Die Komplexität und Langfristigkeit chronischer Krankheiten geht mit besonderen Anforderungen an die Krankheitsbewältigung wie auch an die Prävention und Gesundheitsförderung und ebenso an den Umgang mit Gesundheitsinformationen zu diesen Themen einher. Trotz ihrer vielfach betonten Relevanz steht die Forschung zur Gesundheitskompetenz (GK) bei chronischer Krankheit in Deutschland noch am Anfang. Auch eine systematische Aufarbeitung des Forschungsstands fehlt bislang. Deshalb wurde ein Scoping Review durchgeführt mit dem Ziel, den Stand der Forschung in diesem Bereich für Deutschland aufzuarbeiten und Ansatzpunkte für die zukünftige Forschungsentwicklung zu identifizieren.

Mit mindestens einer chronischen Erkrankung zu leben, gehört längst zum Alltag vieler Menschen in Deutschland. Denn mittlerweile trifft dies hierzulande auf über 4 von 10 Personen zu [9]. Dennoch kann das Leben mit chronischer Erkrankung keineswegs als problemlos und selbstverständlich angesehen werden. Zu vielfältig erweisen sich die an Betroffenen herangetragenen Herausforderungen und Belastungen, die auf allen Ebenen des Lebens bestehen [29, 30]. Denn anders als vorübergehende Akutkrankheiten sind chronische Erkrankungen durch Langwierigkeit und Unvorhersehbarkeit charakterisiert. Überdies gehen sie häufig mit zahlreichen gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden einher und ziehen nicht selten psychische und soziale Problemlagen nach sich [13, 15, 30].

Um eine gelingende Krankheitsbewältigung zu ermöglichen und vorzeitige, vermeidbare Verschlechterung zu verhindern, ist die GK für Menschen mit chronischen Erkrankungen elementar. Denn GK umfasst das Wissen, die Motivation und die Kompetenzen von Menschen, gesundheitsrelevante Information in unterschiedlicher Form finden, verstehen, beurteilen und anwenden zu können, um im Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung, der Krankheitsprävention und der Gesundheitsförderung, Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können, die die Lebensqualität während des gesamten Lebensverlaufs erhalten oder verbessern ([38]; übersetzt nach Röthlin et al. [28]). Damit kommt der GK eine wichtige Rolle für mehr Selbstbestimmung im Rahmen des Selbstmanagements chronischer Krankheiten zu, womit hier die Handlungskompetenzen und -strategien angesprochen werden, die im Rahmen der Krankheitsbewältigung zur Problemdefinition und -lösung, der Ressourcennutzung sowie der erfolgreichen Beziehungsgestaltung und Kommunikation (etwa mit den Gesundheitsprofessionen) benötigt werden [19] – um hier nur einige Teilbereiche zu nennen. Dies erfordert einen adäquaten Umgang mit Gesundheitsinformationen [36].

Bis heute liegen jedoch erst wenige empirische Erkenntnisse zur GK bei chronischer Krankheit für Deutschland vor. Auch eine Synopse bestehender Forschungserkenntnisse und -aktivitäten, wie sie z. T. in anderen Ländern zu dem Thema vorliegt [4, 23], steht noch aus.

Zielsetzung

Hier ist der Anknüpfungspunkt des folgenden Artikels. In ihm werden die Ergebnisse eines Scoping Reviews zum Thema GK und chronische Krankheit dargestellt. Ziel ist es, einen Überblick über die dazu in Deutschland existente empirische Forschung zu geben und bestehende Tendenzen und weiße Flecken aufzuzeigen.

Methodik

Das Scoping Review basiert auf dem Ansatz von Arksey und O’Malley [1], der einen gängigen Rahmen zur Realisierung von Scoping Reviews bildet. Die folgenden fünf Schritte leiten den Forschungsprozess:

  • Festlegung der Forschungsfrage,

  • Identifikation relevanter Studien,

  • Auswahl relevanter Studien,

  • Datenextraktion/Darstellung der Daten,

  • Zusammenfassung und Berichterstattung der Ergebnisse.

Festlegung der Forschungsfrage

Zu Beginn wurden folgende Fragestellungen formuliert:

  • Welche empirischen Studien zur GK bei chronischer Krankheit existieren in Deutschland?

