1 Soziale Integration

Von sozialen Gruppen akzeptiert zu werden ist ein psychologisches Grundbedürfnis (Deci und Ryan 1985) und hoch relevant für das subjektive Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern (Deci und Ryan 2000). Freundschaften in der Schule können unter anderem den Einfluss niedriger schulischer Leistungen auf depressive Symptome in der mittleren Kindheit abschwächen (Schwartz et al. 2008) und sind prädiktiv für das Selbstwertgefühl im Erwachsenenalter (Bagwell et al. 1998). Peer-Beziehungen gelten daher als ein Schlüsselfaktor für die kindliche Entwicklung (Hay et al. 2004).

Operationalisieren lässt sich die schulische soziale Integration nach Koster et al. (2009) anhand von vier Dimensionen: 1) Beziehungen (bspw. Freundschaften), 2) positive Interaktionen (bspw. Kontaktinitialisierungen, Beteiligung an Gruppenaktivitäten), 3) Selbstwahrnehmung (bspw. selbstwahrgenommene soziale Integration, erlebte Einsamkeit) und 4) Akzeptanz durch Mitschülerinnen und Mitschüler (bspw. Akzeptanz oder Ablehnung, Mobbing). Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass insbesondere die soziale Akzeptanz (4. Dimension) von Schülerinnen und Schülern mit externalisierenden Verhaltensproblemen in inklusiven Klassen vermindert ist (z. B. Chang 2004; Lindsay 2007; Krull et al. 2014, 2018; Schürer 2020). Diese Zielgruppe zeichnet sich bspw. durch oppositionelle, aggressive, impulsive und hyperkinetische Verhaltensweisen aus, die häufig auch mit einer mangelnden Regeleinhaltung im Unterricht einhergehen (Simpson 2004).

Die Ursachen für soziale Ablehnung sind vielfältig (Huber 2019). Zwei zentrale Erklärungsmodelle fokussieren erstens einen Mangel an sozialen Fähigkeiten der abgelehnten Person selbst und zweitens das öffentlich ausgesprochene Lehrkraftfeedback. Demnach könnte die soziale Akzeptanz eines Schulkinds im Wesentlichen durch zwei Faktoren beeinflusst werden. Erstens durch das Verhalten des Kindes selbst. Zweitens durch das von den Mitschülerinnen und Mitschüler beobachtete Lehrkraftfeedback in Bezug zu diesem Kind. Der aktuelle Beitrag überprüft diese beiden Hypothesen anhand einer groß angelegten Querschnittserhebung. Die Besonderheit im Vergleich zu bisherigen Untersuchungen zur Thematik ist, dass die vorliegenden Daten ausschließlich auf der subjektiven Beurteilung eines jeden Schulkinds durch dessen Mitschülerinnen und Mitschüler basieren, wobei sowohl das erhaltene Lehrkraftfeedback als auch die gezeigte Regeleinhaltung gegenseitig eingeschätzt werden. Bei der Auswertung werden entsprechend Schulkind-Dyaden betrachtet, was eine Evaluation unter Berücksichtigung von Eigenschaften der beurteilten als auch der urteilenden Person selbst ermöglicht. Auf dieser Basis wird auch der Frage nachgegangen, ob Schulkinder, die sich selbst gut bzw. schlecht an Klassenregeln halten, auch eher solche Kinder sozial akzeptieren, welche ihnen in dieser Hinsicht ähnlich sind.

2 Genese sozialer Integration

Aktuelle Erklärungsansätze zur Genese sozialer Integration beziehen sich auf verschiedene sozialpsychologische Theorien. Huber (2019) benennt dabei drei zentrale Ansätze: Die Intergroup-Contact-Theory (IC-Theorie; Allport 1954), das Social-Skills-Deficit-Model (SSD-Modell; Asher et al. 1982) und die Social-Referencing-Theory (SR-Theorie; Feinman 1992). Obgleich der aktuelle Beitrag nur die letzten beiden Theorien fokussiert, werden nachfolgend alle drei Ansätze knapp dargestellt.

2.1 Intergroup-Contact-Theory

Die IC-Theorie unterstreicht die Bedeutung spezifischer Kriterien, die einen positiven sozialen Kontakt (z. B. Qualität, Länge oder Intimität) zwischen zwei oder mehr Menschen fördern. Ein positiver Sozialkontakt kann weiterhin zum Abbau von Vorurteilen gegenüber einer sozialen Gruppe führen, die von dem zugehörigen Individuum repräsentiert wird (Huber 2019). Ein Mangel an sozialer Teilhabe wäre somit durch einen Mangel an positiven Kontakten zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen zu erklären. Belege für die IC-Theorie lassen sich aus den frühen Arbeiten von Allport (1954), aber auch aus neueren Studien ableiten. Eine von Pettigrew und Tropp (2006) veröffentlichte Metaanalyse zeigt auf, dass Intergruppenkontakte unter bestimmten Umständen zu einer Verbesserung der Einstellungen gegenüber einer Person (Primäreffekt) und zur Reduktion von Vorurteilen gegenüber einer sozialen Gruppe (sekundärer Transfereffekt) führen können (d = −0,42). Die meisten Studien konzentrieren sich jedoch auf den Kontakt zwischen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Staaten bzw. ethnischer Gruppen, wobei positive Kontakte die Vorurteile gegenüber der repräsentierten Gruppe reduzieren. In Bezug auf das schulische Setting könnten Schülerinnen und Schüler mit und ohne Förderbedarf zwei getrennte Gruppen innerhalb eines Klassenraums darstellen, was voraussetzt, dass ihnen die Existenz eines sonderpädagogischen Förderbedarfs bewusst ist und dieser als In- bzw. Out-Group-Marker wahrgenommen wird. Die Effekte von Intergruppenkontakten auf die soziale Integration innerhalb von Schulklassen leiten sich primär aus Interventionsstudien ab. Tatsächlich bestätigen einige Publikationen einen positiven Effekt von Peer-Tutoring oder kooperativem Lernen auf bestimmte Aspekte sozialer Integration (Spilles et al. 2018; Weber und Huber 2020). Bei diesen Interventionen wird unter anderem darauf abgezielt, positive Sozialkontakte zwischen Schülerinnen und Schülern zu initiieren. Die Evidenz im Hinblick auf die Verbesserung der sozialen Integration durch diese Methoden ist jedoch eher schwach, insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit externalisierenden Verhaltensproblemen (Spilles et al. 2018).

