Notes
Diese Akzentsetzung ging allerdings mit einer Vernachlässigung der Erforschung der Eliten einher. Fragt man nach gesamtgesellschaftlichen Problemlagen, sollte man nicht nur nach ganz unten, sondern auch nach ganz oben schauen; dies deshalb, weil zahlreiche Effekte vor allem wirtschaftlicher und politischer Art stärker von oben als von unten ausgelöst werden.
Im Vorwort findet der Leser in einer Fußnote die folgende Annonce der Herausgeber: „Als geschlechtsgerechte Sprache wird in diesem Band die stochastische Form verwendet, das heißt die männliche und weibliche Form im Wechsel.“ (Aulenbacher et al. 2017b, S. 9) Leider muss man das mitmachen, wenn man zitieren will. Außerhalb der Zitate folge ich selbst der vom Wissenschaftsrat empfohlenen Formel: „Personenbezogene Aussagen gelten stets gleichermaßen für Frauen und Männer.“.
International interessante Entwicklungen werden von Monika Heupel und Michael Zürn (2017) berichtet und einleuchtend interpretiert.
Burawoy selbst spricht von „policy sociology“. Zur Begründung der Übersetzung als „angewandte (politikberatende) Soziologie“ siehe Aulenbacher et al. 2017a, S. 16, Fn. 6.
In einem maßstabsetzenden Aufsatz über die „theoretical requirements of the applied social sciences“ betonte Alvin W. Gouldner, dass es der „applied social science“ im Unterschied zur „pure social science“ nicht in erster Linie um Erklärungswissen und die „predictive power“ theoretischer Erkenntnisse geht, sondern: „the applied social scientist inspects his independent variables to determine the extent to which they are accessible to control“. (1957, S. 96)
Annette Treibel kritisiert Burawoys Widersprüche in ihrer Rezension „Für Öffentliche Soziologien – mit und ohne Burawoy“ am Beispiel seiner Soziologien-Typologie, der ich oben eine Konfundierung von Definition und Zensur vorgeworfen habe, wie folgt: „Einerseits gesteht Burawoy zu, dass seine Typologien grob gezeichnet sind. Andererseits lässt er kein Missverständnis aufkommen, wo für ihn ‚die Guten‘ sind. Dann verwischt er die Grenzen wieder und will es am Ende dann doch nicht gewesen sein. Die Gräben, die er aufmacht, sucht er mit der Beschwichtigung, dass ja jedes Lager das andere brauche und eine Arbeitsteilung in der Soziologie sinnvoll sei, wieder zuzuschütten. Dieses Schwanken zwischen klarer Feinderklärung und Harmonisierung kann man wenigstens als inkonsistent, wenn nicht als Ärgernis betrachten.“ (Treibel 2017, S. 33)
Eine gleichgerichtete Kritik findet sich schon früh bei Holmwood (2007).
Literatur
Adloff, F. (2017). Die Public Sociology des Konvivialismus: Strategien und Probleme. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 335–344). Frankfurt a. M.: Campus.
ALLEA – All European Academies (2017). The European code of conduct for research integrity. Revised edition. Berlin: ALLEA. http://www.allea.org/wp-content/uploads/2017/03/ALLEA-European-Code-of-Conduct-for-Research-Integrity-2017-1.pdf. Zugegriffen: Juli 2017.
Aulenbacher, B. (2017). Caring for a Better World? Über Care, Kapitalismus und die Soziologie. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 84–98). Frankfurt a. M.: Campus.
Aulenbacher, B., & Dörre, K. (2015). Michael Burawoys Soziologie – eine kapitalismus- und wissenschaftskritische Herausforderung. In M. Burawoy, Public Sociology. Öffentliche Soziologie gegen Marktfundamentalismus und globale Ungleichheit (S. 9–22). Weinheim: Beltz Juventa.
Aulenbacher, B., Burawoy, M., Dörre, K., & Sittel, J. (2017a). Zur Einführung: Soziologie und Öffentlichkeit im Krisendiskurs. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 11–30). Frankfurt a. M.: Campus.
Aulenbacher, B., Burawoy, M., Dörre, K., & Sittel, J. (Hrsg.). (2017b). Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Campus.
Boltanski (2010). Soziologie und Sozialkritik. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2008. Berlin: Suhrkamp.
Burawoy, M. (2015). Public Sociology. Öffentliche Soziologie gegen Marktfundamentalismus und globale Ungleichheit. Weinheim: Beltz Juventa.
Burawoy, M. (2017). Die Zukunft der Soziologie. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 99–112). Frankfurt a. M.: Campus.
Dörre, K. (2017). Nach dem schnellen Wachstum: Große Transformation und öffentliche Soziologie. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 33–67). Frankfurt a. M.: Campus.
Eversberg, D., Liebig, St., Schmelzer, M., & Treu, N. (2017). Public Sociology in der Bewegungsforschung: Zum Verhältnis von Soziologie, Gesellschaftskritik und sozialen Bewegungen. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 176–188). Frankfurt a. M.: Campus.
Gerhards, J., & Rucht, D. (1992). Organizing and framing in two protest campaigns in West Germany. American Journal of Sociology, 98, 555–596.