  • Welche Studienpopulationen wurden untersucht?

  • Wie wird GK in diesen Studien konzeptualisiert und gemessen?

  • Welche Untersuchungsergebnisse bestehen?

Identifikation relevanter Studien

Für die Recherche relevanter Studien wurden die englischsprachigen Fachdatenbanken PubMed, CINAHL und PsycInfo genutzt. Zudem wurde in der Fachdatenbank Livivo nach ausschließlich deutschsprachigen Studien gesucht. Ergänzend erfolgte eine Handrecherche in Google Scholar. Für die Datenbankrecherche wurde unter Verwendung Boolscher Operatoren (OR/AND) eine Suchsyntax definiert, die die Kernbegriffe „Gesundheitskompetenz“, „chronische Krankheit“ und „Deutschland“ und deren Synonyme, verwandten Begriffe und englische Übersetzung („ex. health literacy, ehealth literacy, chronic illness/disease“) kombiniert. Um eine möglichst große Bandbreite an Treffern zu erhalten, wurden neben diesen Oberbegriffen zusätzlich Schlagwörter zu Krankheitsgruppen und spezifischen Erkrankungen inkludiert. Der Suchterm wurde an die jeweiligen Gegebenheiten und Suchoptionen der Fachdatenbanken angeglichen. Der Recherchezeitraum erstreckte sich von Juli bis September 2020.

Auswahl relevanter Studien

Die Auswahl relevanter Studien erfolgte auf Basis vorab festgelegter Ein- und Ausschlusskriterien (Tab. 1). Leitkriterium bildete, dass es sich um eine empirische Untersuchung handelt, in der die GK bei Menschen mit mindestens einer chronischen Krankheit oder mindestens einem langandauernden Gesundheitsproblem (voraussichtlich länger als 6 Monate) mit Hilfe eines etablierten Instruments zur Messung der GK erhoben wurde. Voraussetzung bildete zudem, dass GK die (kognitiven) Fähigkeiten (und Möglichkeiten) von Menschen adressiert, Gesundheitsinformationen nutzbar zu machen (eine Übersicht etwaiger Definitionen findet sich bei Sørensen et al. [38]). Studien, in denen nicht GK, sondern „Teile“ von GK wie u. a. das Krankheitswissen erfasst wurden, wurden im Auswahlprozess ausgeschlossen. Restriktionen des Publikationszeitraums in die Vergangenheit wurden nicht vorgenommen. Die in den Datenbanken erzielten Treffer wurden von zwei unabhängigen Personen (Autor und weitere Person) anhand der Titel und Abstracts gescreent.

Tab. 1 Ein- und Ausschlusskriterien der Recherche

Datenextraktion und Darstellung

Die als relevant eingestuften Treffer wurden bereits in der Phase der Protokollierung in ein Extraktionsformular überführt, in dem sowohl die bibliographischen als auch die wesentlichen Inhalte der Studien enthalten sind. Das Formular wurde zu Beginn an 2 Studien auf seine Praktikabilität geprüft und im Reviewprozess iterativ weiterentwickelt. Es enthält folgende Informationen: Autoren und Publikationsjahr, Studiendesign, Studienpopulation, Studienziel, Operationalisierung von GK und Ergebnisse für GK bei chronischer Krankheit. Mit Hilfe des Formulars liegt eine deskriptive Zusammenfassung der Ergebnisse vor, die Antworten auf die dem Review zugrunde liegenden Fragestellungen liefert.

Ergebnisse

Das Vorgehen zur Literaturrecherche ist Abb. 1 zu entnehmen. Insgesamt wurden 1096 Treffer durch die Datenbanksuche und zusätzliche Handrecherche identifiziert. Nach Entfernung von Duplikaten verblieben 813 Publikationen, deren Abstracts auf Eignung geprüft wurden. Nach Ausschluss aller als nicht relevant erachteter Texte konnten 51 Publikationen einem Volltextscreening unterzogen werden. Von ihnen wurden 29 Studien ausgeschlossen; somit wurden 22 Publikationen in das Review einbezogen. Die älteste Studie stammt aus dem Jahr 2013 [10], über die Hälfte der einbezogenen Untersuchungen wurde 2017 oder später publiziert.

