1 Einleitung

Schulen stellen Orte der Begegnung und der kulturellen Vielfalt dar, in denen Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Voraussetzungen und aus unterschiedlichen familialen, kulturellen und sozialen Kontexten aufeinandertreffen. In Hinblick auf die soziokulturelle Heterogenität der Schülerschaft lässt sich gerade in den letzten Jahren eine kontinuierliche Zunahme beobachten: Während im Jahr 2009 noch zwischen 29 und 30 % der schulpflichtigen Kinder einen Migrationshintergrund aufwiesen, so traf dies im Jahr 2016 bereits auf 30 bis 37 % zu (vgl. Statistisches Bundesamt 2017; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Trotz dieser Zunahme verweisen Historikerinnen und Historiker zurecht darauf, dass Migration kein neues Phänomen ist, da Migrationsbewegungen die deutsche Geschichte von jeher geprägt haben. Die Wahrnehmung von Migration als neues und dringliches Thema wird dadurch verstärkt, dass aus politischer (und daraus resultierend auch aus bildungspolitscher) Sicht zuwanderungsbedingte Veränderungen lange ignoriert wurden. Dementsprechend randständig wurde das Thema bis in die 1990er Jahre auch in der erziehungswissenschaftlichen Forschung behandelt. Fragen, welche Kompetenzen Lehrkräfte eigentlich im Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität brauchen, um im Unterricht adäquat mit Vielfalt umgehen können, blieben in der erziehungswissenschaftlichen – und hier vor allem in der schulpädagogischen und professionsbezogenen – Forschung lange unberücksichtigt.

In den letzten zwei Jahrzehnten lässt sich jedoch ein merklicher Anstieg an Forschungsbeiträgen zum Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität im Allgemeinen und zu Fragen der migrationsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften im Besonderen feststellen. Seitdem wurde die Wichtigkeit interkultureller Bildung für moderne, kulturell pluralistische Gesellschaften sowohl seitens der Wissenschaft als auch seitens der Politik zunehmend betont (vgl. bspw. die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zu interkultureller Bildung und Erziehung in der Schule von 1996 oder zum Erwerb von Wissen über die interkulturelle Dimension in der Gestaltung von Bildungs- und Erziehungsprozessen in der Lehramtsausbildung von 2004).

Lehrkräften kommt für die Vermittlung von (interkultureller) Bildung eine Schlüsselrolle zu. Dafür müssen sie (gemäß kompetenztheoretischer Überlegungen) über entsprechende Kompetenzen verfügen. Professionelle Kompetenzen von Lehrkräften werden aktuell in verschiedenen Modellen beschrieben, die sich überwiegend auf die Arbeiten von Shulman (1986) berufen (vgl. Baumert und Kunter 2006; Blömeke et al. 2008). Diese Kompetenzmodelle konzeptualisieren die professionelle Kompetenz als ein Zusammenspiel von spezifischem Fachwissen und fachdidaktischem Wissen, von pädagogisch-psychologischem Wissen, professionellen Überzeugungen und motivationalen Orientierungen sowie von Fähigkeiten zur Selbstregulation. Für den Umgang mit migrationsbezogener Heterogenität lassen sich für die genannten Aspekte professioneller Kompetenz spezifische Facetten konkretisieren: bspw. Fachwissen über Spracherwerbsprozesse oder ein breites fachdidaktisches Methodenrepertoire. Im Kontext von migrationsbezogener Heterogenität wird jedoch vor allem dem Aspekt der Überzeugungen und Werthaltung eine hohe Bedeutung beigemessen (vgl. Hachfeld et al. 2012). Während in empirischen Studien zur professionellen Kompetenz der Begriff der Überzeugungen verwendet wird (vgl. u. a. Blömeke et al. 2008; Voss et al. 2011), sprechen sozialpsychologisch orientierte Ansätze in diesem Zusammenhang oft von Einstellungen (vgl. Gebauer et al. 2013). Im deutschsprachigen Raum findet sich häufig jedoch auch eine synonyme Verwendung der beiden Begriffe, wie sie auch in dem hier vorliegenden Beitrag erfolgt.

Ziel des Beitrages ist es, den status quo des Forschungsfeldes zu Überzeugungen von (künftigen) Lehrkräften hinsichtlich migrationsbezogener Heterogenität überblicksartig entlang von Forschungsschwerpunkten und zeitlichen Verläufen darzustellen. Hierfür wurde ein integrativer Review (vgl. Whittemore und Knafl 2005) bezogen auf den deutschsprachigen Raum durchgeführt. Innerhalb der Schwerpunkte wird jeweils abschließend auch auf Forschungsdesiderate sowie internationale Perspektiven eingegangen. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf (mögliche) künftige Forschungen in dem Feld.

2 Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität: Entwicklungen und Forschungskontexte

Im Hinblick auf die verschiedenen Migrationsbewegungen in Deutschland, die daraus resultierende soziokulturelle Heterogenität in den Schulen und den Umgang damit lassen sich für die pädagogische und erziehungswissenschaftliche Forschung verschiedene Forschungsentwicklungen beschreiben, die auch einen jeweiligen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Konsens widerspiegeln: Bis in die 1980er Jahre war die sogenannte „Ausländerpädagogik“ (vgl. Nohl 2006) vorherrschend, welche aus einer defizitorientierten Perspektive heraus Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund (gemessen an der Mehrheitsgesellschaft) als nachholungsbedürftig verstanden hatte. Es galt, eine Pädagogik für „Ausländer“ zu definieren, die ihnen eine Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft ermöglichte. In den 1990er Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass reine Assimilationsbemühungen in der bis dato gängigen Defizitorientierung nicht angemessen für den Umgang mit der Vielfältigkeit von Menschen sind, sondern Raum für eine interkulturelle Pädagogik geschaffen werden müsse, welche die kulturelle Differenz der gesamten bundesdeutschen Gesellschaft in den Mittelpunkt rückt (vgl. Krüger-Potratz 2005). In der kritischen Auseinandersetzung mit der interkulturellen Pädagogik formten sich indes migrationspädagogische Ansätze, die vor allem den Zusammenhang von Kultur und Macht reflektierten und damit auch systematische Marginalisierungsprozesse im Kontext von Migration offenlegten (vgl. Mecheril 2004). Ähnlich den migrationspädagogischen Ansätzen zielen Diversity-Ansätze darauf ab, die Bedeutung kultureller Zugehörigkeiten kritisch zu dekonstruieren, indem sie vor allem ihre Intersektionalität und ihre Mehrdimensionalität betonen (vgl. Prengel 2015).

Alle vier Ansätze weisen teils deutliche Unterschiede zueinander auf, z. B. mit Blick auf die Konzeptualisierung von Differenz und Diversität oder hinsichtlich ihrer inhaltlichen Fokussierung. Besonders die drei letztgenannten, aktuelleren Ansätze verbindet jedoch die Tendenz zur mehrperspektivischen Betrachtung im Kontext von Migrationsfragen. Dadurch wird zunehmend auch der Blick auf die handelnden Akteurinnen und Akteure samt ihren Überzeugungen und die in Bildungskontexten vorherrschen institutionellen Ungleichheitsstrukturen gerichtet.

Bereits Mitte der 1990er Jahre machten qualitativ-ethnographische Schulforschungsstudien auf eine strukturelle „Konzeptlosigkeit“ (Schiffauer et al. 2002, S. 359) und Differenzblindheit (vgl. Auernheimer et al. 1996) deutscher Schulen im Umgang mit migrationsbezogener Heterogenität aufmerksam. Gleichzeitig arbeiteten die neuen Studien die Bedeutung individueller Überzeugungen und Einstellungen heraus, die notwendig seien, um auf migrationsbezogene Unterschiede eingehen zu wollen bzw. diese überhaupt wahrzunehmen (vgl. Allemann-Ghionda 1996; Auernheimer et al. 1996; Gogolin und Neumann 1997). In Bezug auf die migrationsbezogenen Überzeugungen – so der Hinweis von Allemann-Ghionda (1996) – lagen bis dato keine umfassenden oder repräsentativen empirischen Untersuchungen für Deutschland vor, was sich Ende der 1990er Jahre zu ändern begann. Bildungspolitisch erlebte das Thema Interkulturalität in dieser Zeit Unterstützung durch die Kultusministerkonferenz (KMK), die 1996 ihre Empfehlung zu „Interkultureller Bildung und Erziehung in der Schule“ veröffentlichte (KMK 1996). Darin wurden die Schulen dazu aufgefordert, „pädagogische Handlungskonzepte für den Umgang mit Vielfalt zu entwickeln und umzusetzen“ (S. 2).

