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Die unterschätzte Rolle der Frauen im Rechtsextremismus. Wahlbewerberinnen für rechtsextreme Parteien und Wahlbündnisse

Female involvement in extreme rightism. Women running for office in extreme right-wing parties and electoral movements in Germany between 1998 and 2008

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Leviathan

Zusammenfassung

Über Frauen in rechtsextremen Partei und Wählerinitiativen gibt es bisher kaum sozialstrukturelle Untersuchungen. Die hier vorgelegte Analyse von 500 Wahlbewerberinnen für die drei rechtsextremen Parteien DVU, NPD und Republikaner zwischen 1998 und 2008 zeigt, dass das rechtextreme Potential auf zwei Säulen beruht: dem „älteren“, selbständigen Mittelstand mit dem Schwerpunkt bei Kauffrauen und (Klein-)Unternehmerinnen sowie dem Niedriglohnsektor. Hier sind vor allem bildungsschwache Frauen in den am schlechtesten bezahlten, ausführenden Dienstleistungsberufen mit dem Schwerpunkt bei Verkäuferinnen und Frauen in medizinisch-pflegerischen Berufen überproportional stark vertreten. Zudem kann gezeigt werden, dass, insbesondere bei der NPD, zunehmend junge Frauen gleichermaßen in den alten und neuen Bundesländern als politische Funktionsträgerinnen auftreten. Die These, dass heute zur Erklärung des Rechtsextremismus nicht mehr von einer „Panik im Mittelstand“ (Geiger), sondern von einer „Panik in der Arbeiterschaft“ (Leggewie) auszugehen sei, konnte nicht bestätigt werden. Im Paradigmenstreit zwischen Ungleichgewichts- und Desintegrationshypothesen und sozialisationstheoretischen Ansätzen erweist sich der ‘structural strains approach’ nach wie vor als erklärungskräftig, allerdings nicht monokausal, sondern in Kombination mit Erklärungsansätzen zur politischen Kultur und zu Sozialisationsverläufen auf mikrosoziologischer Ebene.

Abstract

Little research has been done so far on the social structure of women in right-wing parties. In this study 500 women running for the main German right-wing parties DVU, NPD and Republikaner on different electoral levels between 1998 and 2008 are analyzed. There is no evidence that the social basis of right-wing extremism has shifted from the ‘old’ middle classes to the working class. It is argued, that the social structure of right-wing female candidates is based on two pillars: Firstly on the self-employed middle classes, represented mainly by business women, small shopkeepers and small employees, and secondly on women in the lower service professions such as shop assistants, nurses, taxi-drivers etc. Considering right-wing extremism as a form of social protest, it can be demonstrated that an increasing number of young women, notably in the NPD, is climbing up the ladder of political involvement to leading positions in the party hierarchy. Discussing explanatory models in the social sciences, it is argued, that the ‘structural strains approach’, based on the hypothesis of social disintegration during periods of rapid modernization, is still valid on a macro-sociological level. Nevertheless, further empirical research in this field has to take into consideration the multidimensional faces of the phenomenon by combining a set of different approaches.

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Notes

  1. PBC: Partei bibeltreuer Christen ist eine fundamentalistisch-evangelikale Kleinpartei. Das Pendant auf katholischer Seite ist die CM: Christliche Mitte − Für ein Deutschland nach Gottes Geboten, 1988 von der Pädagogik-Professorin Maria Adelgunde Mertensacker gegründet. BüSo: Bürgerrechtsbewegung Solidarität unter dem Vorsitz von Helga Zepp-LaRouche. Die BüSo gilt als Nachfolgeorganisation der „Europäischen Arbeiterpartei“ (EAP) aus den 1970er Jahren sowie der „Patrioten für Deutschland“.

  2. Beispielsweise die sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Gitta Schüßler, deren Mann und Tochter als NPD-Kandidaten auftreten oder die NPD-Altaktivistinnen Edda Schmidt aus Baden-Württemberg oder Doris Zutt aus Hessen, beide politisch aktiver und erfolgreicher als ihre ebenfalls kandidierenden Ehemänner oder die Friseurin Monika K. von der Republikanischen Partei (REP), die bei der Stadtratswahl in Ingolstadt 2002 1.428 Stimmen erhielt, während ihr Mann (Berufskraftfahrer) nicht über 832 Stimmen hinauskam.

