1 Einleitung

Reflexion kann als ein wichtiges Element der Professionalisierung von Lehrkräften betrachtet werden (siehe u. a. Abels 2011; Copeland et al. 1993; Kılıç 2022; Nilsson 2006; Terhart 2002; von Aufschnaiter et al. 2019). Lehrerinnen und Lehrer werden in diesem Sinne auch als Reflective Practitioner (Abels 2011; Schön 1983, 1987) bezeichnet, die sich stetig, aktiv und selbstgesteuert weiterentwickeln. Fachwissen und Erfahrung spielen dabei zwar eine wichtige Rolle, bedürfen aber der Reflexion, um eine professionelle Entwicklung anzustoßen (Loughran 2002; Nilsson 2006). Die Inhalte von unterrichtsbezogener Reflexion können sowohl fachspezifisch als auch fächerübergreifend sein, wie bspw. das Thema Klassenführung, das durch die Reflexion von Unterrichtsvideos (siehe Bönte et al. 2021) bereits frühzeitig im Lehramtsstudium behandelt werden kann, um eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis herzustellen (Krammer und Reusser 2005; Krammer et al. 2012). Der Einsatz von Unterrichtsvideos als einem „window into practice“ (Zhang et al. 2011, S. 459) hat sich dazu bereits empirisch bewährt und etabliert (siehe u. a. Blomberg et al. 2013; Bönte et al. 2021; Borko et al. 2011; Lenske et al. 2022b; Santagata 2014; Sherin 2004). Videos ermöglichen es, Unterrichtssituationen theoriebasiert zu analysieren und in diesem Kontext Handlungsalternativen für zukünftige Unterrichtssituationen zu entwickeln. Dies geschieht ohne den unmittelbaren Handlungsdruck der Realsituation in Form einer Art stellvertretenden Erfahrung (Hixon und So 2009). So kann fallbasiert (Shulman 1992) sowohl in der persönlichen Auseinandersetzung als auch bereichert durch den Austausch mit anderen (Lave und Wenger 1991) gelernt werden (siehe auch Krammer und Reusser 2005). Durch inszenierte Best-Practice-Beispiele kann der Einblick in die Praxis außerdem in seiner Komplexität reduziert und aus methodisch-didaktischer Perspektive erwünscht gestaltet werden (Lenske et al. 2022a). Es ist zudem im Rahmen von staged Videos möglich, das von angehenden Lehrpersonen für ihre eigene spätere Praxis als positiv erachtete Handeln in den Fokus zu stellen (Korthagen et al. 2014). Negative Emotionen, wie sie durch eigenes ungünstiges bzw. nicht mit dem eigenen Idealbild übereinstimmendes Handeln in der Realsituation oder in der Erinnerung daran hervorgerufen werden können, stehen nicht selten der Offenheit gegenüber einer Reflexion entgegen (siehe Mälkki 2012). Solche Hemmnisse werden durch die Beobachtung von inszenierten Fällen nicht in gleicher Intensität erzeugt. Die Videobetrachtung erlaubt es, eine Beobachtendenrolle einzunehmen und sich dennoch in die Situation hineinzuversetzen, einen Bezug zur eigenen Person inklusive Fähigkeiten, Überzeugungen, Werten, typischen Verhaltensweisen, Emotionen, und eigenen Erfahrungen herzustellen oder auch zukünftiges Handeln zu imaginieren. Dieser Selbstbezug muss jedoch erst durch das Individuum erzeugt werden. Ob und im Hinblick auf welche Bereiche dies Lehramtsstudierenden im Bachelor gelingt und wie vertieft sich dieser Selbstbezug gestaltet, soll nachfolgend im Rahmen einer qualitativen Untersuchung von schriftlichen Selbstbezügen, die zu einer unterrichtsbezogenen Videoanalyse angefertigt wurden, näher erforscht werden. Davon ausgehend soll auch ein Analyseschema zur Erfassung und Kategorisierung des Selbstbezugs entwickelt werden. Zu klären ist außerdem, in welchem Zusammenhang das Herstellen und Vertiefen eines Selbstbezugs mit anderen individuellen Voraussetzungen wie der Motivation sowie dem Interesse an der Aufgabe steht. In Anlehnung an Motivationstheorien, wie die Selbstbestimmungstheorie der Motivation (siehe Deci und Ryan 1985) oder auch das Erwartungs-mal-Wert-Modell (siehe Atkinson 1957), ist davon auszugehen, dass die genannten motivationalen Konstrukte mit der Qualität und Quantität des Selbstbezugs in Zusammenhang stehen. Zuvor sollen jedoch die Begriffe Reflexion und Selbstbezug sowie ihr Verhältnis zueinander näher betrachtet werden.

2 Reflexion und Selbstbezug

Trotz der Übereinstimmung bezüglich der Relevanz von Reflexion im Kontext der Lehrkräftebildung als einem wichtigen Instrument zur Bewältigung neuer und wachsender Herausforderungen sowie fortwährender Professionalisierung besteht hinsichtlich einer genauen Definition des Begriffs weniger Klarheit (siehe von Aufschnaiter et al. 2019). Aus kognitionspsychologischer Sicht kann Reflexion als „das ‚Sich-zurück-Wenden‘ des Denkens und des Bewusstseins auf sich selbst“ (Lutz 2022, S. 1532) definiert werden. Immanent ist der Wortbedeutung dementsprechend das Herstellen eines Selbstbezugs. Metakognitionspsychologisch meint Reflexion insbesondere „die Fähigkeit, eigenes Verhalten, mentale Konzepte, Gefühle und Haltungen wahrzunehmen und in Bezug zur Umwelt kritisch zu hinterfragen. Sie ist notwendige Voraussetzung, um aus gemachten Erfahrungen zu lernen, vor, während oder nach dem Ereignis“ (Lutz 2022, S. 1532).

