Die Zeitschrift Emma wählt jährlich in Anlehnung an den vom People-Magazin gekürten „Sexiest Man Alive“ (Spiegel Kultur Online 2022; Ross 2022) den „Sexist Man Alive“ aus, der nach Auffassung der Zeitschrift besonders sexistisch ist (Spiegel Kultur Online 2022). In diesem Jahr ging dieser Negativpreis der Emma an Sascha Lobo, u. a. Spiegel-Kolumnist, aufgrund einer als belehrend empfundenen Äußerung gegenüber einer Exprostituierten in der NDR-Sendung „Deep und deutlich“ (Spiegel Kultur Online 2022). Thema der Ausstrahlung vom 23.04.2022 war Prostitution mit der Leitfrage: „Soll Prostitution einen Platz in unserer Gesellschaft haben?“ (Ross 2022; NDR 2022). Eine Frage, die in Deutschland unter Laien, aber auch im Feld der Wissenschaft umstritten ist.

Prostitution ist in Deutschland seit 1927 legal und Gegenstand zahlreicher Annahmen mit fragwürdigem Realitätsgehalt, zu denen beispielsweise der viel verbreitete Glaube an die Prostitution als ältestes Gewerbe der Welt (Schmitter 2013; Diakonie Deutschland Infoportal 2021; Terres des femmes 2017) – tatsächlich gibt es ältere Nachweise für das Hebammengewerbe – gehört. Auch die Lage der Prostitution in Deutschland stellt sich vielfach anders als verbreitete Vorstellungen dar (Schmitter 2013; Terres des femmes 2017). Prostitution ist mit Mythen verwoben, die u. a. lauten, dass ProstituierteFootnote 1 ihrer Tätigkeit freiwillig nachgehen und Prostitution eine Arbeit wie jede andere sei (Terres des femmes 2017).

Ende des Jahres 2021 waren ca. 23.700 Prostituierte nach dem Prostituiertenschutzgesetz angemeldet (Statistisches Bundesamt 2021). Über die tatsächliche Zahl von Prostituierten (nicht nur der angemeldeten) liegen keine umfassenden Daten vor; nach verschiedenen Studien beläuft sich die Zahl der Prostituierten in Deutschland auf zwischen 65.000 und 400.000 (Döring 2018, S. 45 ff.). Auch andere Grundsachverhalte sind unklar, so etwa zu der Frage, ob und inwieweit zwischen freiwilliger Sexarbeit und Zwangsprostitution unterschieden werden kann (Boehme-Neßler 2019, S. 342).

Als sicher kann hingegen gelten, dass Prostitution in vielen Fällen mit zahlreichen Risiken und Folgen verbunden ist, darunter psychische, physische und sexuelle Gewalt, Menschenhandel, (Drogen‑)Kriminalität oder Alkoholmissbrauch. Infektionskrankheiten, aber auch Depressionen und Traumata sind unter Prostituierten weit verbreitet (Heide 2016, S. 4; Gugel 2010, S. 59). Um diese Risiken einzudämmen, wurde im Jahre 2002 das Prostitutionsgesetz erlassen (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2020, S. 4). Seit dessen Einführung gilt Prostitution nicht mehr als sittenwidrig (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2021). Das Ziel des Prostitutionsgesetzes bestand u. a. darin, die Ausbeutung von Frauen zu erschweren und aus Prostitution einen Beruf wie jeden anderen zu machen, d. h., die Prostitution zu normalisieren (Bell und Sporer 2022). Hierdurch wurde in der Praxis z. B. ermöglicht, dass Vereinbarungen zwischen Prostituierten und deren Kunden durch Gerichte überprüft werden können. Zudem können Prostituierte rechtswirksame Arbeitsverträge abschließen und sind somit nicht mehr aus der Sozialversicherung ausgeschlossen (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2021). Außerdem können rechtswirksame Vereinbarungen über sexuelle Dienstleistungen getroffen werden, wodurch Prostituierte gegenüber ihrer Kundschaft das Recht besitzen, den vereinbarten Lohn einzufordern. Dies sollte helfen, falls Kunden sich weigern zu zahlen, beispielsweise weil sie mit der Dienstleistung unzufrieden waren (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2021).