Mitte der 2000er Jahre lassen sich erneut zwei bildungs- und wissenschaftspolitische Entwicklungen identifizieren, die zu einem erneuten Florieren des Forschungsfeldes zu migrationsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften geführt haben könnten: Zum einen führte die Teilnahme Deutschlands an internationalen Schulleistungsstudien und die damit einhergehende empirische Wende in der Erziehungswissenschaft dazu, dass die empirische Bildungsforschung insgesamt zunahm, was sich auch auf die Erforschung migrationsbezogener Überzeugungen auswirkte. In diesem Kontext legte die Kultusministerkonferenz 2006 mit den sogenannten Plöner Beschlüssen auch ihre Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring vor, die einer Kompetenzorientierung im Bildungsbereich Vorschub leistete. Diese richtete sich nicht nur auf die Schülerinnen und Schüler, sondern auch auf die Lehrkräfte, deren Handeln nun stärker in kompetenztheoretischen Modellen und mithilfe von Standards modelliert wurden. Zum anderen wurden diese Forschungsbemühungen zusätzlich durch das 2007 aufgelegte Rahmenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Förderung der empirischen Bildungsforschung finanziell gestärkt. Die seit 2015 laufende Qualitätsoffensive Lehrerbildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) forderte in ihrer ersten Ausschreibung explizit eine Stärkung der Professionalisierung für den Umgang mit Heterogenität im weiteren Sinne ein und reaktivierte und stärkte damit die in den letzten zwei Dekaden jeweils in unterschiedlicher Intensität betriebenen Forschungsaktivitäten.

3 Methodisches Vorgehen: Integrativer Review

Dem Ziel des Beitrags folgend, einen Überblick über das Forschungsfeld zu Überzeugungen von Lehrkräften hinsichtlich migrationsbezogener Heterogenität zu geben, wurde ein integrativer Review durchgeführt. Die hierdurch identifizierten empirischen Studien (siehe Tab. 1) und deren Ergebnisse wurden sodann entlang von Forschungsschwerpunkten sowie chronologisch systematisiert.

Tab. 1 Studien zu Überzeugungen zur migrationsbedingten Heterogenität

Der diesem Beitrag zugrundeliegende integrative Literaturreview verfolgt eine iterative, protokollbasierte Suchstrategie (vgl. Whittemore und Knafl 2005; Whittemore et al. 2014) mit definierten Analysekriterien.

Für die Aufnahme von Studien wurden zunächst folgende Kriterien bestimmt: Die Studien lieferten Ergebnisse empirischer Analysen, die in Deutschland innerhalb der letzten zwei Dekaden (1996–2018) durchgeführt worden waren (unabhängig von der Publikationssprache). Die räumliche Begrenzung erschien uns aus zwei Gründen sinnvoll: Zum einen liegt unser Fokus auf einer Beschreibung des status quo der deutschen Forschung zu migrationsbezogenen Überzeugungen. Zum anderen könnten die migrationsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften stark durch länderspezifische Rahmenbedingungen geprägt sein (für einen Überblick über den U.S.-amerikanischen Raum vgl. Castro 2010). Anschließend wurden Artikel in Literaturdatenbanken (v. a. FIS Bildung) nach den Wortnennungen bzw. Schlagworten, „Überzeugungen“, „Einstellungen“, „Kultur“, „Migration“, „Migrationshintergrund“, „Lehrkräfte“, „Lehramtsstudierende“ sowie ähnlichen Begriffen (z. B. „kulturell“ anstatt „Kultur“) und nach Wortkombinationen (z. B. „kulturelle Überzeugungen“) recherchiert. Die gefundenen Artikel wurden anschließend daraufhin überprüft, ob sie die o. g. Bedingungen erfüllten. Die hierdurch in den Review aufgenommenen Artikel wurden mittels Konsensprinzip in Forschungsschwerpunkte einsortiert und im Weiteren innerhalb der Schwerpunkte chronologisch angeordnet. Dieser Blick auf inhaltliche Schwerpunktsetzungen in Verbindung mit einer Reflexion über ihre chronologische Entwicklung ermöglicht es, bisherige Forschungsbefunde gegenüberzustellen und künftige Forschungsdesiderata herauszuarbeiten. In einem letzten Schritt wurde eine zweite Rechercheschleife mit den gleichen Kriterien durchgeführt, nun jedoch nochmals spezifiziert für im Feld als besonders relevant erachtete Zeitschriften (Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Psychologie in Erziehung und Unterricht, Zeitschrift für Entwicklungspsychologie & Pädagogische Psychologie, Tertium Comparationis). Hinzu kam hier auch eine Recherche in Literaturverzeichnissen einschlägiger Handbuchartikel, um weitere empirische Arbeiten zu identifizieren. Die Ergebnisse dieser letzten Recherche lieferten nur noch wenige neue Artikel und bestätigten zudem die bereits gefundenen Forschungsschwerpunkte.

4 Forschungsschwerpunkte zu migrationsbezogenen Überzeugungen

Die in dem Review identifizierten Studien (siehe Tab. 1) lassen sich vier verschiedenen Schwerpunkten zuordnen, die im Folgenden ausführlicher beschrieben werden. Beim ersten Schwerpunkt handelt es sich um Studien, die das Konstrukt der migrationsbezogenen Überzeugungen untersuchen, einen Konzeptualisierungsvorschlag unterbreiten und seine Erfassung näher betrachten. Im zweiten Schwerpunkt werden Studien präsentiert, die die Auswirkungen migrationsbezogener Überzeugungen auf das Verhalten der Lehrkraft und ihre professionellen Kompetenzen sowie Zusammenhänge mit anderen Konstrukten untersuchen. Drittens werden jene Studien schwerpunktmäßig zusammengefasst, in denen verschiedene Prädiktoren migrationsbezogener Überzeugungen in den Blick genommen werden. Studien, die die Auswirkungen der migrationsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften auf die Schülerinnen und Schüler untersuchen, werden unter dem vierten Schwerpunkt zusammengefasst. Innerhalb der Forschungsschwerpunkte werden zunächst im Forschungsstand die nationalen Studien (siehe Tab. 1) beschrieben. Unter Heranziehung von internationalen Studien wird im anschließenden Unterkapitel jeweils ein Ausblick auf Forschungsdesiderate gegeben.

4.1 Konzeptualisierung von migrationsbezogenen Überzeugungen

4.1.1 Forschungsstand

Studien, die die individuellen Überzeugungen von Lehrkräften im Kontext migrationsbezogener Heterogenität in den Blick nahmen, konzentrierten sich zunächst häufig auf die Konzeptualisierung und die Operationalisierung eben jener. Eine Pionierstudie, die Einstellungen zur Akkulturation repräsentativ und quantitativ-empirisch an „sechs deutschen Stichproben“ (S. 83) – davon eine bestehend aus Lehrkräften – untersuchte und damit auch eine empirische Wende für Deutschland in diesem Bereich einläutete, wurde 1997 von van Dick und Kollegen publiziert. Die Autoren erfassten die Akkulturationseinstellungen in Anlehnung an das Akkulturationsmodell von Berry (vgl. Berry et al. 1989). In Abhängigkeit von den individuellen Zielvorstellungen über Identitätswahrung und interethnische Kontaktaufnahme in pluralistischen Gesellschaften ergeben sich theoretisch die vier Einstellungen Integration, Assimilation, Segregation/Separation und Marginalisierung. Angemerkt sei, dass Berry sein Modell zunächst aus der Perspektive der Minderheiten heraus entwickelt hatte. Während die Stichproben seiner ersten Studien Aborigines in Australien und Mitglieder indigener Völker in Kanada, später auch Migrierte in verschiedenen anderen Ländern umfassten (vgl. Berry 1997), wurde das Modell später auch für Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft übernommen. Der Blick lag in diesem Fall nicht auf den eigenen Akkulturationsvorstellungen der Menschen, vielmehr standen die an Menschen aus Minderheitskulturen gerichteten Erwartungen hinsichtlich ihrer Akkulturationsbemühungen im Fokus.