Schon der Reformpädagoge Dewey (1933) betonte den enormen Stellenwert der Reflexion im Kontext von Bildungsprozessen. Während Dewey (1933) Reflexion im schulischen Kontext vor allem auf den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler, u. a. unter Einbezug ihrer Erfahrungswelt, bezog, prägte Schön (1983, 1987) den Begriff auch im Kontext der Lehrkräftebildung (siehe auch Lutz 2022). So gilt Reflexivität als entscheidend, wenn es um die effektive Auseinandersetzung mit eigenen Unterrichtserfahrungen oder videographierten Unterrichtssituationen geht (u. a. Albers 2020; Baumert und Kunter 2006; Krammer und Reusser 2005; Loughran 2002). Explizit erwähnt wird sie zudem in den Standards für die Lehrkräftebildung (Kultusministerkonferenz der Länder 2019). Auch wenn in ihrem Rahmen u. a. Situationen analysiert sowie alternative Handlungsmöglichkeiten und Lösungen exploriert werden, geht es im Kontext einer vertieften Reflexion um weit mehr. Ein Modell, das die Gefahr der Flüchtigkeit von Reflexion als einem Weg zu schnellen Lösungen zu überwinden versucht, liefern Korthagen und Vasalos (2005, 2010). In ihrem onion model unterscheiden sie sechs Schichten, die den Blick von der Vergangenheit bis hin zu einer idealen Zukunft richten und so zu einer vertieften und nachhaltigen Reflexion führen sollen. Diese Schichten oder auch core dimensions bezeichnen Korthagen und Vasalos (2005) als: Umwelt bzw. Kontext (Environment), Verhalten (Behavior), Kompetenzen (Competencies), Überzeugungen (Beliefs), Identität (Identity) und Mission als einer höheren Sinndimension (Mission). Erkennbar wird daran ein Verständnis von Reflexion, das über die Analyse einzelner Situationen und Problemstellungen hinausgeht und, orientiert an den core dimensions, einen tiefen Bezug zur eigenen Person, ihrem Bezugssystem bis hin zu einem persönlichen übergeordneten Ziel, das dem eigenen Handeln Sinnhaftigkeit verleiht, herstellt. Mit den core dimensions sind somit Ankerpunkte zur Herstellung eines Selbstbezugs bzw. den Blick nach Innen (Korthagen 1999) benannt. Die Rückspiegelung auf die eigene Person bietet im Rahmen der Core Reflection somit das Potenzial beim Durchdringen der Schichten, innere Hindernisse zu entdecken und im Entwicklungsprozess zu überwinden (Korthagen und Vasalos 2010). Bleibt dieser Selbstbezug aus, besteht z. B. die Gefahr, dass die Analyse beobachteter Unterrichtssituationen unverbunden zur eigenen Kompetenzentwicklung erfolgt. D. h. es wird nicht im Sinne der eigenen Professionalisierung überlegt, welche Teilfähigkeiten und -fertigkeiten bereits vorhanden sind und welche noch (weiter-)entwickelt werden müssen, um bspw. in einem Best- bzw. Good-Practice-Beispiel beobachtete Handlungen selbst adäquat umzusetzen bzw. erfolgreich auf die eigene Praxis zu transferieren. Dies könnte die Wahrscheinlichkeit reduzieren, von eigener Seite weiterführende Anstrengungen zum Ausbau entsprechender Kompetenzen zu unternehmen.

Darüber hinaus findet sich der Selbstbezug als Bestandteil vertiefter pädagogischer Reflexion auch in ausgewählten Stufenmodellen wie von van Manen (1977), Hatton und Smith (1995) sowie Larrivee (28,29,a, b) wieder. In allen drei Modellen werden im Wesentlichen drei Stufen pädagogischer Reflexion in einem engeren Verständnis unterschieden, denen teilweise weitere Vorstufen vorangehen (siehe dazu ausführlich Lenske und Lohse-Bossenz im Druck).

Bei van Manen (1977) gehört der Bezug zu eigenen individuellen und kulturellen Erfahrungen, Werteverpflichtungen, aber auch Annahmen und Vorurteilen zur zweiten Stufe. Demgegenüber wird auf der ersten Stufe vornehmlich nach effizienten Lösungen gesucht. Es geht lediglich um die technische Anwendung pädagogischen Wissens zur Erreichung eines bestimmten Ziels. Auf der dritten Stufe wird auch die Institution (Schule), in der das pädagogische Handeln stattfindet, kritisch hinterfragt, womit die Auseinandersetzung in einen übergeordneten Kontext gerückt wird.

Bei Hatton und Smith (1995) geht der Reflexion, u. a. bezugnehmend auf van Manen (1977), eine Beschäftigung mit wahrgenommenen vorhandenen oder fehlenden Strategien und Techniken voraus, was als eine Art Vorstufe bezeichnet werden kann. Daran anknüpfend wird die eigene Performance in den Blick genommen. Doch nur wenn die Ausführungen auch begründet werden, wird von Reflexion im engeren Sinne gesprochen. Das reine Beschreiben wird ebenfalls mehr als Vorstufe angesehen. Auf der höchsten Stufe werden eigenes Handeln und Ziele in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen betrachtet, woraus ein deutlicher Selbstbezug hervorgeht.

Auch Larrivee (28,29,a, b) stellt den Stufen der Reflexion eine vorgeschaltete pre-reflection sowie surface reflection voran. Auf diesen werden Situation und Handlungen nicht hinterfragt bzw. mehr oberflächlich betrachtet. Auf der ersten Reflexionsstufe geht es, wie schon bei van Manen (1977), vor allem um die Effizienz von Methoden bzw. Lösungen. Auf der zweiten steht dann die Beschäftigung mit eigenen Erfahrungen, aber auch zur Thematik passenden Theorien und Befunden. Die vertiefte Auseinandersetzung mit persönlichen Werten und Überzeugungen, die das Handeln von Lehrkräften prägen, sowie deren Auswirkungen folgt auf der dritten Stufe. Ähnlich wie bei van Manen (1977) sowie Hatton und Smith (1995) sind auf dieser Ebene die Auseinandersetzung mit der Institution Schule einschließlich ihrer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Verwirklichung demokratischer Ideale durch das eigene Handeln sowie soziale Gerechtigkeit und ethische Aspekte zu verorten. Das Herstellen eines Bezugs zur eigenen Person lässt sich bei Larrivee (28,29,a, b) schon ab Stufe zwei erkennen, wenn auf eigene Erfahrungen rekurriert wird. Der Selbstbezug wird darauf aufbauend ausgeweitet bzw. vertieft und in höhere Zusammenhänge eingeordnet.