Im Jahr 2017 folgte dann das Prostitutionsschutzgesetz, dass in erster Linie gewerberechtliche Vorgaben für Prostitutionsbetriebe schafft, während das Prostitutionsgesetz die Rechtsbeziehungen zwischen Prostituierten und deren Kunden sowie zwischen Prostituierten und deren Arbeitgebern regelt (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2021). Durch das Prostitutionsschutzgesetz sind Prostituierte nun verpflichtet, ihre Tätigkeit anzumelden, und sie müssen eine verbindliche gesundheitliche Beratung wahrnehmen (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2021). Hiernach erhalten sie eine Anmeldebescheinigung, eine Art Ausweis für Prostituierte. Weiterhin besteht u. a. eine Erlaubnispflicht für Bordelle, die darüber hinaus über ein Geschäftsmodell verfügen und verschiedene Mindestanforderungen erfüllen müssen (z. B. Pausenräume zur Verfügung stellen) (Diakonie Deutschland Infoportal 2021). Außerdem wurde die Kondompflicht bei sexuellen Dienstleistungen eingeführt, jedoch werden bei Missachtung lediglich die Freier belangt (Diakonie Deutschland Infoportal 2021).

Das Gesetz und die damit verbundenen Annahmen sind aber nicht frei von Kritik seitens der Prostituierten und von Vereinen geblieben (Terres des femmes 2017). Der Großteil der Prostituierten in Deutschland stammt aus dem Ausland, v. a. aus osteuropäischen Ländern. Viele von ihnen gehen der Prostitution aus einer finanziellen Notlage nach und werden teils von den eigenen Familien dazu gebracht, sich zu prostituieren, wobei fraglich scheint, ob hier von Freiwilligkeit gesprochen werden kann (Terres des femmes 2017). Es scheint bedenklich, dass der oben genannte Ausweis nicht ausgehändigt wird, wenn Prostituierte zur Prostitution gebracht werden oder „in hohem Maße fremdbestimmt“ arbeiten, hierbei aber tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen müssen und bloße Vermutungen nicht ausreichend sind (Hydra e. V. 2017). Um nach dem Gesetz registriert zu werden, müssen Prostituierte eine Arbeitserlaubnis vorweisen können, wobei gerade die ausländischen Prostituierten aus prekären Verhältnissen nicht über eine solche verfügen und somit auch nicht von dem Gesetz erreicht werden, das sie eigentlich schützen soll (Boehme-Neßler 2019, S. 346). Insbesondere Menschenhändler und Zuhälter verstoßen gegen strafrechtliche Normen, und es erscheint unwahrscheinlich, dass sie sich durch die Anmeldepflicht abschrecken lassen (Boehme-Neßler 2019, S. 346). Somit kann die Anmeldepflicht allein kaum geeignet sein, Prostituierte vor Zwang und Ausbeutung zu bewahren (Boehme-Neßler 2019, S. 346).

Zugleich nehmen zahlreiche Prostituierte den Prostitutionsausweis als Stigma wahr, v. a., da das Prostitutionsschutzgesetz auch etwa TantratherapeutInnen und Menschen aus der Sexualbegleitung betrifft (Buchholz 2019). Denn trotz der Legalität ist Prostitution nach wie vor gesellschaftlich stigmatisiert (Boehme-Neßler 2019, S. 345), weshalb die meisten Prostituierten ihren Beruf geheim halten und eine Art Doppelleben führen. Viele Prostituierte lehnen die Registrierungspflicht ab und legen entweder ihren Beruf nieder oder arbeiten illegal weiter. Insbesondere Zwangsprostituierte, die oftmals über geringe Deutschkenntnisse verfügen, werden sich oft nicht registrieren können und demnach auch keine Hilfe erhalten (Boehme-Neßler 2019, S. 346). Wenn beispielsweise Freier den Kondomzwang ablehnen und mitbekommen, dass eine Prostituierte nicht angemeldet ist, könnten sie dies als Druckmittel benutzen (Buchholz 2019).

Die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes ist mit einigen Befürchtungen verbunden, etwa dass es zu Verstößen gegen den Datenschutz, einem Zwangsouting oder zur Schließung von Betrieben mit guten Arbeitsbedingungen kommt, sich Betroffene in Behörden einer demütigenden Behandlung aussetzen müssen, Rechtsunsicherheiten verbleiben (de Rivière 2019, S. 21) oder Zusatzkosten für eine Registrierung und Übernachtungen sowie eine rechtliche Betreuung entstehen.

