Diabetes ist eine chronische Erkrankung, die ein kontinuierliches aktives Selbstmanagement des Patienten erfordert und mit zahlreichen psychosozialen Belastungen verbunden ist [1, 2, 3]. Bereits im Jahr 2001 konnte die erste globale DAWN („Diabetes Attitudes, Wishes and Needs“)-Studie zur Erfassung psychosozialer Bedürfnisse von Menschen mit Diabetes zeigen, dass nach Einschätzung sowohl der Patienten [4] als auch der Behandler [5, 6, 7] eine Reihe psychosozialer Probleme im Zusammenhang mit der Erkrankung besteht. Diese stellen eine wichtige Barriere in Hinblick auf das Erreichen der Ziele der Diabetestherapie dar. Dies gilt sowohl für die Umsetzung der Therapie, das aktive Selbstmanagement der Patienten, die Adhärenz als auch die Therapieergebnisse. Zudem wies ein hoher Anteil von Menschen mit Diabetes eine eingeschränkte Lebensqualität, hohe Belastungen durch diabetesspezifische Stressoren und ein geringes Wohlbefinden auf [4, 8]. Trotzdem wurden psychologische Aspekte im Rahmen der Diabetestherapie in den meisten Ländern nicht ausreichend berücksichtigt und psychosoziale Angebote waren eher die Ausnahme [7, 8].

Als Konsequenz dieser Studienergebnisse wurde in dem „DAWN-Call-to-Action-Aufruf“ gefordert, dass nachhaltige Anstrengungen notwendig sind, um Menschen mit Diabetes eine individualisierte, patientenzentrierte Therapie zu ermöglichen und ihnen mehr Unterstützung beim täglichen Selbstmanagement und bei Problemen im Zusammenhang mit der Erkrankung zu geben [9].

Die DAWN2™-Studie untersucht die psychosoziale Situation von Menschen mit Diabetes

Trotz zahlreicher Fortschritte seit der ersten DAWN-Studie gibt es noch immer Wissensdefizite bezüglich der Bedürfnisse, Einstellungen und Wünsche von Menschen mit Diabetes, die zudem in der Behandlung des Diabetes zu wenig berücksichtigt werden [10, 11, 12, 13]. Dies war der Grund für die Durchführung der zweiten globalen Studie zu psychosozialen Belastungen und Barrieren der Diabetestherapie: DAWN2™ [14]. In dieser Studie wurden psychosoziale Belastungen und Barrieren der Diabetestherapie im Sinne einer 360-Grad-Betrachtung mit teilweise identischen Fragen aus der Perspektive von Menschen mit Diabetes [15], von Angehörigen [16] und von Behandlern [17] betrachtet. Ziel der DAWN2™-Studie ist es, mehr Wissen über die psychosoziale Situation, die Bedürfnisse und Probleme von Menschen mit Diabetes, deren Angehörigen als auch der Behandler und Patientenorganisatoren sowie Entscheidungsträger zu erlangen.

Die DAWN2™-Studie ist eine globale, partnerschaftliche Initiative verschiedener internationaler und nationaler Organisationen (International Diabetes Federation [IDF], International Alliance of Patients Organisations [IAPO], Steno Diabetes Center, Dänemark, Firma Novo Nordisk). Die Studie steht im Einklang mit dem „Frameworks for people-centred and innovative chronic illness care“ der World Health Organization (WHO) und der „Declaration for patient-centred health care“ der IAPO. Die DAWN2™-Studie wurde in 17 Ländern auf 4 Kontinenten (Algerien, China, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Indien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Polen, Russland, Spanien, Türkei und USA) durchgeführt. Insgesamt wurden 15438 Personen befragt. Neben den Menschen mit Diabetes (n = 8596) waren dies auch Angehörige von Menschen mit Diabetes (n = 2057) und Behandler (n = 4785) [14]. In diesem Artikel werden die Ergebnisse der deutschen Stichprobe der DAWN2™-Studie zur psychosozialen Situation von Menschen mit Diabetes sowohl im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes (Allgemeinbevölkerung) als auch im Vergleich zu den globalen Daten, welche im Jahr 2013 publiziert wurden [15], berichtet.