Abb. 1
figure 1

PRISMA-Flussdiagramm der Literaturrecherche

Studiendesign und -populationen

Gemäß den Einschlusskriterien handelt es sich bei allen Untersuchungen (n = 22) um quantitativ angelegte Studien. Der Großteil der Untersuchungen nutzt ein Querschnittdesign (n = 14); bei einem Teil handelt es sich um prospektive Kohorten- bzw. Längsschnittstudien (n = 7). Bei 5 dieser Untersuchungen werden jedoch Daten zur GK zu nur einem Messzeitpunkt berichtet. In einer weiteren Studie erfolgt eine Instrumentenentwicklung/-validierung. Die Stichprobengrößen in den Untersuchungen variieren zwischen 129 und 14.144. 15 Studien basieren auf größeren Stichproben von n > 500. Das Durchschnittsalter wird in 12 Studien berichtet; es liegt in nur 2 dieser Studien unter 50 Jahren. Insgesamt partizipieren mehr Frauen als Männer.

Mit Blick auf die untersuchten Studienpopulationen ergibt sich ein differenziertes Bild. GK wird bei unterschiedlichen chronischen Krankheiten untersucht: Herz-Kreislauf-Krankheiten [5, 7, 40], Diabetes [7] oder Krebserkrankungen [11, 12, 14, 22, 26, 34, 35]. Aber auch chronische Rückenschmerzen, Arthrose oder chronisch-rheumatische Erkrankungen [10, 17, 18, 21] sowie Asthma [2] finden Beachtung. Darüber hinaus wird in einer Studie die GK bei Patienten mit variablem Immundefektsyndrom [3] untersucht. Eine Studie adressiert die GK bei psychischen Gesundheitsproblemen [20]. Ergänzend ist an dieser Stelle anzumerken, dass 3 Publikationen mit dem Schwerpunkt auf psychische Krankheit im Volltextscreening ausgeschlossen wurden, da in ihnen Krankheitswissen stellvertretend für GK operationalisiert wurde.

Erhöhte Aufmerksamkeit erfährt die Forschung über GK bei Brustkrebspatienten in Deutschland: 6 der dazu identifizierten Veröffentlichungen entstammen allerdings einer einzigen Studie: „Stärkung der Patientenkompetenz – eine Analyse des Bedarfs von Patientinnen und Patienten mit Mammakarzinom (PIAT)“.

Neben diesen krankheitsspezifischen Untersuchungen existieren Bevölkerungsstudien, in denen chronische Krankheiten als Gesamtphänomen betrachtet werden [6, 16, 27, 33, 39].

Operationalisierung und Verständnis von Gesundheitskompetenz

In dem vorliegenden Review wurden ausschließlich Arbeiten berücksichtigt, die ein etabliertes, validiertes Instrument zur Ermittlung der GK verwenden. In 17 Studien (vgl. Tab. 2) wird der „European Health Literacy Survey Questionnaire“ (HLS-EU-Q) angewendet. Dieser erfasst die GK über die Abfrage subjektiver Schwierigkeiten beim Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Gesundheitsinformation. Die Langversion des Instruments mit 47 Items wird in drei Untersuchungen verwendet [20, 33, 39]. Überwiegend findet jedoch die Kurzversion des Instruments mit 16 Items Anwendung. Ernsting et al. [7] geben an, eine Kurzversion von 6 Items zu nutzen. Ausgehend der eingangs erwähnten Definition und des integrierten Modells von GK, das sowohl Determinanten als auch Konsequenzen von GK definiert [38], beruht der HLS-EU‑Q auf einem weiten, umfassenden Konzeptverständnis von GK, das auf Literalität basiert, aber darüber hinaus die kognitiven und sozialen Fähigkeiten sowie die Motivation von Menschen, Gesundheitsinformationen finden, verstehen, beurteilen und anwenden zu können, miteinschließt.