Görg, Chr. (2017). Boundary Negotiations: Grenzverschiebungen in den Nachhaltigkeitswissenschaften. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 133–145). Frankfurt a. M.: Campus.
Gouldner, A. W. (1957). Theoretical requirements of the applied social sciences. American Sociological Review, 22, 92–102.
Gouldner, A. W. (1968). The sociologist as partisan: Sociology and the welfare-state. The American Sociologist, 3, 103–116.
Hagemann-White, C. (2017). Gewalt im Geschlechterverhältnis als Thema von Public Sociology. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 231–242). Frankfurt a. M.: Campus.
Haubner, T. (2017). Care-Revolution als Herausforderung für eine öffentliche Soziologie. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 201–212). Frankfurt a. M.: Campus.
Heitmeyer, W. (2017). Öffentliche Soziologie zu Gruppenbezogener Menschenfeindlicheit. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 213–230). Frankfurt a. M.: Campus.
Heupel, M., & Zürn, M. (2017). The rise of human rights protection in international organizations – results and theoretical implications. In M. Heupel & M. Zürn (Hrsg.), Protecting the individual from international authority. Human rights in international organizations (S. 297–331). Cambridge: Cambridge University Press.
Hoff, B.-I. (2017). Public Sociology: Eine Chance für politische Interventionen? In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 357–369). Frankfurt a. M.: Campus.
von Holdt, K. (2017). Kritisches Engagement auf Feldern der Macht: Zyklen des soziologischen Aktivismus im Post-Apartheid-Südafrika. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 274–292). Frankfurt/New York: Campus.
Holmwood, J. (2007). Sociology as public discourse and professional practice: A critique of Michael Burawoy. Sociological Theory, 25, 46–66.
Kolleg Postwachstumsgesellschaften (2015). Landnahme, Beschleunigung, Aktivierung. Dynamik und (De‑)Stabilisierung moderner Wachstumsgesellschaften. Antrag auf Weiterförderung der Kollegforscher_innengruppe. Friedrich-Schiller-Universität Jena. http://www.kolleg-postwachstum.de/sozwgmedia/dokumente/Forschungsantrag/Antrag2015_dt.pdf. Zugegriffen: Juli 2017.
Lessenich, S., & Neckel, S. (2012). DGS goes public! Soziologie, 41, 317–319.
Mesney, A. (2009). What do „we“ know that „they“ don’t? Sociologist’s versus nonsociologist’s knowledge. Canadian Journal of Sociology, 34, 671–659.
Müller, H.-P. (2017). Die Grenzen der Soziologie. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 113–118). Frankfurt a. M.: Campus.
Polanyi, K. (1978). The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Rodríguez-Garavito, C. (2014). Amphibious sociology: Dilemmas and possibilities of public sociology in a multimedia world. Current Sociology Monograph, 62, 156–167.
Rucht, D., & Neidhardt, F. (1997): Soziale Bewegungen und kollektive Aktionen. In H. Joas (Hrsg.), Lehrbuch der Soziologie (S. 627–652). Frankfurt a. M.: Campus.
Singe, I., & Sittel, J. (2017). Prekarität im Dialog: Arbeitssoziologie als organische öffentliche Soziologie. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 189–200). Frankfurt a. M.: Campus.
Snow, D. A., & Benford, R. D. (1988). Ideology, frame resonance, and participant mobilisation. In B. Klandermans, H. Kriesi & S. Tarrow (Hrsg.), From structure to action: Comparing social movement research across cultures (S. 197–218). Greenwich: JAI Press.
Streeck, W. (2012). Der öffentliche Auftrag der Soziologie. Leviathan, 40, 129–147.
Tarrow, S. (1988). National politics and collective action: Recent theory and research in Western Europe and the United States. American Revue of Sociology, 14, 421–440.
Treibel, A. (2017). Für Öffentliche Soziologien – mit und ohne Burawoy. Soziologische Revue, 40, 27–43.
Unzicker, K. (2012). Lohnender Grenzverkehr: Bedingungen des Dialogs zwischen Sozialforschern und Praktikern. In K. Unzicker & G. Hessler (Hrsg.), Öffentliche Sozialforschung und Verantwortung für die Praxis (S. 133–156). Wiesbaden: Springer VS.
Urban, H.-J. (2015). Soziologie, Öffentlichkeit und Gewerkschaften. Versuch eines vorausschauenden Nachworts zu Michael Burawoys Public Sociology. In M. Burawoy, Public Sociology. Öffentliche Soziologie gegen Marktfundamentalismus und globale Ungleichheit (S. 221–242). Weinheim: Beltz Juventa.
Urban, H.-J. (2017). Digitale Arbeit, Gewerkschaften und öffentliche Soziologie. Überlegungen zu einem inklusiven Forschungsdesign. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 68–83). Frankfurt a. M.: Campus.
Webster, E. (2017). Partei ergreifen: Verheißungen und Fallstricke einer öffentlichen Soziologie im Apartheid-Südafrika. In B. Aulenbacher et al. (Hrsg.), Öffentliche Soziologie. Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft (S. 260–273). Frankfurt a. M.: Campus.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Neidhardt, F. „Public Sociology“ – Burawoy-Hype und linkes Projekt. Berlin J Soziol 27, 303–317 (2017). https://doi.org/10.1007/s11609-017-0345-3
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11609-017-0345-3