Müller (2010) unterscheidet in konkretem Bezug auf die Lehrkräftebildung, wobei es auch um die Reflexion eigener und nicht nur beobachteter Unterrichtssituationen geht, ebenfalls drei Qualitäten von Reflexion, die er auch als Stellungen des Gedankens bezeichnet (siehe dazu zusammenfassend Abendroth-Timmer 2017). Als klassisches Stufenmodell ist sein Ansatz jedoch nicht einzuordnen. Die erste Stellung, der Reflex, bezieht sich lediglich auf das Objekt der Reflexion, z. B. alltägliche Unterrichtsroutinen, nicht aber auf das reflektierende Subjekt selbst. In Bezug auf die Professionalisierung von Lehrkräften kann das Subjekt jedoch Teil des Reflexionsobjekts sein (siehe Abendroth-Timmer 2017). Dies ist bspw. der Fall, wenn es um eigenes Handeln geht. Die zweite Stellung, die ReflektionFootnote 1, bezieht das Subjekt nicht nur ausdrücklich mit ein, der Einbezug ist nach Müller (2010) auch ein wesentliches Kriterium. Auf dieser Stellung, die zwischen dem Reflex und der Reflexion steht, findet eine Art Selbstbesinnung statt, bei der eigenes Handeln hinterfragt und blinde Flecken aufgedeckt werden (Müller 2010). Wahrnehmungen werden nicht nur beschrieben, sondern auch begründet (siehe Abendroth-Timmer 2017). Die dritte Stellung nach Müller (2010), nun bezeichnet als Reflexion, vereint die ersten beiden. Der Kontext und sein Einfluss auf das eigene Handeln werden zudem selbst Gegenstand der Reflexion (siehe auch Abendroth-Timmer 2017). Durch das Durchlaufen des Reflexionsprozesses wird der Ausgangsgedanke angereichert, woraus neue Handlungsmöglichkeiten und Erkenntnisse mit konkretem Selbstbezug entstehen können. Demgegenüber wird der Verselbstständigung unhinterfragter Handlungsmuster entgegengewirkt (Müller 2010). Reflexion ist nach Müller (2010) an das Ich, seine Identität, Biographie und Sozialisation gebunden und weist dennoch über dieses hinaus. Er versteht Reflexion als „eine prozesshafte, dynamische, offene Selbstbeziehung, die gleichzeitig auf eine Erweiterung dieser Selbstbeziehung abzielt“ (Müller 2010, S. 48). Um ein höheres Niveau der Reflexivität in der Lehrkräftebildung zu erreichen, fordert er einen Maßstab, den er in der dritten Stellung vermittelt sieht (Müller 2010). Müllers (2010) Verständnis unterstreicht damit ausdrücklich die Immanenz des Selbstbezugs (siehe auch Lutz 2022) bzw. der Selbstbeziehung im Reflexionsprozess.

Trotz der gegebenen Unterschiedlichkeit der verschiedenen Modelle nach van Manen (1977), Hatton und Smith (1995), Larrivee (28,29,a, b) sowie Müller (2010) lassen sich dennoch auch Parallelen erkennen. Diese betreffen nicht nur den professionellen pädagogischen Kontext, sondern bspw. auch die Betonung eines Bezugs zur eigenen Person, der insbesondere die höheren Ebenen betrifft bzw. Reflexion in einem engeren Verständnis kennzeichnet. Die möglichen Anknüpfungspunkte bzw. Dimensionen, an denen ein Selbstbezug im Kontext professioneller pädagogischer Reflexion ansetzen kann, sind in Abb. 1 in Orientierung an den core dimensions nach Korthagen und Vasalos (2005) visualisiert, wobei die Darstellung prinzipiell für Erweiterungen offen ist. Einschränkend ist dabei zu erwähnen, dass dieser Selbstbezug, dessen Bedeutung im Kontext von Reflexion zwar über die exemplarisch genannten Modelle hinaus von verschiedenen Autorinnen und Autoren expliziert wird (siehe u. a. Aeppli und Lötscher 2016; Beauchamp 2015; Lutz 2022; Poldner Simons et al. 2012; Toom et al. 2015), keinem einheitlichen begrifflichen Verständnis folgt und die gezogenen Verbindungen daher nicht als Gleichsetzungen zu betrachten sind. In der Abbildung nicht hervorgehobene Verbindungen stellen außerdem keinen Ausschluss dar, sondern treten lediglich weniger explizit hervor. Dieses Begriffsverständnis auszuschärfen und den theoretisch als reflexionsimmanent zu bezeichnenden Selbstbezug empirisch messbar zu machen, kann als Desiderat bezeichnet werden, dem sich der vorliegende Beitrag widmet. Denn erst die Messbarkeit des Selbstbezugs erlaubt es, dessen Einfluss auf die Kompetenzentwicklung bspw. im Kontext reflexionsbasierter Trainings- sowie Fortbildungseinheiten zu untersuchen und genau zu bestimmen.

Abb. 1
figure 1

Ansatzpunkte zur Herstellung eines Selbstbezugs im Kontext professioneller pädagogischer Reflexion in Anlehnung an die core dimension nach Korthagen und Vasalos (2005)

Im Folgenden wird professionelle Reflexion in pädagogischen Kontexten in Bezug auf Lenske und Lohse-Bossenz (im Druck) verstanden als „ein anlassbezogener mentaler Prozess, der unter explizitem Selbstbezug auf ein erweitertes Verständnis pädagogischer Praxis abzielt.“ Eine Reflexion mit Selbstbezug liegt in diesem engeren Sinne nur dann vor, wenn vom Gegenstand der Reflexion eine Rückspiegelung zur eigenen Person stattfindet. Diese ist bspw. gegeben, wenn eine Handlungsalternative nicht nur benannt und im Hinblick auf ihre generelle Machbarkeit hin diskutiert wird, sondern reflektiert, ob sie auch persönlich umsetzbar ist, was dazu in konkretem Bezug auf die eigene Person notwendig ist oder aber, warum sie einem persönlich widerstrebt. Die Dimensionen, hinsichtlich derer ein Selbstbezug potenziell hergestellt werden kann, werden zwar in Reflexionsmodellen in unterschiedlicher Präzision angerissen (siehe Hatton und Smith 1995; Korthagen und Vasalos 2005; Larrivee 28,29,a, b; Müller 2010; van Manen 1977), eine genaue Operationalisierung, wie sich diese in den Äußerungen (angehender) Reflective Practitioner bei der Reflexion von Unterrichtssituationen erweisen, steht jedoch aus. Exploriert werden soll vor diesem Hintergrund, inwiefern bzw. in Bezug auf welche Dimensionen Lehramtsstudierende, die noch am Beginn ihrer professionellen Laufbahn stehen, einen Selbstbezug bei der Reflexion von Unterrichtsvideos herstellen (können). Da es zur Erfassung des Selbstbezugs bislang kein entsprechendes Analyseschema gibt, ist die Entwicklung eines solchen in die nachfolgend beschriebene Forschung inkludiert.