Personen mit integrativen oder assimilativen Einstellungen betrachten interkulturelle Beziehungen als wertvoll, unterscheiden sich jedoch in der Vorstellung darüber, inwiefern die kulturelle Identität beibehalten werden sollte. Die Beibehaltung kultureller Identität aller in einer Gesellschaft lebenden Gruppen impliziert gleichzeitig aber auch eine Annäherung an die jeweils anderen Kulturen. „Wahre“ Integration ist damit das „Ergebnis eines gemeinsamen kulturellen Rahmens“ (van Dick et al. 1997, S. 84). Assimilation wiederum erfordert von Angehörigen der Minderheitskultur die Aufgabe ihrer eigenen kulturellen Identität und eine Assimilierung an die der Mehrheitskultur. Die Akkulturationseinstellungen Segregation/Separation und Marginalisierung haben alle die Ablehnung von Kontaktaufnahme(n) mit jeweils anderen Gruppen und die daraus folgende Abgrenzung gemeinsam. Wird die Aufrechterhaltung der kulturellen Identität dennoch als ein wichtiges Ziel erachtet, sprechen van Dick et al. von Segregation/Separation, im anderen Fall von Marginalisierung. Theoretisch gehen die Autoren davon aus, dass Marginalisierung in Deutschland keine wesentliche Rolle spielt und Personen, die ihre eigene kulturelle Identität ablegen, sich aber gleichzeitig auch nicht an andere Kulturen assimilieren, zahlenmäßig nur geringfügig vertreten sein dürften. Im Fragebogen wurden Items für diese Akkulturationseinstellung folglich bewusst ausgelassen. Während sich die vier Einstellungen theoretisch klar voneinander unterscheiden lassen und auch Forschungsarbeiten in späteren Jahren immer wieder auf diese oder ähnliche Konzeptionen rekurriert haben, konnten van Dick und Kollegen in der Modellierung ihrer Daten die drei konzeptuell erfassten Einstellungen nicht empirisch belegen. In insgesamt fünf Substichproben, von denen eine aus Lehrkräften bestand, kristallisierte sich stets eine einfaktorielle Struktur heraus, bei der hohe positive Werte eine positive Einstellung zur multikulturellen Gesellschaft bedeuteten (Zustimmung zu Integration und Ablehnung von Assimilation und Segregation). Weitere Analysen zur Konstruktvalidität zeigten, dass positive Akkulturationseinstellungen signifikant mit weniger Vorurteilen, geringerem Nationalstolz und einer schwächer ausgeprägten Autoritarismusneigung einhergingen (van Dick et al. 1997).

Zeitlich parallel wählten Bender-Szymanski et al. (1998) einen qualitativen Zugang zur Erforschung von Einstellungen. In ihrer Prozessanalyse untersuchten sie die Akkulturationseinstellungen deutscher Referendarinnen und Referendare während des Vorbereitungsjahres an kulturell-heterogenen Schulen. Erwähnung findet diese qualitative Untersuchung, da sich auch hier zwei Einstellungstypen herauskristallisierten, die sich komplementär gegenüberstanden und mit den Polen der zuvor beschriebenen Akkulturationseinstellungsskala vergleichbar sind. Bender-Szymanski et al. beschrieben die beiden Typen als synergie-orientiert (vergleichbar mit multikulturellen Einstellungen) und ethno-orientiert (vergleichbar mit assimilativen Einstellungen). Obgleich nicht alle Referendarinnen und Referendare vollständig alle Merkmale der einen oder anderen Orientierung aufwiesen, ließen sie sich den Forschenden zufolge eindeutig einem der beiden Typen zuordnen.

In diesen ersten Studien lag der Blick zunächst auf Lehrkräften oder Referendarinnen und Referendaren ohne Migrationshintergrund. Trotz unterschiedlicher methodischer Zugänge dieser frühen Arbeiten zeigte sich in beiden eine bipolare Konzeptualisierung von Akkulturationseinstellungen: Während sich die Lehrkräfte aus der Stichprobe von van Dick und Kollegen überwiegend dem Pol Integration zuordnen ließen, teilten sich die Referendarinnen und Referendare in der Studie von Bender-Szymanski et al. hälftig in synergie- und ethno-orientiert. Die bipolare Konzeptualisierung bildete den Ausgangspunkt für die systematische Erforschung der Auswirkungen verschiedener migrationsbezogener Einstellungen und Orientierungen auf die Lehrkräfte und Lehramtsanwärterinnen und -anwärter, von denen einige Ergebnisse weiter unten beschrieben werden.

Erst über eine Dekade später entstanden im Kontext der empirischen Wende und der Kompetenzorientierung im Schul- und Bildungswesen zwei neue, unterschiedliche Konzeptualisierungen migrationsbezogener Überzeugungen von Lehrkräften, die jedoch beide dem Ansatz der professionellen Kompetenzen von Lehrkräften zuzuordnen sind. Während Hachfeld et al. (2011) aufbauend auf U.S.-amerikanischer Forschung zu Intergruppen-Ideologien eine Skala vorlegten, die Überzeugungen mit positiver Valenz weiter differenzieren sollte, verbanden Gebauer et al. (2013) in ihrer Konzeption eine sozial-psychologische Einstellungsdefinition mit dem Erwartungs-Wertmodell.

Die von Hachfeld et al. (2011) entwickelte Teachers Cultural Belief Scale (TCBS) ist eine Skala zur Erfassung kultureller Überzeugungen von Lehrkräften, die konzeptuell verschiedene Überzeugungstypen anhand von zwei orthogonal zueinanderstehenden Dimensionen unterscheidet. Die erste Dimension ist die Bewertung (Valenz) von Fremdgruppen („outgroup“), die entlang eines Kontinuums mit den Endpolen positiv und negativ angesiedelt sein kann. Die zweite Dimension umschreibt die Betonung bzw. Wichtigkeit von Gruppenunterschieden, die stark oder gering ausfallen kann. Ähnlich wie im Akkulturationsmodell von Berry et al. (1989) ergeben sich somit vier unterschiedliche Typen: Bei einer positiven Valenz wird bei gleichzeitig starker Betonung von Gruppenunterschieden von multikulturellen Überzeugungen gesprochen, bei einer schwachen Betonung von Gruppenunterschieden von egalitären (im U.S.-amerikanischen Kontext meist von „colorblind“, vgl. Hachfeld et al. 2011; Hahn et al. 2015). Assimilative und separatistische Überzeugungen gehen mit einer negativen Bewertung einher. Menschen mit assimilativen Überzeugungen fassen Unterschiede als überwindbar auf und plädieren für eine Anpassung von Minderheiten an die Mehrheitskultur bzw. die Kultur des Aufnahmelandes (geringe Betonung von Unterschieden). Menschen mit separatistischen Überzeugungen sehen kulturelle Unterschiede dagegen als grundsätzlich nicht überwindbar an, weshalb für sie ein gemeinsames Miteinander nur eingeschränkt möglich erscheint. Auf den schulischen Kontext bezogen ist zu erwarten, dass Menschen mit assimilativen Überzeugungen bspw. monolinguale Regelungen befürworten würden (vgl. auch Gogolin 1994) und Menschen mit separatistischen Überzeugungen bspw. gesonderte Klassen für Kinder mit Fluchthintergrund für angebracht hielten. Hachfeld et al. (2011) konzentrieren sich in ihrer Konzeptualisierung jedoch auf die beiden Überzeugungstypen mit positiver Valenz, da auch hier trotz positiver Grundeinstellungen von Herausforderungen beim Unterrichten in kulturell-heterogenen Schulen berichtet wird. Die Untersuchung von differenziellen Auswirkungen verschiedener positiver Überzeugungen – auch im Sinne einer Ressourcenorientierung – schien den Autorinnen und Autoren demnach angebracht. Sie erfolgte im Rahmen der COACTIV‑R Studie, die den Erwerb professioneller Kompetenz während des Vorbereitungsdienstes untersuchte (vgl. Löwen et al. 2011). Die teilnehmenden Referendarinnen und Referendare stimmten sowohl multikulturellen als auch egalitären Überzeugungen stark zu, wobei die Zustimmung zu egalitären Überzeugungen über die gesamte Stichprobe hinweg stärker war.

Einen anderen theoretischen Ansatz legten Gebauer et al. (2013) ihrer Konzeptualisierung zugrunde. Die Autorinnen verbinden die sozial-psychologische Definition von Einstellungen von Eagly und Chaiken (1993), in der affektive, behaviorale und kognitive Komponenten von Einstellungen differenziert werden, mit den Kosten-Nutzen-Erwartungen aus dem Erwartungs-Wertmodell von Eccles (1983). Ursprünglich aus der Motivationspsychologie stammend, leitet das Modell die Handlungsabsichten eines Menschen aus den subjektiven Erwartungen und dem subjektiven Wert der Verhaltensfolgen ab. Aus der Verbindung der beiden Modelle resultierend unterscheiden die Autorinnen für die von ihnen untersuchten Heterogenitätseinstellungen drei Komponenten: eine affektive, eine behaviorale sowie eine kognitive, letztere unterteilt in Kosten- und Nutzen-Erwartungen. Wie in den bereits berichteten Studien werden auch bei Gebauer et al. (2013) die Heterogenitätseinstellungen über Fragebögen und Selbstberichte erfasst. Hervorzuheben ist, dass die Autorinnen ihre Skalen für drei im schulischen Alltag besonders relevante Heterogenitätsdimensionen konzeptualisiert haben. Die drei Dimensionen sind: kulturelle (migrationsbedingte) und soziale Heterogenität sowie Leistungsheterogenität. Die Items wurden parallelisiert, d. h., sie unterscheiden sich in ihrem Wortlaut nur hinsichtlich der im Satz eingesetzten Heterogenitätsdimension, sodass ein Vergleich zwischen den Antworten möglich ist. Den höchsten Mehrwert (kognitive Komponente) sprachen die Teilnehmenden der kulturellen (migrationsbedingten) Heterogenität zu. Am wenigsten negative Emotionen fanden die Autorinnen für leistungsbedingte Heterogenität (affektive Komponente). Gleichzeitig stuften die teilnehmenden Studierenden ihren eigenen kompetenten Umgang mit kultureller Heterogenität als niedriger ein als mit leistungsbedingter Heterogenität (behaviorale Komponente). In einem weiteren Schritt untersuchten die Autorinnen das selbsteingeschätzte Sachwissen der Teilnehmenden bezüglich der drei Heterogenitätsdimensionen sowie die Ausbildung für den praktischen Umgang mit ihnen. Über alle Dimensionen hinweg war es für die teilnehmenden Studierenden hinsichtlich ihrer Ausbildung wichtiger, Sachwissen im Umgang mit Heterogenität vermittelt zu bekommen als den praktischen Umgang damit zu erlernen; ein Befund, der den Aufbau der gegliederten Lehramtsausbildung in Phasen mit unterschiedlichen Lernzielen und Schwerpunkten unterstützt. Den Teilnehmenden zufolge vermittelt die universitäre Ausbildung vor allem Sachwissen über leistungsbedingte oder soziale Heterogenität, aber nur wenig über kulturelle Heterogenität. Auch in Bezug auf den praktischen Umgang überwiegt der Fokus auf der leistungsbedingten Heterogenität. Insgesamt kommen die Autorinnen zu dem Schluss, dass sich die Lehramtsstudierenden nur mittelmäßig gut auf Heterogenität im Klassenzimmer vorbereitet fühlen, wobei die Vorbereitung auf kulturell-bedingte Heterogenität von allen drei Dimensionen am schlechtesten abschneidet.

