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Die schleswig-holsteinische Landtagswahl vom 20. Februar 2005: Geheime Stimmverweigerung für Ministerpräsidentin Heide Simonis erzwingt Große Koalition

The election of the Schleswig-Holstein State Parliament of February 20, 2005: Secret denial of support for Prime Minister Heide Simonis enforces grand coalition

  • Dokumentation und Kurzanalysen
  • Published:
Zeitschrift für Parlamentsfragen

Zusammenfassung

  1. (1)

    Verlauf und Ergebnis der schleswig-holsteinischen Landtagswahl 2005 wurden von bundespolitischen Einflüssen mitbestimmt. Die dominanten Themen im Land waren zugleich bedeutende Themen der Bundespolitik. Die Wahl galt als wichtiger Test für die Bundesregierung und die Unions-Kanzlerkandidatin in spe, Angela Merkel, sowie als Vorbote der richtungsweisenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai.

  2. (2)

    Die bisherige rot-grüne Landesregierung kämpfte mit Gegenwind aus Berlin. Zugleich konnte sie die Schleswig-Holsteiner mit ihrer landesspezifischen Leistungsbilanz der letzten fünf Jahre nicht überzeugen. Dazu kamen Affären, die Rot-Grün belasteten.

  3. (3)

    Im stark personalisierten Wahlkampf konnte die SPD ihrer ungünstigen wahlpolitischen Position eine sehr populäre Ministerpräsidentin entgegensetzen. Die Union punktete zwar bei den wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Kompetenzbewertungen, präsentierte sich aber letztlich weder inhaltlich noch personell als wirklich überzeugende Alternative.

  4. (4)

    Die CDU legte gegenüber der letzten Landtagswahl stark zu und wurde mit 40,2 Prozent stärkste Kraft in Schleswig-Holstein. Die SPD erzielte ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 47 Jahren (38,7 Prozent) und rutschte damit bei Landtagswahlen erstmals seit 1987 wieder auf den zweiten Platz. Sie verlor vor allem Wähler an die Union. Auch bei den Direktmandaten mussten die Sozialdemokraten erhebliche Einbußen hinnehmen.

  5. (5)

    Die Grünen stagnierten (6,2 Prozent) und waren damit nicht in der Lage, das rot-grüne Bündnis zu retten. Die FDP verlor einen Prozentpunkt, blieb mit 6,6 Prozent aber dritte Kraft im Land. Die angestrebte schwarz-gelbe Mehrheit der Wähler-stimmen wurde so knapp verfehlt. Der SSW konnte mit 3,6 Prozent der Stimmen das sehr gute Ergebnis von vor fünf Jahren (4,1 Prozent) nicht wieder erreichen.

  6. (6)

    Befürchtungen der etablierten Parteien vor dem Erstarken der rechtsradikalen NPD bestätigten sich nicht. Obwohl die DVU zugunsten der NPD auf eine Kandidatur verzichtet hatte, um sich im rechten Lager nicht gegenseitig Stimmen wegzunehmen, erreichte die angetretene NPD nur 1,9 Prozent.

  7. (7)

    Die Pattsituation zwischen rot-grünem und schwarz-gelbem Lager im Kieler Landtag entsprach dem Fehlen einer eindeutigen Wechselstimmung im Land. Das Wählervotum fiel unentschlossen aus. Die Wahlbeteiligung war mit 66,5 Prozent so niedrig wie noch nie bei einer Landtagswahl in Schleswig-Holstein.

  8. (8)

    Der unentschiedene Wahlausgang führte zu heftigen öffentlichen Kontroversen darüber, wer nach der Wahl zur Regierungsbildung legitimiert war. Neben dem „Wahlverlierer” SPD wurde insbesondere der SSW unter Druck gesetzt. Politische Gegner und einige Presseorgane sprachen seinen Abgeordneten das Recht ab, über die mögliche Tolerierung eines rot-grünen Minderheitskabinetts an der Regierungsbildung mitzuwirken. Die dabei praktizierte rhetorische Ausbürgerung seiner Mandatsträger und Wähler ging mit eigenwilligen Konstruktionen von „deutschen Mehrheiten” jenseits des förmlich festgestellten Wahlergebnisses einher und führte 50 Jahre nach den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen zu einer Wiederbelebung deutsch-dänischer Ressentiments im nördlichsten Bundesland.

  9. (9)

    Trotz einstimmiger Parteitagsbeschlüsse für eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung des SSW scheiterte Heide Simonis bei der Wahl zur Ministerpräsidentin. Eine anonyme Stimmverweigerung, die in der SPD-Fraktion vermutet wurde, erzwang die Bildung einer Großen Koalition.

  10. (10)

    Nach dem gescheiterten Regierungsbildungsversuch von SPD, Grünen und SSW (und dem Rückzug von Heide Simonis) schwenkte die SPD sehr schnell auf einen neuen Kurs um und nahm Verhandlungen mit der CDU auf. An deren Ende stand die erste Große Koalition in der Geschichte Schleswig-Holsteins unter dem christdemokratischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen.

Abstract

The election of the state parliament in February 2005 led Schleswig-Holstein into turbulent weeks of contested government formation. In spite of their popular Prime Minister, the Social Democrats (SPD) had to pocket heavy losses, while the Christian Democrats (CDU) became the strongest party. As the Liberals (FDP) lost one percentage point, CDU and FDP failed to get the majority needed to form the coalition they were striving for. On the other hand, the SPD and the Greens could build a government only with the help of the SSW, a party representing Danish and Frisian minorities in Schleswig-Holstein. When the SSW declared its willingness to support a minority government of SPD und the Greens, it faced strong warnings from Christian Democrats and Liberals. The latter sometimes even denied SSW MPs the right to take part in forming the government at all. In spite of such campaigns, SPD, the Greens and SSW negotiated a government program. Although the three parties had a one seatmajority in the state parliament, one MP did not cast his vote in the secret election of Heide Simonis as Prime Minister, thus forcing her party to join a grand coalition with the CDU under Peter Harry Carstensen. In retrospect, the post-electoral politics of Schleswig-Holstein appears as a first step on the way towards the early election of the Bundestag in autumn 2005.

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Saretzki, T., Tils, R. Die schleswig-holsteinische Landtagswahl vom 20. Februar 2005: Geheime Stimmverweigerung für Ministerpräsidentin Heide Simonis erzwingt Große Koalition. Zparl 37, 145–163 (2006). https://doi.org/10.1007/s11619-006-0012-x

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