„Unterstützt uns im Kampf gegen Corona“. Mit diesem Slogan wirbt die Bundesregierung für die Corona-Warn-App des Robert Koch-Instituts (RKI), mit der Nutzer*innen gewarnt werden, wenn sie Kontakt zu Personen hatten, die auf eine Infektion mit SARS-CoV‑2 positiv getestet wurden [5]. Diese digitale Public-Health-Initiative zielt darauf, Infektionsketten zu unterbrechen, indem auch Kontakte, die unbemerkt stattgefunden haben, als ggf. ansteckend erkannt werden. Nutzer*innen können dadurch entsprechende Maßnahmen des Infektionsschutzes einleiten und die Replikationsrate senken.

Hintergrund und Fragestellung

Ende Januar 2021, zu einem Zeitpunkt des Lockdowns während der zweiten Coronainfektionswelle, wurde in der Bundesrepublik die Corona-Warn-App 25,3 Mio.-mal heruntergeladen [6]. Mehr als 7,9 Mio. Testergebnisse, negative wie positive, wurden mittlerweile digital durch die Labore übermittelt. Bis Ende Januar hatten knapp 230.000 Nutzer*innen der App ihre positiven Testergebnisse geteilt [17]. Gemäß den Recherchen der Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt teilten im Oktober 2020 rund 10 % der Gesamtzahl der Neuinfizierten ihre Ergebnisse [19].

Nach epidemiologischen Berechnungen bedürfe es jedoch mindestens 56 %, damit die App ihren Sinn erfülle [4]. Im Besonderen zwei vulnerable Gruppen nutzen die App nicht in erhofftem Maße: Ältere Personen mit Vorerkrankungen, die ein höheres Gesundheitsrisiko zeigen, sind zwar im Durchschnitt etwas geneigter als der Durchschnitt, die App zu installieren [18]. Dass es dennoch nicht der erhoffte Anteil ist, liegt daran, dass sie seltener ein Smartphone besitzen oder es ihnen an digitalen Kompetenzen fehlt, die App zu installieren [4]. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um sehr mobile Personen mit vielen privaten und beruflichen Kontakten, also solche Personen mit einem hohen Verbreitungsrisiko. Ausschlaggebend dafür, dass von dieser Gruppe lediglich 31 % die App nutzen [4], sind v. a. fehlendes Vertrauen in Datenschutz und Sorge um die Privatsphäre [15].

In der sich über die geringe Nutzung entfachenden politischen Diskussion ergreift beispielsweise der bayrische Ministerpräsident Markus Söder das Wort und erklärt die Corona-Warn-App für praktisch wirkungslos: „Die App ist leider bisher ein zahnloser Tiger. Sie hat kaum eine warnende Wirkung“ [12]. Entgegengesetzt hebt beispielweise der Regierungssprecher Steffen Seibert hervor, dass die App-Nutzung als „Solidarität“ zu verstehen sei bzw. als „ein maximal wertvoller Helfer“ [21]. Auch der Gesundheitsminister Jens Spahn wirbt für eine Nutzung, in dem er die App als „ein wichtiges Werkzeug – aber eben ein Werkzeug unter vielen in dieser Pandemie“ [22] bezeichnet. Diese Einschätzung wird auch von gesundheitswissenschaftlichen Studien bestätigt [17].

Wie allerdings die Bevölkerung die App subjektiv wahrnimmt und welche Wirkungen sie ihr zuweist, wird bisher aus Public-Health-Perspektive jedoch erst in wenigen Studien erfasst. Eine qualitative Studie, die Grundlage dieses Artikels ist, geht daher folgenden Fragen nach: Welche subjektiven Wahrnehmungen und Wirkungen werden mit der App verknüpft? Welche hemmenden und fördernden Faktoren der Nutzung zeigen sich?

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Der Datenkorpus wurde durch zwei Verfahrensschritte erstellt. Der erste Schritt stellt eine Forenanalyse dar. Hierfür wurden aus forschungspragmatischen Gründen die jeweils obersten 150 Rezensionen im Google Play Store (von insgesamt 86.130 – in der Übersicht überwiegen die negativen Bewertungen) sowie im Apple Store (50.440 insgesamt – die Übersicht weist vier Fünftel als gute Bewertungen aus) am 21.10.2020 heruntergeladen und später inhaltsanalytisch ausgewertet [14]. Gewählt wurden diese Daten, da Rezensionen von Apps eine klassische Praktik im virtuellen Raum darstellen. Sie bilden einen Übergang zwischen Online- und Offline-Praktiken: Sie regen zu Käufen an bzw. raten von ihnen ab, erläutern Handhabungen mit Technologien, in ihnen werden Erfahrungen geteilt und von Effekten berichtet. Die Daten können als natürliche Daten bezeichnet werden, Verzerrungseffekte durch Erhebungsverfahren sind reduziert.