Tab. 2 Im Literaturreview eingeschlossene Studien

Des Weiteren findet der „Health Education Literacy in Patients“ (HELP) Fragebogen Verwendung [3, 10, 18, 21]. Das von Farin et al. [10] entwickelte Instrument mit 18 Items operationalisiert GK ebenfalls über selbsteingeschätzte Schwierigkeiten und konzentriert sich auf die Bereiche Verstehen medizinischer Information, Anwenden medizinischer Information und Kommunikation. Mit Health Education Literacy sind laut Autoren ebenfalls die kognitiven und sozialen Kompetenzen angesprochen, die die Motivation und Fähigkeiten von Menschen mit chronischen Erkrankungen bedingen, Informationen verstehen und nutzen zu können. Dies allerdings ursprünglich für Informationen, die im Rahmen von Programmen der Gesundheitsbildung vermittelt werden [10].

Die Fähigkeit, mit Gesundheitsinformation in elektronischer, digitaler Form umzugehen, um sie zur Lösung eines Gesundheitsproblems heranzuziehen, kurz die digitale GK (oder eHealth Literacy), wird in 3 Studien untersucht [2, 7, 17]. Dabei wird durchgängig die „eHealth Literacy Scale“ (eHEALS) verwendet, die 8 Fragen zum Umgang mit Online-Gesundheitsinformation beinhaltet und ebenfalls auf Selbsteinschätzungen basiert. Das hier zugrunde gelegte Konzept der eHealth Literacy kombiniert sechs verschiedene, literale Kompetenzen („literacies“), die sowohl einen analytischen („traditional“, „media“ und „information literacy“) als auch einen kontextbezogenen Schwerpunkt setzen („computer“, „scientific“ und „health literacy“; ausführlich: Norman und Skinner [24]).

Verteilung von Gesundheitskompetenz und Assoziationen

Mit Blick auf die Verteilung von Gesundheitskompetenz kommen die einbezogenen Studien zu dem Ergebnis, dass Menschen mit mindestens einer chronischen Erkrankung ihre GK im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung oder Menschen ohne chronische Erkrankungen geringer einschätzen. Dies zeigen Studien, die generell chronische Krankheit betrachten [16, 27, 33, 39], wie auch Untersuchungen zur GK bei kardiovaskulären Krankheiten, Diabetes [5, 36] oder psychischen Beeinträchtigungen [20].

Die Ermittlung der GK basiert in allen Studien auf dem Mittelwert eines Summen- oder Indexwertes. Ein Großteil der Studien (n = 13) nutzt darüber hinaus spezifische GK-Level, die einen Anteil „geringer GK“ (problematisch/inadäquat) abbilden. Der Anteil geringer GK bei chronischer Krankheit liegt in diesen Studien durchgehend > 40,0 %. Den höchsten Anteil mit rund 72,0 % weisen Menschen mit mindestens einer chronischen Erkrankung auf, gemessen mit dem HLS-EU-Q47 [33], ebenso Jugendliche und junge Erwachsene mit Krebs (gemessen mit HLS-EU-Q16; [26]). Am niedrigsten ist dieser Anteil mit 41,6 % bzw. 46,7 % bei Männern und Frauen mit kardiovaskulären Krankheiten (gemessen mit HLS-EU-Q16; [5]). Eine detaillierte Übersicht aller GK-Werte ist Tab. 2 zu entnehmen.

Als Determinanten von GK konnten soziodemographische Faktoren in Form eines hohen aber auch eines jungen Alters sowie niedriger Bildung identifiziert werden [10, 17, 26]. In 2 Untersuchungen ist darüber hinaus das weibliche Geschlecht mit geringer GK assoziiert [20, 26].

Umfassendere Erkenntnisse bestehen mit Blick auf die gesundheitlichen Konsequenzen geringer GK. So verweisen 4 Studien auf einen Zusammenhang zwischen geringer GK und einem schlechteren physischen aber auch psychischen Gesundheitsstatus [3, 10, 20, 26]. Ähnliches gilt für die Anzahl chronischer Krankheiten und GK [20]. Außerdem existieren Hinweise darauf, dass eine höhere GK bei einigen ausgewählten Patientengruppen mit verschiedenen Indikatoren einer besseren Lebensqualität in Verbindung steht, u. a. mit einer geringeren Krankheitsaktivität oder einer besseren körperlichen Funktionsfähigkeit [18, 26]. Analog zeigen Halbach et al. [11], dass Befürchtungen vor dem Voranschreiten der Krankheit bei Mammakarzinompatientinnen mit hoher GK weniger stark ausgeprägt sind als bei Patientinnen mit geringer GK.