In den letzten Jahren wurde in der Forschung vor allem auf bestehende Instrumente zurückgegriffen, ihre Faktorenstruktur überprüft und gegebenenfalls erweitert. So überprüften Merk et al. (2018) die faktorielle Validität des von Gebauer et al. (2013) entwickelten Instruments und konnten diese sowohl für die fünf Faktoren als auch intrapersonal für die Differenzierung unterschiedlicher Heterogenitätsdimensionen bestätigen. Hachfeld und Profanter (2018) überprüften die Struktur der Teacher Cultural Beliefs Scale (TCBS), wobei sie diese gleichzeitig um den neuen Faktor der assimilatorischen Überzeugungen ergänzten. Diese Studie mit 929 Lehramtsstudierenden fand in Südtirol statt und ist damit auch ein Beispiel für die Internationalisierung von in Deutschland entwickelten Konstrukten.

4.1.2 Einordnung in die internationale Befundlage und Forschungsausblick

Zusammenfassend lag der Verdienst der Studien der letzten zwei Dekaden ohne Zweifel darin, die migrationsbezogenen Einstellungen und Überzeugungen für den deutschsprachigen Raum und speziell für den Schulkontext konzeptualisiert und empirisch erfassbar gemacht zu haben. Die meisten Skalen griffen konzeptuell auf theoretische Ansätze aus der englischsprachigen Sozialpsychologie zurück, die nicht spezifisch für den Schulkontext empirisch überprüft worden waren. Da Akkulturationseinstellungen und migrationsbezogene Überzeugungen jedoch je nach Lebensdomäne variieren können (vgl. Arends-Tóth und van de Vijver 2007), wäre es denkbar, dass Lehrkräfte zwar im privaten Umfeld separatistische oder integrative Einstellungen vertreten, aber gleichzeitig gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern Assimilation einfordern. Vor diesem Hintergrund war eine schulspezifische Konzeptualisierung für die Bildungsforschung zwingend notwendig.

Während sich die U.S.-Amerikanische Bildungsforschung schon länger mit den migrationsbezogenen Überzeugungen von (angehenden) Lehrkräften beschäftigt hatte (vgl. zusammenfassend Castro 2010), befasste sich die Migrationsforschung in Deutschland überwiegend mit den Akkulturationseinstellungen, was sich auch in den Zielpopulationen niederschlug, die größtenteils aus Personen mit Migrationshintergrund bestanden (vgl. auch Maehler und Brinkmann 2016). Da das Modell von Berry, wie oben beschrieben, ursprünglich aus der Minderheitenperspektive heraus entwickelt worden war, ist dieser Schwerpunkt nachvollziehbar. Erst in den letzten 15 Jahren hat sich auch in der Akkulturationsforschung der Blick verändert, indem aktuelle Studien nunmehr die Akkulturationspräferenzen sowohl aus der Minderheiten- als auch aus Mehrheitsperspektive berücksichtigen (vgl. Matera et al. 2012). Diese aktuellen Studien untersuchen nicht nur die individuellen Akkulturationseinstellungen, sondern setzen diese in Relation zu den wahrgenommenen Präferenzen der jeweils anderen Gruppe (siehe auch 4.4.2.).

Aus dem Stand der Migrationsforschung leitet sich ein weiteres Forschungsdesiderat in Bezug auf die Konzeptualisierung und Operationalisierung ab: Während in den meisten der zitierten Studien zu Überzeugungen und Akkulturationseinstellungen ein bidimensionales Modell der Einstellungen und Überzeugungen zugrunde liegt, wird auf der Ebene der Erhebung und der Auswertung häufig nur ein unidimensionales Modell umgesetzt (z. B. Integration/Synergie-orientierung vs. Assimilation/Ethno-Orientierung). Auf der Ebene der Auswertung können bei bidimensionalen Modellen verschiedene Auswertungsmethoden zum Einsatz kommen, die durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können (vgl. Arends-Tóth und van de Vijver 2007; Maehler und Shajek 2016). So ziehen Hachfeld et al. (2012, 2015) überwiegend den Mittelwert für ihre Analysen heran, ein Vergleich der Analysen mit verschiedenen Auswertungsmethoden (z. B. Clusteranalysen) könnte ein umfassenderes Bild liefern.

Eine Typenbildung mithilfe eines qualitativen Analyseverfahrens verfolgte eine Studie von Edelmann (2006) für den deutschschweizerischen Raum. Speziell für die Schweiz fehlten bis dato empirische Ergebnisse zu den Ausprägungen migrationsbezogener Überzeugungen, während der professionelle und konstruktive Umgang mit kultureller Heterogenität gleichzeitig als verbindliches Ausbildungsziel in den Curricula der Lehramtsstudiengänge an Schweizer Pädagogischen Hochschulen verankert wurde. Anders als die vorherigen Arbeiten führt Edelmann zwei weitere Dimensionen ein, auf denen sich die Typen unterscheiden: zum einen unterscheidet sie zwischen „Synergie Kultur“- und „Sprache“-orientierten Lehrpersonen. Beide sind den „bewussten“ Typen zuzuordnen, welche „kulturelles, sprachliches und religiöses Wissen“ bewusst in den Unterricht einbeziehen, wobei sprachorientierte Lehrpersonen einen besonderen Schwerpunkt auf die Sprachförderung legen (vgl. Edelmann 2006, S. 240). Zum anderen unterscheidet Edelmann in ihrer Typologie zwischen den Strategieebenen Einzelstrategie/Schulklasse (individuell) und Teamstrategie/Schule (kooperativ) und hebt damit die Bedeutung von Teamstrukturen für den bewussten Umgang mit kultureller Heterogenität hervor. Mit Blick auf die beiden Dimensionen ergeben sich die individuell-synergieorientierten bzw. -sprachorientierten Typen und die kooperativ-synergieorientierten bzw. -sprachorientierten Typen. Zusätzlich zu diesen vier Typen identifiziert Edelmann noch zwei weitere Typen und zwar den „still-schweigend anerkennenden“ und den „abgrenzend-distanzierten“. Für diese beiden hält die Unterscheidung der Strategieebenen nicht stand. Für erstere stehen Anerkennung, Wertschätzung und Gleichberechtigung zwar im Vordergrund, doch spielt die kulturelle Heterogenität für die Unterrichtspraxis und für die Teamstrukturen keine Rolle. Abgrenzend-distanzierte Lehrpersonen suchen eine Distanz zu der Thematik und orientieren sich stark an den Werten und Normen der Mehrheitsgesellschaft. Dieser Typus ist demnach am ehesten den assimilativen Akkulturationseinstellungen bzw. einer Ethno-Orientierung zuzuordnen. Er ließ sich nur auf der Individualebene finden. Insgesamt macht Edelmann (2006) keine Angaben zur Verteilung der Typen, sondern beschreibt diese nur inhaltlich.

Unterschiede zwischen den aktuell am meisten verwendeten schulbezogenen Konzeptualisierungen finden sich vor allem in Hinblick auf die Frage, wie stark verhaltensbezogene Aspekte bereits in dem erfassten Konzept berücksichtigt werden. Während die Akkulturationseinstellungen und die kulturellen Überzeugungen keine Verhaltensmaße einschließen, sind diese in dem Modell von Gebauer et al. Teil der Einstellungen. Dass sich die Konstrukte aus einer sozialpsychologischen Perspektive heraus unterscheiden, zeigt eine Studie von Celeste et al., in der Multikulturalismus als Mediator zwischen den Akkulturationseinstellungen (nach Berry: Kontaktaufnahme und Beibehalten der eigenen Kultur) und den psychosozialen Auswirkungen (u. a. Vorurteile und positive Emotionen) fungierte (Celeste et al. 2014). Mit Blick auf die Auswirkungen migrationsbezogener Einstellungen und Überzeugungen sind also differenzielle Wirkmuster zu erwarten.