Im zweiten Schritt folgen 40 qualitative, semistrukturierte Interviews [11]. Der Korpus setzt sich aus 24 Nutzer*innen, 14 Nicht-Nutzer*innen sowie 2 Personen, die erst die App installiert, dann jedoch wieder deinstalliert haben, zusammen. Sie wurden nach den Gründen ihrer (Nicht‑)Nutzung, Kritik, ggf. Nutzungsverhalten, Wirkung der Praktiken und WeiterentwicklungsbedarfenFootnote 1 befragt. Rekrutiert wurde über Aufrufe in Sozialen Medien, Presseerklärungen, Aushänge (u. a. Seniorenwohnanlage, Gemeindeaushang) und nach dem Schneeballprinzip. Die Interviews wurden in der 44. Kalenderwoche durch die Autorin via Telefon, E‑Mail, Messenger oder Videotelefonie geführt. Die Interviewpartner*innen wurden über die Einhaltung des Datenschutzes informiert und das schriftliche Einverständnis eingeholt. Die Interviews wurden transkribiert und pseudonymisiert. Die Interviewpartner*innen lebten zum Zeitpunkt der Interviews in einer Großstadt mit Risikostatus im Norden, einer Metropole mit mittelhoher Inzidenzrate im Süden, Kleinstädten mit relativ niedriger Inzidenz im hohen Norden und einer ländlichen Region mit niedriger Inzidenz im Osten. In Hinblick auf soziale Kategorien wie Alter, Bildung, Einkommen, Migrationsbiografie, Geschlecht sowie gesundheitliche Gefährdung (im Hinblick auf Vorerkrankungen ebenso wie Arbeitsplatz im Gesundheitswesen, aufsuchendes Handwerk u. a.) ist der Personenkreis maximal heterogen. Die Daten wurden entlang einer inhaltlich strukturierenden Form der qualitativen Inhaltsanalyse [14] induktiv-deduktiv kodiert und ausgewertet.

Ergebnisse

Ein generelles Muster, welche Personen die App nutzen bzw. ablehnen, lässt sich aus den Daten nicht ablesen: In jeder Altersgruppe, bei verschiedenen Bildungsgraden, unterschiedlichen gesundheitlichen Vorbelastungen (von keinen bis schweren akuten und chronischen Erkrankungen) und geringer sowie hoher Technikaffinität finden sich Nutzer*innen und Personen, die die App nicht einsetzen.

Generell attestieren die Beiträge der App eine eingeschränkte Wirksamkeit. Sie begründen diese mit der begrenzten Verbreitung in der Bevölkerung, einer nicht ausreichenden Einspeisung positiver Testergebnisse sowie darüber hinaus mit Funktionsproblemen (u. a. Funktionsstörungen, irritierende Hinweise über Niedrig-Risiko-Kontakte). Zudem bestehe Optimierungsbedarf: weitere Funktionen wie Push-Nachrichten zu aktuellen Informationen zum lokalen Infektionsgeschehen wären aus Sicht der Befragten und der Forenbeiträge wünschenswert. Die Nutzer*innen sehen vor diesem Hintergrund die App lediglich als Ergänzung zu den Infektionsschutzmaßnahmen gemäß der AHA+L-Formel (Abstand einhalten, Hygieneregeln beachten, Alltagsmaske tragen + Lüften).

Diese ersten Ergebnisse gelten sowohl für die Interviews als auch die Rezensionen. Vor allem die Interviews machen die subjektive Wahrnehmung und Wirkung der App auf das Individuum sowie die hemmenden und fördernden Faktoren der Nutzung deutlich, weshalb sich aus forschungspragmatischen Gründen im Folgenden auf diese konzentriert wird. Drei Phänomene lassen sich herausarbeiten.

