1 Einleitung

Die internationale Bewegung „Fridays for Future“ (FFF), deren Ursprung auf die Schulstreiks der schwedischen Schülerin Greta Thunberg beginnend mit dem 20. August 2018 zurückgeht, hat nicht nur die breite Öffentlichkeit, sondern auch die Forschung zur politischen Partizipation Jugendlicher überrascht. Während sich so junge Menschen jahrzehntelang überwiegend nicht sonderlich für Politik interessiert haben (vgl. Schneekloth und Albert 2019), sind nun bei FFF die überwältigende Mehrheit der Aktivist:innen und Teilnehmer:innen an den Protesten („Streiks“) Jugendliche und junge Erwachsene, was insbesondere auf die frühe Phase der Bewegung 2019 zutrifft, die unser Forschungsinteresse ist und in der das Medianalter 19 Jahre betrug (Sommer et al. 2020).

In diesem Artikel beziehen wir uns auf das Konzept politischer Selbstwirksamkeit sowie den theoretischen Ansatz der Handlungsfähigkeit junger Menschen. Diese werden dabei als Akteur:innen begriffen, die ihr eigenes Leben gestalten sowie gesellschaftliche und politische Entwicklungen mitgestalten (vgl. Nico und Caetano 2021a, b; Pohl et al. 2011). Soziologisch ist relevant, inwiefern bzw. in welchen Kontexten sich die jungen Menschen auch selbst als Akteur:innen, also als selbstwirksam Handelnde wahrnehmen bzw. daran glauben, dass ihre Handlungen etwas bewirken können.

Unter diesem Blickwinkel werden in dem Artikel die Einschätzung und die Erfahrungen von jungen Aktivist:innen der FFF-Bewegung hinsichtlich ihrer politischen Selbstwirksamkeit untersucht. Es wird den qualitativen Fragestellungen nachgegangen, in welchen Kontexten sich die Aktivist:innen selbstwirksam erleben und mit welchen Strategien sie versuchen, Selbstwirksamkeit zu fördern. Dazu wird zunächst der theoretische Rahmen hinsichtlich der jugendsoziologischen Debatte zu Handlungsfähigkeit sowie der Konzeptionen politischer Selbstwirksamkeit erörtert. Daran anschließend wird überblicksartig der Forschungsstand zu FFF mit Blick auf das Untersuchungsinteresse der politischen Selbstwirksamkeit beschrieben. Nach dem Kapitel zum methodischen Forschungsdesign werden die empirischen Ergebnisse entlang der beiden Schlüsselkategorien dargestellt und im Anschluss vor dem Hintergrund des eröffneten theoretischen Rahmens diskutiert.

2 Handlungsfähigkeit und politische Wirksamkeit

In der Jugendsoziologie werden Jugendliche zunehmend als Akteur:innen verstanden, die in verschiedenen Lebensbereichen mitbestimmend für gesellschaftliche Entwicklungen sein können (Irwin 2021; Nico und Caetano 2021a; Pohl et al. 2011). Dieser Aspekt wird auch von der Sozialisationsforschung betont: „Zum einen ist Jugend Objekt von Sozialisationseinflüssen; es geht um die Frage, wie sich die junge Generation in die Gesellschaft einfügt. Zum anderen ist Jugend aktiver Faktor sozialen Wandels; es geht darum, dass die junge Generation, die in die Gesellschaft eintritt, diese nach ihren Vorstellungen umzugestalten versucht“ (Scherer 1988, S. 17). Verglichen mit älteren Generationen sind junge Menschen denn auch weniger im parteipolitischen System, sondern eher in sozialen Bewegungen zu finden (Waechter 2012),Footnote 1 wie die FFF-Bewegung, initiiert und maßgeblich von Schüler:innen getragen, deutlich zeigt. Politische Selbstwirksamkeit, der Glaube daran, dass politische Veränderung möglich ist und dass eigene Handlungen zur Veränderung beitragen können, ist ein Kernelement von Handlungsfähigkeit („agency“) (Beaumont 2010; 2011) und gerade für junge Menschen der Schlüssel zu politischer Partizipation (Beaumont 2011, Gaiser und de Rijke 2016). In diesem Verständnis werden im vorliegenden Artikel die Einschätzung und die Erfahrungen von jungen Aktivist:innen der FFF-Bewegung hinsichtlich ihrer politischen Selbstwirksamkeit untersucht.

Für soziale Bewegungen im Allgemeinen konnte festgestellt werden, dass die Einschätzung der Wirksamkeit ein zentraler Faktor ist, der die Teilnahme in einer Bewegung erklärt (zum Beispiel Glazer Myron und Glazer 1999 für Umweltaktivismus), unabhängig vom Vertrauen in das politische System (Beaumont 2010). Die wahrgenommene Wirksamkeit („perceived efficacy“) umfasst dabei die Einschätzung der individuellen (persönlichen) sowie der kollektiven Selbstwirksamkeit (ebd.), wobei die individuelle Form als Grundlage für die kollektive Ausprägung verstanden werden kann (Bandura 1982; 1997). Politische Selbstwirksamkeit von Aktivist:innen einer sozialen Bewegung ist abzugrenzen von der Wirksamkeit der Bewegung auf Politik und Gesellschaft, die subjektive Selbstwirksamkeit einer Person steht aber damit in Zusammenhang, wie die Person die politischen Wirksamkeit der Bewegung wahrnimmt. Die Erfahrungen, die im Rahmen eines politischen Engagements gemacht werden, können zu einer Veränderung politischer Selbstwirksamkeitserwartungen führen (Costa und Wittmann 2021).