4.2 Auswirkungen migrationsbezogener Überzeugungen auf das Verhalten der Lehrkraft und ihre professionellen Kompetenzen

4.2.1 Forschungsstand

Die frühen Veröffentlichungen zu den Auswirkungen migrationsbezogener Überzeugungen auf das Verhalten und Erleben von Lehrkräften bzw. Lehramtsanwärterinnen und -anwärter entstammen den ersten Projekten zur Konzeptualisierung der Überzeugungen Ende der 1990er Jahre. Spätere Arbeiten aus den 2010er Jahren konzentrierten sich zunächst vermehrt auf die Zusammenhänge der migrationsbezogenen Überzeugungen mit den professionellen Kompetenzen der Studienteilnehmenden und schlossen in diesem Zusammenhang aber auch verschiedene andere verhaltensnahe Maße aus Selbstberichten mit ein. Diese Schwerpunktsetzung ist im Kontext einer bereits oben beschriebenen verstärkten Kompetenzorientierung zu sehen und dadurch erklärbar, dass zwischenzeitlich im Rahmen von größeren Studien viele Arbeiten zu professionellen Kompetenzen von Lehrkräften (z. B. COACTIV-R) entstanden sind.

In der Studie von Wagner et al. (2000) erhielten die Lehrkräfte zehn kritische, schulische Problemsituationen und neun mögliche Reaktionsweisen in Form einer Tabelle (sogenannten GRID-Technik). Für jede Situation sollten sie die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der sie darauf mit den neun vorgegebenen Verhaltensweisen reagieren würden. Die Situationen unterschieden sich dahingehend, ob die ethnische Zugehörigkeit der Beteiligten angegeben wurde oder nicht. Ein Bespiel für eine interkulturelle Problemsituation ist die Schlägerei zwischen einem deutschen und einem ausländischen Schüler. Die Situation „Schüler zerschlägt Möbel“ zählt zu den allgemeinen Problemsituationen. Die vorgegebenen Reaktionsweisen rangierten zwischen „das Gespräch suchen“ und bestrafen. Die Akkulturationseinstellungen der Lehrkräfte wurden ebenfalls erfasst und anschließend in den Analysen berücksichtigt: Die Ergebnisse zeigten, dass Lehrkräfte mit integrativen Akkulturationseinstellungen über alle Situationen hinweg in ihren Reaktionen eher eine „Strafe vermeidende Grundhaltung“ an den Tag legten (Wagner et al. 2000, S. 62). Dies galt sowohl für Problemsituationen mit ausländischen Schülerinnen und Schülern als auch für die allgemeinen Problemsituationen.

Dass sich die migrationsbezogenen Überzeugungen nicht nur auf das Verhalten der Lehrenden auswirken kann, sondern auch auf ihr Erleben schulischer Interaktionen und auf ihre motivationalen Orientierungen, zeigt die bereits erwähnte Prozessanalyse von Bender-Szymanski. Ihre qualitativen Analysen erlauben einen tieferen Einblick in die typischen Muster der Selbst- und Fremdreflexion sowie einen Vergleich der Verhaltensweisen insbesondere im Hinblick auf interkulturelle (Konflikt)Situationen. Auch lässt sich anhand der Daten ein Eindruck über die Veränderungsprozesse während des ersten Unterrichtsjahres zwischen den synergie- und den ethno-orientierten Typen gewinnen. Während sich die Ziele und Erwartungen bezüglich der eigenen Veränderung durch Kulturkontakt zu Beginn des Referendariats bei beiden Gruppen ähnelten, zeigten sich im Verlauf des Schuljahres immer mehr Unterschiede in der Verarbeitung der Erfahrungen. Synergie-orientierte Teilnehmende gingen konstruktiv mit den Diskrepanzerfahrungen um. Dabei gelang es ihnen, eigenkulturelle Selbstverständlichkeiten zu reflektieren und so zu einem größeren Verständnis „fremdkulturellen Handelns“ (Bender-Szymanski et al. 1998, S. 684) und zu einem „flexiblen Umgang mit kulturbezogenen Situationen“ (Bender-Szymanski et al. 1998, S. 688) zu kommen. Ethno-orientierten Teilnehmenden gelang dieser Perspektivwechsel nicht. Sie argumentierten überwiegend fremdanpassungsorientiert und fanden aufgrund ihrer mangelnden Perspektivübernahme in interkulturellen (Konflikt)Situationen häufig keine Lösungen, weshalb sie mit der Zeit immer mehr resignierten und ihre Selbstwirksamkeitserwartungen abnahmen. Synergie-orientierte Teilnehmende dagegen gingen aus dem Vorbereitungsjahr mit einer höheren Selbstwirksamkeit für das Unterrichten in kulturell-heterogenen Klassen heraus (Bender-Szymanski et al. 2000).

Zu einem ähnlichen Befundmuster kamen Hachfeld et al. (2012, 2015) in ihren Analysen der migrationsbezogenen Überzeugungen und der motivationalen Orientierungen bei Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern. Die Ergebnisse ihrer Konstruktvalidierung zeigten, dass sowohl multikulturelle als auch egalitäre Überzeugungen mit einer stereotyp-vermeidenden Motivation einhergingen, sie sich jedoch in ihren Zusammenhängen zu anderen Konstrukten unterschieden. Multikulturelle Überzeugungen gingen mit einer Ablehnung eines autoritären Unterrichtsstils und geringeren Vorurteilen einher; für egalitäre Überzeugungen zeigten sich diese Zusammenhänge allerdings nicht. Dennoch bestätigten die Analysen auch die Befunde der qualitativen Analysen von Bender-Szymanski et al. (2000): Multikulturelle, aber nicht egalitäre Überzeugungen gingen mit höheren Selbstwirksamkeitserwartungen und einem höheren Enthusiasmus für das Unterrichten von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund einher. Auch korrelierten sie mit einer höheren selbstberichteten Bereitschaft der Lehrkräfte, den Unterricht an eine kulturell-heterogene Schülerschaft anzupassen. Für egalitäre Überzeugungen zeigte sich dagegen eine negative Korrelation mit der Bereitschaft für Unterrichtsanpassungen. Die Forschenden erfassten in dieser Studie jedoch nur die intendierte, selbstberichtete Bereitschaft; inwiefern sich diese Bereitschaft auch tatsächlich im Unterrichtsverhalten niederschlägt, kann anhand der Daten nicht beantwortet werden.

Gleiches gilt für die Studie mit angehenden Lehrkräften von Gebauer und McElvany (2017), in der sie zeigen konnten, dass positive Überzeugungen – gemessen an dem wahrgenommenen Mehrwert – positiv mit dem intendierten, selbstberichteten Unterrichtsverhalten in Bezug auf die Berücksichtigung kultureller Heterogenität zusammenhängen. Für die eingeschätzten Kosten sowie die mit den Überzeugungen verbundenen Emotionen fanden sich indes keine Zusammenhänge.

Diese beschriebenen Studien geben erste Anhaltspunkte über die praktische Bedeutsamkeit migrationsbezogener Überzeugungen für den schulischen Alltag, sind aber aufgrund der Methode des Selbstberichts nur eingeschränkt aussagekräftig. Einen ersten Anlauf, das Unterrichtsverhalten über Fragebögen hinaus zu erfassen, unternahm Grimminger (2012). Sie befragte 18 Sportlehrkräfte zwei Wochen nach einer Weiterbildung zum Thema „Interkulturelle Bildung im Sport“, inwieweit sie die in dem Kurs gelernten Inhalte im Unterricht umgesetzt haben. Die Lehrkräfte sollten dabei möglichst konkret Auskunft geben. Zwischen Lehrkräften mit assimilativen oder integrativen Überzeugungen zeigten sich nur geringe Unterschiede (sechs vs. fünf Inhalte), wohingegen Lehrkräfte mit segregativen Überzeugungen von weniger berücksichtigten Inhalten berichteten (2,6). Aufgrund des Studiendesigns und der Stichprobengröße ließen sich diese Unterschiede aber nicht statistisch absichern. Künftig wäre zu prüfen, inwiefern sich die Überzeugungen auch auf das tatsächliche (und nicht nur das intendierte) Handeln im Unterricht bei Lehrkräften auswirken. Als ein mögliches Instrument für solche Studien testeten Civitillo et al. das culturally responsives instruction observation protocol, kurz CRIOP (vgl. Correll et al. 2015) und untersuchten anhand einer Stichprobe von vier Lehrkräften, wie deren unterrichtliches Handeln mit den migrationsbezogenen Überzeugungen zusammenhängt. Lehrkräfte mit multikulturellen Überzeugungen zeigten mehr diversitätssensible Unterrichtspraktiken als Lehrkräfte mit egalitären („color-evasive“) Überzeugungen (vgl. Civitillo et al. 2019). Civitillo (2018) empfiehlt das CRIOP als Ergänzung zu bestehenden Fragebögen einzusetzen. Da es sich um ein Beobachtungsinstrument handelt, müssten zukünftige Projekten dementsprechende Ressourcen einplanen, damit auch ausreichend große Stichproben untersucht werden könnten.

