrenzte Anzahl von Genen zur Verfügung.

Epigenetik und genomisches Imprinting

Grundlagen

Genetische Informationen können in einer reversiblen elternabhängigen DNA-Modifikation vermittelt werden. Bei identischer Nukleotidsequenz des maternalen und paternalen Allels hängt bei manchen Genen die Expression von der elterlichen Prägung ab (Epigenetik). Vereinfacht bedeutet dies, dass ein bestimmtes Gen nur exprimiert wird, wenn es auf dem Chromosom lokalisiert ist, welches vom Vater bzw. von der Mutter stammt. Im menschlichen Genom weisen zwischen 100 und 200 Gene eine elternspezifische Prägung auf und diese Gene befinden sich in der Regel in Imprinting-Clustern. Diese haben ein Imprintingzentrum (Engl.: imprinting control region, ICR), das die Methylierung dieser Gene und die Prägung über die gesamte Region reguliert. Für jede einzelne dieser Regionen ist in somatischen Zellen ein spezifisch erkennbares Muster festgelegt, das auch „Imprintingsmuster“ (sog. Prägungsmuster) genannt wird. Die Methylierung ist einer der wichtigsten und bekanntesten Mechanismen, die bei der Regulation von Genexpression eine Rolle spielt (unter DNA-Methylierung versteht man die Einführung von -CH3 Methylgruppen in die DNA durch DNA-Methyltransferasen). In Säugerzellen im Kontext des Imprintings spielen die sog. „CpG-Insel“ eine zentrale Rolle, die sich meistens im Bereich von Promotoren (regulieren Expression der Gene) bzw. regulatorischen Regionen befinden. Eine massive Methylierung spezifischer Regionen führt zu einer chemischen Modifikation der DNA und in Folge zu einer Inaktivierung der Gene.

In der Keimbahn wird das in somatischen Zellen erkennbare Methylierungsmuster gelöscht und anschließend entsprechend dem Geschlecht neu hergestellt. Im Rahmen der Spermatogenese erhalten alle Spermien ein männliches Imprintingmuster, im Rahmen der Oogenese alle Eizellen ein weibliches Imprintingmuster. Somit ist es gewährleistet, dass eine befruchtete Eizelle bzw. ein Embryo ein ausgeglichenes und korrektes Imprinting des gesamten Genoms aufzeigt und dieses wird unter der Kontrolle regionaler Imprintingzentren auf den einzelnen Chromosomen über alle folgenden Zellteilungen hindurch aufrechterhalten.

Eine Imprintingstörung kann durch verschiedene Mechanismen entstehen:

  1. a.

    Vorliegen einer Mikrodeletion, durch die der Chromosomenabschnitt mit der exprimierten Genkopie verloren geht (die Mehrheit der Patienten mit Prader-Willi- und Angelman-Syndrom). Je nachdem, ob die Deletion auf dem väterlichen oder mütterlichen Allel liegt, können unterschiedliche Krankheitsbilder entstehen (15q11-q13-Region: Deletion des maternalen Allels führt zum Angelman-Syndrom, Deletion des paternalen Allels zum Prader-Willi-Syndrom).

  2. b.

    Vorliegen einer uniparentalen Disomie (UPD), wenn zwei homologe Chromosomen vom gleichen Elternteil stammen. Bei der maternalen UPD (matUPD) fehlt das paternale Chromosom. Sollte auf diesem Chromosom ein Imprinting vorliegen und nur die väterliche Region aktiv sein, geht die Funktion der Gene, die nur auf dem väterlichen Exemplar dieses Chromosoms exprimiert werden (z. B. eine matUPD15 in der Prader-Willi-Region enthält nicht die notwendige aktive väterliche Kopie und somit bedingt sie das Prader-Willi-Syndrom) verloren. Umgekehrt gilt dies bei einer paternalen UPD des Chromosoms 15 (patUPD15) im Falle des Angelman-Syndroms. Bei einer nachgewiesenen UPD bei einem Kind sollte eine Chromosomenanalyse der Eltern erfolgen, um eine Chromosomenstörung, die das Auftreten der UPD prädisponiert, auszuschließen (z. B. eine Robertsonsche-Translokation).

  3. c.