Die Wahrnehmung der persönlichen Wirksamkeit meint grundlegend die Selbsteinschätzung, wie gut man Handlungen ausführen kann, die erforderlich sind, um mit bestimmten Situationen umzugehen (Bandura 1982, S. 122). Dieser Glaube an die Selbstwirksamkeit wird auch mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit („agency“) theoretisch gefasst (z. B. Gamson 1992). Im Zusammenhang mit politischer Partizipation wird angenommen, dass ein Verständnis persönlicher politischer Selbstwirksamkeit zur Entstehung politischer Handlungsfähigkeit („political agency“) beiträgt (Beaumont 2010).Footnote 2

Forschungsarbeiten zeigen, dass die Selbsteinschätzung der Wirksamkeit (der politischen Aktionen) von Bewegungen sowohl ihre Entstehung und die Mobilisierung zu ihrer Teilnahme (Benford 1993; Klandermans 1984) als auch die fortwährende Teilnahme und die Aufrechterhaltung der Bewegung beeinflussen (Einwohner 2002). Soziale Bewegungen stehen aber oft vor der Problematik, die geforderten politischen und sozialen Veränderungen wenig und langsam umgesetzt zu sehen, zudem kommt, dass sich ein kausaler Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nur schwer belegen lässt (Kern 2008). Goldstone (1998) beschreibt für die Etablierung einer (potenziell wirksamen) Protestwelle die zwei grundlegenden Bedingungen, dass der Staat die Bewegung anerkennt und dass eine große kulturelle Resonanz besteht, also dass die Bevölkerung die Bewegung in großem Ausmaß unterstützt. Die kulturelle Resonanz hängt u. a. von der eigenen Betroffenheit der Bevölkerung ab (Ahlemeyer 1995; Kern 2008). Als weitere mögliche externe Hürden für soziale Bewegungen benennt Bandura (1982) transnationale Interdependenzen und Institutionen, die sich ungern verändern lassen wollen, was Erfolge nur in einer langfristigen Perspektive ermöglicht. Daher wurde etwa für die Umweltbewegung der 1980er-Jahre festgestellt, dass die Selbstwirksamkeit stark von der Hoffnung und weniger von Erfolgen bestimmt war („culture of hope“) (Glazer Myron und Glazer 1999, S. 280).

Das Ausbleiben relevanter, sichtbarer politischer Erfolge kann mit verschiedenen Strategien kompensiert werden, damit das Gefühl der Selbstwirksamkeit aufrechterhalten bleibt („efficacy maintenance“) (Einwohner 2002). Unter (politischer) Strategie wird im Allgemeinen die Planung und Ausführung von zielgerichtetem, erfolgsorientiertem und kalkulationsbasiertem Handeln verstanden (vgl. Raschke und Tils 2007). Für soziologische Auseinandersetzungen mit sozialen Bewegungen wird der Strategiebegriff häufig im Hinblick auf Themen der Mobilisierung oder der Organisation genutzt (Smithey 2009). Einwohner (2002) hat sich mit Strategien zur Aufrechterhaltung der Selbstwirksamkeit befasst und vier Strategien von Tierrechtsaktivist:innen beschrieben: die Beanspruchung von politischen oder sozialen Veränderungen als eigene Erfolge („claiming credit“), auch bei politischen Niederlagen kleine positive Aspekte herausstreichen („seeing the positive“), das Feiern kleiner Erfolge („celebrating victories“), und die Einstellung, sich mit kleinen Erfolgen schrittweise dem großen Ziel zu nähern („cumulative thinking“) (Einwohner 2002, S. 219ff.). Ähnlich stellte auch Benford (1993) für Aktivist:innen der Atomwaffen-Abrüstungsbewegung fest, dass sie Niederlagen als Erfolge verkauft hatten.

In Arbeiten zu Umwelt- und Klimaaktivismus wurde auch zwischen der Wahrnehmung direkter und indirekter Wirksamkeit unterschieden. Während direkte Wirksamkeit die Einschätzung meint, dass die Ziele aufgrund der eigenen Aktionen erreicht werden, beschreibt indirekte Wirksamkeit die Einstellung, dass die Aktionen andere beeinflussen, was schließlich zur Zielerreichung führt (Cologna et al. 2021; Hamann Karen und Reese 2020). Empirische Ergebnisse aus der Schweiz zeigen, dass FFF-Teilnehmende einerseits ihren Protesten mehr Erfolg zur Zielerreichung zuschreiben als Nicht-Teilnehmende und andererseits auch höhere Werte bei der Einschätzung ihrer Wirksamkeit auf die Handlungen anderer aufweisen. Sowohl direkte als auch indirekte Wirksamkeit beeinflussen die Teilnahme an der FFF-Bewegung signifikant (Cologna et al. 2021). Eine Studie mit Umweltaktivist:innen in Polen ergab, dass zur Erhöhung der Wirksamkeit, d. h. um möglichst viele Menschen und deren Handlungen beeinflussen zu können, auf die Strategie der Zielgruppenorientierung gesetzt wurde (z. B. gemeinsame Aktionen mit katholischen Gruppen; Umweltproteste als Ausdruck von Patriotismus promoten) (Łoś 2020).

Anknüpfend am Konzept politischer Selbstwirksamkeit in sozialen Bewegungen wird im vorliegenden Artikel durch die Rekonstruktion subjektiver Sichtweisen von FFF-Aktivist:innen untersucht, ob und inwiefern sie persönliche politische Selbstwirksamkeit wahrnehmen und mit welchen Strategien sie diese fördern und aufrechterhalten.

3 Stand der Forschung zu FFF

Zu den umfangreichsten Untersuchungen zu Fridays for Future für den europäischen Raum gehören sicherlich jene, die unter dem Titel „Protest for a future“ veröffentlicht worden sind und sich (international) vergleichend auf mehrere Städte beziehen (Wahlström et al. 2019; Folgeuntersuchung: de Moor et al. 2020). Sie fokussieren unter anderem auf die Mobilisierungswege und Motive der Teilnehmenden und geben Aufschluss über die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Bewegung. Dabei zeigt sich die Besonderheit einer vergleichsweise jungen Bewegung, die einen hohen Frauenanteil aufweist und deren Teilnehmende mehrheitlich der höheren Bildungsschicht angehören.