Rekodierung gefährlicher Räume

Die Coronapandemie beeinflusst die Wahrnehmung des öffentlichen Raums. Durch das Infektionsgeschehen hat sich an Orten, an denen sich eine gewisse Zeit aufgehalten wird, ohne die weiteren Mitmenschen zu kennen und ohne einen Mindestabstand einhalten zu können, das wahrgenommene Sicherheitsempfinden verschlechtert. Benannt werden öffentliche Verkehrsmittel, Sportstätten, Arbeitsplätze, Schulen, Einkaufoptionen und Krankenhäuser sowie Arztpraxen. Lassen sich solche Orte nicht meiden, lösen sie eine körperliche Vulnerabilität aus. Hieraus erwächst ein Schutzbedürfnis, das sich teilweise durch die Corona-Warn-App befriedigen lässt.

Ich erhoffe mir dadurch [den Einsatz der App] doch etwas mehr Schutz und Sicherheit, falls man doch mal anderen Menschen näherkommt, unbewusst oder weil es sich gerade nicht vermeiden lässt und die vielleicht infiziert sind, ohne es zu wissen. [Ulrich, min. 1,47]

Befriedigt wird das Schutzbedürfnis also dadurch, dass die App vielfach je lokalisiertes Wissen teilt: Ein Wissen darüber, wann und wo es zu Begegnungen gekommen ist, die zu Infektionen geführt haben könnten. Durch dieses Wissen konkretisiert sich die Gefahr, die in der Vergangenheit in den anonymen öffentlichen Räumen tatsächlich bestand. Zugleich können Nutzer*innen durch diesen Wissenszuwachs alarmiert sein und durch verifizierende Testungen und ggf. Quarantänemaßnahmen ihrerseits das generelle Infektionsrisiko in öffentlichen Räumen minimieren. Die App bewirkt damit eine Rekodierung solcher Orte, indem sie die tatsächliche Gefährlichkeit der Räume präzisiert und zugleich reduzieren hilft.

An das Potenzial der App, neue Sichtbarkeiten zu schaffen, werden weiterreichende Hoffnungen geknüpft. Nutzer*innen wünschen sich Weiterentwicklungen wie zusätzliche Funktionen und prospektive Einsatzweisen, mit denen sie Gefahrenräume präziser markieren bzw. demarkieren können. In der Folge, so ein Teil der Befragten, könnten weitere Schutzvorkehrungen getroffen und ein Plus an Bewegungsfreiheit gewonnen werden.

Auch Personen, die diese App nicht einsetzen, beschreiben entsprechende Orte als unsicher. Sie setzen jedoch andere Strategien ein, um ihr Infektionsrisiko zu minimieren. Außerdem werden spezifische öffentliche Räume als ungefährlich umkodiert: Beispielsweise erklären Interviewpartner*innen aus einem ländlichen Raum, dass sie öffentliche Räume in ihrer Umgebung anders bewerten:

Ich treffe also nur Leute, die ich auch kenne. Nicht, wie in der Stadt, dort in der U‑Bahn. Das spielt bei uns eigentlich keine Rolle. Daher würde ich mich auch nicht unbedingt geschützter fühlen, durch die App. [Roland, min. 1,44]

Summierend gefolgert, bedingt die Wahrnehmung öffentlicher Orte als gefährliche Räume den Umgang mit der App: Die durch die Praktiken generierten Sichtbarkeiten helfen, eine tatsächliche Gefahr besser einschätzen zu können und damit schließlich auch das Gefährdungspotential an diesen Orten zu reduzieren. Nutzer*innen beschreiben, wie sich dadurch für sie neue Handlungsmöglichkeiten ergeben, mit denen die konträren Anforderungen der Lebensrealität (u. a. Erwerbsarbeit, Einkaufen) und des Infektionsschutzes vereinbar gemacht werden können.

Rekodierung von Misstrauen und Miteinander

Der Wahrnehmung gefährlicher Orte liegt eine gewisse Abstraktion zugrunde: Für die Ausbreitung der Viruserkrankung sind weniger Kontaktinfektionen als Aerosole verantwortlich. Also nicht der Raum mit seinen Oberflächen wirkt potenziell infektiös, sondern die Begegnungen zwischen Menschen. Entsprechend wird in den Interviews deutlich, dass auch der unbekannte Mitmensch als Risikofaktor wahrgenommen wird.