3 Fragestellungen

Ausgehend von der Bedeutung des Selbstbezugs als zentralem Bestandteil vertiefter pädagogischer Reflexion (siehe auch Lenske und Lohse-Bossenz im Druck; Lohse-Bossenz et al. im Druck) sollen folgende Fragen erforscht werden: 1.) Hinsichtlich welcher Dimensionen stellen Lehramtsstudierende im Bachelor bei der Reflexion videobasierter Unterrichtssituationen einen Selbstbezug her? 2.) Wie vertieft können sie diesen Selbstbezug explizieren? 3.) Inwiefern lassen sich Zusammenhänge zwischen Umfang (Quantität), Vertiefung (Qualität) und der Motivation zur Herstellung eines Selbstbezugs sowie dem situationalen Interesse feststellen?

4 Studiendesign

4.1 Datenerhebung

Die Erhebung der Daten fand im Rahmen einer Vorlesungssitzung statt, die sich an Lehramtsstudierende im Bachelor richtete. Sie ist außerdem Teil des Projekts PROXI – Professionswissen und Reflexion in InteraktionFootnote 2. Innerhalb der Sitzung fanden insgesamt drei Reflexionen zu Unterrichtsvideos (siehe Lenske et al. 2022a) mit unterschiedlichen Inhalten, jedoch immer mit Fokus auf Klassenführung statt. Eine Besprechung der Reflexionen wurde erst nach der dritten und damit letzten vorgenommen. Das Analysieren eines Unterrichtsvideos mit Fokus auf Klassenführung sowie das Herstellen eines Selbstbezugs wurde in einer vorangehenden Sitzung exemplarisch veranschaulicht und erprobt. Datengrundlage des im Fokus stehenden Teilprojekts PROXI‑S bilden die Befragungsergebnisse, die in Bezug auf das zweite Video angefertigt wurden. Als einziges der drei Videos wurde es von allen Studierenden unter gleichen Bedingungen und zum selben Zeitpunkt angesehen. Im Video, das als Best- bzw. Good-Practice-Beispiel konzipiert ist, geht es um die spielerische Gestaltung einer Vokabelwiederholung zu Beginn einer Englischstunde in der Sekundarstufe I. Die Bearbeitung der schriftlichen und digital durchgeführten Befragung, die mit der Erfassung demographischer Daten begann, war pro Aufgabe zeitlich nicht streng limitiert, sollte jedoch in Einzelarbeit und im Zeitraum der Vorlesungssitzung erfolgen. Um den Studierenden die Fokussierung auf relevante Klassenführungsaspekte im Rahmen der Reflexion zu erleichtern, wurde ihnen außerdem vor der Good-Practice-Variante zur Erzeugung eines Kontrasts eine weniger gelungene Version der gleichen Unterrichtsituation gezeigt. Die schriftliche Reflexion bezog sich allerdings ausdrücklich nur auf das Good-Practice-Video und wurde in die Bestandteile Analyse und Selbstbezug zerlegt. Die Studierenden wurden daher zunächst gebeten, das Unterrichtsvideo mit Fokus auf Klassenführung zu analysieren und im Nachgang durch eine gesonderte Aufgabenstellung aufgefordert, einen Selbstbezug herzustellen. Danach wurden außerdem die Motivation zur Herstellung dieses Selbstbezugs und das situationale Interesse erfragt. Während der Durchführung der Befragung wurden die Studierenden bei organisatorischen und technischen Rückfragen durch die Testleitung sowie drei bezüglich des Ablaufs und der Instruktionen geschulten Tutorinnen betreut. Hilfen auf inhaltlicher Ebene wurden nicht gegeben.

4.2 Erhebungsinstrumente

Selbstbezug

Der Selbstbezug wurde im Anschluss an die Videoanalyse über ein offenes Aufgabenformat erfasst. Der Umfang des Selbstbezugs wurde hinsichtlich der Zeichen- oder Wortanzahl nicht begrenzt (Auftrag: Bitte ergänzen Sie einen Selbstbezug. Sie können selbst wählen, welche Schwerpunkte der Selbstbezug haben soll.).

Motivation zur Herstellung eines Selbstbezugs

Die Motivation, einen Selbstbezug herzustellen, wurde mit einer eigens konzipierten Skala erfasst. Anhand von neun Items (fünfstufige Likertskala; λ2 = 0,893; Beispielitem: Der Selbstbezug bringt mich weiter.), die auf den empfundenen Mehrwert, die Machbarkeit und das Interesse abzielen, soll auf das Konstrukt geschlossen werden.

Situationales Interesse

Das situationale Interesse der Studierenden als einzeln gefasstes Konstrukt wurde über eine elf Items umfassende siebenstufige Likertskala in Anlehnung an das Intrinsic Motivation Inventory (IMI; siehe u. a. McAuley et al. 1989; Ryan 1982) erhoben (λ2 = 0,883; Beispielitem: Ich habe mir viel Mühe gegeben.).

Demographische Daten

Erfasst wurden als Hintergrundmerkmale das Alter, das Geschlecht (männlich/weiblich/divers) und die gewählten lehramtsbezogenen Fächer der Bachelor-Studierenden.

Die offene Aufgabe sowie die beschriebenen Skalen wurden in Form einer digitalen Befragung (LimeSurvey), in die auch das zu reflektierende Video eingebettet war, nacheinander zur Bearbeitung vorgelegt. Das Fortschreiten zur nächsten Aufgabe war nur durch die vollständige Bearbeitung der vorangehenden möglich.