Die Wirksamkeit der Aktivitäten der deutschen FFF-Bewegung wird durch Rust et al. (2021) beschrieben, wobei weniger die Perspektive der FFF-Protestierenden und deren Selbstwirksamkeitserfahrungen, als vielmehr ein Überblick der Aktivitäten der „For Future-Gruppen“ und der (unmittelbaren) Auswirkungen dargestellt wird. Insgesamt habe die Bewegung erreicht, „dass eine intensivere Ernsthaftigkeit in der Diskussion zu mehr Klimaschutz eingeleitet“ wurde und das Thema im politischen Diskurs präsent sei (Rust et al. 2021, S. 20). Politik habe sich zwar solidarisiert, jedoch keine ernsthaften Maßnahmen beschlossen (ebd.).

Für die Proteste in Österreich sind u. a. die Untersuchungen von Daniel und Kolleg:innen zu nennen, die z. T. an die europäischen Untersuchungen anschließen bzw. diese in ihrem Datenmaterial berücksichtigen, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Ziele, die Interpretationen der Klimakrise und die Mobilisierungsmöglichkeiten gelegt wurde (Daniel et al. 2020). Interessant ist für den vorliegenden Kontext dazu, dass die Protestierenden mehrheitlich davon ausgehen, die Politik mit ihren Protesten beeinflussen zu können. Insbesondere jüngere Teilnehmer:innen (bis 19 Jahre) erwarten insgesamt einen ’starken’ oder ’ziemlichen’ Einfluss ihrer Proteste (Bohl et al. 2021).

Mit der politischen Wirksamkeit der FFF-Bewegung in Deutschland haben sich Koos und Lauth (2019), Gardner und Neuber (2020; 2021) und Costa und Wittmann (2021) auseinandergesetzt. Von den in Koos und Lauth (2019) befragten Protestteilnehmenden gaben zwei Drittel an, dass sie ihren Lebensstil seit Beginn der Schulstreiks hin zu mehr Nachhaltigkeit ausgerichtet hätten, und 28 % erklärten, dies auch in ihrem sozialen Umfeld beobachten zu können. Hinsichtlich einer nachhaltigen Veränderung der Politik zeigten sich die Befragten optimistisch und gaben an, mehrheitlich mit einer Änderung zu rechnen (ebd., S. 7). Gardner und Neuber (2020; 2021) untersuchten den Einfluss der Corona-Pandemie auf die Einschätzung der Wirksamkeit. Dabei stellte sich heraus, dass die Protestierenden in der Pandemie stärker die Auffassung vertraten, dass ihr Engagement Veränderungen bewirken kann, als zu Beginn der Proteste. Dies gilt im Besonderen für die allgemeine Einschätzung des Einflusses von organisierten Gruppen von Bürger:innen auf politische Prozesse (Gardner und Neuber 2021). Mit einer Online-Befragung konnten Costa und Wittmann (2021) zeigen, dass diejenigen, die an den Demonstrationen von FFF teilnehmen, eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung im Vergleich zu denjenigen, die organisatorisch in der Bewegung aktiv sind, aufweisen. Beide Gruppen weisen zugleich höhere Werte zur Erwartung der eigenen Selbstwirksamkeit auf als Personen, die sich nicht an den Protesten beteiligen (Costa und Wittmann 2021). Die Autorinnen sehen in den Befunden vorsichtige Hinweise darauf, dass im Rahmen eines aktiven, d. h. auch organisatorischen, Engagements bei FFF „Erfahrungen gemacht werden, die zu einer Veränderung der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung führen könnten“ (ebd., S. 14) und darin „auch Grenzen des eigenen Handelns und Wirkens erfahr- und spürbar werden, was sich in der niedrigeren Selbstwirksamkeitserwartung der Engagierten widerspiegeln kann“ (ebd.).

Zusammengefasst zeigen die bisherigen (vorrangig quantitativen) Forschungsergebnisse zur Einschätzung der Selbstwirksamkeit, dass die FFF-Teilnehmer:innen mehrheitlich davon ausgehen, mit ihren Protesten politische Entscheidungen beeinflussen zu können (Bohl et al. 2021; Gardner und Neuber 2021, Koos und Lauth 2019).

4 Empirisches Forschungsdesign und Stichprobe

Die empirischen Erkenntnisse beruhen auf einer qualitativen Studie mit Datenerhebungen in Deutschland (Steinmann 2021) und Österreich (Waechter und Steinmann 2022). Ziel war es, mittels qualitativer, leitfadengestützter Interviews, die im Sommer/Herbst 2019 geführt worden sind, die Perspektive von Aktivist:innen und Teilnehmenden der Fridays for Future-Proteste zu rekonstruieren. Der Zeitspanne der Erhebung liegt damit im ersten Jahr der Bewegung – sowohl in Deutschland als auch in Österreich fanden die ersten Klimastreiks im Dezember 2018 statt. Die Interviews waren „problemorientiert“ (hinsichtlich der Einschätzung von FFF und Selbstwirksamkeit) (Witzel und Reiter 2012) sowie narrativ orientiert (Küsters 2009), um der subjektiven Perspektive der Befragten gerecht zu werden und ein hohes Maß an Offenheit zu garantieren. Ein wesentlicher Themenbereich fokussierte in beiden Erhebungen auf die politische Wirksamkeit der Bewegung, mit der sich dieser Artikel beschäftigt.

Insgesamt liegen elf Einzelinterviews (aus Deutschland und Österreich) sowie zwei Gruppendiskussionen (Deutschland) vor, sodass insgesamt 16 junge Mitglieder der FFF-Bewegung Footnote 3in die Untersuchungen einbezogen werden konnten (n = 16). Die Stichprobe setzt sich insgesamt aus sieben Männern und neun Frauen zusammen, die sich, mit einer Ausnahme,Footnote 4 zum Zeitpunkt der Erhebungen in schulischer oder akademischer Ausbildung befanden. Ihr Alter beträgt zwischen 16 und 29 Jahre, wobei der Großteil zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 18 und 25 Jahre alt war. Es handelt sich dabei also mehrheitlich um ein Studierendensample.Footnote 5 Zehn Personen (fünf in Österreich und sechs in Deutschland) waren zusätzlich zur Demonstrationsteilnahme auch organisatorisch aktiv bzw. waren in FFF-Gremien oder Arbeitsgemeinschaften involviert, die weiteren sechs Personen (drei in Österreich und zwei in Deutschland), nahmen „nur“ an (mehreren) FFF-Demonstrationen teil, waren aber mit einer Ausnahme in anderen Organisationen oder losen Gruppen, die sich dem Klimaschutz widmen (z. B. System Change Not Climate Change), aktiv. Auch mehrere FFF-Aktivist:innen waren zusätzlich zu FFF bei weiteren Klimagruppen engagiert (siehe Tab. 1).