Hieraus resultiert bei manchen Interviewpartner*innen ein generelles Misstrauen. Dies kann bewirken, dass die App nicht benutzt wird, da den Mitmenschen verantwortungsvolle digitale Praktiken nicht zugetraut werden: Befürchtet wird, dass positive Ergebnisse nicht weitergeleitet werden oder die App nicht korrekt eingesetzt wird. Da die korrekte Nutzung nicht einforderbar ist, wollen sich diese Interviewpartner*innen nicht auf die App verlassen und verlegen sich lieber auf andere Infektionsschutzmaßnahmen.

Andere Stimmen attestieren der App sogar eine (Mit)verantwortung an Misstrauen und Verunsicherung in sozialen Interaktionen, da sie „nur Angst verbreitet, Sorge verbreitet, Skepsis gegenüber anderen Menschen und potenziellen Überträger(Pause)innen verbreitet“ (Isabella, min. 0,45). Für sie ist die App ein Stressor, der sich nahtlos in andere staatliche Maßnahmen einreiht, die emotionalen Stress in Zeiten der Pandemie provozieren.

Andere Interviewpartner*innen, wiederum Nutzer*innen der App, schätzen hingegen die Chance, durch die Praktiken mit der App die sozialen Interaktionen zu regulieren:

Die App kann eine gute zusätzliche Informationsquelle sein. Ich habe sie vor allem installiert, weil ich nach XY pendel, per Zug, dann dabei ja mit Menschen zu tun habe, deren Risiko ich nicht abschätzen kann, weil ich die nicht kenne. [Songül, min. 0,57]

Die App wird hier als Kommunikationsorgan in der sozialen Interaktion verstanden, durch das sich Gefährdungspotentiale in beide Richtungen, von und an unbekannte Mitmenschen, kommunizieren lassen. So ließen sich Misstrauen und Unsicherheiten verringern. Die sozialen Interaktionen verändern insofern durch die App ihren Charakter: Sie verbindet Menschen durch ein gemeinsames Anliegen.

Zudem, so einige Befragte, wirke die App auf die Selbsteinschätzung regulativ ein: Einerseits beruhigen Mitteilungen über ‚kein Risiko‘, da sie den individuell richtigen Umgang mit Infektionsschutzmaßnahmen bestätigen. Andererseits befördern Statusberichte über ‚Niedrig-Risiko-Kontakte‘ weitere Vorsichtsmaßnahmen:

Als ich vorgestern einen Risikokontakt angezeigt bekommen habe, geringes Risiko, bin ich etwas erschrocken. Also, es macht noch vorsichtiger, tatsächlich. Es bewirkt, dass man sich die ganzen Maßnahmen, die Vorsicht, nochmal mehr zu Herzen nimmt. [Anabel, min. 1,07]

Schließlich wird der App von manchen Nutzer*innen auch eine Symbolkraft zugeschrieben:

Und das klingt jetzt so etwas pathetisch, empfinde ich das als gesellschaftliche Verantwortung, die App heruntergeladen zu haben und die auch weiterhin zu haben und die wird auch dableiben. [Dorothea, min. 10,23]

Die App fungiert für einige Interviewpartner*innen als gesundheitspolitisches Statement. Durch sie lässt sich signalisieren:

Ich nehme die Situation ernst. Gemeinsam gegen Corona, ich bin dabei [Jonas, min. 2,52].

Es realisiert sich über die App also auch ein neues Gemeinschaftsbewusstsein bzw. es entsteht ein gemeinschaftlicher Kampf gegen die Pandemie.

Betrachtet man das Spannungsverhältnis zwischen der App und sozialen Interaktionen, offenbart sich die Vielschichtigkeit der Zuweisungen an die App: Für manche ist sie Ausdruck staatlichen Kontrollstrebens, für andere ein Symbol gesundheitspolitischen Engagements. Gemeinsamer Bezugspunkt bleibt jedoch, dass soziale Interaktionen risikobehaftet sind und diese sich durch die App nur begrenzt sicherer gestalten lassen.