4.3 Stichprobe

Insgesamt liegen für 133 Studierende, davon 80,5 % weiblich und 19,5 % männlich, die vollständigen und auf Missings (bspw. durch Befragungsabbrüche) bereinigten Daten vor. Das Durchschnittsalter lag bei 21,3 Jahren. Alle Studierenden strebten ein Lehramt an, wobei unterschiedliche Fächerkombinationen gewählt wurden. Die Gruppe kann diesbezüglich als heterogen beschrieben werden. Zum Erhebungszeitpunkt befanden sich alle Befragten im Bachelorstudium (in der Regel im zweiten Semester) und mussten sich bezüglich ihres schulartspezifischen Schwerpunkts noch nicht entscheiden.

4.4 Analysemethoden und Auswertung

Die offenen Antworten der Studierenden hinsichtlich ihres Selbstbezugs aus der digitalen Befragung wurden in Anlehnung an die skalierende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet und dienten somit als Auswertungseinheit. Als Kodiereinheit, also kleinster Textteil, der unter eine Kategorie fallen kann, galt ein einzelnes Wort. Als Kontexteinheit, also größter Textteil, der zu einer Kategorie zugeordnet werden kann, wurden aufeinanderfolgende Sätze mit Sinnzusammenhang bestimmt. Die übergeordneten Kategorien wurden zunächst deduktiv in Anlehnung an Korthagen und Vasalos (2010) abgeleitet, jedoch induktiv überarbeitet und erweitert, wodurch sich begriffliche Abweichungen ergaben. In mehreren Analyseschritten wurden Subkategorien gebildet und zu übergeordneten Kategorien zusammengefasst und erneut am Material überprüft. Die übergeordneten Kategorien wurden anschließend in Rückbezug auf Müller (2010) sowie Stufenmodelle der Reflexion, insbesondere Hatton und Smith (1995), dreistufig skaliert (0 = Selbstbezug nicht bzw. nicht ausreichend thematisiert, 1 = thematisiert, 2 = vertieft thematisiert). Eine vierte Stufe, wie sie in Anlehnung an die dritte Qualität nach Müller (2010) oder auch die höchste Stufe der Reflexionsmodelle nach van Manen (1977), Hatton und Smith (1995) sowie Larrivee (28,29,a, b) theoretisch denkbar gewesen wäre, war nicht in der notwendigen Entfaltung im Material vorzufinden, weshalb diese entfiel. Anzumerken ist, dass ein Selbstbezug an einzelnen Wörtern oder losen Aneinanderreihungen nicht klar erkennbar war, weshalb diese seltenen Fälle stets mit 0 (= nicht bzw. nicht ausreichend thematisiert) kodiert wurden. Als fehlender Selbstbezug wurde auch kodiert, wenn ausschließlich beschrieben, analysiert oder bewertet wurde ohne einen Bezug zur eigenen Person herzustellen (z. B.: Die Lehrkraft hat das gut gemacht.). Eine Kodierung dieser Äußerungen wurde vorgenommen, um im Rahmen der weiteren Analyse Häufigkeiten hierfür bestimmen zu können. Das Kodiersystem sollte es außerdem ermöglichen, sämtliche gebildeten Textteile erschöpfend und möglichst disjunkt einordnen zu können. Zur Bestimmung der Intra- sowie der Interraterreliabilität, also der Übereinstimmung zwischen zwei Auswertungsdurchgängen derselben Person sowie der Auswertungen von zwei unabhängig voneinander arbeitenden Auswertenden, wurde der Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman ermittelt. Anhand der Intra- bzw. Interraterreliabilität kann auf die Objektivität des Analyseverfahrens geschlossen werden. Analysiert wurden außerdem die Häufigkeiten in Bezug auf das Vorkommen und die Vertiefung der herausgearbeiteten Kategorien des Selbstbezugs, den Umfang der Texte, gemessen an der Wortanzahl, das situationale Interesse sowie die Motivation, einen Selbstbezug herzustellen. Berechnet wurde außerdem der Zusammenhang zwischen dem Umfang und der Motivation zur Herstellung eines Selbstbezugs sowie dem situationalen InteresseFootnote 3.

5 Ergebnisse

5.1 Dimensionen des Selbstbezugs und intersubjektive Nachvollziehbarkeit

Die offenen schriftlichen Antworten der Studierenden wurden fünf übergeordneten Kategorien zugeordnet, die auch als Bereiche bzw. Dimensionen des Selbstbezugs betrachtet werden können. In diese ließen sich alle von den Studierenden getätigten Äußerungen vollständig einordnen. Die Kategorien sind somit saturiert. Bezeichnet wurden die fünf Dimensionen wie folgt: 1.) Eigene Kompetenzen, 2.) Passung und Identifikation, 3.) Werte und Überzeugungen, 4.) persönlicher Lerneffekt, wobei dieser auch auf eigenes zukünftiges Verhalten abzielt, sowie 5.) Emotionen. Unterschieden wurde in Bezug auf jede Kategorie bzw. Subkategorie, ob es sich um einen einfachen oder einen vertieften Selbstbezug handelt. Als vertieft wurde ein Selbstbezug dann eingestuft, wenn dieser nicht nur angesprochen, sondern in Rückbezug auf Hatton und Smith (1995) auch begründet wurde, also z. B. ausgeführt, warum man der Ansicht ist, dass eine Kompetenz bereits vorliegt oder auch nicht, eine Passung besteht bzw. fehlt, bestimmte Werte und Überzeugungen persönlich bedeutsam sind, man etwas aus dem Video mitnehmen möchte oder bestimmte positive oder negative Emotionen vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen oder Wünsche ergründet wurden. Diese Begründung kann jedoch auch knapp ausfallen und wird nicht als maximal denkbarer Vertiefungsgrad verstanden. Zu betonen ist außerdem, dass es sich beim Selbstbezug nach dem vorliegenden Verständnis um einen notwendigen, jedoch nicht dem alleinigen Bestandteil von Reflexion handelt. Ein vertiefter Selbstbezug muss daher nicht zwingenderweise auch mit einer vertieften Analyse, die ebenfalls Teil des reflexiven Prozesses ist, einhergehen. Der Aspekt der Vertiefung bezieht sich daher im Folgenden lediglich auf den untersuchten Selbstbezug, nicht aber auf den gesamten Reflexionsprozess. Illustriert werden können die formulierten Selbstbezüge der Studierenden an folgenden Beispielen aus dem Analysematerial, die jeweils einen vertieften Selbstbezug, also mit (mindestens knapper) Begründung im jeweiligen Bereich veranschaulichen.