    Eine Genmutation in einem aktiven Gen, das dem Imprinting unterliegt. Eine solche Mutation kann von einem asymptomatischen Elternteil vererbt werden. Ein Beispiel dafür ist eine Mutation des (im Gehirn) maternal exprimierten UBE3A-Gens für das Angelman-Syndrom. Wenn ein Kind eine pathogene Mutation im UBE3A-Gen vom Vater erbt, hat dies keine Auswirkungen (die notwendige und physiologisch aktive mütterliche Kopie ist ja intakt), wenn diese jedoch von der Mutter ererbt wird, entwickelt das Kind das Angelman-Syndrom. In diesem Fall besteht auch ein Wiederholungsrisiko von 50 % für nachfolgende Geschwister.

  4. d.

    Das Vorliegen einer Störung des Imprintingzentrums. Die wichtigste Ursache des Beckwith-Wiedemann-Syndroms ist der Verlust der maternalen Methylierung in der Imprintingregion 11p15.5, während der Verlust der Methylierung des paternalen Allels ein Silver-Russel-Syndrom verursacht.

  5. e.

    Das Vorliegen einer Duplikation des imprimierten Gens, wenn es auf ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen mütterlich oder väterlich geprägten Genen ankommt (z. B. maternale Duplikation beim Silver-Russel-Syndrom, paternale Duplikation beim Beckwith-Wiedemann-Syndrom).

Indikationen

Häufiger vorkommende Erkrankungen: Angelman-Syndrom, Prader-Willi-Syndrom, Beckwith-Wiedemann-Syndrom, Silver-Russel-Syndrom, matUPD14, patUPD15.

Untersuchungsmaterial

Qualitativ hochwertige DNA (aus EDTA-Blutprobe 3–10 ml, Chorionzotten bzw. kultivierten Fruchtwasserzellen).

Auflösung

Imprintingstörungen einer bestimmten Region.

Mitochondriale Erkrankungen

Grundlagen

Eukaryontische Zellen haben neben dem nukleären Genom ein mitochondriales Genom in Form eines ringförmigen Doppelstranges (mtDNA) mit 16.569 Basen in zahlreichen Kopien, das sich in den Mitochondrien befindet. Das mtDNA-Molekül enthält insgesamt 37 Gene, 13 davon kodieren für bestimmte Proteine der Atmungskette (der oxidativen Phosphorylierung), die anderen 24 Gene enthalten die Information zur Herstellung der 22 tRNA- und 2 rRNA-Molekülen, die für die Synthese der mitochondrial kodierten Polypeptide notwendig sind.

Der Mensch erhält alle funktionellen Mitochondrien über die Eizelle von seiner Mutter. Es handelt sich somit um eine mitochondriale bzw. maternale Vererbung (eine Mutter mit einer Mutation in ihrer mtDNA kann diese Mutation an alle Nachkommen weitergeben, wogegen ein Vater mit der gleichen Mutation in der mtDNA diese an keinen seiner Nachkommen weitergibt). Die mtDNA wird unabhängig vom Zellzyklus in jedem Mitochondrium individuell repliziert. Die Mitochondrien werden während der Oogenese zufällig vom Oogonium auf die primären Oocyten aufgeteilt. Auch bei weiteren Zellteilungen verläuft die Verteilung zufällig. Eine bestimmte mtDNA-Variante kann so nur einen Teil der mDNA-Kopien betreffen (sog. Heteroplasmie), oder eine Zelle enthält nur Mitochondrien mit mutierter oder nur mit normaler mtDNA (sog. Homoplasmie). Die phänotypische Auswirkung der mitochondrialen Variante hängt häufig vom Verhältnis der Anzahl zwischen normaler und veränderter mtDNA in den Zellen ab. Dieses kann zwischen unterschiedlichen Organen und im Verlauf mehrerer Zellteilungen stark variieren, was eine Variabilität der Symptome bzw. Expressionsstärke der Symptome über die Zeit verursacht. Organe, die einen hohen Energiebedarf haben, wie Muskeln, Nervenzellen und Retina werden je nach Erkrankung im unterschiedlichen Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen. Eine unvollständige Penetranz (Penetranz bedeutet die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Genotyp den entsprechenden Phänotyp bedingt) und eine variable Expressivität (Schweregrad des Phänotyps) sind typische Merkmale für alle mitochondrial vererbten Krankheiten.

Die Mehrzahl von mitochondrialen Atmungskettenproteinen und aller anderen mitochondrialen Proteine werden jedoch nukläer kodiert.

