Forensische Psychiatrie und Psychologie stehen, da sich wesentliche Teile ihrer Praxis „in foro“ abspielen, unter verschärfter Beobachtung der Öffentlichkeit. Die Akzeptanz ihrer Arbeit schwankt nicht nur in Abhängigkeit von Zeitgeist und politischen Strömungen, sondern auch von der Berichterstattung in den Medien, die sich von seriöser Publizistik bis hin zur Meinungslenkung durch den Boulevard ausspannt. Auch von ihren Mutterdisziplinen, der Psychiatrie und der Psychologie, werden forensische Psychiatrie und Psychologie als vorwiegend praktisch orientierte Fächer häufig mit einer gewissen Skepsis hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Dignität betrachtet. Beide Subspezialitäten sind in stärkerem Maße als andere psychiatrische oder psychologische Teildisziplinen in pragmatische Rahmenbedingungen eingebunden, die bestimmt sind durch die rechtlich definierten Voraussetzungen der Begutachtung und durch die notwendige Kooperation mit anderen forensisch tätigen Fächern, etwa Kriminologie, Rechtsmedizin, Toxikologie und Sozialwissenschaften, bestimmt sind. Derart vielfältige interdisziplinäre Verknüpfungen bringen in den Augen der Herkunftsfächer die Gefahr einer Korrumpierung von Wissenschaftlichkeit mit sich, die oft im Sinne der Grundlagenfächer verstanden wird und sich mit der Anwendungsorientierung nicht gut verträgt.

Es gibt also neben spektakulären Fehlleistungen und Diskrepanzen in manchen Einzelfällen, zuletzt und besonders tiefgreifend im Fall des Anders Breivik, die zu Recht für Aufregung im Blätterwald sorgen, fachimmanente Gründe genug, sich kritisch mit dem Stand der Maßnahmen zur Qualifizierung, zur Qualitätssicherung und zur Qualitätsverbesserung in forensischer Psychiatrie und Psychologie auseinanderzusetzen. Hierzu dienen die Beiträge zum Rahmenthema dieses Heftes, die ergänzt werden durch eine Standortbestimmung zur Kriminologie durch Bock.

Am Beginn steht die standardisierte Dokumentation als unerlässliche Voraussetzung aller weiteren Schritte von Qualitätssicherung und -verbesserung, dargestellt durch Nedopil, der sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich mit dieser Thematik befasst hat. Stärker aus der Sicht der praktischen Anwendung beleuchtet Muysers den gegenwärtigen Stand sowie die Schwächen und Stärken bei der Anwendung der Methoden im Maßregelvollzug. Eine kritische Auflistung der Anforderungen an forensische Gutachten und auch der häufigsten Versäumnisse sowie Mängel gibt Wolf vor dem Hintergrund des reichen Erfahrungsschatzes einer Strafvollstreckungskammer. Die beiden rechtspsychologischen Beiträge von Dahle et al. und Volbert befassen sich mit aktuellen Fragen der Aus- und Weiterbildung sowie mit dem wichtigen Spezialthema der Glaubhaftigkeitsbeurteilung. Die Situation im deutschsprachigen Nachbarland, der Schweiz, stellen Habermeyer und Sachs dar, wobei sich interessante Berührungspunkte mit den Verhältnissen in Deutschland finden, insbesondere was die Möglichkeiten der Therapie im dortigen Rechtssystem angeht. Aus der Sicht des Referats Forensische Psychiatrie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) beschreiben Müller und Saimeh den Entstehungsprozess der Zusatzqualifikation „Forensische Psychiatrie“ in Deutschland, der durch eine Zweigleisigkeit in Form der Schwerpunktbezeichnung durch die Landesärztekammern und das Zertifikat der Fachgesellschaft gekennzeichnet ist. Von Interesse erscheint auch der detaillierte Bericht von Felthous über die Verhältnisse in den USA, wo zum einen ein jahrzehntelanger Weg bis hin zur Anerkennung der forensischen Psychiatrie als eigenständige Disziplin zurückgelegt wurde, zum anderen aber auch Form und Inhalt der Qualifizierung in dieser Subspezialität besonders systematisch geregelt sind.

Aus der Fülle der vorgestellten Themen und Gesichtspunkte ragen zwei besonders wichtige Aspekte heraus. Zum einen muss für die Zusatzbezeichnung „Forensische Psychiatrie“ in unserem Lande überlegt werden, ob es bei der Zweigleisigkeit mit dem Zertifikat der Fachgesellschaft einerseits und der Schwerpunktbezeichnung durch die Ärztekammer andererseits bleiben soll. Ursprünglich hatten die Aktivitäten zur Zertifizierung, die von München und Aachen ausgingen, als wesentliche Ziele, die Subspezialität der forensischen Psychiatrie im Mutterfach der Psychiatrie zu halten und dennoch für eine gewisse Konsolidierung durch systematische Ausbildungscurricula und Qualifizierung zu sorgen. Nachdem es über die Initialzündung des DGPPN-Zertifikats gelungen war, diese Anliegen auch in der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer und den daraus abgeleiteten Schwerpunktbezeichnungen der Landesärztekammern umzusetzen, könnte erwogen werden, ob das DGPPN-Zertifikat weiterhin erforderlich ist. Überblickt man die bisherige Entwicklung und den gegenwärtigen Stand, so könnte für die Zukunft eine zweistufige Gliederung erwogen werden: Die Grundausbildung in forensischer Psychiatrie findet ihre Ausformung in den Regeln für den Erwerb der Schwerpunktbezeichnung durch die Landesärztekammern. Ein deutlich höherer Grad von Kompetenz wird durch die Anforderungen des DGPPN-Zertifikats abgebildet, das über die „Grundversorgung“ hinaus eine besondere Qualifikation und die Eignung für schwierige und schwierigste Begutachtungsfragen in der forensischen Psychiatrie bestätigt.

Der zweite Hauptaspekt hinsichtlich der künftigen Gestaltung von Qualifizierung, Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung wird besonders deutlich in der Arbeit von Felthous dargelegt. Die Qualifizierung darf sich nicht nur auf den Erwerb des fachlichen Wissens konzentrieren, vielmehr müssen unbedingt auch die Fähigkeiten und Kompetenzen in der praktischen Anwendung systematisch vermittelt und regelmäßig geprüft werden. Dies bedeutet eine besondere Ausgestaltung der Zertifizierungsverfahren mit mündlichen und schriftlichen Anteilen unter Einschluss von praktischen Aufgaben und persönlicher Diskussion. Darüber hinaus kann es nicht bei der einmaligen Feststellung einer gewissen Qualifikation bleiben, vielmehr werden, wie in anderen Bereichen der Medizin, Verfahren der kontinuierlichen medizinischen Fortbildung, einschließlich damit verbundener Prüfungsschritte und Peer Reviews, im Sinne einer Rezertifizierung zu entwickeln sein. Modelle dafür finden sich nicht nur, wie Felthous zeigt, in den USA, sondern auch in den Programmen von „Continuing Medical Education“ bzw. „Continuing Professional Development“, wie sie das Royal College in Großbritannien und die European Psychiatric Association (EPA) derzeit schon praktizieren.