Tab. 1 Sample: Beschreibung des Aktivismus der Interviewpartner:innen (IP)

Bei der Datenerhebung wurde in einer Verbindung von Purposive Sampling (Patton 2002) und Theoretical Sampling (Strauss und Corbin 1996; Strübing 2022 und 2021) darauf geachtet, dass der Datensatz sowohl Homogenitäten als auch Heterogenitäten aufweist. Der Idee des Purposive Sampling folgend, wurden die Kriterien zur Auswahl bereits vorab bestimmt (Patton 2002). Zuallererst wurde die Stichprobe auf in der FFF-Bewegung engagierte Personen festgelegt, um „information rich cases“ (Patton 2002) gewährleisten zu können. Auch hinsichtlich Alter (junge Erwachsene) und Bildungsbeteiligung (noch im Bildungssystem/in Ausbildung, d. h. höheres Bildungsniveau) wurde basierend auf dem Stand zur Forschung zu FFF eine homogene Stichprobe gewählt. Hinsichtlich der Art des Engagements in der Bewegung (siehe Tab. 1) sowie der Teilnahme in deutschen und österreichischen Regional- und Ortsgruppen wurde auf eine heterogene Stichprobe geachtet. Das sollte im Sinne einer „konzeptuellen Repräsentativität“ (Strübing 2021, S. 33) ermöglichen, falls vorhanden, verschiedene Konzepte von Selbstwirksamkeit zu erhalten. Bei der Art des Engagements wurden neben Personen aus dem organisatorischen Kern, die sich der Bewegung und den entsprechenden lokalen Gruppierungen schon früh angeschlossen hatten, auch solche rekrutiert, die nicht organisatorisch aktiv waren. Die unterschiedlichen Regional- und Ortsgruppen werden aus Datenschutzgründen nicht genannt. Die Befragten konnten zunächst durch Feldaufenthalte und persönliche Kontakte, und später auch durch (Kontakt‑)Verweise durch bereits befragte Personen akquiriert werden.

Zusätzlich zur qualitativen Befragung wurden Internetrecherchen zu Organisationsformen und Zielen der Bewegung (etwa auf den Länderhomepages der Bewegung) durchgeführt und kontextuell in die Auswertungen einbezogen. Im Rahmen der deutschen Erhebung konnten zudem teilnehmende Beobachtungen an drei Protesten in Nordrhein-Westfalen und einem mehrtägigen Sommerkongress realisiert werden. Die Interviewdaten wurden transkribiert und anonymisiert, die Beobachtungsdaten unmittelbar nach den Feldaufenthalten schriftlich protokolliert, um sie analytisch nutzen zu können (Hitzler und Honer 1997).

Die Datenauswertung erfolgte in Anwendung kodierender Methoden in Anlehnung an die Grounded Theory (Strauss und Corbin 1996). Der Schwerpunkt lag zuerst bei einer materialbasierten, offenen Kodierung. Theoretische Vorkenntnisse wurden nicht gänzlich ausgeblendet, sondern im Sinne der „theoretischen Sensibilität“ für die Einschätzung der Relevanz des Datenmaterials (in unserem Fall hinsichtlich einer Akteursperspektive) verwendet (vgl. Glaser und Strauss 2010). Auf Basis der offen generierten Codes konnten in der Folge abstraktere, in sich ausdifferenzierte Kategorien zum Rahmenthema „Einschätzungen der politischen Selbstwirksamkeit“ entwickelt werden. In der interpretativen Weiterarbeit wurden diese zu den Schlüsselkategorien „Politische Selbstwirksamkeit innerhalb der Bewegung“, „Strategien zur Förderung politischer Selbstwirksamkeit“ und „Politische Selbstwirksamkeit außerhalb der Bewegung“ verdichtet.

Bei der Auswertung wurde der Fokus explorativ auf Gemeinsamkeiten und „stabile Ausprägungen“ (Strübing 2022, S. 595) gelegt. Hinsichtlich der unterschiedlichen Regional- und Ortsgruppen zeigten sich in der Analyse der Selbstwirksamkeitserfahrungen keine relevanten Auffälligkeiten bzw. Widersprüchlichkeiten. Die Unterschiede basierend auf der Art des Engagements werden in der Ergebnisdarstellung thematisiert. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Auswertung entlang der beiden Schlüsselkategorien dargestellt.

5 Empirische Ergebnisse: Politische Selbstwirksamkeit im Verständnis junger Protestierender

5.1 Politische Selbstwirksamkeit in Kontexten innerhalb der Bewegung

Der Glaube an die eigene politische Selbstwirksamkeit scheint bei den befragten jungen FFF-Engagierten grundlegend mit ihren Wirksamkeitserfahrungen zusammenzuhängen. Zu diesen Erfahrungen gehört zum einen, inwieweit die Aktionen der Bewegung auf Regierungen und Politiker:innen Einfluss genommen und diese zu entsprechenden Maßnahmen und Gesetzen veranlasst haben. Hier zeigt sich, dass die Interviewpersonen eine gewisse politische Wirksamkeit der Bewegung feststellen, die sich zum größeren Teil in einer allgemeinen wachsenden politischen Präsenz des Klimathemas und zum kleineren Teil in konkreten Maßnahmen ausdrückt. Zum anderen soll auch die Bevölkerung erreicht und für das Thema sensibilisiert werden. Die Zielerwartungen sind hier erstens Veränderungen im individuellen Klimahandeln (z. B. weniger Autofahren) und zweitens die Ermöglichung von politischen Maßnahmen durch gesellschaftlichen Konsens. Das entspricht in etwa den beiden Dimensionen der direkten und indirekten Wirksamkeit (Cologna et al. 2021, Hamann Karen und Reese 2020). Der Einfluss auf Regierungen und Politker:innen ist dabei als direkte Wirksamkeit und die Sensibilisierung der Bevölkerung als indirekte Wirksamkeit zu verstehen.