Indikationen

Enzephalo‑, Myo‑, Kardiomyopathie, Ataxie, retinale Degeneration, Lähmungen der äußeren Augenmuskeln, eine Entwicklung von Laktatazidose bei leichter körperlicher Belastung, in der Skelettmuskulatur mikroskopisch bestehende sog. „ragged red fibers“ (subsarkolemmale Ansammlungen von Mitochondrien).

Untersuchungsmaterial

Muskelgewebe, EDTA-Blutprobe (3–10 ml).

Next-Generation Sequenzierung (NGS)

Grundlagen

Es handelt sich um eine parallele Sequenzierung einer großen Anzahl von Genen bis hin zum „gesamten“ Genom. Es werden kleine Multi-Gen-Panels von großen Multi-Gen-Panels (Klinisches Exom (Clinical Exome Sequencing, CES)), die Exomsequenzierung (Whole-exome Sequencing, WES) sowie die Sequenzierung des gesamte Genoms (Whole-genome Sequencing, WGS) unterschieden (Tab. 2). Die WGS wird derzeit noch nicht in der Routinediagnostik angeboten.

Tab. 2 NGS-Analysen

Der Prozessfluss umfasst die Fragmentierung (mechanisch oder enzymatisch) der genomischen DNA, das Anhängen der Adaptersequenzen an die erzeugten DNA-Fragmente und die Hybridisierung mit der Capture-Library (sog. Region of interest, ROI), Reinigung der durch die Sonden gebundenen DNA-Fragmente mit magnetischen Kügelchen (Beads) für die Gewinnung der gewünschten Zielregionen und die Amplifikation der gereinigten Zielregionen. Anschließend erfolgt die Sequenzierung auf einer automatisierten Sequenzierplattform (u. a. Illumina, ThermoFisher). Bei der Sequenzierung des gesamten Genoms gibt es Abweichungen zu dem o. g. Prozess.

Die gesamten, so hergestellten DNA-Abschnitte werden parallel in kleinen Sequenzierungen („Minisequenzieren“) analysiert, die sich hunderttausendfach auf dem „Nanochip“ befinden. Dazu wird der gleiche DNA-Abschnitt mehrere hunderte bis zu tausend Mal sequenziert (sog. Reads). Somit wird eine große „Sequenziertiefe“ (sog. Coverage) erreicht, was auch die Detektion von Veränderungen in nur einem Teil der Körperzellen (niedriggradiges Mosaik) ermöglicht.

Die NGS-Methode ermöglicht zusätzlich auch Hinweise auf Kopienzahlvarianten (Engl.: Copy Number Variation, CNV). Das Prinzip dieser Methode besteht darin, dass die Anzahl der Sequenzierungen (Reads) einzelner Exone einer Probe mit anderen Proben untereinander verglichen werden kann. Als Kontrollen dienen DNA-Proben von Patienten, die in der Vergangenheit bereits mit derselben Methode untersucht worden waren. Spezifische Algorithmen ermöglichen dann eine vergleichende Analyse. Damit können Deletionen und Duplikationen einzelner bzw. mehrerer Exone des gesamten Gens bzw. größere Deletionen bzw. Duplikationen potentiell detektiert werden.

Bei den CES-, vor allem aber bei den WES- bzw. WGS-Analysen kann eine Einzel-Untersuchung vom Indexpatienten erfolgen, eine sog. Duo-Untersuchung von z. B. zwei Betroffenen in der Familie (Geschwister) oder eine Trio-Analyse vom Indexpatienten und seinen Eltern oder weitere mögliche Kombinationen. Bei einer Trio-Exom-Diagnostik wird sowohl bei dem Patienten als auch den Eltern eine exomweite Analyse (WES) durchgeführt. Somit ist es bei der Auswertung der Veränderungen möglich, Sequenzvarianten besser zu beurteilen und damit zielgerichteter auszuwerten. Die Identifizierung und Interpretation von klinisch nicht mit einer Erkrankung assoziierter Gene und Varianten sowie die Detektion von neu entstandenen (de novo) Mutationen kann dadurch erleichtert werden.

Die Diagnosestellung mittels CES- und WES-Analyse unterscheidet sich erheblich in Abhängigkeit von der Indikation sowie der ausgewählten Patientenkohorte. Allgemein kann eine Detektionsrate von ca. 20 % bis ca. 50 % angegeben werden. Die WES-Mutationsdetektionsraten bei pädiatrischen Patienten bewegen sich zwischen ca. 25 % [8] bzw. ca. 49 % [9]. Bei Patienten mit Verdacht auf mitochondriale Erkrankungen zeigte sich mittels WES eine Detektionsrate der ursächlichen Sequenzveränderungen von ca. 40 % [10].