2.2 Social-Skills-Deficit-Model

Das SSD-Modell postuliert, dass soziale Ausgrenzung durch einen Mangel an sozialen Kompetenzen der betroffenen Person verursacht wird (Huber 2019). In einer internationalen Metaanalyse von Newcomb et al. (1993) zeigen sozial abgelehnte Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu ihren durchschnittlich integrierten Mitschülerinnen und Mitschülern im Mittel aggressiveres (d = 0,64) oder sozial zurückgezogeneres (d = 0,30) Verhalten, besitzen niedrigere kognitive Fähigkeiten (d = −0,41) und weisen eine geringere Soziabilität auf (d = −0,29). Dass Kinder und Jugendliche gerade mit externalisierenden Verhaltensproblemen in der Allgemeinen Schule häufig sozial abgelehnt werden, wird durch eine Reihe von Studien weltweit (z. B. Asher und Coie 1990; Chang 2004; de Monchy et al. 2004; Huber et al. 2021; Krull et al. 2018) gestützt. In einer Längsschnittstudie zeigen Krull et al. (2018), dass vermutlich davon auszugehen ist, dass externalisierende Verhaltensprobleme zu einer verminderten sozialen Akzeptanz führen und nicht umgekehrt. So konnte diese Einflussrichtung (Entwicklung von Klasse 1 zu Klasse 2) mit einer Stichprobe von 1244 Kindern empirisch bestätigt werden. Andere Studien kommen zu dem Schluss, dass soziale Ausgrenzung auch ein Risikofaktor für die Entwicklung von internalisierenden sowie externalisierenden Verhaltensproblemen in der Schule sein kann (Polanin et al. 2021). Insgesamt kann also vermutlich von einer wechselseitigen Beeinflussung ausgegangen werden.

2.3 Social-Referencing-Theory

Für Kinder sind Lehrkräfte die wichtigste soziale Referenz im Klassenzimmer (Weinstein 2002). Auf Grundlage der SR-Theorie wird daher diskutiert, ob öffentlich ausgesprochenes Lehrkraftfeedback die Einstellung von Mitschülerinnen und Mitschülern gegenüber einem spezifischen Kind beeinflusst (Huber 2019). In den letzten 20 Jahren haben mehrere experimentelle Studien (Huber et al. 2015, 2018; Nicolay und Huber 2021; White und Jones 2000) gezeigt, dass positives wie negatives Lehrkraftfeedback zu schulischen Leistungen und zum Verhalten eines fiktiven Schulkinds dessen Akzeptanz durch die teilnehmenden Kinder beeinflusst. Darüber hinaus wurde die SR-Theorie auch in Feldstudien untersucht. Hendrickx et al. (2017) konnten in einer Längsschnittstudie mit drei Messzeitpunkten und 1420 Fünftklässlerinnen und Fünftklässlern in den Niederlanden zeigen, dass negatives Lehrkraftfeedback gegenüber einem Kind (Unterrichtsbeobachtungen im Hinblick auf affektives Lehrkraftverhalten z. B. bei Verhaltensproblemen sowie Leistungsrückmeldungen) die durch Mitschülerinnen und Mitschüler eingeschätzte Abneigung der Lehrkraft gegenüber diesem voraussagte (affektives Lehrkraftverhalten: β = 0,11, Leistungsrückmeldungen: β = 0,06). Die Einschätzung der Lehrkraftabneigung gegenüber einem Kind war wiederum prädiktiv für dessen soziale Ablehnung durch die Mitschülerinnen und Mitschüler (β = 0,24). Wullschleger et al. (2020) untersuchten die SR-Theorie mit einer Stichprobe von 546 Kindern der ersten bis dritten Klasse in der Schweiz. Auch hier prognostizierte das im ersten Schulhalbjahr beobachtete Lehrkraftfeedback, wie Schülerinnen und Schüler am Ende des Schuljahres von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern akzeptiert wurden. Negatives Feedback zum Sozialverhalten korrelierte signifikant negativ mit dem Wunsch, mit dem betroffenen Kind zusammenzuarbeiten (B = −0,84). Positives wie negatives Feedback zur schulischen Leistung erhöhte hingegen die Wahrscheinlichkeit einer positiven Einschätzung in diesem Bereich (B = 0,78 bzw. 0,89).

2.4 Homophilie-Hypothese

Zusätzlich zu den zuvor dargestellten Theorien besteht bei Menschen die Tendenz, soziale Beziehungen zu Personen aufzubauen, die ihnen selbst ähnlich sind (Lazarsfeld und Merton 1954). In der Vergangenheit konnte bestätigt werden, dass in diesem Zusammenhang Aspekte wie Alter, Geschlecht, schulische Leistungen oder Ethnizität eine wesentliche Rolle spielen (Hoffmann et al. 2021). Vor dem Hintergrund schulischer Inklusion ist die Frage, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf ebenfalls als Homophilie-Charakteristikum einen Einfluss auf die soziale Integration von Schülerinnen und Schülern nimmt, noch nicht hinreichend geklärt. Voraussetzung hierfür wäre, dass Schülerinnen und Schülern der vorhandene oder nicht-vorhandene Förderbedarf ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler bewusst ist und sie diesen als eine ihnen nahe oder ferne Persönlichkeitseigenschaft begreifen. Während in einer Studie von Avramidis und Wilde (2010) kein Homophilie-Effekt nachweisbar war, konnten Hoffmann et al. (2021) anhand einer Stichprobe von 455 Viertklässlerinnen und Viertklässlern aus Österreich zeigen, dass Kinder mit Förderbedarf eher dazu neigen, ebenfalls Kinder mit Förderbedarf als Freundinnen und Freunde zu benennen und vice versa. Die 79 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf hatten zum überwiegenden Teil Lern- (ca. 79 %) sowie Verhaltensprobleme (ca. 10 %).