Hinsichtlich des Einflusses auf politische Akteur:innen (Regierungen, Politiker:innen) werden konkrete Auswirkungen genannt. Zum Beispiel wird betont, dass der Wahlerfolg der Grünen bei den letzten österreichischen Nationalratswahlen, der zu einer Regierungsbeteiligung geführt hat, auf die FFF-Proteste zurückzuführen ist (z. B. IP2, Z. 646–647).Footnote 6 Zudem wurde die Bewegung auch dafür verantwortlich angesehen, dass auf mehreren politischen Ebenen in Deutschland und Österreich ein Klimanotstand ausgerufen wurde, der Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise begünstigen soll. Auch wenn es sich hier um eine „Claiming Credit“ Strategie (Einwohner 2002) handeln könnte, d. h. dass Erfolge, die keiner direkten politischen Einflussnahme der Bewegung zugrunde liegen, auf das eigene Konto verbucht werden, scheinen diese Narrative über erreichte Erfolge zur subjektiven politischen Selbstwirksamkeit, also zur Überzeugung über die eigene politische Handlungsfähigkeit, beizutragen.

Darüber hinaus werden kaum konkrete (politische) Maßnahmen benannt, in denen die Bewegung Wirksamkeit entfalten konnte. Als Gründe werden externe Problematiken (vgl. Bandura 1982), konkret vor allem die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft („Oft hakt’s daran, dass die Interessensverbände hinter den Entscheidungsträgern… also Lobbyismus so ein machtvolles Instrument ist“, IP4, Z. 210–211), sowie die dem politischen System inhärente kurzfristige Perspektive genannt: „[…] weil Politiker gerne die Politik so betreiben, dass sie nächstes Mal wieder gewählt werden und weil es für den Klimawandel solche langfristigen Lösungen braucht, die in der kurzen Frist erstmal vielleicht ungemütlich erscheinen, macht sich damit niemand beliebt.“ (IP4, Z. 214–217). Befragte berichten übereinstimmend von wiederholten Erfahrungen, dass ihre Forderungen von der Politik zwar gehört, aber nicht oder nur scheinbar umgesetzt werden (vgl. auch IP3, Z. 194–220):

„Politiker sagen oft, FFF ist super, laden uns zu Gesprächen ein und drehen und wenden die Thematik dann so, dass was anderes rauskommt. (…) Zum Beispiel ’ja, wir müssen alle viel weniger mit dem Auto fahren’. (…) Was eigentlich gar nicht das Thema war (…) und das wird halt auf das Individuelle abgewälzt.“ (IP2, Z. 561–572).

Zur Sensibilisierung der Bevölkerung erklären dagegen mehrere Interviewpartner:innen übereinstimmend, durch die Sichtbarkeit ihres Protests die Bevölkerung zu einem Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit bewegt zu haben:

„Ich sehe, dass überall über das Thema Klimakrise gesprochen wird und dieses Thema es wirklich mittlerweile überallhin geschafft hat, dass jeder darüber spricht und dass in vielen Köpfen einfach ein Umdenken stattgefunden hat beziehungsweise gerade stattfindet (…) und auch wenn wir auf politischer Ebene bisher noch nicht viel erreicht haben, merke ich, dass wir auf gesellschaftlicher Ebene super viel erreicht haben“ (IP16, TT5, Z. 4–10).

Die Wahrnehmung eines Einflusses auf die Bevölkerung ist insofern wichtig, als mit einer Sensibilisierung der Bevölkerung der Boden dafür bereitet werden soll, politische Maßnahmen zur Nachhaltigkeit zu verabschieden, die von der Gesellschaft langfristig mitgetragen werden:

„Aber es geht auch darum, gesellschaftlich sichtbar zu sein, dass man auch vielleicht mehr Unterstützer gewinnt, dass wir mehr Druck ausüben können auf die Politik. Und dass auch vielleicht der Unwille nicht so groß ist, wenn dann Klimaschutzmaßnahmen folgen, die uns vielleicht im Lebensstil ein bisschen beschneiden.“ (IP2, Z. 500–504)

Neben politischen Maßnahmen und Sensibilisierung der Bevölkerung hat die subjektive politische Selbstwirksamkeit noch eine weitere Dimension: Vor allem die befragten Demonstrationsteilnehmer:innen, die sich nicht organisatorisch in Regional- oder Ortsgruppen engagieren, erfahren Selbstwirksamkeit, indem sie sich mit Gleichgesinnten zu einer als stark wahrgenommenen Gemeinschaft zusammenschließen. Dieses Gemeinschaftserleben und die Erfahrung, Teil einer Bewegung zu sein, scheint bereits dazu beizutragen, sich als selbstwirksame:n Akteur:in zu begreifen (IP9, TT 5, Z. 5–10, IP12, Z. 652–655 und Z. 733–741, IP14, Z. 284–291). Das kann auch die Vermutung von Costa und Wittmann (2021) stützen, dass diese jungen Menschen sogar mehr Selbstwirksamkeit erfahren, weil sie im Gegensatz zu den organisatorisch Engagierten weniger auf die politische Zielerreichung fokussiert sind.

Von Aktivist:innen, die sehr viel Zeit in die politische Arbeit für die Erreichung der Ziele investieren, wird dementsprechend viel von Enttäuschungen und Frustration berichtet, wenn die Erfahrung gemacht wurde, dass Ziele nicht und vor allem nicht schnell und einfach erreicht werden („Politischer Aktivismus ist unglaublich frustrierend“, IP1, Z. 416). Diese Erfahrungen werden allgemein als Gefahr für die politische Selbstwirksamkeit der FFF-Engagierten eingeschätzt: „Das sehe ich auch als eines der größten zukünftigen Probleme, die Fridays haben wird, dass man die Leute bei Stange hält, dass die Leute nicht zu frustriert werden.“ (IP2, Z. 620–623).