Das BKA-Bundeslagebild zu Menschenhandel und Ausbeutung stellt die aktuellen Erkenntnisse zur Entwicklung in diesem Phänomenbereich zusammen, die im Hellfeld bekannt wurden. Im Jahr 2021 wurden 510 Ermittlungsverfahren im Bereich Menschenhandel und Ausbeutung abgeschlossen; es gab 291 Ermittlungsverfahren im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Von den 417 Opfern wurden im Berichtsjahr 2021 20,4 % der Opfer (n = 85) durch eine sog. Loverboy-Methode zur Prostitutionsausübung gebracht. Hierbei spielt der Täter seinem Opfer eine romantische Liebesbeziehung vor, um es im weiteren Verlauf der Abhängigkeitsbeziehung zur Prostitution zu bringen (BKA 2021, S. 9). In 11,4 % (n = 24) der Fälle spielte die Familie bei der Aufnahme der Prostitution als gewerbliche Tätigkeit eine Rolle (BKA 2021, S. 10). Das BKA stellte zudem bei der Ausbeutung von Prostituierten einen Trend zu einer Verlagerung in die Wohnungsprostitution fest (BKA 2021, S. 10). Bordell- und Straßenprostitution scheinen dagegen rückläufig (BKA 2021, S. 26). Dieser Phänomenbereich ist in erster Linie durch (ost-)europäische und südostasiatische Opfer gekennzeichnet. Im Jahr 2021 waren bei den polizeilich festgestellten Opfern von sexueller Ausbeutung lediglich 10,1 % (n = 42) gemäß dem Prostitutionsschutzgesetz angemeldet (BKA 2021, S. 12).

Prostitution ist in Deutschland legal, jedoch in anderen europäischen Ländern rechtlich unterschiedlich geregelt. Die Regelungen reichen von einem generellen Verbot (u. a. Rumänien) bis hin zu Legalität ohne spezifische Regelungen (u. a. Italien), dazwischen gibt es Abstufungen: Teilweise ist beispielsweise das Angebot sexueller Dienstleistungen legal, deren Wahrnehmung aber verboten („Schwedisches Modell“ bzw. auch „Nordisches Modell“ genannt) oder die grundsätzlich legale Prostitution spezifischen Regelungen unterworfen (u. a. Deutschland, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2020, S. 4). Umstritten sind all diese Modelle (zum „Nordischen Modell“; Bell und Sporer 2022). So ist beispielsweise unklar, an welchen Zielen sich die Wirksamkeit der Prostitutionsgesetze messen lässt und wie erfolgreich einzelne Handhabungen wie etwa das „Nordische Modell“ in der Realität tatsächlich sind (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2020, S. 4; Dodillet und Östergren 2012, S. 2 ff.).

Zur Messung der Wirksamkeit, also um herauszufinden, ob beispielsweise ein Sexkaufverbot zu einem Rückgang von Zwangsprostitution und Menschenhandel führt, werden u. a. eine Verbesserung der Situation der Prostituierten sowie ein Rückgang von Menschenhandel und Zuhälterei herangezogen. Obgleich einige Länder hierzu Evaluationen durchführt haben, ist die Datenlage bislang disparat, da die bisherigen Studien keine eindeutigen Ergebnisse liefern und somit unterschiedlich ausgelegt werden können (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2020, S. 5; Dodillet und Östergren 2012, S. 2 ff.; Klein 2021). Das „Nordische Modell“ wurde zwar von einigen Ländern übernommen, länderübergreifende Aussagen über das Modell lassen sich jedoch aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Unterschiede in der Umsetzung nur schwer treffen (Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestages 2020, S. 8). Darüber hinaus kann beispielsweise ein Rückgang der Straßenprostitution einen tatsächlichen Rückgang der Prostitution widerspiegeln, aber auch dafür sprechen, dass sich die Prostitution lediglich räumlich verlagert hat und nun u. a. vermehrt in Wohnungen praktiziert wird, wobei die Kontaktaufnahme häufig im Internet stattfindet. Dies ist empirisch nur schwer zu überprüfen (Dodillet und Östergren 2012, S. 16 ff.).