Methodik

Die DAWN2™-Studie wurde von März 2012 bis September 2012 durchgeführt. Die Rekrutierung der deutschen Studienteilnehmer im Alter von mindestens 18 Jahren erfolgte telefonisch und online, um die Studienpopulation so repräsentativ wie möglich zu halten und ein potenzielles Bias durch eine Rekrutierung ausschließlich über das Internet zu vermeiden [14]. Um an der Studie teilzunehmen, mussten Menschen mit Diabetes folgende Einschlusskriterien erfüllen:

  • Personen mit Typ-1-Diabetes

    • Alter bei Diagnose: < 30 Jahre,

    • unmittelbare Behandlung mit Insulin,

    • aktuelle Insulintherapie,

    • Diabetesdauer: mindestens 12 Monaten.

  • Personen mit Typ-2-Diabetes

    • Alter bei Diagnose: ≥ 30 Jahre,

    • keine Insulinbehandlung nach der Diagnose,

    • Diabetesdauer: mindestens 12 Monate.

Patienten unter 18 Jahre und Patientinnen mit Gestationsdiabetes wurden ausgeschlossen. Die deutsche Stichprobe der DAWN2™-Studie umfasst 502 Erwachsene mit Diabetes, darunter 80 Menschen mit Typ-1-Diabetes und 422 Menschen mit Typ-2-Diabetes. Die Studienteilnehmer wurden anhand validierter Fragebögen zu diabetesbezogenen Belastungen (PAID-5) [18], ihrem psychischen Wohlbefinden (WHO-5) [19], der Lebensqualität (EQ-5D VAS, Health-Utility-Index) [20], den Auswirkungen des Diabetes auf verschiedene Lebensbereiche (DIDP) [14] und zu Selbstbehandlungsaktivitäten (SDSCA-6) befragt [21]. Außerdem wurden Daten mit dem Patient-Assessment-of-Chronic-Illness-Care-DAWN-Short-Form-Fragebogen (PACIC-DSF) [14] und einer modifizierten Fassung der Diabetesempowerment-Skala erhoben [14, 22]. Des Weiteren erhielten die Teilnehmer Fragen zum Thema soziale Diskriminierung und zu einer Reihe anderer Aspekte im Zusammenhang mit ihrer Diabetestherapie. Von einer Diskriminierung wurde dann ausgegangen, wenn die Befragten der Aussage, dass „sie wegen ihres Diabetes diskriminiert wurden“ im „wesentlichen“ oder „voll und ganz zustimmten“. Die Methodik der globalen DAWN2™-Studie wurde bereits 2013 publiziert [14].

Alle Teilnehmer erklärten ihre Einwilligung zur Studienteilnahme. In Deutschland wurde diese Studie durch die Ethikkommission der Landesärztekammer Baden Württemberg begutachtet und genehmigt (F-2012-012). Die telefonische Befragung erfolgte in Deutschland durch Harris Interactive (Hamburg). Um eine möglichst hohe Repräsentativität der Befragung zu gewährleisten, wurden die Antworten der untersuchten Stichprobe entsprechend des Alters, Geschlechts und der Schulbildung der deutschen Allgemeinbevölkerung (basierend auf den Statistiken des Statistischen Bundesamtes) gewichtet.

Ergebnisse

Die globale Stichprobe umfasst insgesamt 8596 Menschen mit Diabetes, die deutsche Stichprobe 502 Personen. Von den 422 Menschen mit Typ-2-Diabetes behandeln 100 ihre Erkrankung ohne Medikamente, 172 mit oralen Antidiabetika und 150 mit Insulin. Die zentralen Charakteristika der deutschen Stichprobe sind in Tab. 1 aufgeführt. Es zeigen sich im Wesentlichen zu erwartende Unterschiede zwischen Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes in Hinblick auf Alter, Diabetesdauer und Körpergewicht.