4.2.2 Einordnung in die internationale Befundlage und Forschungsausblick

Zusammenfassend geben die genannten Studien einerseits erste Hinweise auf die Bedeutung von migrationsbezogenen Einstellungen und Überzeugungen auf die professionellen Kompetenzen, wobei die Überzeugungen in einigen Projekten selbst als Teil der professionellen Kompetenz konzeptualisiert sind (Voss et al. 2011). Andererseits zeichnen sich differenzielle Zusammenhänge mit dem (intendierten) Unterrichtsverhalten ab. Einschränkend lässt sich bei einem Großteil der Studien hervorheben, dass sie sich auf die Einstellungen und Überzeugungen von Lehramtsstudierenden oder Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern fokussieren, die meist noch wenig Erfahrungen mit kultureller Heterogenität im Unterricht gesammelt haben. Wünschenswert wären hier folglich Studien, die Lehrkräfte mit langjähriger Berufserfahrung in den Blick nehmen und auch den jeweiligen Kontext stärker berücksichtigen, indem sie Schulen mit hohem und geringem Migrationsanteil und unterschiedlichen Ansätzen in Bezug auf migrationsbezogene Diversität miteinander vergleichen.

Eine Stichprobe mit berufserfahrenen Lehrkräften konnten Makarova und Herzog (2013) in einer Schweizer Studie gewinnen. In der Studie wurden 225 Grundschullehrkräfte befragt, um den Zusammenhang zwischen den Akkulturationseinstellungen und der Klassenführung zu untersuchen. Die Akkulturationseinstellungen wurden über die Erwartungen der Lehrkräfte an die Akkulturationsstrategien der Jugendlichen und – vergleichbar mit bereits beschriebenen Modellen – bidimensional konzipiert. Durch die Erfragung der Zustimmung bzw. Ablehnung zur Beibehaltung der eigenen Kultur und der Anpassung an die Aufnahmegesellschaft ergeben sich die vier Felder Integration (Zustimmung zu beiden), Assimilation (Ablehnung Beibehaltung eigene Kultur, Zustimmung Anpassung), Marginalisierung (Ablehnung zu beiden) und Separation (Zustimmung Beibehaltung der eigenen Kultur, Ablehnung Anpassung). Überraschenderweise erwarteten etwas mehr als die Hälfte der Lehrkräfte von den Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Schweiz eine separierende Strategie, ein gutes Drittel (36 %) erwartete integrative Strategien. Die anderen beiden Strategien waren vernachlässigbar. Klassenführung wurde anhand von drei Skalen im Selbstbericht erfasst, indem die folgenden Fragestellungen ins Zentrum gerückt wurden: Bemerken Lehrkräfte soziale Probleme oder Konflikte zwischen ihren Schülerinnen und Schülern („diagnostische Expertise“)? In welchem Ausmaß registrieren sie Unterrichtsstörungen („Wahrnehmung störenden Verhaltens“)? Wie reagieren sie auf Störungen („Reaktion auf unerwünschtes Verhalten“)? Lehrkräfte, die integrative Akkulturationsstrategien von den Jugendlichen erwarteten, zeigten eine höhere diagnostische Expertise und reagierten auf Störungen eher mit Bestrafung als die anderen Lehrkräfte. Assimilative Einstellungen waren zwar ebenfalls mit einer höheren Zustimmung zu Bestrafung verbunden, gingen jedoch mit einer geringeren diagnostischen Expertise einher.

Kritisch bemerkt werden muss an dieser Stelle, dass die beschriebenen Studien das Verhalten der Teilnehmenden im Selbstbericht entweder retrospektiv oder prospektiv im Sinne hypothetischer Situationen und Verhaltensweisen dokumentieren. Die gegenwärtige Erfassung konkreter Verhaltensweisen im Unterricht wurde also bislang kaum praktiziert, obschon diese besonders aussichtsreich erscheint. Forschungsbedarfe zeigen sich also vor allem in Bezug auf das tatsächliche Verhalten von Lehrkräften in konkreten Unterrichtssituationen, wie sie beispielsweise von Civitillo et al. (2019) an einer kleinen Stichprobe untersucht wurden. Lohnenswert für künftige Studien wäre ein Blick auf die Prozesse, die im Unterricht gegenwärtig ablaufen – nicht nur in Hinblick auf die Frage, wie sich Überzeugungen auf das Verhalten der Lehrkraft auswirken, sondern z. B. auch mit Blick auf die Lehrer-Schüler-Beziehungen (vgl. van Tartwijk et al. 2009). Studien aus den Niederlanden zeigen, dass eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung wiederum die Intergruppen Einstellungen von Schülerinnen und Schülern positive beeinflussen kann (Geerlings et al. 2017). Inwiefern dies auch für die Überzeugungen der Lehrkräfte zutrifft, wurde jedoch nicht untersucht. Ein solcher Ansatz nähme nicht mehr nur die individuellen migrationsbezogenen Einstellungen und Überzeugungen in den Blick, sondern würde das Gesamtsystem Klasse bzw. Schule mit seinen verschiedenen Beziehungsebenen erforschen (vgl. Schachner et al. 2016). Auf der Ebene der Schulentwicklung finden sich zwei qualitative Studien von Weiß et al. (2017) sowie Syring et al. (2018a), die jeweils mittels Gruppendiskussionen von Lehrkräften bzw. Expertinnen und Experten die besonderen Anforderungen und Bedarfe herausgearbeitet haben, welche mit Schulentwicklung in Hinblick auf migrationsbezogene Heterogenität verknüpft sind. Übergreifend zeigte sich in den Gruppendiskussionen, dass die Arbeit an den Einstellungen, Überzeugungen und Haltungen von allen Teilnehmenden als relevant erachtet wurde. Gleichzeitig betonten vor allem die befragten Lehrkräfte in den Diskussionsrunden immer wieder die Bedeutung der eigenen Persönlichkeit und Erfahrungen für die migrationsbezogenen Einstellungen.

4.3 Prädiktoren migrationsbezogener Überzeugungen

4.3.1 Forschungsstand

Forschungsarbeiten, die die Prädiktoren kultureller Überzeugungen untersuchten, bezogen sowohl individuelle als auch institutionelle Merkmale von Lehramtsstudierenden oder Lehrkräften ein.

Dass der eigene Migrationshintergrund auf die migrationsbezogenen Überzeugungen einwirkt, konnten Hachfeld et al. (2012) zeigen. Referendarinnen und Referendare mit Migrationshintergrund stimmten in ihrer Studie multikulturellen Überzeugungen stärker zu als ihre Kolleginnen und Kollegen ohne Migrationshintergrund. Dieser Zusammenhang erklärte auch die höheren diversitätsspezifischen motivationalen Orientierungen der Teilnehmenden mit Migrationshintergrund. Auch Syring et al. (2019a) betrachteten den Einfluss des eigenen Migrationshintergrundes von Lehramtsstudierenden auf ihre Überzeugungen, die sie mit der Skala von Gebauer et al. (2013) erfassten. Für die Analysen wurden im Propensity Score Matching-Verfahren jene Studierende als Paare gruppiert, die sich nur hinsichtlich ihres Migrationshintergrundes unterschieden, nicht aber hinsichtlich verschiedener anderer Merkmale (Geschlecht, sozioökonomischer Hintergrund, Kontakt mit kultureller Vielfalt etc.). Beim Paarvergleich wiesen Studierende mit Migrationshintergrund günstigere Überzeugungen (geringere Kosten und negative Emotionen, höhere intrinsische Motivation und wahrgenommene Kompetenz) mit Blick auf kulturelle Heterogenität auf.