Digitale Verunsicherung

Als digitale Public-Health-Intervention provoziert die App Auseinandersetzungen mit der Frage nach dem Datenschutz. Wie dieser bewertet wird, hängt nicht von der Technikaffinität ab: Gleichsam wird mit „Bauchgefühl“ (Gisela, min. 0,57) und Informationstechnik(IT)-Fachwissen für und wider einen gelungenen Datenschutz argumentiert. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass unter dem Rubrum Datenschutz drei Aspekte verhandelt werden:

Der erste Aspekt betrifft die technische Seite der App. Zwei Strategien werden zur Urteilsbildung über die technischen Voraussetzungen für einen Datenschutz angewandt: Die Einen eignen sich Expertenwissen an, die Anderen vertrauen auf ein summierendes Urteil ausgewiesener Expert*innen. Eine weitere Strategie besteht in der Resignation: Eine Informationelle Selbstbestimmung sei in digitalen Zeiten, in denen die Annehmlichkeiten digitaler Verfahren (z. B. mobiles Bezahlen) genutzt werden, generell nicht gegeben. Man sei „sowieso relativ gläsern“ (Ulrich, min. 1,17). Nutzer*innen nehmen vor diesem Hintergrund die zusätzlich durch die App entstehenden Unsicherheiten hin.

Der zweite Aspekt betrifft die Rolle des staatlichen Interesses an einer digitalen Public-Health-Intervention. Der Schutz der persönlichen Daten wird in diesem Fall in Frage gestellt, da die neugewonnenen Daten dem Staat zur Überwachung der Bevölkerung dienen könnten. Ermöglicht würde der Zugriff des Staates auf persönliche Daten durch Funktionen wie der bei Android-Betriebssystemen notwendig einzuschaltenden Standortortung (GPS), Hintergrundaktualisierungen und einem Algorithmus, der auf Bluetooth-Technologie aufbaut. Die digitale Public-Health-Intervention wird vor diesem Hintergrund als potenzieller „Türöffner, den man dann auch in anderen Bereichen benutzen kann“ (Carolina, min. 1,11) wahrgenommen.

Bei dem dritten Aspekt handelt es sich um Misstrauen gegenüber ökonomischen Akteuren, die sich mit gewinnorientiertem Interesse den neugenerierten Daten zuwenden: „Und dann geht man zu Rossmann rein und bekommt Push-Nachrichten von Tripadvisor oder Google fragt, wie war es heute bei Ihnen im Café?“ (Jonas, min. 3,29). Auch hier werden als potenzielle Angriffsflächen die GPS-Ortung, Bluetooth-Schnittstellen und eine Kommunikation über kommerzielle Anbieter wie Google Play Services oder Apple-Dienste identifiziert. Die ökonomischen Interessen werden als grundsätzlich unvereinbar mit dem Bedürfnis nach Informationeller Selbstbestimmung wahrgenommen.

Nicht in jedem Fall führen diese Überlegungen zur Ablehnung der App. Neben der Formulierung von Weiterentwicklungsbedarfen reagieren Nutzer*innen auch mit kreativen Praktiken: Sie aktivieren die App nur in bestimmten Räumen oder Interaktionen und installieren bzw. desinstallieren diese nach bspw. Fortbildungen wieder.

Diskussion

Die Studie zeigt allem voran, dass die subjektiven Nutzungsentscheidungen primär daraus resultieren, dass durch die Pandemie Räume und soziale Interaktionen als unsicher wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmungen korrespondieren mit dem aktuellen Forschungsstand zur Gefahrenlage [16]: Zwei der drei dort benannten Hauptinfektionswege, nämlich Reisen und Events sowie der Kontakt mit Superspreadern motivieren auch die Interviewpartner*innen zur Nutzung der App. Die App als digitale Public-Health-Intervention adressiert also präzise dies zentrale Gefährdungsszenario.

Die hier eingenommene Perspektive auf die digitalen Praktiken lässt deutlich werden, welche Rolle die durch die App neu entstehenden Sichtbarkeiten erhalten: Auf ihrer Grundlage erlangen Nutzer*innen Handlungsmöglichkeiten, ihr wahrgenommenes Risiko zu verifizieren bzw. zu reduzieren. Hierdurch reduziert sich ihre subjektive Erfahrung der Bedrohung durch das Coronavirus. Zu einem ähnlichen Ergebnis, dass eine vermutete Distanz zu Infizierten zu einer Erleichterung führt, kommt auch eine andere aktuelle Studie [3]. Damit hat die App eine erfreuliche Wirkung für die Individuen. Eine Gefahr besteht jedoch dann, wenn das verifizierte Risiko – aufgrund der geringen App-Nutzung – nicht dem tatsächlichen Infektionsgeschehen entspricht.