Dass ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Sinne eines stigmatisierenden Etiketts jedoch selbst vermutlich nicht als ursächlich für eine verminderte soziale Integration angesehen werden kann, konnten Henke et al. (2017) zeigen. Auf Basis dieser Studie ist vielmehr anzunehmen, dass beobachtbare Verhaltensweisen oder Eigenschaften von Schülerinnen und Schüler mit deren sozialer Integration einhergehen. Aus diesem Grund wird im Gegensatz zu Hoffmann et al. (2021) nicht der Förderbedarf, sondern die tatsächliche Verhaltensausprägung im Sinne der Einhaltung von Klassenregeln der Kinder betrachtet. Diese wird konkret von den Mitschülerinnen und Mitschülern wahrgenommen und kann somit in Bezug zum eigenen Verhalten gesetzt werden, was im Hinblick auf das Etikett eines sonderpädagogischen Förderschwerpunkts eher anzuzweifeln ist.

3 Forschungslücken und Hypothesen

Wie zuvor dargestellt, liegen mittlerweile einige Erkenntnisse zu Einflussfaktoren auf die soziale Integration vor. Allerdings konnten wir auch einige Forschungslücken im Hinblick auf die verschiedenen Theorien zur Genese sozialer Integration identifizieren, welche im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen.

3.1 Zusammenhang zwischen Regeleinhaltung und sozialer Akzeptanz (Hypothese 1)

Forschungsarbeiten im Rahmen des SSD-Modells stützen sich in erster Linie auf Verhaltensbeurteilungen von Schülerinnen und Schülern durch die Klassenleitung (vgl. Schürer 2020). Da es im Rahmen der sozialen Integration jedoch um die Beziehung zwischen den Schulkindern selbst geht, ist die Frage, wie sich diese gegenseitig in ihrem Verhalten einschätzen, ebenfalls von großer Relevanz. In der aktuellen Studie wird daher, im Sinne einer Ergänzung bisheriger Studien, die Verhaltenseinschätzung eines jeden Kindes in Bezug zu jedem anderen Kind seiner Klasse betrachtet. In Hypothese 1 wird auf Basis der bisherigen Forschung zum SSD-Modell davon ausgegangen, dass eine positiv eingeschätzte Regeleinhaltung auch mit einer besseren sozialen Akzeptanz einhergeht. Wir konzentrieren uns explizit auf die Regeleinhaltung, da Schülerinnen und Schüler mit externalisierenden Verhaltensproblemen im Unterricht häufig durch eine mangelnde Regeleinhaltung auffallen (Simpson 2004). Außerdem ist davon auszugehen, dass Schülerinnen und Schüler sehr sensibel für Regelverstöße ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler sind, da Verhaltensregeln von Lehrkräften sehr explizit formuliert werden.

3.2 Moderation durch die Regeleinhaltung des urteilenden Kindes (Hypothese 2)

Neben der Verhaltenseinschätzung in Bezug zu einem anderen Kind ist ebenso von Bedeutung, wie sich das Verhalten des urteilenden Kindes selbst auf dessen Akzeptanz der Mitschülerinnen und Mitschülern auswirkt. In der Vergangenheit wurde im Zusammenhang mit der Homophilie-Hypothese bereits der sonderpädagogische Förderbedarf als Indikator herangezogen (Hoffmann et al. 2021). Wir nehmen, wie zuvor argumentiert, jedoch nicht den amtlich festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf in den Blick und gehen in Hypothese 2 davon aus, dass Kinder, deren Regeleinhaltung von den Mitschülerinnen und Mitschülern positiv eingeschätzt wird, auch eher Kinder mit einer positiv wahrgenommenen Regeleinhaltung sozial akzeptieren. Ob Kinder, deren Regeleinhaltung negativ eingeschätzt wird, auch eher Kinder mit einer negativ wahrgenommenen Regeleinhaltung sozial akzeptieren, ist nicht eindeutig begründbar, da hier die Annahmen des SSD-Modells und der Homophilie-Hypothese konkurrieren. Daher wird diesbezüglich keine gerichtete Hypothese formuliert.

3.3 Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz (Hypothese 3)

Vergangene Untersuchungen stützen die Gültigkeit der SR-Theorie grundsätzlich, wobei in den beschriebenen Feldstudien Feedback durch Verhaltensbeobachtungen erfasst wurde. Diese Vorgehensweise bietet sich insbesondere an, um Lehrkraftfeedback objektiv zu messen und Implikationen für ein verändertes Unterrichtsverhalten abzuleiten. In der aktuellen Studie wird im Sinne einer Ergänzung bisheriger Forschungsarbeiten (in Deutschland liegen aktuell noch keine Feldstudien zur Thematik vor) das subjektiv beurteilte Lehrkraftfeedback betrachtet. Dazu wird wiederum die Einschätzung eines jeden Kindes in Bezug zu jedem anderen Kind seiner Klasse herangezogen. Die Betrachtung des subjektiv wahrgenommenen Lehrkraftfeedbacks ist insofern von Relevanz, als dass über diesen Weg eher die individuellen Kognitionen der Schülerinnen und Schüler, die bei der SR-Theorie angenommen werden, abgebildet werden können. Im Rahmen von Hypothese 3 wird davon ausgegangen, dass Lehrkraftfeedback auch unter statistischer Kontrolle der Regeleinhaltung mit der sozialen Akzeptanz zusammenhängt.

