Zusammenfassung
Seit der Formalisierung des Hochschulstudiums durch die Prüfungsordnung in den 1960er Jahren ist ‚Begegnung‘ dort noch unwahrscheinlicher als sie angesichts der Asymmetrie zwischen Lehrenden und Studierenden schon war. Die Verringerung der Freiwilligkeit im Lernen und Lehren macht Interaktionen erzwungen.
Der Beitrag zeigt erstens, wie stark das Hochschullernen davon abhängig ist, dass es den Studierenden in ihrer Kompetenzentwicklung gelingt, dem wissenschaftlichen Wissen als stark normativ aufgeladener Konserve einen kreativen persönlichen Ausdruck zu geben. Dabei spielt die Begegnung eine wesentliche Rolle. An einem psychodramatisch orientierten Lehrprojekt zeichnen wir zweitens exemplarisch den Zusammenhang von (Lehr-) Kompetenzentwicklung und innerem Rollwechsel mit den AdressatInnen des Lehrens nach. Anhand von psychodramatischen Schlüsselszenen im Projekt zeigen wir drittens, warum Begegnungsangebote die Voraussetzung für Kompetenzentwicklung sind.
Abstract
Since the 1960s, examination regulations have formalized higher education studies and, as a consequence, the interaction and encounter between university professors and students have decreased and take place less freely.
Three arguments are discussed in this article: 1. The importance for students to find their individual, creative expressions in coping with academic knowledge. 2. Examples of a psychodramatically-oriented course will be introduced, where students have learned to teach from the perspectives of their ‘pupils’. 3. Key situations in psychodramatic work will illustrate the importance that regular, systematic encounters withhold for the competency development of students.
Notes
Von 80 befragten Hochschullehrern, die an hochschuldidaktischen Weiterbildungsworkshops zum Thema Prüfung teilgenommen haben, empfinden 65 Lehren und Prüfen als eindeutig belastend und wenig ertragreich. Wenn sie könnten, würden sie auf diese Tätigkeiten verzichten. Für diese 65 ist der Zusammenhang von Forschung und Lehre faktisch längst aufgehoben. Genauso geben 83 von 101 Studierenden an, die an meiner Vorlesung (von Oliver Reis) teilgenommen haben, dass ihr wöchentlicher Workload durch Aufgaben ausgelastet ist und sie trotzdem nicht wissen, was genau sie wozu in dieser Zeit tun.
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Reis, O., Szczyrba, B. Begegnung im Lernfeld Hochschule. Z Psychodrama Soziometr 9, 281–295 (2010). https://doi.org/10.1007/s11620-010-0085-2
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