  1. 1.

    Eigene Kompetenzen (Kompetenz vorhanden): Da ich selber schon vor größeren Gruppen, als Förderkursleiter, unterrichtet habe, weiß ich, dass ich das gesehene Lehrkrafthandeln bereits umsetzen kann.

  2. 2.

    Passung und Identifikation (Identifikation vorhanden): Da ich auch Englischlehrerin werde, kann ich mich gut mit diesem Video identifizieren.

  3. 3.

    Werte und Überzeugungen: Bei der Beobachtung fällt mir auf, dass es mir besonders wichtig ist, dass sich alle Schüler*innen wohlfühlen und keiner sich bloßgestellt fühlt, weil mir persönlich das auch immer wichtig war.

  4. 4.

    Persönlicher Lerneffekt (Verhalten wird übernommen bzw. eigenes bekräftigt): Ich werde in meiner nächsten eigenen Unterrichtsstunde auch stärker auf nonverbale Zeichen achten, weil mir das Video gezeigt hat, wie ich als Lehrkraft dadurch Störungen vorbeugen kann.

  5. 5.

    Emotionen (negativ): Es macht mich traurig, zu sehen, wenn Kinder ausgeschlossen werden. Das weckt bei mir negative Erinnerungen.

Einen detaillierten Überblick über das Kodiersystem bietet das ausführlich gestaltete Kodiermanual (siehe ESM.1), das neben den Kategorien und Subkategorien sowie den dazugehörigen Kodierregeln auch typische Formulierungen, Ankerbeispiele und Grenzfälle enthält, um das Vorgehen genau zu bestimmen und transparent zu gestalten. Zur Überprüfung des Kodiersystems wurde sowohl ein Intra- als auch ein Interraterverfahren durchgeführt. Die Intraraterreliabilität wurde anhand von allen vorliegenden Fällen (n = 133) bestimmt. Das Kodiermanual wurde anschließend erneut präzisiert und durch weitere Beispiele und Grenzfälle angereichert. Um auch die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Auswertung zu prüfen, wurde nach der Überarbeitung die Interraterreliabilität ermittelt, also der Grad der Übereinstimmung zwischen verschiedenen auswertenden Personen. Dazu wurde eine Zufallsstichprobe von ca. 20 % des Materials (n = 30) gezogen. Trotz des zufriedenstellenden Ergebnisses (rs stets > 0,900) erfolgte im Anschluss eine letzte Optimierung, in deren Kontext weitere Erläuterungen ergänzt wurden. Die exakten Ergebnisse des Intra- sowie des Interraterverfahrens sind in Tab. 1 dargestellt, wobei jeweils der Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman berichtet wird.

Tab. 1 Überprüfung der Intra- und Interraterreliabilität unter Berücksichtigung der Subkategorien

5.2 Häufigkeit der Thematisierung von Dimensionen und deren Vertiefung

In einem Antworttext können potenziell mehrere Dimensionen des Selbstbezugs in unterschiedlicher Vertiefung angesprochen sein. In einem Fall wurden alle fünf, in acht vier und in 15 drei Dimensionen thematisiert. Der Durchschnitt der Studierenden sprach ein bis zwei Dimensionen an (M = 1,624; SE = 0,093), wobei sich die meisten auf eine konzentrierten (in 52 gegenüber 41 Fällen). Es kam allerdings ebenfalls vor, dass in den (teilweise durchaus ausführlichen) Ausführungen kein Selbstbezug erkennbar war. Dies betraf 16 der 133 Texte.

Am häufigsten wurde ein Selbstbezug hinsichtlich dessen, was man aus dem Beobachteten für die eigene Praxis mitnehmen konnte, hergestellt (persönlicher Lerneffekt). Dieser Bereich wurde nicht nur am häufigsten angesprochen, sondern auch vertieft (siehe Tab. 2). Am zweithäufigsten wurde ein Bezug zu eigenen vorhandenen bzw. (weiter) auszubildenden Kompetenzen geschaffen. Dabei wurde, rein deskriptiv betrachtet, etwas häufiger vom eigenen Können (24 Nennungen) als von eigenen Defiziten (19 Nennungen) gesprochen. In Einzelfällen wurde auch beides thematisiert. Auf den Selbstbezug im Hinblick auf eigene Kompetenzen folgen in absteigender Häufigkeit ihrer Thematisierung die Kategorien: Emotionen, Werte und Überzeugungen sowie Passung und Identifikation. Auffällig ist, dass sich zwar die meisten Studierenden nur auf einen Bereich konzentrierten, dieser wurde jedoch mehrheitlich auch vertieft. Eine Ausnahme bildete lediglich die Dimension Werte und Überzeugungen, bezüglich der die Ausführungen im Vergleich zu den anderen vier verhältnismäßig häufiger unbegründet blieben. Festzustellen ist außerdem, dass nur in 16 Fällen die Beschränkung auf eine Dimension mit einer oberflächlichen Behandlung ohne Vertiefung einherging.

Tab. 2 Häufigkeiten in Bezug auf die Thematisierung der einzelnen Dimensionen und deren Vertiefung (n = 133)

5.3 Umfang des Selbstbezugs sowie Motivation und situationales Interesse

Der durchschnittliche Antworttext hinsichtlich des Selbstbezugs umfasste ca. 80 Wörter. Berücksichtigt wurden bei der Berechnung alle Antworten der Studierenden, die zu dieser Aufgabe gegeben wurden. Miteingerechnet sind dabei auch solche Passagen, in denen entsprechend der Kodierregeln kein Selbstbezug festgestellt werden konnte. Die Studierenden waren im Durchschnitt durchaus motiviert, einen Selbstbezug herzustellen (M = 3,560; SE = 0,063). Sie schienen außerdem recht interessiert an der Aufgabe (M = 4,556; SE = 0,086). Allerdings gaben auch fünf Studierende an, dass sie bei der Herstellung eines Selbstbezugs lediglich improvisieren (siehe Item i) der Skala Motivation zur Herstellung eines Selbstbezugs). Einen Überblick über die einzelnen Items sowie deskriptiven Statistiken bietet Tab. 3.