Die Forschenden untersuchten auf individueller Ebene auch, inwieweit verschiedene Persönlichkeitseigenschaften, konkret die sogenannten „Big 5“ Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit, mit den Überzeugungen gegenüber Heterogenität zusammenhingen, wobei die Werte für die kulturelle, die soziale und die Leistungsheterogenität über einen Mittelwert zusammengefasst wurden (vgl. Syring et al. 2018b). Insgesamt konnten hier jedoch nur kleine Effekte berichtet werden: Extraversion, Offenheit und Gewissenhaftigkeit korrelierten beispielsweise positiv mit der wahrgenommenen Kompetenz im Umgang mit Heterogenität, während Neurotizismus positiv mit den wahrgenommenen höheren Kosten, mehr negativen Emotionen und einer geringeren intrinsischen Motivation korrelierte. Ob sich die Ergebnisse replizieren ließen, wenn die Überzeugungen für die drei Heterogenitätsdimensionen in getrennter Weise betrachtet werden, wäre zu prüfen. Die COACTIV-R-Daten deuten darauf, dass sich die Persönlichkeitseigenschaften auch mit Multikulturalismus und Egalitarismus in Beziehung setzen lassen (vgl. Hachfeld et al. 2009). So geht Multikulturalismus mit erhöhter Verträglichkeit einher, gleichzeitig korreliert Egalitarismus mit sozialer Ängstlichkeit (negativ) sowie mit dem Selbstbewusstsein von Lehrkräften (positiv).

Einen Blick auf den Einfluss des Geschlechts von Lehramtsstudierenden auf ihre Überzeugungen wiederum warfen Kleen und Glock (2018). Dabei unterschieden die Autorinnen zwischen impliziten und expliziten Überzeugungen, konnten jedoch für beide Formen keinen signifikanten Einfluss des Geschlechts zeigen. Auch für Multikulturalismus und Egalitarismus war Geschlecht kein signifikanter Prädiktor (vgl. Hachfeld et al. 2009).

Die Annahme, dass Überzeugungen von Lehramtsstudierenden eng mit der von ihnen studierten Lehramtsart einhergehen, liegt verschiedenen Studien zugrunde. Hachfeld et al. (2011) fanden schulformspezifische Unterschiede: Teilnehmende an Sekundarschulen (Haupt‑, Real- und Gesamtschulen) stimmten multikulturellen Überzeugungen mehr zu als Teilnehmende an Gymnasien, allerdings handelt es sich hierbei nur um einen deskriptiven Befund. Zu einem anderen Ergebnis kommen Syring et al. (2019b) in einer weiteren Studie. Ihre Ergebnisse deuten zwar auf eine signifikante Korrelation zwischen der Lehramtsart und den Überzeugungen der Lehramtsstudierenden hin, vor allem für die motivational-affektive Komponente, jedoch gilt dies nur für die Überzeugungen mit Blick auf den sonderpädagogischen Förderbedarf. Die Überzeugungen über migrationsbezogene Heterogenität gleichen sich zwischen den Lehramtsarten in dieser Stichprobe. Glock und Klapproth (2017) konnten hingegen in ihren Daten Divergenzen zwischen Lehrkräften verschiedener Schularten vorfinden. Sie verglichen hierzu die impliziten und expliziten Überzeugungen von je 82 Grundschullehrkräften und Lehrkräften der Sekundarstufe I. Diese beantworteten Fragen zu ihren Überzeugungen und Einstellungen gegenüber Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund (explizites Maß) und bearbeiteten einen geschlechts- und migrationsspezifischen Test zu ihren impliziten Assoziationen. Die Ergebnisse des impliziten Tests deuten darauf hin, dass beide Gruppen negative Überzeugungen gegenüber Kindern aus ethnischen Minderheiten hegten, ganz unabhängig von ihrem Geschlecht. Darüber hinaus fanden sich jedoch auch Interaktionseffekte zwischen Schulart und Geschlecht auf den impliziten Maßen: Grundschullehrkräfte waren Jungen mit Migrationshintergrund gegenüber deutlich negativer eingestellt als Sekundarschullehrkräfte. Bezogen auf die multikulturellen Überzeugungen zeigten sich ebenfalls Interaktionseffekte: Mit Blick auf Mädchen mit Migrationshintergrund wiesen Sekundarschullehrkräfte höhere Werte auf als Grundschullehrkräfte.

4.3.2 Einordnung in die internationale Befundlage und Forschungsausblick

Fasst man die hier vorliegenden Befunde auf einer höheren Betrachtungsebene zusammen, so wird deutlich, dass sich die Forschung zu den Prädiktoren migrationsbezogener Überzeugungen vorwiegend mit strukturellen Merkmalen wie Schulform oder deskriptiven Merkmalen auf Seiten der Befragten befasst hat. Von besonderem Interesse war in verschiedenen Studien die Beziehung zwischen der eigenen Migrationserfahrung oder einem Migrationshintergrund und den migrationsbezogenen Überzeugungen. Überwiegend stimmten Studienteilnehmende mit Migrationshintergrund multikulturellen oder integrativen Überzeugungen mehr zu als egalitären oder assimilativen. In der oben beschriebenen Schweizer Studie von Edelmann (2006) zu verschiedenen Typen zeigte sich, dass Lehrpersonen mit Migrationshintergrund in allen Typen vertreten sind (mit Ausnahme des abgrenzend-distanzierten Typus). Dem individuell-synergieorientierten Typus wurden dagegen ausnahmslos Lehrpersonen mit Migrationshintergrund oder Personen mit binationalem Ehestand zugeordnet. Über den eigenen Migrationshintergrund hinaus wurden in einigen Studien auch Persönlichkeitsmerkmale erfasst und differenzielle Zusammenhänge mit verschiedenen Überzeugungen herausgearbeitet.

Obgleich die beschriebenen Studien zu den Prädiktoren migrationsbezogener Überzeugungen zu einem besseren Verständnis beitragen können, stellt sich die Frage nach ihren praktischen Implikationen. In der U.S.-Amerikanischen Forschung fiel der Blick bereits Ende der 1990er Jahre auf die Bedeutung des persönlichen Hintergrundes und spielte bis Ende der 2000er eine Rolle (vgl. Castro 2010). Die Forschenden beließen es in ihren Studien jedoch nicht bei der Beschreibung deskriptiver Merkmale, sondern untersuchten darüber hinaus Faktoren, die in der Lehramtsausbildung direkt beeinflusst und verändert werden können (z. B. der Einfluss eigener Erfahrungen auf die Überzeugungen der Studierenden). In den U.S.-Amerikanischen Arbeiten trat zutage, dass die Studierenden aus der Mehrheitsgesellschaft vor Beginn ihres Studiums häufig wenig Erfahrungen mit dem Thema kultureller Heterogenität gesammelt hatten. Darauf aufbauend wurden Programme und Kurse entwickelt, in denen die Studierenden mehr Erfahrungen mit Diversität sammeln sollten, bspw. durch Praktika in Schulen in benachteiligten Vierteln (vgl. Castro 2010). Die Evaluationsergebnisse dieser Programme und Kurse aus dem amerikanischen Raum fielen zumindest in der frühen Forschungsperiode (1995–2000) zunächst ernüchternd aus (Castro 2010). In den anschließenden Jahren identifizierten Forschende einige wirksame Komponenten für interkulturelle Kurse (Brown 2004; für Übersichten vgl. Castro 2010; Civitillo et al. 2018). Dem didaktischen Ansatz kommt demnach ein besonderer Stellenwert zu: ein solcher reflexiver Ansatz soll Erfahrungslernen ermöglichen, um Veränderungen anzustoßen.

Im deutschsprachigen Raum zeigen erste Evaluationsergebnisse aus dem universitären Lernkontext, dass sich Kurse, die gezielt kulturelle Heterogenität thematisieren, auch negativ auf die migrationsbezogenen Überzeugungen auswirken können: über den Kursverlauf hinweg nahmen bei den Kursteilnehmenden die wahrgenommenen Kosten kultureller Heterogenität zu (vgl. Lehmann-Grube et al. 2019; vgl. hierzu für differenzierte Ergebnisse im Kontext sprachlicher Heterogenität: Schroedler und Fischer 2020).

Dass es in Deutschland insgesamt noch an qualitativ hochwertigen Studien zur Veränderbarkeit von migrationsbezogenen Überzeugungen und an Evaluationen von vorhandenen Seminaren, Workshops und Lerngelegenheit im Bereich Interkultureller Bildung im Lehramtsstudium mangelt, zeigen auch Civitillo et al. in ihrem systematischen Überblicksartikel (Civitillo et al. 2018). Ein Grund dafür könnte sein, dass es bisher ebenfalls ungeklärt ist, an welchen Überzeugungen solche Trainings ansetzen sollten, da es bisher kaum Studien zu den Auswirkungen der migrationsbezogenen Überzeugungen auf die Schülerinnen und Schüler gibt.

