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Die Bundestagswahl vom 18. September 2005: Votum für Wechsel in Kontinuität

The election of the German Bundestag on September 18, 2005: Vote for change in continuity

  • Aufsatz
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Zeitschrift für Parlamentsfragen

Zusammenfassung

  1. (1)

    Bei der Bundestagswahl 2005 setzt sich der Trend zu steigender Volatilität fort: Die Wähler entscheiden sich immer später, nehmen immer häufiger die Möglichkeit des Stimmensplittings wahr, wechseln öfter die Parteipräferenz beziehungsweise bleiben der Bundestagswahl häufiger fern — noch nie war die Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl niedriger als am 18. September 2005.

  2. (2)

    Die Wähler entzogen der rot-grünen Koalition nach der zweiten Amtsperiode klar das Vertrauen, sie verwehrten aber fast ebenso eindeutig Union und FDP eine regierungsfähige Mehrheit. Die CDU/CSU erreichte 35,2 Prozent der Stimmen (−3,3 Prozentpunkte gegenüber 2002), die SPD 34,2 (−4,3). Drittstärkste Partei wurde die FDP mit 9,8 Prozent (+2,4). Es folgen die Linke/PDS mit 8,7 Prozent (+4,7) und Bündnis 90/Die Grünen mit 8,1 (−0,5).

  3. (3)

    SPD und Grüne haben diese Wahl verloren, weil ihre Wähler vom Kurs der Bundesregierung nicht mehr überzeugt und große Teile der SPD-Klientel mit der Politik ihrer Partei sogar ausgesprochen unzufrieden waren. Schröders Reformagenda stieß auf große Vorbehalte, die wegen ausbleibender Erfolge nicht ausgeräumt werden konnten.

  4. (4)

    Union und FDP haben die Wahl nicht gewonnen, weil ihnen zu viele Wähler nicht zutrauten, die anstehenden Probleme besser lösen zu können als SPD und Grüne. Vor allem die Union schnitt wider Erwarten schlecht ab, weil sie enttäuschte SPD-Wähler mit ihrem Programm nicht dauerhaft binden konnte. Die von ihrem designierten Finanzminister Paul Kirchhof ausgelösten Irritationen über das Steuerkonzept der Union verunsicherten Teile der eigenen Wählerschaft und trugen dazu bei, dass einige Wähler zur Linkspartei beziehungsweise ins Nichtwählerlager abwanderten, andere sich kurzfristig für die Liberalen entschieden, was zu einer Stärkung der FDP innerhalb des bürgerlichen Lagers führte.

  5. (5)

    Beide Volksparteien gingen letztlich als klare Verlierer aus der Wahl hervor, selbst bei ihren traditionellen Wählergruppen fehlte es an Unterstützung. So kam die SPD nur noch bei den organisierten Arbeitern auf knapp über 50 Prozent der Zweitstimmen, die Union schaffte dies nicht einmal mehr bei ihrer Kernwählerschaft, den katholischen Wählern. Den Volksparteien gelang es nur unzureichend, mit ihren Politikangeboten breite Bevölkerungsschichten zu integrieren. Dies wurde insbesondere bei der in dieser Wahl entscheidenden Frage der künftigen Gestaltung der Sozialsysteme und der Zukunft der Solidargesellschaft deutlich. Vor allem Personengruppen, für die diese Themen von besonderer Bedeutung sind — Niedrigeinkommensbezieher, Arbeiter, Arbeitslose —, wandten sich in großer Zahl von den beiden Volksparteien ab, weil sie deren Lösungskonzepten nicht mehr vertrauten.

  6. (6)

    Gewinner waren die zwei Parteien, die im Widerstreit der Reformansätze die beiden Extrempositionen einnahmen: Die FDP, die für eine Beschränkung staatlicher Eingriffe und für mehr Eigenverantwortung bei der privaten Vorsorge eintrat, punktete vor allem bei Selbstständigen und Besserverdienenden. Die um die WASG erweiterte PDS, der die von Bundeskanzler Schröder eingeleiteten Reformen zu weit gingen und die für mehr staatliche Einflussnahme und stärkere Belastungen der höheren Einkommensgruppen stritt, gewann mit Lafontaine und Gysi an der Spitze deutlich an politischem Profil und damit auch an Wählerzuspruch vor allem bei Arbeitern und Arbeitslosen.