  3. In drei Fällen wurden die Berufe genannt und zu den Berufsgruppen gezählt. Dadurch ergibt sich ein geringfügiger Überhang von 0,6 Prozent.

  4. Bei dieser Zuordnung ist eine gewisse Willkür unvermeidlich, da die Köchinnen (10) in Tab. 2 zu den handwerklichen Lehrberufen gezählt wurden, in Tab. 3 dagegen nicht. In Fußnote a zu Tab. 3 erscheinen sie daher in eckigen Klammern.

  5. Vgl. Fußnote 7.

  6. Im Gegensatz zu den beiden anderen Rechtsparteien arbeitet die NPD seit etwa zehn Jahren an ihrem Image als jugendliche, soziale und „antikapitalistische“ Partei. Das zeigt sich in ihren Wahlkampfslogans, z. B. „Sozial geht nur national“, „Quittung für Hartz IV: Jetzt NPD“, „Gemeinschaft statt Ellbogengesellschaft“, „Arbeitsplätze statt Kriegseinsätze“, aber auch in ihrem Aktionsprogramm, wo sie fordert: „Soziale Gerechtigkeit schaffen, Vollbeschäftigung durchsetzen“. Nicht zuletzt versucht die NPD, ihre lokale Verankerung durch Nachbarschaftshilfe oder Spendenaktionen wie die „Deutsche Winterhilfe“ (Hessen) zu stärken. Dagegen wurde ihr bekannter Slogan „Arbeit, Familie, Vaterland“ inzwischen zu „Arbeit, Familie, Heimat“ abgeschwächt.

  7. Kerstin Baier (kaufm. Angestellte), Monika Ewert (Personalkauffrau), Marie-Luise Grüner (Beamtin), Rosemarie Lämmer (Arzthelferin), Christel Schmidt (Kauffrau), Brigitte Wagner (o. A.), Brigitte Wengle (Personalsachbearbeiterin), Ursula Winkelsett (Kauffrau). Die übrigen Spitzenfunktionärinnen, soweit ermittelbar: d’Acierno-Bachmann (Sekretärin), Bartz (Kauffrau), Budina (Kinderpflegerin), Figge (Hotelfachfrau), Hähnel (Bankangestellte/Kauffrau), Hesselbarth (selbständig, Büroservice), Holz (Bürokauffrau), Johnson (Dipl.-Ingenieurin), Köhler (kaufm. Angestellte), Lorenz (gel. Köchin, Kauffrau im Immobilienhandel), Rothe (Einzelhandelskauffrau), Scherer (Versicherungsfachfrau), Schmidinger (Sekretärin), Schüßler (Einzelhandelskauffrau), Suhr (gel. Schneiderin, Angestellte im NPD-Parteiapparat), Weczerek (Einzelhandelskauffrau), Zastrau (selbständige Geschäftsführerin), Zimmer (Fotografin), Zutt (Altenpflegerin/Kauffrau), Zysk (kaufm. Ausbildung, Studentin der Wirtschaftswissenschaft und Politik). Von den 28 Spitzenfunktionärinnen sind/waren 18 (64,3%) im kaufmännischen Bereich tätig oder haben eine kaufmännische Ausbildung.

  8. Zum Vergleich: In der CDU ist nur eine Frau Vorsitzende eines Landesverbandes, in der SPD sind es drei.

  9. Ähnliches gilt für die Bewerberinnen zur Kommunalwahl in Brandenburg 2008. Die Zusammenstellung der Kandidaten für die drei Rechtsparteien DVU, NPD und DSU (einer 1990 in Leipzig gegründeten, vorwiegend in den neuen Bundesländern auftretenden rechtskonservativen Partei) durch das Pressearchiv Apabiz zeigt: Von 160 Gesamtbewerbern waren 35 (22,0%) Frauen, davon 25,7% Kauffrauen/Selbständige; 22,8% Angestellte; 5,7% Akademikerinnen, zusammen also 54,3% im Mittelschichtblock. Dagegen machte der Niedriglohnsektor, bestehend aus Handwerkerinnen (14,3%), Arbeiterinnen (8,5%) und Frauen in ausführenden Dienstleistungsberufen (8,6%) hier sogar nur 31,5% aus. Zählt man – großzügigerweise − Arbeitslose (2,8%) und Rentnerinnen (11,4%) zu diesem Sektor hinzu, steht auch hier wieder ein Mittelschichtblock mit 54,3% dem Niedriglohnsektor mit 45,7% gegenüber.