Durch Trio-WES Analysen bei Kindern mit Entwicklungsstörungen unklarer Ätiologie fand sich eine Detektionsrate von ca. 42 % in bekannten krankheitsassoziierten Genen [11].

Studien mit konsanguinen Familien belegen Detektionsraten von homozygoten Sequenzvarianten von ca. 30 bis 40 % [12, 13]. Die gesamte Detektionsrate war hier aufgrund weiterer detektierter Sequenzvarianten etwas höher (von ca. 40 bis 50 %). Insgesamt ist die Detektionsrate in konsanguinen Familien etwas höher als bei nicht konsanguinen Familien, bleibt aber insgesamt deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Auswertung der Multi-Gen-Panel/CES/WES-Daten

Österreichweit erfolgt die Auswertung der gewonnenen Sequenzdaten institutionsspezifisch, basierend auf den Richtlinien der deutschen, europäischen und amerikanischen Gesellschaft für Genetik.

Um die Gensequenzen der Patienten mit der korrekten Referenzsequenz der Gene vergleichen zu können, werden den analysierten Genen entsprechende Referenzsequenzen nach der NM-Nomenklatur (aus NCBI-National Center for Biotechnology Information) zugeordnet.

Die Auswertung der identifizierten Sequenzveränderungen wird mehrstufig durchgeführt. Es werden HPO-(Human Phenotype Ontology)-Stichworte für die angegebene Symptomatik bzw. den angegebenen Phänotyp für die Auswertung der Sequenzveränderungen verwendet. Mit Hilfe der HPO wird eine Anzahl an Genen zusammengestellt, die unter den biologischen und genetischen Aspekten im Zusammenhang mit dem Phänotyp stehen. Je ausführlicher und genauer der Phänotyp im Untersuchungsauftrag vom angeforderten Arzt beschrieben ist, desto spezifischer und zielführender ist in diesem Schritt die Auswertung der Daten möglich.

Sequenzveränderungen werden nach festgelegten Kriterien mit verschiedenen gängigen Datenbanken (ExAC (Exome Aggregation Consortium), gnomAD (Genome Aggregation Database), EVS (Exome Variant Server) bzw. 1000-Genome-Projekt) abgeglichen und filtriert. Unter den verbliebenen Sequenzveränderungen wird eine weitere Bestimmung der Pathogenität unter Einbeziehung weiterer Datenbanken wie HGMD (Human Gene Mutation Database), ClinVar, LOVD (Leiden Open Variation Database) und OMIM (Online Mendelian Inheritance in Man) durchgeführt. Bei einer bereits beschriebenen krankheitsverursachenden Sequenzveränderung ist die Auswertung hier dann in der Regel beendet.

Unbekannte identifizierte Sequenzveränderungen werden hinsichtlich der möglichen Assoziation mit dem Phänotyp filtriert und mit den Prädiktionsprogrammen (u. a. PolyPhen-2, MutationTaster, SIFT, Human Splicing Finder (HSF)) auf deren Pathogenität überprüft.

Alle reportierten Sequenzveränderungen werden in der Regel mittels Sanger-Sequenzierung überprüft.

Hier ist es anzumerken, dass die für die Datenauswertung notwendige interne Filtrierung die potentielle Gefahr birgt, wichtige Informationen und sogar die krankheitsverursachende Veränderung aus zu filtern. Hier sind Erfahrung und umfangreiche medizinisch-genetische Kenntnisse der „Auswerter“ ein unverzichtbares „muss“ (Anmerkung der Autoren).

Die identifizierten Veränderungen werden nach den ACMG-(American College of Medical Genetics and Genomics)-Kriterien klassifiziert [14] und entsprechend der IARC-(International Agency for Research on Cancer)-Empfehlung in fünf Klassen kategorisiert ([15]; Tab. 3).

Tab. 3 Klassifizierung der genetischen Veränderungen

In der Regel werden nur Veränderungen der Klasse 5 oder Klasse 4 oder klinisch möglicherweise relevante Veränderungen der Klasse 3 im Befund angegeben. Die prädiktive Untersuchung bei weiteren Familienmitgliedern ist nur für wahrscheinlich pathogene Mutationen der Klasse 4 sowie pathogene Mutationen der Klasse 5 vertretbar. Anzumerken ist, dass sich die Klassifizierung einer Sequenzveränderung aufgrund neuer Erkenntnisse/Literaturdaten jederzeit ändern kann. Eine Reevaluation der Daten ist daher unter Umständen sinnvoll.