Durch die Kriminalisierung von Prostitution könnte es u. a. dazu kommen, dass Frauen sich eher scheuen, Hilfe zu suchen oder bei der illegalen Straßenprostitution ihre Geschäfte schneller verhandeln müssen (da sie und die Kunden fürchten, entdeckt zu werden), was das Risiko der Prostituierten erhöht, Kunden falsch einzuschätzen, und sich so beispielsweise in Gefahr zu begeben (Dodillet und Östergren 2012, S. 17).

Aus Nordirland existieren Daten über in der Prostitution tätige Personen vor und nach Einführung des Nordischen Modells im Jahr 2015 (Ellison 2019, S. 17). In einer Untersuchung von Ellison (2019) wurde u. a. eine quantitative Umfrage mit Prostituierten sowie eine quantitative Trendanalyse durchgeführt, um festzustellen, wie sich das Modell in der Praxis auswirkt. Es wurde ein leichter Zuwachs an Angeboten von sexuellen Dienstleistungen nach Einführung des Modells festgestellt. Die Anbahnung der sexuellen Dienstleitungen findet meist im Internet statt. Die Nachfrage scheint vor und nach der Einführung des Nordischen Modells auf einem konstanten Niveau geblieben zu sein (Ellison 2019, S. 1 ff.). Es wird vermutet, dass sich eher harmlose Freier von dem Sexkaufverbot abschrecken lassen, während gewalttätige und missbrauchende Freier nicht abgehalten werden, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen (Ellison 2019, S. 2). Auch die Angriffe auf Prostituierte haben seit Einführung des Gesetzes zugenommen, und es gibt eine erhöhte Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen ohne Kondom und Sexpraktiken, die Prostituierte ablehnen, sowie nach einem reduzierten Preis, da die Freier argumentieren, ein rechtliches Risiko einzugehen (Ellison 2019, S. 2 ff.).

Gegen das mittlerweile auch innerhalb Deutschlands diskutierte Nordische Modell und ein Sexkaufverbot in Deutschland und Europa sprechen sich auch u. a. der Deutsche Frauenrat, die Deutsche Aidshilfe, die Diakonie Deutschland und der Deutsche JuristInnenbund aus (Klein 2021). Diese haben im Jahr 2019 gemeinsam ein Positionspapier verfasst, das u. a. davor warnt, dass, wenn Prostitution vermehrt im Verborgenen stattfindet bzw. eine Strafe droht, Fachberatungsstellen einen erschwerten Zugang zu Prostituierten haben (Klein 2021). Durch ein Sexkaufverbot kann kein sicheres Arbeitsumfeld aufgebaut werden, da die Prostitution im Untergrund stattfindet.

Im selben Jahr fand eine Fachtagung zum Thema „Sexarbeit und Menschenhandel im Spannungsverhältnis zwischen Regulation und Abolitionismus im Spiegel des ProstSchG und des Nordischen Modells“ statt. Hier wurde ebenfalls kritisch betrachtet, dass beim Nordischen Modell in der Prostitution tätige Personen aufgrund ihrer Tätigkeit kriminalisiert werden (Muth 2019, S. 6). Noch ist nicht abzusehen, inwieweit die gesetzlichen Veränderungen durch das Prostitutionsschutzgesetz Menschenhandel und Zwangsprostitution beeinflusst haben. Hierfür müssen die Entwicklungen in den kommenden Jahren verfolgt werden (Blücher 2019, S. 18 ff.).

Huschke Mau argumentierte in der eingangs genannten NDR-Sendung zum Thema Prostitution u. a. mit der Regulation des Marktes über Angebot und Nachfrage, denn für vermarktete Sexualität gäbe es in Deutschland dementsprechend auch ein Angebot (Ross 2022; NDR 2022). Dieses wäre ohne legale Nachfrage nicht entsprechend groß, was Huschke Mau als eine Einladung für Zuhälter und Menschenhändler sieht (NDR 2022). Über die Notwendigkeit der Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution besteht gesellschaftlich und politisch Einigkeit, der Weg einer geeigneten Umsetzung hingegen ist streitig.