Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit zwischen Abitur und Hochschulabschluss soziale Ungleichheiten bestehen und inwieweit sich Interaktionseffekte nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Migrationshintergrund zeigen? Hierbei wird eine intersektionale Perspektive eingenommen und zwischen additiven und multiplikativen Effekten unterschieden. Die theoretischen Erwartungen werden auf Basis des Studienberechtigtenpanels 2010 (2015) getestet. Anhand logistischer Regression wird ersichtlich, dass sowohl additive als auch multiplikative Effekte sozialer Ungleichheit im Hochschulbereich bestehen. Diese sozialen Ungleichheiten unterscheiden sich jedoch erheblich in ihrem Ausmaß und bezüglich der Bildungsphase, in der diese zur Geltung kommen.
Abstract
This article deals with the question to what extend social inequality exist between upper secondary education and university graduation and to what extend we find interaction effects by gender, migration background and social origin. From a perspective of intersectionality we distinguish between additive and multiplicative effects. We test our theoretical considerations empirically on the basis of the german school leaver panelsurvey 2010 (2015). With logistic regression we can show, that additive as well as multiplicative effects exist in higher education. However the effects of social inequality differ in their extent and by educational phases.
Notes
Verstärkende Effekte können sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht bestehen.
Es sei denn aufgrund von unterschiedlichen Investitionsstrategien der Eltern und Lernumgebungen im Elternhaus. Solche Effekte sind aber eher im Schulbereich zu erwarten und weniger im Hochschulbereich.
Es wäre zwar auch möglich, über eine Dreifach-Interaktion aus Geschlecht, sozialer Herkunft und Migration nachzudenken, da aber bereits aus theoretischer Perspektive hinsichtlich Herkunft und Migration keine sich verstärkenden Zusammenhänge zu erwarten sind, wird auf die Besprechung eines solch ungleich komplexeren Zusammenhangs an dieser Stelle verzichtet. Der Einbezug einer solchen Dreifach-Interaktion in die Regressionsmodelle hat sich darüber hinaus als insignifikant erwiesen (tabellarisch nicht ausgewiesen).
Aufgrund von Panelmortalität ist davon auszugehen, dass die Abbruchquote in dieser Analyse etwas unterschätzt wird, da überdurchschnittlich häufig leistungsbessere Studierende in der Analyse verbleiben.
Das gleiche Ergebnis wird erzielt, wenn die Interaktionsterme einzeln in den Modellen betrachtet werden. Zwar zeigt sich bei einer differenzierteren Aufschlüsselung des Herkunftskonzepts (vgl. Tab. 4 im Anhang), dass Frauen mit zwei akademischen Eltern mit am häufigsten ein Studium aufnehmen (βFrau | 2 Akademiker = 0,23). Allerdings ist auch dieser Unterschied im Vergleich zu den Herkunftsunterschieden bei den Männern (βMann | 2 Akademiker = 0,12) statistisch nicht signifikant verschieden.
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Ich bedanke mich bei den Herausgebern dieser Zeitschrift, Kathrin Leuze, Björn Seipelt sowie dem BBU-Kolloquium der Universitäten Jena und Erfurt für die kritischen Anmerkungen und hilfreichen Kommentare.
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Lörz, M. Intersektionalität im Hochschulbereich: In welchen Bildungsphasen bestehen soziale Ungleichheiten nach Migrationshintergrund, Geschlecht und sozialer Herkunft – und inwieweit zeigen sich Interaktionseffekte?. Z Erziehungswiss 22 (Suppl 1), 101–124 (2019). https://doi.org/10.1007/s11618-019-00885-1
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Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11618-019-00885-1
Schlüsselwörter
- Soziale Ungleichheit
- Intersektionalität
- Bildungsentscheidung
- Hochschulbildung
- Geschlecht
- Soziale Herkunft
- Migration