Methodisch bedingt werden nicht alle Bereiche der in der hergestellten „Library“ zu analysierenden Gene vollständig mit einer ausreichenden Abdeckung von >10-fach in eine Leserichtung erreicht. Es kann sogar dazu kommen, dass bestimmte Bereiche, z. B. CG-reiche Sequenzen, nicht abgedeckt sind. Dies ist ein gravierender Nachteil der NGS-Methodik.

Problematik bei Identifizierung von Varianten unklarer Signifikanz

Je höher die Anzahl der analysierten Gene ist, desto wahrscheinlicher wird die Detektion einer Variante unklarer Signifikanz (VUS). Diese Veränderungen haben i. d. R. eine sehr niedrige Frequenz in der Allgemeinbevölkerung und sind nicht in den Datenbanken gelistet. Mit Hilfe der bioinformatischen Vorhersageprogrammen ist nicht immer möglich, sie als eindeutig benigne bzw. wahrscheinlich benigne oder eindeutig pathogen bzw. wahrscheinlich pathogen einzuordnen. Solche Veränderungen werden als Varianten unklarer Signifikanz (VUS) eingestuft. Eine Testung einer solchen Veränderung bei weiteren betroffenen und nicht-betroffenen Familienmitgliedern kann sich als hilfreich für die bessere Einstufung solcher Veränderungen herausstellen.

Durch den Wissenszuwachs in der Genetik werden VUS regelmäßig neu klassifiziert (z. B. neue Einstufung in den relevanten Datenbanken wie ClinVar, OMIM oder publiziert). Es ist zu erwarten, dass sich diese Problematik in Zukunft verbessern wird und durch den weiteren Informationsgewinn die Bewertung der genetischen Veränderungen geregelter wird.

Zusatzbefunde

Zusatzbefunde beziehen sich auf genetische Veränderungen, die nicht im Zusammenhang mit der direkten Indikation der angeforderten Untersuchung stehen. Bei Auswertung der indikationsspezifischen Gene mittels z. B. eines kleinen Multi-Gen-Panels ist die Wahrscheinlichkeit eines Zusatzbefundes eher gering, da die Anzahl und die Spezifität der Genen auf den Phänotyp beschränkt sind. Diese Situation sieht bei der Auswertung der WES-Daten wie z. B. bei einem unklaren Syndrom mit Entwicklungsverzögerung vollkommen anders aus. Hier kann eine Vielzahl von Zusatzbefunden für therapierbare Erkrankungen, für Erkrankungen mit prophylaktischen Maßnahmen, für nicht therapierbare Erkrankungen oder für Anlageträgerschaften für erblich bedingte Erkrankungen detektiert werden.

Hierfür ist eine entsprechende genetische Beratung vor der Durchführung einer solchen Untersuchung von großer Bedeutung. Der Patient muss über die Tragweite und Grenzen der zu verwendeten genetischen Untersuchung ausführlich aufgeklärt werden und soll vor der Untersuchung auch schriftlich bestimmen, ob bzw. welche Zusatzbefunde ihm mitgeteilt werden sollen. Wenn das Einverständnis des Patienten nicht den Umgang mit Zusatzbefunden umfasst bzw. der Patient über die Zusatzbefunde nicht informiert werden möchte, dürfen über die medizinische Fragestellung hinausgehende Veränderungen nicht beobachtet, dokumentiert oder reportiert werden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Komplexität und die Tragweite der Thematik in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung für betreuenden Arzt und den Patienten ist.

Die ACMG hat basierend auf den Veränderungen in den Genen, aus denen sich gezielt therapeutische oder präventive Maßnahmen ergeben, eine Liste von sog. Actionable Genes erarbeitet [16]. Wesentliche Gruppen der erblich bedingten Erkrankungen in dieser Liste betreffen erbliche Tumorprädispositionssyndrome, Herz-Kreislauferkrankungen (u. a. thorakale Aortenerweiterungen, Herzrhythmusstörungen und Kardiomyopathien) sowie einige Stoffwechselerkrankungen und die maligne Hyperthermie. Nach entsprechender Aufklärung und Dokumentation des Einverständnisses des Patienten kann sich hier ein Nutzen von genetischen Hochdurchsatz-Analysen ergeben.