Tab. 3 Deskriptive Statistiken zu Umfang des Selbstbezugs sowie Motivation und situationalem Interesse

In Bezug auf den Umfang des Selbstbezugs, gemessen an der Anzahl der gebildeten Wörter, zeigte sich, dass dieser im Zusammenhang mit der Motivation, einen Selbstbezug herzustellen (r = 0,191; p = 0,028), sowie auch dem situationalen Interesse an der Aufgabe (r = 0,206; p = 0,018) steht. Dieser fällt jedoch nur schwach aus. Hinsichtlich der Vertiefung des Selbstbezugs lassen sich für vier der fünf Dimensionen mittlere Zusammenhänge mit dem Umfang feststellen (siehe Tab. 4). Ausgenommen ist die Dimension Passung und Identifikation. Signifikante, wenn auch geringe Korrelationen bestehen im Hinblick auf die Motivation zur Dimension persönlicher Lerneffekt (r = 0,225; p = 0,009). Das situationale Interesse korreliert ebenfalls mit der Vertiefung des persönlichen Lerneffekts (r = 0,177; p = 0,041) sowie der Dimension Emotionen (r = 0,211; p = 0,015). Deutliche Zusammenhänge zeigen sich außerdem zwischen der Anzahl der thematisierten Dimensionen und, in absteigender Intensität, dem Umfang (r = 0,616; p < 0,001), dem situationalen Interesse (r = 0,205; p = 0,018) sowie der Motivation (r = 0,186; p = 0,032). Die Motivation, einen Selbstbezug herzustellen, und das situationale Interesse korrelieren zudem hoch miteinander (r = 0,646; p < 0,001).

Tab. 4 Zusammenhänge zwischen Vertiefung, Umfang sowie Motivation und situationalem Interesse (n = 133)

6 Diskussion

Entsprechend der genannten Zielsetzung wurde ein Analyseschema zur Erfassung des Selbstbezugs innerhalb pädagogischer Reflexionen entwickelt. Damit kann in Rückbezug zum dargestellten Desiderat ein Beitrag zur Operationalisierung und Messbarkeit des Selbstbezugs als wesentlichem Bestandteil pädagogischer Reflexion geleistet werden. Es zeigte sich, dass sich die theoretisch abgeleiteten Dimensionen empirisch besetzen ließen, wobei zum Teil begriffliche Abweichungen sowie eine Ausdifferenzierung nötig waren. Unterschieden werden innerhalb des konzipierten Analyseschemas fünf Dimensionen. Diese fünf klassifizierten sowie anhand der qualitativen Daten erweiterten und ausdifferenzierten Dimensionen des Selbstbezugs, denen sich die Antworttexte der Studierenden vollständig zuordnen ließen, inklusive ihrer Subkategorien, sind auf der Grundlage des Intra- sowie insbesondere des Interraterverfahrens als zufriedenstellend transparent und intersubjektiv nachvollziehbar zu bezeichnen. Das Analyseschema kann daher sowohl zur Beantwortung der formulierten Fragestellungen als auch zukünftig zur Analyse des Selbstbezugs videobasierter Unterrichtsreflexionen eingesetzt werden. Hierzu liegt ein ausführliches Kodiermanual mit Ankerbeispielen und Grenzfällen vor (siehe ESM.1).

Die Selbstbezüge der Studierenden ließen sich in absteigender Häufigkeit ihrer Thematisierung den Dimensionen persönlicher Lerneffekt, eigene Kompetenzen, Emotionen, Werte und Überzeugungen sowie Passung und Identifikation zuordnen. Ein hergestellter Selbstbezug wurde im überwiegenden Teil der Fälle auch vertieft. Die festgestellte Fokussierung der meisten Studierenden auf eine oder seltener auch zwei der Dimensionen kann eventuell durch die Formulierung der Aufgabe mitbedingt sein (Sie können selbst wählen, welche Schwerpunkte der Selbstbezug haben soll.). Der verwendete Plural, der möglicherweise einigen entgangen sein könnte, legt jedoch eigentlich die Thematisierung mehrerer Aspekte nahe. Dass dennoch häufig nur ein Bereich angesprochen wurde, könnte auf eine gewisse Präferenz oder auch Fokussierung der Aufmerksamkeit auf eine Dimension hindeuten. Wie die Auflistung zeigt, fiel die Wahl dabei am häufigsten auf die Thematisierung des persönlichen Lerneffekts oder auch der eigenen Kompetenzen, was wiederum als Indiz für eine gewisse lern- bzw. leistungsbezogene Orientierung interpretiert werden könnte. Dass die Dimension der Werte und Überzeugungen im Verhältnis etwas häufiger unbegründet blieb als die anderen, kann möglicherweise darauf zurückgeführt werden, dass es vergleichsweise schwierig ist, diese für sich selbst zu ergründen, insbesondere wenn professionelle Reflexionsprozesse noch nicht häufig praktiziert wurden, wie es zu Beginn des Bachelorstudiums angenommen werden kann. Auf Basis vorliegender empirischer Befunde zu Überzeugungen von Lehrkräften (u. a. Hartinger et al. 2006; Voss et al. 2011; siehe zusammenfassend auch Cross Francis et al. 2015; Dohrmann 2021), können diese allerdings als durchaus einflussreich auf das künftige Unterrichtshandeln und damit als relevanter Bezugspunkt angenommen werden.

Insgesamt fielen textlich umfangreichere Selbstbezüge in der Tendenz auch vertiefter aus als kürzere. Anzumerken ist jedoch, dass in einigen Fällen lediglich die vorangegangene theoretische Analyse des Gesehenen fortgeführt wurde. Dies deutet darauf hin, dass nicht allen klar war, inwiefern sich ein Selbstbezug von einer solchen unterscheidet. 16 Studierenden gelang es nicht, einen Selbstbezug herzustellen. Fünf Studierende gaben an, dass sie bei der Herstellung eines Selbstbezugs lediglich improvisieren. Dies ist möglicherweise auf mangelnde Erfahrung mit dieser Praxis zurückzuführen. Daraus zu folgern ist, dass das Herstellen eines Selbstbezugs nicht intuitiv erfolgt und selbst mit Anregung nicht selbstverständlich vertieft oder unter Berücksichtigung mehrerer Aspekte expliziert wird bzw. werden kann.