Gleichzeitig macht der Blick auf die digitalen Praktiken aber auch deutlich, dass die App Verunsicherungen provoziert. Unsicherheiten resultieren, wie oben gesehen, aus wahrgenommenen Schwachstellen des Datenschutzes und der Datensicherheit sowie einem befürchteten Verlust an Informationeller Selbstbestimmung. Prospektiv, so zeigt eine aktuelle Studie, ließe sich diese Verunsicherung reduzieren und auch die Nutzungswahrscheinlichkeit erhöhen, wenn das Prinzip des „privacy by design“ [1] umgesetzt würde: Dies hieße für die App, dass nur jene personenbezogenen Daten erhoben und verarbeitet werden würden, die unbedingt notwendig sind. Auf Schnittstellen zu kommerziellen Anbietern müsste dann ebenso verzichtet werden. Verpflichten sich digitale Public-Health-Interventionen nicht auf das Prinzip des „privacy by design“, wie bei der hiesigen Corona-Warn-App, beschwören sie damit konfligierende Interessen der Bevölkerung zu staatlichen Interventionen und ökonomischen Akteuren herauf, so deuten es die Ergebnisse an.

Die Ergebnisse weisen zudem jenseits der technisch evozierten Unsicherheit auf eine diffuse Verunsicherung, gekoppelt mit Misstrauen, hin. Dieses Ergebnis verwundert insofern nicht, da es sich wie ein roter Faden durch die jüngere europäische Seuchengeschichte zieht, dass Menschen nicht rational auf solch ubiquitäre Bedrohung reagieren [10]. Ein additiver fachlich fundierter gesundheitspolitischer Diskurs könnte hier darin unterstützen, Vertrauen zu generieren, so zeigen Public-Health-Untersuchungen [2].

Außerdem zeigt sich in manchen Interviews, dass die App als Symbol fungieren kann, mit dem ein soziales Engagement ausgedrückt werden will. Ein solches Motiv korrespondiert mit dem Engagement in sog. Citizen-science-Bewegungen. Diese werden als neue Form des Bürgerengagements angepriesen, in dessen Rahmen Laien lokal Daten erheben und diese schnell und kostengünstig der Wissenschaft zur Verfügung stellen [9]. Hierfür werden sie jedoch nicht finanziell entlohnt, sondern als gute Staatsbürger (ergo: „citizen“) adressiert [8]. Wie auch in dieser Studie deutlich wird, fühlen sich nicht alle Bevölkerungsteile gleichermaßen von einem solchen Auftrag angesprochen. So zeigen soziologische Erhebungen über Citizen-science-Bewegungen, dass es ihnen nur gelingt, Bevölkerungsteile mit bestimmten soziodemografischen Merkmalen, wie höhere Bildung, Personen in mittlerem Alter und mit höherem sozioökonomischem Status, zu mobilisieren [13].

Um die Corona-Warn-App insgesamt breiter zu implementieren, und damit ihre Wirksamkeit zu erhöhen, bedarf es also zusätzlicher Maßnahmen: Erstens müssten die technischen Voraussetzungen der App modifiziert, zweitens gezielt vertrauensbildende gesundheitspolitische Diskurse forciert werden. Ein weiterer Ansatz, der jüngst aus Public-Health-Kreisen zu hören ist [18], wäre die mögliche finanzielle Förderung der Teilnahme an der Intervention: Durch gezielte pekuniäre Anreize könnte, im Besonderen bei jenen Bevölkerungsgruppen die Akzeptanz anregt werden, die sich von dem Motiv des sozialen Engagements nicht angesprochen fühlen.

Fazit für die Praxis

  • Apps als digitale Public-Health-Interventionen stoßen in der Coronapandemie auf vielfältige Herausforderungen: Sie müssen als zeitnahe Intervention ohne lange Entwicklungszyklen starten. Warn-Apps müssen daher regelmäßig auf Funktionsfehler und Schnittstellenproblematiken überarbeitet werden. „Privacy by design“ kann dabei Vorbehalte reduzieren.

  • Die Chancen von Warn-Apps bestehen darin, dass sie millionenfach lokalisiertes Wissen erzeugen. Damit sie allerdings den Effekt der Reduktion des Infektionsgeschehens erzielen, bedarf es differenzierter Strategien, damit große Anteile unterschiedlicher Bevölkerungsschichten die App einsetzen.