3.4 Moderation durch die Klassenstufe (Hypothese 4)

Schlussendlich wird erörtert, ob die bisher angenommenen Wirkweisen der Hypothesen 1 und 3 durch die Klassenstufenzugehörigkeit moderiert werden.

Mit Blick auf das SSD-Modell lässt sich vermuten, dass Kinder durch die Sozialisierung in der Schule sozial erwünschtes Verhalten zunehmend als Erwartungsnorm internalisieren. Auf dieser Grundlage wäre zu erwarten, dass eine gute Regeleinhaltung im Verlauf der Grundschulzeit immer stärker mit sozialer Akzeptanz einhergeht (Hypothese 4.1).

Mit Blick auf die SR-Theorie lassen sich zwei gegenläufige Hypothesen aufstellen. Bereits fünfjährige Kinder können Emotionen bei anderen Menschen gut erkennen, während die Fähigkeit über mentale Zustände anderer Personen zu sinnieren (Theory of Mind) erst im Laufe der Grundschulzeit zunimmt (Janke 2008; Pons et al. 2004). Ältere Kinder wären somit eher in der Lage, das Lehrkraftfeedback in Bezug zur Einstellung der Lehrkraft zum adressierten Kind zu setzen. In der vorliegenden Studie, in der nur Grundschulkinder betrachtet werden, wäre daher zu erwarten, dass sich der Zusammenhang von Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz mit steigender Klassenstufe erhöht. Auf der anderen Seite könnte eine zunehmende soziale Sicherheit während der Grundschulzeit die Beeinflussbarkeit durch die Lehrkraft abschwächen. Für diese Annahme spricht, dass sich Grundschulkinder stärker von Erwachsenen als von Gleichaltrigen beeinflussen lassen, während bei Jugendlichen das Gegenteil anzunehmen ist (z. B. Ruggeri et al. 2018). Daher wird bzgl. der SR-Theorie im Gegensatz zum SSD-Modell lediglich eine ungerichtete Hypothese (4.2) formuliert. Empirische Erkenntnisse im Hinblick auf diese Hypothese liegen unseres Wissens nach derzeit noch nicht vor.

4 Methode

4.1 Stichprobe und Durchführung

Die vorliegenden Querschnittsdaten wurden im Rahmen des Forschungsprojekts PARTI (Grosche et al. 2019) der Bergischen Universität Wuppertal und der Universität zu Köln im Sommer 2019 erhoben. Im Zuge der Datenerhebung wurden Kinder über eine Papier-Bleistift-Erhebung zu ihrer Klassensituation im Klassenverband durch Projektmitarbeitende befragt. Hierzu wurden den Schülerinnen und Schülern alle Fragen vorgelesen und Rückfragen beantwortet.

Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Schulen nahmen aus eigenem Interesse an dem Projekt teil.

Die Gesamtstichprobe umfasst N = 2932 Schülerinnen und Schüler aus 125 Klassen und 21 Grundschulen in Nordrhein-Westfalen. Für die hiesige Auswertung wurde eine spezifische Teilstichprobe nach den folgenden Kriterien ausgewählt: Kinder ohne fehlende Daten in den betrachteten Variablen, Klassen mit mindestens 75 % vollständigen Daten, keine jahrgangsgemischten Klassen (z. B. Klasse 3/4). Die resultierende Stichprobe umfasst n = 989 Schulkinder aus 18 zweiten, 15 dritten und 17 vierten Klassen aus 13 Schulen. Eine Übersicht findet sich in Tab. 1.

Tab. 1 Stichprobenbeschreibung

4.2 Messinstrumente

4.2.1 Soziale Akzeptanz

In einem systematischen Review identifizieren Koster et al. (2009) vier Dimensionen, anhand derer die soziale Integration (bzw. soziale Inklusion oder soziale Partizipation) von Schülerinnen und Schülern in empirischen Arbeiten bis dato gemessen wurde: Soziale Kontakte/Interaktionen, soziale Akzeptanz, Beziehungen/Freundschaften und die selbstwahrgenommene soziale Integration. In der aktuellen Studie wurde die soziale Akzeptanz durch Mitschülerinnen und Mitschülern anhand eines Soziometrie-Fragebogens erfasst. Analog zur soziometrischen Methode nach Moreno (1974) wurden die Kinder gebeten, in Bezug zu jeder Mitschülerin bzw. jedem Mitschüler anzugeben, ob sie gerne neben dieser bzw. diesem sitzen würden. In die statistische Analyse fließt die soziale Akzeptanz als dichotome abhängige Variable ein (0 = keine soziometrische Wahl, 1 = soziometrische Wahl).

4.2.2 Regeleinhaltung

Zur Verhaltensbeurteilung der Kinder untereinander wurde ein Peer-Rating-Fragebogen eingesetzt. Die Kinder wurden gebeten, auf einer vierstufigen Einzelskala (0 = sehr schlecht, 1 = eher schlecht, 2 = eher gut, 3 = sehr gut) einzuschätzen, wie gut sich jede Mitschülerin bzw. jeder Mitschüler allgemeinhin an die Klassenregeln (ohne spezifischen Fokus) während des Unterrichts hält. Der Schwerpunkt wurde explizit auf die Regeleinhaltung gesetzt, da wir davon ausgehen, dass Grundschulkinder dieses Verhalten bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern gut einschätzen können. Auf Basis der Peer-Einschätzungen wird erörtert, ob die in Bezug zu einem anderen Kind beurteilte Regeleinhaltung (Regeleinhaltung B – „B“ steht für „beurteilt“) mit dessen sozialer Akzeptanz zusammenhängt. Um dies zu konkretisieren: Kind 1 schätzt die Regeleinhaltung B von Kind 2 ein. Kind 1 schätzt auch ein, ob es Kind 2 sozial akzeptiert. Es wird geprüft, ob hier ein Zusammenhang besteht.

