Zusammenfassung
In dem Beitrag beleuchten wir einen Aspekt der Krise der Kritik, den wir als „Sprachlosigkeit der Kritik“ bezeichnen. Die heterogenen Kritiken lassen sich nicht mehr zu einer kritischen Erzählung bündeln. Es fehlt an einer gemeinsamen Sprache mit erklärenden Bildern und Grammatiken.
Für die „Sprachlosigkeit“ der Kritik werden zwei Erklärungen angeboten: zum einen die Veränderungen der normativen Kraft von Rechtfertigungsordnungen und zum andern der Individualisierungsprozess. Beide Entwicklungen sind eine symbolische Macht, mit der die Sprachlosigkeit der Kritik am Kapitalismus zumindest teilweise erklärt werden kann.
Anschließend an die Skizze der symbolischen Macht der Projektpolis und der Individualisierung werden Ansatzpunkte einer Renaissance der Kritik analysiert. Abschließend wird die Bedeutung exploriert, die einer reflexiven Verbindung von kritischer Soziologie und Soziologie der Kritik für das Konzept einer kritischen Soziologie der Kritik zukommen kann.
Abstract
In the article we highlight an aspect of the crisis of criticism which we call “speechlessness of criticism”. The heterogeneous criticism cannot be bundled up to a critical story any more. A common language with explicatory pictures and grammars is missing.
Two explanations are offered for the “speechlessness” of criticism: the changes of the normative power of justification orders and the individualisation process. Both developments are a symbolic power which can explain the speechlessness of the criticism of capitalism at least partially.
After the sketch of the symbolic power of the legitimation order of project and individualisation, starting points for a renaissance of criticism are analysed. Finally we explore the relevance of a reflexive combination of critical sociology and sociology of criticism for the concept of a critical sociology of criticism.
Notes
Bourdieu verwendet in der Regel den Begriff der „symbolischen Gewalt“, den er mit der „physischen Gewalt“ parallel zu führen scheint. Wir entscheiden uns hier demgegenüber für den Terminus der „symbolischen Macht“, weil wir gegen die Ausweitung des „Gewaltbegriffs“ über die physische und vielleicht auch psychische Gewalt hinaus etwa auf Phänomene dessen, was bisweilen als „strukturelle Gewalt“ oder „Gewalt des Denkens und der Sprache“ formuliert wird, den Vorbehalt haben, dass hiermit die Gewaltförmigkeit der Gewalt im engeren Sinne entdramatisiert und verharmlost wird (vgl. Nunner-Winkler2004). Vgl. zum Begriff der „symbolischen Gewalt“ bei Bourdieu z. B. Bourdieu1974,1998a,2004 und die Beiträge in Schmidt und Woltersdorff2008.
Wir wollen daran erinnern, dass die Projektpolis auch in der Untersuchung von Boltanski/Chiapello nicht die dominante, sondern die am stärksten wachsende war, die deshalb als modern betrachtet wurde. Weiterhin – mit schwindendem Abstand – dominierte auch in ihrem Material die Industriepolis. Und nach Einschätzung von Ève Chiapello ist auch die Künstlerkritik inzwischen in die Krise geraten (Chiapello2010).
Dieses Projekt wurde durchgeführt als soziologisches Teilprojekt in einem Projektverbund verschiedener Disziplinen zum Thema „Strukturwandel der Anerkennung im 21. Jahrhundert“, der von der VolkswagenStiftung gefördert und am Institut für Sozialforschung Frankfurt a. M. und an der Universität Bielefeld durchgeführt wurde. Ergebnisse erscheinen demnächst (Voswinkel und Wagneri. E.).
Es handelt sich um einen Beitrag von Rosa in dem für die Erneuerung der Kapitalismuskritik in der Soziologie weiterführenden Buch von Dörre et al.2009.
Celikates (2009) spricht hier vom „Modell des Bruchs“, für das Bourdieu stehe.
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Wir danken den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern für ihre wertvollen ebenso kritischen wie konstruktiven Hinweise. Sie waren uns Anlass und Ansporn, unsere Position grundlegend zu prüfen und das Argument klarer zu entfalten. Jens Bergmann, Silviana Galassi, Matthias Hahn und Jannis Zurheiden danken wir für ihre Unterstützung und weiterführenden Hinweise.
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Voswinkel, S., Wagner, G. Die symbolische Macht der Individualisierung und der Kampf um die Kritik. Österreich Z Soziol 36, 71–88 (2011). https://doi.org/10.1007/s11614-011-0004-4
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11614-011-0004-4
Schlüsselwörter
- „Neuer Geist des Kapitalismus“
- Individualisierung
- Sprachlosigkeit der Kritik
- Kritische Soziologie
- Soziologie der Kritik