5.1.1 Strategien zur Förderung politischer Selbstwirksamkeit

Zweifel, ob sich der persönliche Einsatz lohnt, scheinen innerhalb von FFF weit verbreitet zu sein, und werden in der Bewegung auch thematisiert: „In Lausanne [SMILE for Future – Summer Meeting in Lausanne Europe] war sicher eines der größten Themen, neben ’wie bekommen wir noch mehr Menschen auf die Straße, was wollen wir, wie gehen wir vor’, ’wie schaffe ich es, dabei selber nicht verrückt zu werden’“ (IP1, Z. 431–433). Mit der internen Auseinandersetzung und dem Austausch scheinen persönliche Zweifel abgefedert, die Gemeinschaft gefestigt sowie der Glaube an die eigene Handlungsfähigkeit gestärkt werden zu können.

Um negativen Erfahrungen hinsichtlich der politischen Zielerreichung und damit einhergehenden Frustrationen entgegenzuwirken, wird zudem auf eine optimistische, fröhliche Grundstimmung gesetzt. Das entspricht der Einschätzung von Glazer Myron und Glazer (1999) für die frühere Umweltbewegung, die ebenfalls einen unerschütterlichen Optimismus als Erfolgsrezept für die Aufrechterhaltung der Bewegung beschreiben. Dieser Optimismus betrifft bei der heutigen FFF auch die internen Sitzungen, vor allem aber werden die Demonstrationen als sehr fröhlich beschrieben:

„Im letzten Bundesplenum haben wir beschlossen, dass wir einen neuen Grundsatz einführen, und zwar, dass wir positiv öffentlich, extern und intern, formulieren. Weil das ganz, ganz wichtig ist für uns alle, die Hoffnung nicht zu verlieren. (…) Deswegen sind auch unsere Demos alle sehr fröhlich. Also wir haben coole Musik, wir tanzen, wir versuchen daraus eine kleine Party zu machen. (…) Also wir müssen (…) weil ich glaub, dass sonst die Leute einfach aufhören.“ (IP1, Z. 405–415).

Das Interview zeigt, dass ein fröhlicher Optimismus sogar offiziell als Strategie eingesetzt wird. Hier zeigt sich aber auch ein jugendkulturelles Element (Waechter und Steinmann 2023) der Bewegung: Politisches Engagement für den Klimaschutz soll auch Spaß machen:

„Also es ist schon eher durchwegs positiv durch Musik und Gesang und Tanzen, und es wäre blöd, wenn es nicht so wäre, weil dann würde es auch keinen mehr scheren, das nächste Mal wiederzukommen. Klimaschutz kann auch Spaß machen.“ (IP4, Z. 268–271)

Es scheint damit auch, als feiert sich die Bewegung selbst und politische Selbstwirksamkeit wird von den Teilnehmenden im Zusammenschließen von Gleichgesinnten und dem Erleben von Gemeinschaft erfahren (IP9, TT 5, Z. 5–10, IP12, Z. 652–655 und Z. 733–741, IP14, Z. 284–291).

Eine weitere Strategie zur Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen und zur Stärkung subjektiver politischer Selbstwirksamkeit, die wir aus dem Datenmaterial herausarbeiten konnten, ist die Niederschwelligkeit des Zugangs zum Engagement. Die Aufnahme und Mitarbeit in einer lokalen FFF-Gruppe sind voraussetzungslos gestaltet, und bei den regelmäßigen Treffen sind alle Anwesenden dazu aufgerufen, gleichermaßen mitzureden und mitzubestimmen:

„Da kann sprichwörtlich jeder kommen. Und jeder, der da ist, hat sofort ein Stimmrecht. Also es ist jetzt nicht so, dass du dich erst anmelden und unterschreiben musst, sondern du bist da, damit hast du genug Bereitschaft gezeigt, dass du stimmen kannst. (…) Was bei uns so angenehm ist, du kommst und kannst gleich mithelfen, du kannst gleich mitmachen.“ (IP1, Z. 256–258; 331–334).

Mit diesem offenen Zugang werden Interessierte sofort in die Rolle eines/einer politischen Akteur:in versetzt, indem ihnen ein Mitsprache- und Stimmrecht gegeben wird („Wer da ist, hat ein Stimmrecht“, IP2, Z. 59–60). Es ist anzunehmen, dass die aktive Ausübung dieser Rolle (mitzureden und mitzustimmen) auch zu einem dementsprechenden Selbstverständnis als politische:r Akteur:in und zur Wahrnehmung von Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit beiträgt. Diese Niederschwelligkeit wird auch für Neugründungen von regionalen Gruppen, also „Ortsgruppen“ (Deutschland) bzw. „Regionalgruppen“ (Österreich), beschrieben: „Es kann jede Stadt eine Regionalgruppe ausrufen. Das ist ganz, ganz wichtig.“ (IP2, Z. 349–351).

5.1.2 Politische Selbstwirksamkeit in Kontexten außerhalb der Bewegung

Die Befragten sehen sich übereinstimmend in der Eigenverantwortung, ihr eigenes Leben möglichst klimaschonend zu gestalten. Dabei werden zahlreiche Beispiele aus den Bereichen Ernährung, Konsum, Mobilität und Energie ausführlich geschildert. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass regionale, biologische, saisonale, vegane und verpackungsfreie Produkte zur Ernährung bevorzugt werden. In Bezug auf Konsum scheint allgemein das Ideal vorzuherrschen, sich möglichst ganz dem Konsum zu entziehen und stattdessen alternative Praktiken wie Kleidertausch, DIY-Kosmetik und Dumpstern anzuwenden. Zum Beispiel erklären zwei Befragte: „Ja und ich versuch schon viel auf Sachen zu verzichten, indem ich mir keine neue Kleidung, Fabrik-neue-Kleidung kaufe oder irgendwie auch beim Kochen, ja manche Zutaten jetzt nicht unbedingt noch brauche oder dann auch keine tropischen Früchte kaufe.“ (IP4, Z. 65–68)

„Ich persönlich probier’ auf extrem viele Sachen zu verzichten. Ich verzichte auf, also ich schau wirklich aktiv, dass ich kein Palmöl kaufe, was echt schwer ist grad wenn’s zu Süßigkeiten kommt und da steht man teilweise ziemlich frustriert vorm Süßigkeitenregal im Supermarkt [lacht]. Ich esse auch kein Fleisch mehr mittlerweile seit zwei Jahren, ich probier’ wirklich möglichst wenig Milchprodukte und Eier zu mir zu nehmen, also tierische Produkte.“ (IP2, Z. 81–86)

Im Bereich Mobilität wird übereinstimmend versucht, motorisierten Individualverkehr (vor allem Auto und Flüge) zu vermeiden („Ich habe beschlossen, nicht mehr zu fliegen“, IP1, Z. 148; „Ich habe keinen Führerschein gemacht, bewusst“, IP Z. 96–97) bzw. nur dann zu nutzen, wenn es notwendig erscheint und dann auch zu kompensieren. Im Bereich Energie werden Praktiken des Energiesparens sowie die Unterstützung von Öko-Strom betont.