Zur Beantwortung der Frage, ob Kinder, die von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern eher als regelkonform wahrgenommen werden, eher Kinder sozial akzeptieren, die sie selbst als regelkonform einschätzen, wird auch die Regeleinhaltung der urteilenden Kinder (Regeleinhaltung U – „U“ steht für „urteilend“) als deren durchschnittliche Beurteilung durch die Peers herangezogen. Konkret bedeutet dies: Die Kinder 2, 3, 4 (etc.) schätzen die Regeleinhaltung von Kind 1 ein. Als Regeleinhaltung U wird das durchschnittliche Urteil der Kinder 2, 3, 4 (etc.) in Bezug zu Kind 1 herangezogen. Es wird geprüft, ob die Regeleinhaltung U von Kind 1 den zuvor formulierten Zusammenhang der Regeleinhaltung B von Kind 2 und dessen sozialer Akzeptanz (beides durch Kind 1 eingeschätzt) moderiert.

4.2.3 Lehrkraftfeedback

Auch das Lehrkraftfeedback wurde via Peer-Ratings erhoben. Hier schätzten Schülerinnen und Schüler äquivalent zur Regeleinhaltung jeweils auf einer Einzelskala ein, wie häufig ihre Mitschülerinnen und Mitschüler grundsätzlich von ihrer Klassenlehrkraft gelobt bzw. getadelt werden (0 = selten, 1 = manchmal, 2 = oft, 3 = sehr oft).

4.2.4 Klassenstufe

Um zu evaluieren, ob die formulierten Zusammenhänge in Hypothese 1 (SSD-Modell) und 3 (SR-Theorie) von der Klassenstufenzugehörigkeit moderiert werden, wurde diese als Variable auf Klassenebene mitaufgenommen (Klassenstufe 2, 3, 4). Die Klassenstufe ist ein Indikator für die Länge der Schullaufbahn eines Kindes. Sie repräsentiert somit für den größten Teil der Schülerinnen und Schüler, wie viele Jahre diese mit ihrer Klassenlehrkraft und ihren Mitschülerinnen und Mitschülern bereits sozial interagieren. Aus diesem Grund wurde die Klassenstufe und nicht das individuelle Alter eines Kindes herangezogen.

4.2.5 Gleichgeschlechtlichkeit

Da Kinder zu gleichgeschlechtlichen soziometrischen Wahlen neigen (McPherson et al. 2001), wurde die Gleichgeschlechtlichkeit der Schulkind-Dyaden als Kontrollvariable berücksichtigt (0 = unterschiedliches Geschlecht, 1 = gleiches Geschlecht).

4.3 Statistik

Die statistische Analyse der Querschnittsdaten erfolgte anhand einer logistischen Mehrebenen-Regressionsanalyse mit Random-Intercept-Modellen. Im vorliegenden Datensatz sind die Kinder sowohl in Schulklassen als auch kreuzweise in Schulkind-Dyaden genestet (Kind 1 beurteilt Kind 2, Kind 2 beurteilt Kind 1). Aus einer Klasse mit bspw. 20 Kindern resultiert ein Datensatz mit 380 Zeilen, da jedes Kind jedes der 19 anderen Kinder seiner Klasse einschätzt. Für die Publikation wurden somit insgesamt 17.409 Schulkind-Dyaden analysiert.

Als unabhängige Variablen wurden die Regeleinhaltung, das Lehrkraftlob, der Lehrkrafttadel, die Klassenstufe und zur statistischen Kontrolle die Gleichgeschlechtlichkeit der Dyaden herangezogen. Da wir die Regeleinhaltung sowohl als Eigenschaft des beurteilten Kindes (SSD-Modell) als auch als Eigenschaft des urteilenden Kindes (Homophilie-Hypothese) betrachteten, wird wie zuvor erläutert die Regeleinhaltung einerseits als Regeleinhaltung B (Einschätzung zum beurteilten Kind durch das urteilende Kind) und andererseits als Regeleinhaltung U (mittlere Einschätzung der Mitschülerinnen und Mitschüler zum urteilenden Kind) bezeichnet. Die unabhängigen Variablen wurden in Anlehnung an die Empfehlungen von Enders und Tofighi (2007) am jeweiligen Klassenmittelwert zentriert mit Ausnahme der Klassenstufe, bei der die Zentrierung am Gesamtmittelwert erfolgte. Als abhängige Variable wurde die soziale Akzeptanz in dichotomer Ausprägung betrachtet (0 = keine soziometrische Wahl, 1 = soziometrische Wahl). Im Zuge der logistischen Regression werden die Odds-Ratios (OR) berichtet. Dabei wird in Anlehnung an Best und Wolf (2012) jeweils nur die Richtung der OR interpretiert, nicht aber die Höhe der Werte. Dementsprechend stehen OR > 1 für einen positiven Zusammenhang (oder Erhöhung der Wahlwahrscheinlichkeit), Werte von OR < 1 für einen negativen Zusammenhang (oder Verringerung der Wahlwahrscheinlichkeit). Die Modellgüte wird anhand der Erhöhung der aufgeklärten Varianz (R2) beurteilt. Hierfür wird mit Hilfe eines Chi-Quadrat-Tests geprüft, ob die Varianzaufklärung gegenüber dem jeweils vorherigen Modell signifikant ansteigt.

Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden die statistischen Modelle schrittweise aufgebaut. Modell 1 beinhaltet als Kontrollvariable lediglich die Gleichgeschlechtlichkeit der Dyaden. Modell 2 enthält zusätzlich die Regeleinhaltung (B) der beurteilten Kinder (SSD-Modell, Hypothese 1). In Modell 3 werden die Regeleinhaltung (U) der urteilenden Kinder sowie die Interaktion mit der Regeleinhaltung der beurteilten Kinder (B * U) aufgenommen (Homophilieeffekt, Hypothese 2). In Modell 4 wird das Lehrkraftfeedback (Lob und Tadel) hinzugefügt (SR-Theorie, Hypothese 3). In Modell 5 werden schließlich die Interaktionen der zuvor berichteten Einflussfaktoren mit der Klassenstufe berichtet (Klassenstufeneffekt, Hypothese 4).

Die Rechnungen erfolgten mit Hilfe der R‑Pakete lme4 (Bates et al. 2015) und lmerTest (Kuznetsova et al. 2017).

5 Ergebnisse

Tab. 2 liefert zunächst einen Überblick über die Interkorrelationen. Die Regeleinhaltung, das Lehrkraftlob und der Lehrkrafttadel korrelieren in angenommener Richtung mit der sozialen Akzeptanz. Rein deskriptiv scheint es so, als würden die Zusammenhänge mit steigender Klassenstufe zunehmen, was einen ersten Hinweis auf die formulierten Annahmen zur Klassenstufenabhängigkeit gibt.

Tab. 2 Bivariate Interkorrelationen

Im Nullmodell (nicht in Tab. 3 aufgeführt) ergibt sich aufgrund der dargestellten Clusterstruktur (Nestung in Klassen und Dyaden) eine Intraklassenkorrelation von ICC = 0,32. Unter Berücksichtigung der Gleichgeschlechtlichkeit der Dyaden liefert Modell 1 bereits eine signifikant bessere und mittlere Varianzaufklärung (R2m = 13,6 %). Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder ein Kind mit gleichem Geschlecht wählen, ist gegenüber einer nicht gleichgeschlechtlichen Wahl um den Faktor OR = 6,42 erhöht.

Tab. 3 Ergebnisse der logistischen Mehrebenenanalyse

5.1 Zusammenhang zwischen Regeleinhaltung und sozialer Akzeptanz (Hypothese 1)

Durch Hinzunahme der Regeleinhaltung (B) des beurteilten Kindes (Modell 2) wird eine signifikante zusätzliche Varianzaufklärung von ∆R2m = 7,1 % erreicht. Je besser sich ein Kind an die Klassenregeln hält, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern eine soziometrische Wahl erhält (OR = 2,06).

5.2 Moderation durch die Regeleinhaltung des urteilenden Kindes (Hypothese 2)

Ob auch die Regeleinhaltung (U) des urteilenden Kindes selbst einen Einfluss auf dessen Wahlverhalten nimmt, wird in Modell 3 überprüft. Durch Hinzunahme der Regeleinhaltung U sowie deren Interaktion mit der Regeleinhaltung B wird eine zusätzliche signifikante Varianzaufklärung von ∆R2m = 0,7 % erzielt. Der Wert zur Regeleinhaltung U (OR = 0,81) zeigt, dass Kinder, die sich gut an Klassenregeln halten, dazu neigen, grundsätzlich weniger soziometrische Wahlen auszusprechen als Kinder, die sich schlecht an Klassenregeln halten. Darüber hinaus lässt sich aus dem Wert von OR = 1,37 für den Interaktionsterm ableiten, dass Kinder, die sich selbst gut an die Klassenregeln halten, auch eher Kinder wählen, die sich ebenfalls gut an die Klassenregeln halten (Homophilie-Hypothese). Um die Moderationswirkung etwas besser zu verdeutlichen, wurde Modell 2 nochmals separat für Kinder berechnet, die sich selbst sehr schlecht bzw. sehr gut an die Klassenregeln hielten. Dafür wurden jeweils Subgruppen ausgewählt, deren eigene Regeleinhaltung U mindestens eine SD unter bzw. eine SD über dem Mittelwert lagen. Für Kinder mit einer schlechten Regeleinhaltung U ergab sich für die Variable Regeleinhaltung B ein Wert von OR = 1,62, für Kinder mit einer guten Regeleinhaltung U ein Wert von OR = 2,72. Aus dem Wert für den Interaktionsterm im Modell 3 (OR = 1,37) lässt sich entsprechend nur ableiten, dass eine gute Regeleinhaltung der anderen Kinder für eine soziometrische Wahl entscheidender wird, wenn sich das wählende Kind selbst gut an die Regeln hält. Nicht schließen lässt sich, dass Kinder, die sich selbst schlecht an Regeln halten, auch eher solche wählen, die sich ebenfalls schlecht an Regeln halten (die OR beider Subgruppen liegen jeweils über 1).

5.3 Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz (Hypothese 3)

In Modell 4 wird nun additiv der Effekt des Lehrkraftlobs bzw. des Lehrkrafttadels betrachtet (SR-Theorie). Das Modell liefert eine zusätzliche signifikante Varianzaufklärung von ∆R2m = 2,6 %. Nimmt ein Kind wahr, dass ein anderes Kind häufig von der Lehrkraft gelobt wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses als Sitzpartnerin bzw. als Sitzpartner wählt (OR = 1,5). Der gegenteilige Effekt ergibt sich für den Lehrkrafttadel.