  7. (7)

    Wäre es nur nach der Präferenz der Spitzenkandidaten gegangen, wäre wiederum Gerhard Schröder als Wahlsieger hervorgegangen, denn eine Mehrheit — wenn auch nicht eine ganz so deutliche wie vor drei Jahren — hätte nach wie vor ihn lieber als Kanzler gesehen als Angela Merkel. Bei dieser Wahl standen aber für Wähler aller Parteien eindeutig die Sachthemen und die Lösungskompetenzen der Parteien im Vordergrund. Im Wahlkampf gelang es der SPD und Schröder besser als der Union, die für ihre Wählerklientel wichtigen Themen zu kommunizieren, den knappen Wahlsieg der Union konnten sie gleichwohl nicht verhindern.

  8. (8)

    Regional bleibt das Wahlgebiet dreigeteilt. Im katholisch geprägten Süden blieb die Union stärkste Kraft, was sie ansonsten bei dieser Wahl nur noch in Sachsen schaffte. Im Osten hat sie ungeachtet dessen weiter an Boden verloren und ist in manchen neuen Bundesländern nur noch drittstärkste Partei hinter der Linkspartei. Diese erzielte in den neuen Ländern ihr bestes Ergebnis seit der Vereinigung, hat sich durch das Zusammengehen mit der WASG aber auch in den alten Bundesländern als ernstzunehmende Kraft etabliert. Stärkste Partei im Osten blieb aber, trotz großer Verluste in Richtung Linke, die SPD. Dies gelang ihr auch im Nordwesten, wo sie durchweg auf mehr Stimmen kam als die CDU. Insgesamt wurde die SPD in elf Ländern stärkste Partei, CDU/CSU nur in vier. FDP und Grüne behielten, trotz leichter Zugewinne im Osten, ihren Schwerpunkt in den alten Bundesländern, wo sie vor allem in den Großstädten und den Universitätsstädten punkteten.

  9. (9)

    Die Stärkung der kleinen Parteien bedeutete auch eine Verfestigung des Fünf-Parteien-Systems, das seit der deutschen Einheit den Bundestag kennzeichnet. Da die Linkspartei, mit der alle anderen eine Koalition ausschlossen, ihren Stimmenanteil verdoppelte und die Zahl ihrer Sitze vervielfachte, verfügten am Ende weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb über eine regierungsfähige Mehrheit. Weil sich gleichzeitig durch die Wahl die Lagergrenzen eher noch verfestigten und weder die FDP noch die Grünen zu einem „Übertritt” in eine Dreier-Koalition bereit waren, blieb am Ende nur die Bildung einer Koalition der beiden Volksparteien unter der Führung von Angela Merkel als erster Kanzlerin der Bundesrepublik und Franz Müntefering als Vizekanzler. Bei einem Fünf-Parteien-System dürften andere Zweierkoalitionen künftig rechnerisch immer schwieriger werden. Von allen Parteien ist deshalb ein höheres Maß an programmatischer Flexibilität gefordert, um künftig in Deutschland auch auf Bundesebene Dreierbündnisse zu ermöglichen.

Abstract

On September 18, 2005 the parties of the incumbent German government suffered considerable losses, the dissatisfaction with the second term of the red-green coalition had been too big. However, CDU/CSU and FDP also clearly missed the majority. Though the voters had confidence that these parties could promote economic development they did not trust them to solve the problems on the labor market. Their farreaching plans to reconstruct the social systems and the tax system raised serious doubts that the expected benefits from the longed for economic revival would be fairly distributed. The Social Democrats (SPD) were able to use these doubts for a successful mobilization of their voters in the final campaign period. Many voters who were strongly unsettled by the consequences of globalisation — especially workers and unemployed — did not trust the two big catch-all-parties but voted for the Left.PDS. Its gain finally resulted in a constellation where neither of the two political camps (neither CDU/CSU and FDP nor SPD and Greens) was able to achieve a majority. As a consequence the only sustainable majority turned out to be a grand coalition of CDU/CSU and SPD. In forcing such a coalition the voters did not rebuff further reforms. Instead their decision reflects that the majority is in favor of reforms within the existing system, as well as for retaining a society showing solidarity and for continuity in important social policy and foreign policy issues. Different from the two preceding national elections, political issues were clearly the focus in 2005 whereas the question who should be chancellor was less important.

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Hilmer, R., Müller-Hilmer, R. Die Bundestagswahl vom 18. September 2005: Votum für Wechsel in Kontinuität. Zparl 37, 183–218 (2006). https://doi.org/10.1007/s11619-006-0014-8

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