Als private, engagierte Personen sehen sich die Befragten auch als Vorbilder und versuchen damit, ihr soziales Umfeld (mehr oder weniger aufdringlich) zu beeinflussen. So beschreibt zum Beispiel ein Befragter seine vorsichtige, aber erfolgreiche Einflussnahme auf das Umweltverhalten in der Familie folgendermaßen:

„Und es ist auch so, dass die [nachhaltigen] Produkte gekauft werden, wenn ich sie halt gern hab und dann die auch teilweise mitgegessen werden bzw. dass ich halt [nicht-nachhaltige] Produkte nicht mehr ess, die gekauft werden und demnach meine Familie die weniger kauft.“ (IP2, Z. 122–137)

Auch Erfahrungen im Kontext des Freundeskreises können zur Herausbildung von politischer Selbstwirksamkeit beitragen. Eine Befragte berichtet davon, dass sie ihren Freundeskreis zum Wechsel zu einem klimafreundlichen Lebensstil (in eher vehementer Weise) überzeugen konnte: „Je mehr ich da rein gerutscht bin, sind auch meine ganzen Freunde mit rein gerutscht, weil ich jetzt mittlerweile jeden dazu verdonner bitte klimagerecht zu leben.“ (IP15, Z. 362–372).

Die subjektive Handlungsfähigkeit drückt sich im veränderten eigenen Konsumverhalten und in einem verstärkt nachhaltigen Lebensstil aus. Zudem wird sie durch positive Erfahrungen, wie sie in der Beeinflussung vom persönlichen sozialen Umfeld gemacht werden, gestärkt. Hier sind vor allem zwei Formen an Erfahrungen relevant, einerseits das Einnehmen einer Vorbildfunktion, wobei andere zum Nachahmen animiert werden (teils absichtsvolle, aber indirekte Beeinflussung) und andererseits nachdrückliche Aufklärungsarbeit im Familien- und Freundeskreis (absichtsvolle, direkte Beeinflussung).

6 Diskussion

Zusätzlich zu den bisher entwickelten Konzepten politischer Selbstwirksamkeit, konnten aus dem Datenmaterial auch neue Dimensionen herausgearbeitet werden. Die Befragten der FFF-Bewegung unterscheiden kaum in persönliche und kollektive Selbstwirksamkeit (vgl. Bandura 1982 und 1997, Beaumont 2010), berichten aber von subjektiven Erfahrungen, die sie persönlich machen (eigenes Engagement wird als zielführend erlebt) und von subjektiven Erfahrungen, die die gesamte Bewegung betrifft (Bewegung wird als politisch wirksam wahrgenommen), wobei beide Arten zum Glauben an die eigene politische Handlungsfähigkeit beitragen. Dabei trennen sie ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen, die sie als politische:r Akteur:in in Kontexten außerhalb der Bewegung machen von jenen, die sie als FFF-Aktivist:in innerhalb der Bewegung machen. Zusätzlich zu ihrem Engagement in der FFF-Bewegung erfahren die Befragten politische Selbstwirksamkeit, indem sie ihren persönlichen Lebensstil nachhaltig gestalten. Diese Betonung der individuellen Verantwortlichkeit, die aus den Interviews herausgearbeitet wurde, sich einen nachhaltigen Lebensstil, der auch einen Verzicht auf bisherige Gewohnheiten beinhaltet, anzueignen, entspricht dem allgemeinen Trend zur Individualisierung von Verantwortung in der Risikogesellschaft (Beck 1986). So wird im aktuellen öffentlichen Diskurs zur Klimakrise der persönliche Beitrag und Lebensstil aller Gesellschaftsmitglieder verstärkt thematisiert, und auch empirisch lässt sich eine große Bereitschaft, seinen Lebensstil nachhaltiger zu gestalten, zeigen.Footnote 7

Hinsichtlich des Konzepts der direkten und indirekten politischen Wirksamkeit (Cologna et al. 2021; Hamann Karen und Reese 2020) konnten wir zeigen, dass es sowohl beim Engagement innerhalb von FFF als auch beim persönlichen Engagement in Kontexten außerhalb der FFF-Bewegung direkte und indirekte Wirksamkeitserfahrungen gibt, die zur Einschätzung der persönlichen Handlungsfähigkeit beitragen. Direkte Wirksamkeit umfasst dabei Erfahrungen mit der Einflussnahme auf die Politik (beim Engagement innerhalb der Bewegung) und ein veränderter Konsum und Lebensstil (beim Engagement außerhalb der Bewegung). Indirekte Wirksamkeitserfahrungen beziehen sich auf Beeinflussung der Bevölkerung (beim Engagement innerhalb der Bewegung) und auf Beeinflussung des Familien- und Freundeskreises (beim Engagement außerhalb der Bewegung).