Bei der Aufklärung des Patienten ist sein „Recht auf Nichtwissen“ zu berücksichtigen. Zusätzlich aufgedeckte Anlageträgerschaften für erblich bedingte Erkrankungen können bei einigen Patienten möglicherweise zu einer starken persönlichen Belastung führen.

In der Tab. 4 sind die Detektionsmöglichkeiten und die Indikationsbereiche unterschiedlicher genetischer Untersuchungen zusammengefasst.

Tab. 4 Zusammenfassung der Detektionsmöglichkeiten und Indikationsbereiche der genetischen Untersuchungen

Nicht-invasive pränatale Diagnostik (NIPT)

Ein weiterer Anwendungsbereich der NGS-Technologie ist die nicht-invasive pränatale Testung (NIPT). Zellfreie fetale DNA (cfDNA) aus dem Trophoblastengewebe der Plazenta ist im Plasma von Schwangeren nachweisbar. Die Menge steigt im Verlauf der Schwangerschaft. Sie macht etwa 5–13 % der zellfreien DNA im Blut der Schwangeren aus. Zwei Stunden nach Geburt ist keine fetale DNA mehr im Blut der Mutter nachweisbar. Mit dieser Untersuchung können aktuell Chromosomenfehlverteilungen der Chromosomen 21, 18, 13, der Geschlechtschromosomen oder bestimmte Mikrodeletionen analysiert werden [17]. Das Screening kann ab der 10. SSW durchgeführt werden. Im Vergleich zum herkömmlichen Ersttrimester-Screening sind die Sensitivität und die Spezifität der NIPT-Untersuchungen deutlich höher und die Falsch-Positiv-Rate, z. B. für die Trisomie 21 deutlich geringer. Es handelt sich um einen Screening-Test, daher wird bei jedem auffälligem Ergebnis ein invasiver diagnostischer Test zur Bestätigung des Ergebnisses dringend empfohlen.

Forschungsansätze, „nahe“ diagnostische Zukunft

Mit den neuen Methoden, die aktuell noch als Forschungsansatz verwendet werden, besteht die Hoffnung, dass die Diagnosestellung bei genetisch bedingten Störungen in Zukunft deutlich gesteigert werden kann.

Whole Genome Seqeuncing (WGS); Genomsequenzierung

Mit der Sequenzierung des menschlichen Genoms kann der Großteil der humanen DNA analysiert werden. Hier werden auch die Sequenzdaten der nicht-kodierenden Abschnitte, d. h. der intronischen und regulatorischen Bereiche der Gene, gewonnen. Da für diese Analyse keine bestimmte Anreicherung notwendig ist, fällt die Abdeckung der verschiedenen Bereiche des Genoms gleichmäßiger aus. Eine Interpretation möglicher Veränderungen in nichtkodierenden Bereichen ist nach dem heutigen Stand des Wissens in den meisten Fällen ohne Zusatzuntersuchungen allerdings nicht möglich. Es wurde gezeigt, dass der Zugewinn der Detektionsrate von ursächlichen Mutationen mittels WGS im Vergleich zu den Daten im WES nur etwa 7 % ist [18]. Studien zeigten ebenfalls, dass aufgrund der gleichmäßigeren Abdeckung über das gesamte Genom, die Detektionsrate von Mutationen in den kodierenden Bereichen der Gene mit WGS höher ist als mit WES [19]. Allerdings liefert die WGS derzeit noch deutlich mehr VUS als eine WES, so dass ihr Zugewinn gegenüber einer Verunsicherung des Patienten durch mehr VUS genau abgewogen werden sollte.

RNA-Seq (sog. Gesamt-Transkriptom-Shotgun-Sequenzierung)

Unter RNA-Seq, auch „Gesamt-Transkriptom-Shotgun-Sequenzierung“ genannt, wird die Bestimmung der RNA-Sequenz mittels NGS-Methode bezeichnet. Alle kernhaltigen Zellen im menschlichen Körper haben identische Gene, die aber in unterschiedlichen Zelltypen ganz unterschiedlich exprimiert werden können und somit den Zellen spezifische Funktionen ermöglichen. Im engeren Sinn ist mit der Genexpression die Synthese von Proteinen gemeint. Bei der RNA-Seq werden die RNA-Moleküle in eine cDNA (komplementäre DNA) umgeschrieben und sequenziert, so dass Gewebe-spezifische Expressionsmuster identifiziert werden können. Hierdurch können auch zellspezifische Spleißvarianten, Fusionstranskripte oder Sequenzveränderungen nachgewiesen werden [20]. Eine Einschränkung dieser Methode ist die Gewinnung der Probe aus den verschiedenen Geweben, da diese nicht immer (einfach) zu isolieren sind. Im Bereich der Forschung wurden bereits die Transkriptome einzelner Zellen bestimmt.