5.4 Moderation durch die Klassenstufe (Hypothese 4)

Modell 5 beinhaltet schlussendlich zusätzlich sämtliche Interaktionen der in Modell 4 dargestellten Zusammenhänge mit der Klassenstufe und klärt weitere ∆R2m = 3,8 % Varianz auf. Die Interaktionsterme deuten gleich auf mehrere Effekte hin. Erstens zeigt die signifikante Interaktion zwischen Gleichgeschlechtlichkeit und Klassenstufe (OR = 2,14), dass die Wahrscheinlichkeit, ein gleichgeschlechtliches Kind zu wählen, mit zunehmender Klassenstufe ansteigt (Homophilie-Hypothese im Hinblick auf das Geschlecht). Zweitens zeigt die signifikante Interaktion zwischen Klassenstufe und Regeleinhaltung B (OR = 1,25), dass sich mit zunehmender Klassenstufe die Bedeutung der Regeleinhaltung im Hinblick auf eine soziometrische Wahl erhöht (SSD-Modell, Hypothese 4.1). Drittens lässt sich aus der signifikanten Interaktion zwischen Lehrkraftlob und Klassenstufe (OR = 1,13) ableiten, dass sich der positive Zusammenhang von Lob und sozialer Akzeptanz mit zunehmender Klassenstufe erhöht. Der signifikante Interaktionseffekt zwischen Lehrkrafttadel und Klassenstufe (OR = 0,90) zeigt, dass sich der negative Zusammenhang von Lehrkrafttadel und sozialer Akzeptanz mit zunehmender Klassenstufe verschärft (SR-Theorie, Hypothese 4.2). Zur besseren Interpretierbarkeit können die klassenstufenweisen Korrelationen zwischen der abhängigen Variable und den Prädiktoren in Tab. 2 nachvollzogen werden.

6 Diskussion

Ziel der dargestellten Studie war es, zu überprüfen, ob die soziale Akzeptanz eines Kindes mit dessen von den Mitschülerinnen und Mitschülern wahrgenommener Regeleinhaltung (SSD-Modell), der Regeleinhaltung der Mitschülerinnen und Mitschüler selbst (Homophilie-Hypothese) und mit dem von den Mitschülerinnen und Mitschüler wahrgenommenen Lehrkraftfeedback (SR-Theorie) zusammenhängt. Darüber hinaus wurde erörtert, ob die angenommenen Zusammenhänge im Rahmen des SSD-Modells und der SR-Theorie durch die Klassenstufenzugehörigkeit moderiert werden.

6.1 Zusammenhang zwischen Regeleinhaltung und sozialer Akzeptanz (Hypothese 1)

Das SSD-Modell geht davon aus, dass die soziale Integration von Personen durch deren soziale Fähigkeiten bedingt wird (Huber 2019). Bisherige Untersuchungen (z. B. Krull et al. 2018) konnten diese Annahme auf Basis von Lehrkrafteinschätzungen zu ihren Schülerinnen und Schülern stützen. Hierbei wurde die Wahrnehmung der Schulkinder nicht berücksichtigt. Unsere Ergebnisse bestätigen, dass die Einschätzung durch die Mitschülerinnen und Mitschüler im Hinblick auf die Regeleinhaltung eines Kindes ebenfalls mit dessen soziometrischer Wahl einhergeht. Somit ist nicht nur das Urteil der Lehrkräfte, sondern auch die Wahrnehmung des Verhaltens durch die Kinder für die Entscheidung zur Aufnahme sozialer Interaktionen von Bedeutung.

6.2 Moderation durch die Regeleinhaltung des urteilenden Kindes (Hypothese 2)

Die Homophilie-Hypothese besagt, dass Menschen soziale Beziehungen eher zu Personen mit ähnlichen Attributen aufbauen (Lazarsfeld und Merton 1954). Hoffmann et al. (2021) zeigten bereits, dass Kinder mit Förderbedarf ebenfalls eher Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf als Freundinnen und Freunde benennen und umgekehrt. Auch in unserer Studie bestätigt sich diese Tendenz, wobei der Fokus auf der Einhaltung von Klassenregeln lag und ein sonderpädagogischer Förderbedarf bewusst nicht als Homophilie-Charakteristikum herangezogen wurde. Außerdem konnte nur beobachtet werden, dass eine positiv wahrgenommene Regeleinhaltung im Hinblick auf eine soziometrische Wahl entscheidender wird, wenn das wählende Kind selbst als regelkonform eingeschätzt wurde. Dass Kinder, die sich in der durchschnittlichen Wahrnehmung der Mitschülerinnen und Mitschüler schlecht an Regeln halten, auch eher solche wählen, die sie selbst als nicht-regelkonform einschätzen, lässt sich aus den Ergebnissen nicht folgern.

6.3 Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz (Hypothese 3)

Einhergehend mit den Feldstudienergebnissen von Hendrickx et al. (2017) und Wullschleger et al. (2020) untermauert unsere Untersuchung, dass das Lehrkraftfeedback auch unter statistischer Kontrolle der wahrgenommenen Regeleinhaltung mit der sozialen Akzeptanz von Schülerinnen und Schülern zusammenhängt (schwacher Effekt). In Ergänzung zu den benannten Untersuchungen, die Feedback über Verhaltensbeobachtungen erfassten, zeigte sich dies in der vorliegenden Studie auch für das durch die Mitschülerinnen und Mitschüler wahrgenommene Lehrkraftfeedback. Im Gegensatz zu den Forschungsergebnissen von bspw. Huber et al. (2015) erschien jedoch der Einfluss des positiven Feedbacks rein deskriptiv stärker als der des negativen Feedbacks.