Die in unseren Interviews erörterten Strategien zur Erhöhung der subjektiven politischen Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden der Bewegung decken sich zum Teil mit früheren Arbeiten zu sozialen Bewegungen. Wie auch zum Beispiel für die Tierrechtsbewegung festgestellt (Einwohner 2002), zeigen auch unsere Daten, dass FFF Erfolge, die in einem komplexen Kontext stehen und vielschichtige Ursachen haben, für sich beanspruchen (z. B. Wahlerfolge der Grünen). Solche Prozesse des „claiming credit“ können über politische Niederlagen und Schwierigkeiten bei der Zielerreichung wieder zu einer optimistischen Grundstimmung beitragen und Verlusten subjektiver Selbstwirksamkeit entgegenwirken. Wie auch Glazer Myron und Glazer (1999) für vergangene Umweltbewegungen in mehreren Ländern beschreiben, werden politische Erfolge durch eine Kultur der Hoffnung ersetzt: „They […] refuse to accept a future without the possibility of change. Despite the power of the opposition, they had faith in their own values and in their belief that others would rally for their cause. This tenacious dedication was their hallmark. They embodied the democratic tradition that citizens could unite for a redress of grievances; that those in the media or in government would see the justice of their cause, and that their legitimate concerns would be met.“ (Glazer Myron und Glazer 1999, S. 280).

Unsere Interviewdaten verweisen auf hohe Arbeits- und Zeitinvestitionen, die von den jungen FFF-Aktivist:innen, die sich auch in der Organisation der Bewegung engagieren, in ihrer Freizeit neben Schule, Studium und anderen Verpflichtungen geleistet werden. Umso wichtiger erscheint die Strategie der Verbreitung einer hoffnungsvollen, optimistischen Grundstimmung. Die Ergebnisse legen nahe, dass mit diesem Narrativ der Hoffnung einerseits bereits aktive Mitglieder der Bewegung zum Durchhalten motiviert werden und andererseits auch neue (junge) Menschen für die Bewegung begeistert werden sollen.Footnote 8 Der Zulauf zur Bewegung, die Gemeinschaft und die Aufrechterhaltung der Bewegung selbst werden als Erfolg gefeiert und damit notwendige politische Selbstwirksamkeit, die über direkte politische Erfolge nicht erfahren werden kann, wahrgenommen. Als weitere Strategie zur Stärkung des Glaubens an die eigene politische Handlungsfähigkeit der Mitglieder zeigte sich in unseren Daten der niederschwellige Zugang zu Engagement und Mitbestimmung für neue Teilnehmende der Bewegung.

7 Conclusio

Wir konnten mit unserer empirischen Arbeit zeigen, dass sich junge Teilnehmende der FFF-Bewegung als politisch selbstwirksam wahrnehmen, sowohl als Aktivist:in innerhalb der Bewegung als auch politische Akteur:in außerhalb der Bewegung. Die befragten Aktivist:innen geben sich einerseits hoffnungsvoll und von der Wirksamkeit ihrer Handlungen überzeugt, andererseits scheinen sie sich aufgrund von persönlichen Erfahrungen und Auseinandersetzungen den Schwierigkeiten bewusst, die Erfolgen von sozialen Bewegungen entgegenstehen und den Glauben an die Selbstwirksamkeit von FFF-Mitgliedern schwächen könnten. Dazu gehören zum einen externe Problematiken (langwierige politische Prozesse) und zum anderen interne Problematiken (über einen langen Zeitraum ist viel persönliches Durchhaltevermögen notwendig). Es werden zwar konkrete Erfolge der politischen Einflussnahme genannt, allerdings scheint es sich hier um Prozesse von „claiming credit“ (Einwohner 2002) zu handeln, d. h. es werden Erfolge für die Bewegung beansprucht, wo keine direkte Einflussnahme möglich war. So verweisen die Befragten auf ihren Einfluss auf den öffentlichen Diskurs, die Einstellung der Bevölkerung oder Wahlergebnisse. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass der Glaube an die politische Selbstwirksamkeit der deutschen und österreichischen FFF-Bewegung eher von Hoffnung, denn von konkreten politischen Erfolgen getragen ist. Zudem scheint die subjektive politische Selbstwirksamkeit nicht ausschließlich an die Erreichung der formulierten politischen Ziele, sondern auch an das Erleben einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten und dem Handeln als Aktivist:in geknüpft.

Die empirischen Ergebnisse konnten zeigen, dass sich die Befragten als Akteur:innen sozialen Wandels (vgl. Pohl et al. 2011) verstehen, wobei den einzelnen Aktivist:innen der FFF-Bewegung eine Mehrfachrolle als Akteur:in zukommt. Die befragten jungen Erwachsenen in Deutschland und Österreich begreifen sich als politisch selbstwirksam, indem sie sich als Teil der gesamten nationalen und globalen Bewegung verstehen und indem sie sich persönlich als FFF-Aktivist:in für den Erfolg der Bewegung einsetzen. Zudem tragen Selbstwirksamkeitserfahrungen in Kontexten außerhalb der Bewegung (wie Eigenverantwortung im eigenen Handeln als Privatperson wahrzunehmen und auch im Alltag klimaschonend und als Vorbild zu agieren) zum Glauben an die eigene politische Handlungsfähigkeit bei.

Einschränkend ist für unsere Ergebnisse festzuhalten, dass sie trotz des Untersuchungsdesigns, das verschiedene Orts- und Regionalgruppen in Deutschland und Österreich berücksichtigt, doch auf einer Auswahl möglicher Erfahrungen und Erlebnisse von FFF-Aktivist:innen in jeweils spezifischen Kontexten (z. B. lokale Anliegen, lokale politische Verhältnisse, etc.) beruhen. Zudem wurden mögliche unterschiedliche Auswirkungen aufgrund national-spezifischer Kontexte (spezifische Geschichte sozialer (Umwelt‑)Bewegungen, politische Landschaft, aktuelle politische Diskurse zur Klimakrise und darüber hinaus, Organisationsstrukturen der Bewegung, etc.) auf die Einschätzung der politischen Selbstwirksamkeit der Befragten im Untersuchungsdesign nicht explizit berücksichtigt. Um darüber Aufschluss zu gewinnen, können für zukünftige Forschungsarbeiten kontextspezifische Analysen empfohlen werden. Für die weitere Forschung zur individuell und kollektiv erfahrenen politischen Selbstwirksamkeit im Rahmen von FFF wären auch vergleichende Studien zu Alter, Bildungsniveau und sozialer Lage aufschlussreich.