Vergleichbare Tendenzen spiegeln sich auch in der Inanspruchnahme und Nutzung des Gesundheitssystems wider. So geht geringe GK bei Befragten mit kardiovaskulären Krankheiten mit einer erhöhten Inanspruchnahme der hausärztlichen und stationären Versorgung einher [5]. Laut Autoren partizipieren Brustkrebspatienten mit wenig GK zudem weniger häufig an Tumorkonferenzen und haben einen höheren Bedarf an psychoonkologischer Unterstützung im Verlauf der Krankheit [14, 22]. Mattukat et al. [21] stellen darüber hinaus fest, dass es Patienten mit rheumatischen Krankheiten, die vergleichsweise wenige Schwierigkeiten haben, medizinische Information zu verstehen, eher geneigt sind, an medizinischen Entscheidungen zu partizipieren, als Patienten, mit geringerer GK in diesem Bereich.

Dagegen zeigt sich, dass eine geringere GK bei Brustkrebspatienten mit einem höheren Informationsbedarf etwa zu medizinischen Untersuchungsergebnissen, Behandlungsmöglichkeiten oder Aspekten der Gesundheitsförderung verknüpft ist [11, 34, 35]. Zudem steht eine geringe digitale GK nach Studienlage mit einer weniger intensiven Nutzung des Internets für die Suche nach Gesundheitsinformationen sowie von Gesundheit-Apps in Zusammenhang [7, 17].

Diskussion

Das Review zeigt, dass mittlerweile auch in Deutschland erste Untersuchungen zur GK bei chronischer Krankheit vorliegen. Doch ist die Forschung dazu noch überschaubar und zudem sehr disparat. Vorliegende Untersuchungen konzentrieren sich bisher vornehmlich auf die GK bei ausgewählten Krankheitsbildern und speziellen Patientengruppen. Dabei stehen in erster Linie weitverbreitete Krankheiten, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs im Fokus. Untersuchungen zu weniger prävalenten Krankheiten und auch zu psychischen Gesundheitsproblemen fehlen bislang weitgehend. Das gilt auch für populationsorientierte Studien zur GK bei chronischer Krankheit. Zwar liegen mittlerweile erste Befunde dazu aus Bevölkerungsstudien vor [6, 16, 27, 33, 39], neuerdings auch Schaeffer et al. [31], es fehlt jedoch an vertiefenden Analysen, die das Gesamtphänomen chronischer Krankheit adressieren.

Trotz der großen Bandbreite an Definitionen und Konzepten sowie eines fehlenden Goldstandards für die Erfassung von GK erfolgt die Konzeptualisierung und Messung von GK bei chronischer Krankheit wenig differenziert [25, 37]. Definitionsvorschläge, die die spezifischen Anforderungen bei chronischer Krankheit adressieren [32], werden bislang nicht genutzt. Mit Blick auf die zugrunde gelegten Konzepte scheint v. a. die erste europäische Gesundheitskompetenzstudie prägend gewesen zu sein. Rund zwei Drittel der Studien nimmt auf die darin entwickelte Definition von GK Bezug [38] und nutzt den darin entwickelten Fragebogen. International weitverbreitete Messinstrumentarien wie der TOFHLA („test of functional health literacy in adults“) oder REALM („rapid estimate of adult literacy in medicine“), die die für den Umgang mit medizinischer Information notwendigen funktionalen, literalen Fähigkeiten von Personen adressieren und dort gerade in der Forschung zu chronischer Krankheit weit verbreitet sind, finden keinerlei Verwendung. Dies gilt – mit Ausnahme für die digitale GK – auch für spezifischere, kontextbezogene Erhebungsformen.

