Zusammenfassung
Allgemein wird davon ausgegangen, dass das Internet mit dem „Web 2.0“ der qualitativen Forschung neue Möglichkeiten eröffnet. Während hier bislang noch ethnographische Zugänge dominant sind, befasst sich dieser Aufsatz mit Online-Gruppendiskussionen, und hier insbesondere mit Gruppendiskussionen in Internetforen. In einem ersten Schritt werden zentrale Unterschiede zwischen konventionellen und Online-Gruppendiskussion sowie zwischen verschiedenen Online-Kommunikationsformen herausgearbeitet. Darauf aufbauend werden die Besonderheiten von Forumsdiskussionen (schriftliche Kommunikation, Asynchronität und Multithreading) hinsichtlich möglicher methodischer Konsequenzen diskutiert. Es zeigt sich, dass Gruppendiskussionen mittels Internetforen Face-to-face-Gruppendiskussionen nicht ersetzen, sondern eine alternative Form der Datenerhebung darstellen. Sie erzeugen eine eigene Art von Daten, die vor allem für narrations-, deutungsmuster- und diskursanalytische Zugänge von hohem Wert sein können.
Abstract
As it is widely acclaimed, the “Web 2.0” offers many opportunities for qualitative research. While qualitative online research is mainly associated with ethnographic approaches, this article is concerned with online focus groups. In particular, the new opportunities and challenges presented by conducting focus groups via message boards will be discussed. As a starting point, the basic differences between face-to-face and several online focus groups are outlined. The bulk of this article focuses on three distinctive features of message board focus groups and their methodological consequences. These are the written form and the lack of non-verbal cues, the asynchronous mode of communication and the technique of multithreading. Finally, it is shown that focus groups via message boards are rather to be treated as an alternative approach to social reality than as a variant of conventional focus groups. They generate data of a particular type which can be especially valuable for narrative and discursive approaches.
Notes
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
Kopräsenz ist kein genaues Unterscheidungskriterium, denn bisher ist kommunikationstheoretisch nicht geklärt, wann dieses Kriterium erfüllt ist. Schon Telefongespräche irritieren ein intuitiv-räumliches Verständnis von Kopräsenz; weit mehr gilt dies für die verschiedenen Formen von Online-Kommunikation. Der Begriff der Alokalität erscheint uns daher geeigneter, um die räumliche Distanz und Unabhängigkeit von Online-Gruppendiskussionen zum Ausdruck zu bringen.
Online-Gruppendiskussionen können natürlich auch anhand der eingesetzten Kommunikationsmedien (Chats, Foren, Blogs usw.) unterschieden werden. Methodologisch ist das aber wenig ergiebig, weil kein strenges Bedingungsverhältnis zwischen Onlinemedien und Gruppendiskussionsverfahren besteht.
Im Folgenden wird Schriftlichkeit als Folge von Asynchronität behandelt. Dieser Zusammenhang ist nicht zwingend; so sind auch asynchron-mündliche Kommunikationsformen möglich, z. B. via Nachrichten auf Anrufbeantwortern und Mailboxen (vgl. u. a. Alvarez-Caccamo und Knoblauch 1992). Anders als für synchrone (z. B. Videochats) bietet Mündlichkeit für asynchrone Gruppendiskussionsverfahren aber keine interessante methodische Perspektive.
Die folgende Diskussion bezieht sich auf Gruppendiskussionen in Webforen, die gezielt für Forschungszwecke eingerichtet werden. Für andere Nutzungsmöglichkeiten von Webforen für Forschungszwecke vgl. Ullrich und Schiek (2014).
Mit der Bezeichnung „para- und nonverbale Kommunikation“ folgen wir einem verbreiteten Sprachgebrauch. Neben parasprachlichen (wie Lachen oder Seufzen) und nonverbalen Aspekten (insb. Mimik und Gestik) sind es aber vor allem prosodische Elemente wie Pausen, Satzbrüche und Betonungen, denen in vielen qualitativen Interpretationsverfahren besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Zur Unterscheidung von medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit und Mündlichkeit vgl. Koch und Oesterreicher (1994). Zur Auseinandersetzung über die entsprechende Einordnung von Online-Kommunikationsformen vgl. u. a. Bader (2002), Dürscheid (2003), Kilian (2001), Schönfeldt (2001), Storrer (2001) und Ziegler (2002).
Spontanität kann u. a. als zeitlicher Abstand, in dem eine Reaktion erfolgt, gemessen werden (für entsprechende Analysen von Chats vgl. Beißwenger 2007).
Das „Threading“ durch Teilnehmer kann sich zudem auch auf deren Motivation auswirken: Ein Unterbinden dieser Möglichkeit kann zumindest auf diejenigen demotivierend wirken, die Threads eröffnen wollen. Ähnliches ist umgekehrt aber auch bei einem unkontrollierten und daher ausufernden Threading zu befürchten.
Beispiele für austauschorientierte Forumsdiskussionen sind die Studien von Ferri (2000) und Früh (2000), während Murray (1997) sein asynchrones Verfahren mit der (globalen) Streuung der ihn interessierenden Wissensformen begründet. Ferri (2000) betont zudem die Bedeutung, die Forumsdiskussionen insb. für partizipative Ansätze haben kann. Häufig finden sich auch pragmatische Gründe (Erreichbarkeit, Motivation) für die Verwendung von Forumsdiskussionen. So setzten Kelle et al. (2009) diese ein, nachdem Face-to-face-Gruppendiskussionen gescheitert waren.
So haben wir den „generationellen Selbstfindungsprozess“ einer möglichen „Generation 9/11“ mittels einer initiierten Forumsdiskussion beobachtet (Ullrich und Schiek 2014).
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Ullrich, C., Schiek, D. Gruppendiskussionen in Internetforen. Köln Z Soziol 66, 459–474 (2014). https://doi.org/10.1007/s11577-014-0279-0
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