  10. Die Sozialstruktur der NPD-Männer bei dieser Wahl dokumentiert noch deutlicher das mittelständische Profil mit dem Schwerpunkt bei Handwerkern und Kaufleuten/(Klein-)Unternehmern: Von insgesamt 190 NPD-Kandidaten waren Handwerker: 68 (35,8%), Kaufleute/Selbständige: 32 (16,8%), Büro-, Verwaltungs- und technische Angestellte: 21 (11,0%), Arbeiter: 13 (6,8%), Männer in ausführenden Dienstleistungsberufen (Kraftfahrer, Lageristen, Müllwerker etc.): 15 (7,9%), Akademiker: 12 (6,3%), Rentner: 15 (7,9%), Auszubildende: 8 (4,2%), Arbeitslose: 6 (3,1%). Zieht man Arbeiter, untere Dienstleistende, Rentner, Auszubildende und Arbeitslose ab, bleibt ein mittelständischer Block von 70,1%. Ein sozialstruktureller Unterschied zwischen Männern und Frauen ist nicht feststellbar, wohl aber ein geschlechtsspezifischer: Männer sind stärker im Handwerk vertreten, Frauen dagegen stärker in Angestellten- oder unteren Dienstleistungsberufen. Vgl. http://www.rechte-sachsen.de/npd_kommunalwahlkandidaten_2008_akt.pdf (17.10.2008).

  11. Teilweise geschieht dies mit beachtlichem Erfolg. Während z. B. die BIA bei den Kommunalwahlen in München keinen Erfolg hatte, erzielte die von dem bayerischen NPD-Landesvorsitzenden Ollert initiierte BIA Nürnberg bei der dortigen Kommunalwahl 2008 393.134 (3,3%) Stimmen, die Republikaner dagegen nur 118.391 (1%).

  12. Ohne Frage spielt hier auch das Bildungsniveau eine Rolle. Die Korrelation zwischen formalen Bildungsabschlüssen und einer höheren Anfälligkeit für den Rechtsextremismus in bildungsfernen Schichten kann hier ein weiteres Mal nur bestätigt werden. Lediglich 7,0 Prozent der untersuchten Frauen waren Akademikerinnen oder Studentinnen.

  13. Interview des NPD-Organs „Deutsche Stimme“ vom 30.07.2008 mit Angelika Willig, seit 2006 Chefredakteurin von hier & jetzt, einer Zeitschrift, die auf die Initiative der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) in Sachsen zurückgeht. Vgl. http://www.deutsche-stimme.de/ds/?p = 282 (11.08.2008).

  14. Romeiser in einem Brief vom 02.11.2003 an den Zentralrat der Juden in Deutschland, vgl. http://www.deutschland-bewegung.de/kommentare.html (11.12.2008). Die Deutschland-Bewegung um den ehemaligen Friedensaktivisten Alfred Mechtersheimer versteht sich als konservativ, wird aber vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft.

  15. Beispiele: Bürokauffrau und Elektroinstallateur oder LKW-Fahrer; Verwaltungsassistentin und Fliesenlegermeister; Steuerfachangestellte und Fenster- und Türenbauer; Verwaltungsangestellte und Berufskraftfahrer; Studentin und Schreiner; Bankangestellte und Landschaftsgärtner oder umgekehrt Kauffrau und Student (beides für die hochrangigen NPD-Kader Stella und Jörg Hähnel aufzeigbar).

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Priester, K. Die unterschätzte Rolle der Frauen im Rechtsextremismus. Wahlbewerberinnen für rechtsextreme Parteien und Wahlbündnisse. Leviathan 37, 77–94 (2009). https://doi.org/10.1007/s11578-009-0002-0

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