Weil aber Lang- und Kurzversionen des HLS-EU‑Q zum Einsatz kommen sowie die Ergebnisdarstellung variiert, ist ein unmittelbarer Vergleich der Ergebnisse zur GK bei chronischer Krankheit nur bedingt möglich. Dies erschwert die Interpretation, aber auch die Nutzung der Ergebnisse für die Interventionsentwicklung und sollte deshalb unbedingt bei künftigen Forschungsvorhaben mitgedacht werden. Gleichzeitig sollte die Methodendiskussion mit Blick auf chronische Krankheit und GK vorangetrieben werden, um hier zu spezifischeren und vor allem vergleichbaren Ergebnissen zu kommen.

Nicht weniger wichtig erscheint überdies eine Ausweitung der Forschungsperspektive auf die sozialen und situativen Kontexte und Bedingungen, die den Umgang mit Gesundheitsinformation bei chronischer Krankheit beleuchten können [8]. Zwar konnte in einzelnen Studien bereits ein Zusammenhang zwischen GK und einzelnen Prädiktoren wie der Bildung oder des Alters identifiziert werden, Erkenntnisse, die Anknüpfungspunkte für verhältnisbezogene, strukturelle Interventionsansätze liefern, fehlen dagegen bislang und sollten zukünftig in den Fokus zukünftiger Analysen gerückt werden. Dies ist auch damit zu begründen, dass sich die Forschung um GK bei chronischer Krankheit in Deutschland bis jetzt stark outcome-orientiert erweist, dies primär im Hinblick auf verschiedene Indikatoren des Gesundheitszustands, der Lebensqualität sowie der Versorgungsnutzung. Im Kontext chronischer Krankheit zentrale Fragestellung auf den Ebenen des Selbstmanagements, der Versorgungsgestaltung [29, 37] oder der Gesundheitserhaltung sowie den damit verbundenen Informationsanforderungen sind dagegen noch weitgehend ausgeklammert.

Ähnliches ist mit Blick auf Aspekte der Prävention und Gesundheitsförderung bei chronischer Krankheit festzustellen. Zwar wird seit langem betont, dass GK bedeutsam ist, wenn es darum geht, Verschlechterungen der Krankheitssituation zu verhindern oder zu verlangsamen und die im Verlauf chronischer Krankheit tendenziell abnehmenden Gesundheitsressourcen zu stärken. Quantifizierbare Erkenntnisse dazu liegen bis jetzt jedoch nur vereinzelt vor [12, 34, 35]. Diese sollten in der Forschung um GK und chronische Krankheit zukünftig verstärkt adressiert werden, um auch hier zu einer ausreichend wissenschaftlich basierten Interventionsentwicklung zu kommen.

Limitationen

Mit diesem Scoping Review konnten Schwerpunkte der GK-Forschung in Deutschland zur GK bei chronischer Krankheit aufgezeigt werden. Eine Limitation des Vorgehens bildet – anders als bei systematischen Übersichtsarbeiten – die in Scoping Reviews ausgeklammerte Bewertung der Studienqualität. Zudem wurde vor dem Hintergrund des überwiegend explorativen Forschungsinteresses auf den Abgleich der auf Studienebene verwendeten Analysen verzichtet.

Fazit für die Praxis

  • Das Interesse der Forschung an der Gesundheitskompetenz (GK) bei chronischer Krankheit wächst langsam auch in Deutschland; im Vergleich zu anderen Ländern besteht hier noch Nachholbedarf.

  • Vor allem um zu empirisch fundierten Konzepten für die vernachlässigte Interventionsentwicklung in diesem Bereich zu kommen, ist eine Intensivierung der Forschung notwendig.

  • Dafür sollten zukünftig verstärkt die für ein gesundheitskompetentes Leben mit chronischer Erkrankung wichtigen Lebens- und Alltags- sowie die kontextuellen Rahmendes Gesundheitssystems in den Blick genommen werden.

  • Die GK-Forschung sollte zudem nicht allein auf die Bewältigung der Krankheitssituation abheben, sondern ebenfalls die verbliebene Gesundheit und die Potenziale der Gesundheitsförderung adressieren.

  • Gleichzeitig erfordert es eines konzeptionellen und methodischen Diskurses um GK bei chronischer Krankheit, um zu spezifischeren sowie standardisierten Erkenntnissen zu gelangen.