Optical Mapping, Saphyr-System der Firma Bionano (Analyse der strukturellen Varianten mittels langer DNA-Fragmente)

Die Saphyr-Technologie kombiniert den NanoKanal-Array mit optischem Mapping extrem langer, hoch-molekularer DNAs. Hierzu werden DNA-Fragmente mit einer Größe von ca. 100–1200 Kilobasenpaare erzeugt. Dadurch ist der Nachweis von großen strukturellen (balancierten und nicht-balancierten) Veränderungen möglich, die mittels NGS-Methoden aufgrund der Analyse von kleinen DNA-Fragmenten meist nicht detektiert werden können. Auch können strukturelle Veränderungen detektiert werden, die aufgrund ihrer Größe bei einer herkömmlichen Chromosomenanalyse nicht erkannt werden können. Gegenüber der Array-CGH hat das Optical Mapping den Vorteil, dass einerseits auch balancierte Strukturvarianten nachgewiesen werden können und, dass das Optical Mapping auch häufig eine Aussage über die Position der Veränderung im Genom zulässt. Es werden genomweite strukturelle Veränderungen zwischen 500 bp bis zur Größe im Megabasenbereich detektiert. Es können homozygot und heterozygot vorliegende Insertionen und Deletionen, balancierte und unbalancierte Translokationen, Inversionen, Duplikationen und Kopienzahlvarianten detektiert werden. Diese können für unterschiedliche Krankheitsbilder ursächlich sein, wie z. B. Krebsleiden als auch Entwicklungsstörungen.

Single Molecule, Real-Time (SMRT) Sequenzierung (PacBio)

Die SMRT-Technologie ermöglicht die Sequenzierung und Detektion eines einzelnen DNA-Moleküls in einer spezifischen Reaktionskammer, die als Zeromode Waveguide (ZMW) bezeichnet wird. Am Boden jeder dieser Kammern befindet sich eine einzige aktive DNA-Polymerase mit einem einzelsträngigen DNA-Molekül. Sobald einer der vier verschiedenen dNTPs, die mit jeweils einem anderen Fluoreszenzstoff verbunden sind, an die einzelsträngigen DNA mit Hilfe der Polymerase bindet und somit die DNA-Synthese erfolgt, kann die DNA-Sequenzierung in Echtzeit (Real-Time) gemessen werden. Diese Reaktion findet parallel in tausenden Reaktionskammern gleichzeitig statt. Die Methode ermöglicht Sequenzierung von langen Reads von mehreren Kilobasenpaaren. Mit dieser Methode können eine WGS, strukturelle genomische Varianten (balancierte und unbalancierte), RNA-Sequenzierung sowie epigenetische Veränderungen analysiert werden [18].

Sequenzierung extrem langer DNA-Fragmente mittels Nanopore-Technologie

Die Nanopore-Sequenzierung ermöglicht die Sequenzierung einzelner nativer DNA-(genomische DNA, bereits amplifizierte DNA, cDNA) oder RNA-Moleküle in Echtzeit ohne PCR-Amplifizierung. Bei der Nanopore-Technologie wird ein DNA-Molekül durch eine Nanopore geschleust (Durchmesser von 10−9 m). Im System kann durch die Präsenz der elektrolytischen Lösung und eines konstanten elektrischen Feldes ein elektrischer Fluss beobachtet werden. Die Sequenzierung ist durch Änderung des elektrischen Flusses mit jeder Base, die durch die Nanopore fließt, möglich. Mit dieser Methode ist es möglich, „ultra“ lange Reads von bis zu 2 Mbp zu erzeugen. Somit können mit dieser Methode Repeaterkrankungen, Kopienzahlvarianten und epigenetische Veränderungen detektiert werden. Hierfür gibt es heutzutage auch tragbare, USB-geeignete (MinION) oder größere Sequenzierer.