4.4 Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schüler

4.4.1 Forschungsstand

Trotz der intensiven Forschung zu migrationsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften gibt es bisher kaum Studien, die ihre Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schüler untersuchen. In den Blick genommen werden könnten sowohl Auswirkungen auf die psychosoziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler und ihre schulische Adaptation sowie ihre Leistungen und kognitive Entwicklung. Mit ersterem beschäftigt sich eine Studie von Wagner und Kollegen, die Schülerinnen und Schüler aus 70 vierten Klassen zu ihren Sitzpartnerpräferenzen befragten (vgl. Wagner et al. 2001). Gleichzeitig wurden die Akkulturationseinstellungen der Lehrkräfte von den Autoren erfasst. So können die Sitzpartnerpräferenzen der Schülerinnen und Schüler als Indikator für interethnische Beziehungen gewertet werden und gleichzeitig Einblick geben in die Möglichkeiten der Kinder, in engeren Kontakt mit Mitschülerinnen und Mitschülern anderer kultureller Herkunft zu treten. Die Befunde der Studie von Wagner et al. zeigten, dass Schülerinnen und Schüler mit einem Aussiedler-Hintergrund deutsche Kinder als Sitznachbarin oder Sitznachbarn deutlich bevorzugen, allerdings nur, wenn ihre Lehrkraft assimilativen Einstellungen stärker zustimmte als integrativen. Bei integrativ eingestellten Lehrkräften zeigte sich dieser Unterschied nicht. Anders fielen die Ergebnisse für türkische Kinder aus, die unabhängig von den Akkulturationseinstellungen der Lehrkraft immer deutsche Kinder als Sitznachbarin oder Sitznachbarn bevorzugten.

Sowohl die schulische Adaptation als auch die Leistungen in Mathematik und Deutsch analysierten Schotte et al. anhand zweier großer nationaler Datensätze aus dem IQB-Ländervergleich und dem Nationalen Bildungspanel (Schotte et al. 2017). Die Autorinnen fanden in ihren Mehrebenenanalysen jedoch keine Zusammenhänge zwischen den egalitären und den multikulturellen Überzeugungen der Lehrkräfte einerseits und den untersuchten Variablen auf Schülerseite. Die Überzeugungen der Lehrkräfte hatten weder einen Einfluss auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Deutsch oder Mathematik noch auf deren mathematisches Selbstkonzept, ihre erlebte Hilflosigkeit und ihre Schulzufriedenheit. Die Autorinnen fanden auch keine differenziellen Ergebnisse für Schülerinnen und Schüler mit bzw. ohne Migrationshintergrund.

4.4.2 Einordnung in die internationale Befundlage und Forschungsausblick

Zusammenfassend weist die Erforschung der Auswirkungen migrationsbezogener Überzeugungen der Lehrkräfte auf die Schülerinnen und Schüler offensichtliche Forschungsdesiderate auf. Lohnenswert wäre hier der Blick auf die oben zitierte Forschung zu Akkulturationseinstellungen verschiedener Akteure und ihre Passung untereinander (vgl. 4.1.2). Die bisherigen Befunde dieser Forschung deuten darauf hin, dass Intergruppen-Beziehungen positiver verlaufen, wenn Menschen der Meinung sind, dass ihr Umfeld die gleichen Akkulturationseinstellungen teilt wie sie selbst, es also eine „Passung“ zwischen den Einstellungen gibt. Der Grad der Passung konnte auch mit weiteren Auswirkungen auf psychosoziale Indikatoren in Verbindung gebracht werden: die Auswirkungen sind dabei umso positiver, je höher die wahrgenommene Passung ist (vgl. Rohmann et al. 2006 für eine Studie mit einer deutschen Stichprobe).

In der Migrationsforschung werden die Akkulturationseinstellung und damit einhergehend die Passung zwischen den Einstellungen verschiedener Akteure jedoch nur teilweise schulspezifisch erfasst und auch die Lehrkräfte der Schülerinnen und Schüler meistens nicht befragt (vgl. u. a. Zagefka und Brown 2002). Zukünftige Forschung könnte folglich hier ansetzen und die Akkulturationseinstellungen von Lehrkräften und ihren Schülerinnen und Schülern untersuchen. Da derzeit der Großteil der in Deutschland unterrichtenden Lehrkräfte keinen Migrationshintergrund hat, könnten unterschiedliche Akkulturationseinstellungen insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund Relevanz für deren schulischen Adaptationsprozesse besitzen.

5 Fazit

Ziel des vorliegenden Artikels war es, einen Überblick über den status quo des Forschungsfeldes der letzten zwanzig Jahre in Deutschland zu migrationsbezogenen Überzeugungen von angehenden und im Dienst befindlichen Lehrkräften zu geben und Forschungsschwerpunkte zu identifizieren. Im Rahmen eines integrativen Review konnten vier solcher Schwerpunkte identifiziert werden, wobei einzelne Forschungsprojekte sich meist auf mehrere dieser Schwerpunkte konzentrierten. Zu den vier Schwerpunkten zählen die Konzeptualisierung und Skalenentwicklung, die Untersuchung der Zusammenhänge mit anderen Konstrukten und verhaltensnahen Maßen, die Identifizierung von Prädiktoren der migrationsbezogenen Überzeugungen sowie die Untersuchung ihrer Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schüler.

Eine chronologische Anordnung der Studien macht deutlich, dass es in den letzten zwanzig Jahren immer wieder neue Anläufe zur Konzeptualisierung der Überzeugungen gab. Trotz der verschiedenen Projekte weisen die vorhandenen Instrumente vielfältige Überschneidungen und nur eine eingeschränkte Bandbreite auf. Auch wenn neuere Arbeiten nicht mehr nur migrationsbezogene Überzeugungen, sondern verschiedene Dimensionen von Heterogenität erfassen (wie beispielsweise soziale Heterogenität), bleibt die stärkere Berücksichtigung von Intersektionalität weiterhin ein Forschungsdesiderat. Eine solche Perspektive würde auch einen kritischeren Umgang mit den Begrifflichkeiten selbst implizieren: So suggerieren Überzeugungen zu migrationsbezogener Heterogenität derzeit, dass der Begriff „Migrationshintergrund“ klar definiert ist. Dies ist aktuell weder über die verschiedenen Forschungsdisziplinen und Studien hinweg der Fall, noch kann davon ausgegangen werden, dass Lehrkräfte, die diesbezügliche Fragebögen ausfüllen, mit den gleichen Definitionen arbeiten (vgl. Maehler et al. 2016).

Zudem gelingt es bisher keinem der quantitativen Instrumente, die den Überzeugungen möglicherweise zugrundeliegenden Präferenzen über Chancen‑, Anerkennungs- und Verteilungsgerechtigkeit zu erfassen. Dadurch bleiben Diskriminierungs- und Marginalisierungsprozesse, wie sie beispielsweise in der Migrationspädagogik und in verschiedenen Diversity-Ansätzen thematisiert werden, ebenso unberücksichtigt wie eine Diskussion über Fragen sozialer Gerechtigkeit (für eine praktische Anwendung der „Social Justice“-Perspektive siehe Czollek et al. 2012). Dabei könnten diese Präferenzen durchaus unterschiedliche Interpretationen egalitärer (im englischen „colorblind“) Überzeugungen zur Folge haben, wie Knowles et al. (2009) für die USA zeigen konnten. Für den deutschsprachigen Kontext lassen die derzeitigen Konzeptualisierungen von egalitären Überzeugungen offen, inwiefern die Betonung von Gemeinsamkeiten auch mit einem Unwissen über bestehende, z. T. strukturell-bedingte Ungleichheiten einhergeht oder ob dieser Fokus im Sinne einer bewussten Präferenz für Anerkennungsgerechtigkeit zu interpretieren sei, nach der „niemand individuell, institutionell und kulturell diskriminiert“ werden sollte (Czollek et al. 2012, S. 21).

In den letzten Jahren erlebte die Forschung zu migrationsbezogenen Überzeugungen und ihren Auswirkungen auf das Lehren und Lernen in multikulturellen Schulsettings eine neue Renaissance (siehe Abschn. 2). Durch aktuelle Migrationsbewegungen lassen sich in den letzten Jahren vermehrt auch Arbeiten zu Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund und eine Differenzierung zwischen migrationsbezogenen und sprachbezogenen Überzeugungen erkennen (vgl. Ehmke et al. (2018) zu Überzeugungen zu Deutsch als Zweitsprache und Fischer (2018) für einen Überblick).

Ziel des vorliegenden Überblicks war es, Forschungsdesiderate für den deutschen Kontext zu identifizieren, wofür auch internationale Arbeiten einbezogen wurden. Künftige Forschung sollte sich kritisch den praktischen Implikationen stellen, denn schlussendlich sollten Forschungsbemühungen auch dem bildungspolitischen Ziel der Verringerung von Bildungsungleichheiten zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund dienen. Inwiefern die Überzeugungen von Lehrkräften hierzu beitragen können, ist empirisch nicht abschließend geklärt. Diese ernüchternden Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit von Forschungsarbeiten, die die Auswirkungen der Überzeugungen auf das Lehren und Lernen möglichst konkret und unterrichtsnah untersuchen, um der schulischen Realität mit ihren komplexen Wirkzusammenhängen gerecht zu werden. Die aktuellen Forschungstrends geben Anlass zur Hoffnung, dass die aktuell verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung zu Erkenntnissen führt, von denen die Unterrichtspraxis, die Schulentwicklung und schlussendlich die Schülerinnen und Schüler profitieren können.