Es zeigte sich außerdem, dass situational stärker interessierte und zum Herstellen eines Selbstbezugs motivierte Studierende auch umfangreichere Selbstbezüge verfassten und dabei tendenziell mehrere unterschiedliche Dimensionen thematisierten. Der zu erwartende Befund kann dabei zudem als ein Indiz für die Validität des Analyseschemas gedeutet werden. Auffällig ist allerdings, dass die Vertiefung der Dimension Passung und Identifikation, die auch am seltensten angesprochen wurde, weder mit dem Umfang des Antworttextes noch der Motivation oder dem situationalen Interesse in Zusammenhang zu stehen scheint. Letztere korrelieren hingegen hoch miteinander, was als erwartungsgemäß bezeichnet werden kann.

Das Ausbleiben einer expliziten Beschäftigung bzw. Einordnung in übergeordnete Kontexte, höhere Sinndimensionen und des Einnehmens neuer oder auch mehrperspektivischer Betrachtungen im Rahmen des Selbstbezugs kann entweder ebenfalls eine Folge der Methodik bzw. des Inputmaterials sein (siehe dazu auch Abendroth-Timmer 2017; Abendroth-Timmer und Schneider 2016) oder darauf hindeuten, dass dies gezielter Übung bedarf.

Zu limitieren sind die Ergebnisse dahingehend, dass die Selbstbezüge nur im Hinblick auf ein betrachtetes Video analysiert wurden. Dieses regte ggf. nicht alle Studierenden gleichermaßen zur vertieften Thematisierung bestimmter Kategorien an, was vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Fächerkombinationen insbesondere bezüglich des Befunds zur Dimension Passung und Identifikation zu berücksichtigen ist. Zu problematisieren sind außerdem Phänomene, die auch als Erfahrungsfallen bezeichnet werden können. Insbesondere Novizinnen und Novizen könnten möglicherweise aufgrund unzutreffender Interpretationen zu Fehlschlüssen gelangen, die sich verfestigen, oder dazu tendieren, ihre eigene Kompetenz zu überschätzen. Diese trügerische Sicherheit, könnte sich prinzipiell auch negativ auf die eigene Kompetenzentwicklung auswirken. Erinnert werden kann diesbezüglich an die Verselbstständigung unhinterfragter Handlungsmuster, die Müller (2010) zu vermeiden mahnt. Zu erwähnen ist zudem die unterschiedliche Wahrnehmung von Unterrichtsprozessen durch Expertinnen und Experten im Vergleich zu Novizinnen und Novizen, was es Letzteren beispielsweise erschweren kann, ihren Fokus auf scheinbar unauffällige, aber (klassenführungs-)relevante Aspekte zu richten (Thiel et al. 2012). Dies würde in der Folge auch die gewählten Bezugspunkte beeinflussen. Notwendig erscheint es daher, den Reflexionsprozess einschließlich der Herstellung eines Selbstbezugs an den Aufbau einer professionellen Wissensbasis rückzukoppeln und eine reflexive Distanz einzunehmen. Von Mehrwert ist es vor diesem Hintergrund, entsprechende Reflexionsprozesse in einem (hochschul‑)​didaktischen Setting zu gestalten und von Mentorinnen und Mentoren begleiten zu lassen. Zu erforschen ist darüber hinaus, ob die Dimensionen des Selbstbezugs an weiter fortgeschrittenen Studierenden, z. B. im Master, oder einer Stichprobe aus Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern in der zweiten Ausbildungsphase, weiter auszudifferenzieren sind, also bspw. eine zusätzliche Vertiefungsstufe unterschieden oder weitere Dimensionen identifiziert werden können. Das vorgestellte Kategoriensystem ist daher potenziell für Erweiterungen offen. Interessant erscheinen zudem weiterführende Studien, die bspw. eine umfassende Intervention zur Reflexion in pädagogischen Kontexten mit Fokus auf die Herstellung eines Selbstbezugs beinhalten.

7 Fazit

Im Rahmen der qualitativen Analyse der Selbstbezüge ließen sich fünf übergeordnete Kategorien bzw. Dimensionen des Selbstbezugs im Kontext pädagogischer Reflexionen zu videobasierten Unterrichtssituationen klassifizieren und empirisch besetzen. Diese sind: 1.) Eigene Kompetenzen, 2.) Passung und Identifikation, 3.) Werte und Überzeugungen, 4.) persönlicher Lerneffekt und 5.) Emotionen. Die fünf Dimensionen einschließlich ihrer Subkategorien wurden hinsichtlich ihrer Vertiefung nochmals abgestuft. Der persönliche Lerneffekt wurde von den Studierenden am häufigsten angesprochen und auch vertieft. Allerdings scheint es manchen Studierenden schwer gefallen zu sein, das im Unterrichtsvideo Beobachtete auf ihre eigenen Kompetenzen, Werte, Überzeugungen und Emotionen zu beziehen bzw. darzustellen, warum sie sich nicht mit dem Gesehenen identifizieren oder etwas daraus mitnehmen konnten. Dass der Selbstbezug einen wichtigen Teil der Reflexion darstellt, scheint in der praktischen Umsetzung daher nicht selbstverständlich zu sein, sondern bedarf gezielter Impulse und ggf. auch der Übung. Die fünf klassifizierten Dimensionen können zukünftig in der Lehrkräftebildung im Rahmen von Seminaren dazu genutzt werden, einen Selbstbezug anzuregen, zu vertiefen bzw. auf noch nicht angesprochene Dimensionen auszuweiten. Letzteres besitzt bspw. auch das Potenzial, sogenannte blinde Flecken der eigenen Wahrnehmung ausfindig zu machen, was auch die Bedeutsamkeit des Selbstbezugs unterstreicht. Gleichzeitig liegt mit dem abgeleiteten Analyseschema auch eine Möglichkeit zur Erfassung des Selbstbezugs in verschiedenen Dimensionen vor, welches einerseits die Quantifizierung qualitativ erhobener Daten erlaubt und auf dessen Grundlage andererseits weitere Instrumente, wie z. B. Fragebögen, entwickelt werden können. Zu erforschen ist anknüpfend außerdem der Zusammenhang zwischen dem Selbstbezug in seinen unterschiedlichen Dimensionen, dem Ausbildungsstand bzw. der Berufserfahrung und dem durch objektive Testverfahren gemessenen Leistungszuwachs im Bereich Klassenführung durch die Beobachtung und Reflexion videographierter Unterrichtssituationen.