6.4 Moderation durch die Klassenstufe (Hypothese 4)

Sowohl im Hinblick auf das SSD-Modell als auch hinsichtlich der SR-Theorie deuten die Resultate der Mehrebenenanalyse auf eine Zunahme der angenommenen Zusammenhänge im Laufe der Grundschulzeit hin. So scheint die Regeleinhaltung der Mitschülerinnen und Mitschüler und damit einhergehend deren erhaltenes Lehrkraftlob bzw. deren nicht-erhaltener Lehrkrafttadel für die soziale Akzeptanz bis zur vierten Klasse immer bedeutsamer zu werden. Im Sinne der Homophilie-Hypothese konnte dieser Effekt ebenfalls für die Gleichgeschlechtlichkeit nachgezeichnet werden, jedoch nicht für die Verhaltenshomogenität. Insgesamt fiel der Moderationseffekt schwach aus. Die Ergebnisse auf bisherige Forschungsarbeiten im Kontext der sozialen Integration zu beziehen, ist nicht möglich, da wir nach eigenen Recherchen keine vergleichbaren Studienbefunde finden konnten. Bzgl. der Regeleinhaltung könnte wie zuvor formuliert eine zunehmende Internalisierung von Klassennormen Varianz aufklären, was auch im Rahmen der SR-Theorie eine Rolle spielen dürfte (Hypothese 4.1). Im Hinblick auf das Lehrkraftfeedback könnte die zunehmende Empathiefähigkeit (Janke 2008; Pons et al. 2004) eine Erklärung liefern (Hypothese 4.2). Ältere Kinder wären demnach eher in der Lage, das Lehrkraftfeedback in Bezug zur Einstellung der Lehrkraft zum adressierten Kind zu setzen. Insgesamt bedarf es insbesondere zur besseren Erklärbarkeit einer möglichen Entwicklungsabhängigkeit weiterer Studien, die die angenommenen Ursachen expliziter ergründen.

6.5 Limitationen und Forschungsperspektiven

Der wesentlichste Kritikpunkt an der aktuellen Untersuchung ist, dass lediglich Querschnittsdaten ausgewertet wurden. Insbesondere die Hinweise zur Klassenstufenabhängigkeit müssten durch künftige Studien, die über mehrere Jahre angelegt sind und somit abhängige Stichproben untersuchen, abgeklärt werden. Auch die Entwicklung im Laufe der Adoleszenz könnte weitere wichtige Erkenntnisse über die Veränderung der Einflussnahme von Faktoren, die die soziale Integration bedingen, liefern. Die aufgeführten Theorien zur Klassenstufenabhängigkeit müssten weiterhin durch die Hinzunahme zusätzlicher Variablen (bspw. zur Empathiefähigkeit der Kinder und Jugendlichen), die aus verschiedenen Perspektiven und durch unterschiedliche Erhebungsmethoden zu erfassen wären, überprüft werden. Darüber hinaus wurde die IC-Theorie nicht in den Analysen berücksichtigt. Um weitere pädagogisch relevante Schlüsse ziehen zu können, wären künftig Informationen darüber, wie Lehrkräfte ihren Unterricht gestalten und welche kontaktförderlichen Maßnahmen (wie z. B. kooperatives Lernen, Gruppenarbeiten, Maßnahmen zur Stärkung der Gruppenkohäsion etc.) umgesetzt werden, von großer Bedeutung. Die Erhebung des Lehrkraftfeedbacks aus Perspektive der Schülerinnen und Schüler sollte perspektivisch domänenspezifisch erfolgen (Lernen, Verhalten) und, falls möglich, auch die emotionale Färbung des Feedbacks abbilden. Außerdem wären Untersuchungen zu begrüßen, die Lehrkraftfeedback sowohl subjektiv als auch objektiv beleuchten, da im Kontext der SR-Theorie beide Zugänge ihre Berechtigung haben (objektive Beobachtungen zur differenzierten Analyse des tatsächlichen Lehrkrafthandelns, subjektive Befragung zur Erfassung der Kognitionen der Schülerinnen und Schüler). Kritisch ist auch die Einschätzung der Regeleinhaltung durch die Peers zu betrachten. So könnte die Einschätzung des Verhaltens von Kindern untereinander auch durch das eigene Verhalten beeinflusst werden, was zu einer Verzerrung der gefundenen Homophilieeffekte geführt haben könnte. Außerdem ist nicht klar, welche konkreten (externalisierenden oder auch internalisierenden) Verhaltensweisen die Kinder unserer Untersuchung konkret unter dem Begriff der Regeleinhaltung verstanden haben. Demnach sollten die Befunde ebenfalls auf Basis von multiperspektivischer Erfassung von konkret operationalisierten Verhaltensproblemen repliziert werden. Zuletzt wäre noch empfehlenswert, die soziale Integration multidimensional zu erfassen, wobei wir den Schwerpunkt bewusst auf die soziale Akzeptanz (4. Dimension nach Koster et al. 2009) gelegt haben, da die Grundlage unterer Analyse auf den subjektiven Bewertungen der Mitschülerinnen und Mitschüler basiert.

7 Fazit

Die aktuelle Untersuchung konnte die bisherigen Ergebnisse von Feldstudien zum SSD-Modell, zur SR-Theorie und zur Homophilie-Hypothese auch unter ausschließlicher Berücksichtigung der Perspektive von Schülerinnen und Schülern bestätigen. Insbesondere der Zusammenhang von Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz, der bislang noch nicht in deutschen Feldstudien untersucht wurde, sowie eine vermutliche Klassenstufenabhängigkeit im Kontext des SSD-Modells und der SR-Theorie, wozu keinerlei vorangehende Untersuchungen gefunden wurden, sind dabei herauszustellen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen vor diesem Hintergrund vor der wichtigen Aufgabe, multifaktoriell fundierte Interventionsansätze zur Förderung sozialer Integration zu entwickeln und evaluieren. Außerdem müssen zukünftig weitere Erkenntnisse vor allem im Hinblick auf die Klassenstufenabhängigkeit gewonnen werden.