Zusammenfassung
Ausgangspunkt des Beitrags ist die in Deutschland seit einiger Zeit geführte Diskussion über die Möglichkeiten einer Entschärfung der Krise auf dem Arbeitsmarkt durch eine verstärkte Förderung ehrenamtlicher Tätigkeiten. Aus diesem Grund sind die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Wahrscheinlichkeit, ehrenamtlich aktiv zu sein, von besonderem Interesse. Zu diesem Zweck werden auf Grundlage von Längsschnittdaten der westd eutschen Stichprobe des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) logistische Regressionsmodelle für die Jahre 1992 und 1996 geschätzt. Die Ergebnisse liefern keinen Beleg für eine verstärkte Aufnahme bzw. erhöhte Stabilität der ehrenamtlichen Beschäftigung von Arbeitslosen in Westdeutschland. Es zeigt sich vielmehr, dass vor allem ein höherer Bildungsstatus oder aber ‚gesicherte’ Familienverhältnisse die Chance der ehrenamtlichen Tätigkeit vergrößern. Auf dem ‚Ehrenamts-Markt’ werden ähnliche Qualifikationen nachgefragt, die auch eine erfolgreiche Erwerbsarbeitsbeteiligung fördern. Insofern erweist sich die Hoffnung auf eine Bewältigung der gesamtgesellschaftlich wirksamen Arbeitsmarktkrise durch eine bei Arbeitslosen angenommene individuell größere Bereitschaft zur ehrenamtlichen Arbeit als trügerisch. Insbesondere Geringqualifizierte, als größte Problemgruppe am Arbeitsmarkt, sehen in ehrenamtlicher Arbeit offenbar kein adäquates Betätigungsfeld.
Abstract
Starting point of the article is the discussion about possibilities to defuse the crisis on the German labor market by supporting volunteer work. Therefore, the effects of unemployment on the probability to volunteer are of special interest. For this purpose, logistic regressions are estimated for the years 1992 and 1996, using longitudinal data from the West German sub-sample of the German Socioeconomic-Panel (GSOEP). There is no evidence for an increasing propensity of take up or maintain volunteer work among the unemployed. In contrast, it is shown that the chance to volunteer especially in creases with a higher educational degree or if the person lives in ‚secure’ family circumstances. On the ‚volunteer market’ similar qualifications are in demand, which also support a successful participation in the regular labour market. Therefore, the hope an assumed in dividually higher willingness to volunteer among the unemployed may contribute to cope with the general labour market crisis turns out to be misleading. Especially low-educated persons, being a problem group on the labour market, do not look at volunteering as an adequate activity for themselves.
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Vorarbeiten zum vorliegenden Aufsatz wurden während eines Gastaufenthalts im Frühjahr 1998 bei der SOEP-Projektgruppe am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin begonnen. Teile einer früheren Fassung dieses Beitrags sind 1999 als DIW-Diskussions-papier erschienen.
Für hilfreiche Anregungen und kritische Hinweise danke ich Karsten Hank, Matthias Knuth, Michaela Kreyenfeld, Notburga Ott, Karin Rinne und insbesondere Gert G. Wagner sowie zwei anonymen Gutachtern und der Redaktion der KZfSS.
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Erlinghagen, M. Arbeitslosigkeit und ehrenamtliche Tätigkeit im Zeitverlauf. Koelner Z.Soziol.u.Soz.Psychol 52, 291–310 (2000). https://doi.org/10.1007/s11577-000-0033-7
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