Methoden der Präimplantationsdiagnostik

Die Präimplantationsdiagnostik bezeichnet jede Methode zur genetischen Untersuchung entwicklungsfähiger Zellen, bevor sie in den Körper der Frau eingebracht werden. Es wird die Polkörperdiagnostik (PKD) von der Präimplantationsdiagnostik im engeren Sinne (PID) unterschieden. Da Polkörper keine entwicklungsfähigen Zellen darstellen, ist die genetische Abklärung an aus Polkörpern gewonnener DNA nicht durch das Fortpflanzungsmedizingesetz aus dem Jahr 2015 reglementiert.

Polkörperdiagnostik (PKD)

Die PKD ist eine Untersuchungsmethode, mit der im Rahmen einer künstlichen Befruchtung eine indirekte Untersuchung der entnommenen Eizelle erfolgt. Bei Menschen entstehen durch die Reife- und Reduktionsteilung der Eizelle zwei bis drei Polkörper, die keine Bedeutung für die weitere embryonale Entwicklung haben und an der befruchteten Eizelle haften. Durch in-vitro Fertilisation (IVF) wird die Eizelle befruchtet. Vor der Verschmelzung von mütterlichem und väterlichem Vorkern (Syngamie) werden die Polkörper entnommen. Nach Vermehrung der DNA der Polkörper durch eine WGA (sog. Whole genome amplification), kann die DNA untersucht werden. Mit dieser Methode können sowohl Rückschlüsse auf chromosomale Fehlverteilungen in der Eizelle/Embryo erhalten werden als auch monogene Erkrankungen (vor allem maternal vererbte autosomal-dominante und X‑chromosomale Erkrankungen, u. U. auch autosomal-rezessive Erkrankungen) untersucht werden [21].

Präimplantationsdiagnostik (PID)

Die PID ist eine direkte Methode zur Untersuchung der genetischen Konstitution an einzelnen Blastomeren des Embryos im 8‑Zell Stadium am Tag 3 bzw. an den Trophektodermzellen am Tag 5 nach IVF. Diese Untersuchungsmethode ist seit dem 24. Februar 2015 in Österreich erlaubt. Die PID wird in Österreich ausschließlich an Zellen des Trophektoderms durchgeführt. Die Präimplantationsdiagnostik wird dabei zur Erkennung von Erbkrankheiten oder Chromosomenanomalien angewendet. Ziel der Untersuchung ist es, einen Embryo ohne nachweisbare Chromosomenanomalie bzw. ohne Risiko für die Entwicklung der familiär bekannten erblichen Erkrankung in die Gebärmutter der Frau einzupflanzen. Eine PID darf in Österreich nur in einer hierfür speziell zugelassenen Einrichtung durchgeführt werden. Parallel zur ärztlichen Aufklärung und Beratung in Bezug auf die medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist vor der Durchführung einer PID eine umfassende Aufklärung und BeratungFootnote 1 durch einen in Humangenetik/medizinischer Genetik ausgebildeten Facharzt oder einen für das Indikationsgebiet zuständigen Facharzt vorgesehen. Eine PID ist nur zulässig, wenn auf Grund der genetischen Disposition zumindest eines Elternteils (z. B. ein Elternteil ist Träger einer Erbkrankheit) die ernste Gefahr besteht, dass es zu einer Fehl- oder Totgeburt oder zu einer schwerwiegenden Erbkrankheit des Kindes kommt. Die Bestimmung des Geschlechts im Rahmen einer Präimplantationsdiagnostik ist nur zulässig, wenn die Erbkrankheit geschlechtsabhängig ist [22].

Angebot im Institut für Medizinische Genetik der MUW

Im Institut für Medizinische Genetik der Medizinischen Universität Wien bieten wir das gesamte Spektrum routinemäßiger zytogenetischer/molekularzytogenetischer als auch molekulargenetischer Untersuchungen an (Tab. 5).

Tab. 5 Angebot der genetischen Untersuchungen im Institut für Medizinische Genetik der Medizinischen Universität Wien

Bei allen Anforderungen ist die Indikationsstellung mit ausführlicher Beschreibung der Symptomatik, Angaben zu den Ergebnissen der apparativen bzw. laborchemischen Diagnostik sowie Angaben zur auffälligen bzw. unauffälligen Familienanamnese für die Auswertung der Daten von großer Bedeutung. Bei der Auswertung von CES- bzw. WES-Daten ist das Vorhandensein der maternalen und paternalen DNA zum Abgleich der identifizierten Veränderungen sehr wichtig. Diese sollten gleichzeitig mit der kindlichen DNA zugeschickt werden.