Tab. 1 Patientencharakteristik der deutschen Stichprobe von DAWN2™

Lebensqualität und Wohlbefinden

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde mit dem EQ-5D VAS erhoben, wobei ein Wert von 100 eine sehr gute und ein Wert von 0 eine sehr schlechte Lebensqualität anzeigt. In der deutschen Stichprobe berichten Menschen mit Diabetes im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung über eine deutlich reduzierte Lebensqualität; im Vergleich zur globalen Stichprobe zeigen sich keine Unterschiede. Menschen mit Typ-2-Diabetes weisen eine signifikant geringere Lebensqualität auf als Menschen mit Typ-1-Diabetes (Abb. 1).

Psychisches Wohlbefinden ist bei Menschen mit Diabetes im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung reduziert

Ein ähnliches Bild zeigt sich beim psychischen Wohlbefinden, gemessen mit dem WHO-5. Auf einer Skala von 0 bis 100 (maximales Wohlbefinden = 100) erreicht die deutsche Allgemeinbevölkerung einen Wert von 70,3. Das Auftreten einer Diabeteserkankung reduziert diesen Wert sehr deutlich auf 57,2. Es gibt keinen signifikanten Unterschied zwischen der deutschen und globalen Stichprobe, ebenfalls nicht zwischen Menschen mit einem Typ-1- oder Typ-2-Diabetes. Ein WHO-5-Score von ≤ 28 ist mit einer hohen Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten einer Depression assoziiert. Bei etwa jedem 7. Menschen mit Diabetes liegen solche Werte vor (13,6 % für die deutsche bzw. 14,8 % für die globale Stichprobe). Die Wahrscheinlichkeit für eine Depression liegt bei Menschen mit Diabetes damit deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung, bei der nur 5,9 % einen WHO-5-Score von ≤ 28 aufweisen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Gesundheitsbezogene Lebensqualität (EQ-5D VAS), psychisches Wohlbefindens (WHO-5) und wahrscheinliche Depression (WHO-5-Score ≤ 28). Vergleich der deutschen DAWN2™-Stichprobe mit der globalen DAWN2™-Stichprobe und mit der deutschen Normstichprobe (Allgemeinbevölkerung [19, 20]) sowie getrennt nach Typ-1-Diabetes vs. Typ-2-Diabetes. (n.s. nicht signifikant, MmD Menschen mit Diabetes, *p < 0,05; **p < 0,01; ***p < 0,001)

Diabetesbezogene Belastungen

Etwa jeder 4. Betroffene der deutschen Stichprobe zeigt eine erhöhte diabetesbezogene Belastung (PAID-5), allerdings signifikant niedriger als in der globalen Stichprobe (Tab. 2). Ein Blick auf die verschiedenen Lebensbereiche zeigt, dass die Erkrankung für einen nicht geringen Anteil von Menschen mit Diabetes mit Belastungen in verschiedenen Lebensbereichen verbunden ist. Am meisten fühlten sich die Studienteilnehmer durch körperliche oder psychische Einbußen aufgrund des Diabetes belastet. Etwa ein Drittel gibt an, aufgrund des Diabetes in den Freizeitaktivitäten beeinträchtigt zu sein. Am geringsten ausgeprägt waren Belastungen im Verhältnis zu Familie, Freunden und Kollegen sowie bei der Arbeit und/oder im Studium. Der deutlichste Unterschied zwischen der globalen und deutschen Stichprobe betrifft finanzielle Belastungen durch den Diabetes (Abb. 2).

Tab. 2 Ergebnisse der deutschen und globalen Stichprobe der DAWN2™-Studie
Abb. 2
figure 2

Auswirkungen des Diabetes auf verschiedene Lebensbereiche (DIDP). Anteil (%) der Menschen mit Diabetes (MmD), welche einen insgesamt negativen Einfluss („leicht negativen Einfluss“, „negativen Einfluss“, „sehr negativen Einfluss“) des Diabetes auf verschiedene Lebensbereiche berichten. (Frage: „Welchen Einfluss hat der Diabetes auf die folgenden Aspekte Ihres Lebens? Ihre körperliche Gesundheit? Ihr emotionales Wohlbefinden? Ihre Freizeitaktivitäten? Ihre Arbeit oder Ihr Studium? Ihre Beziehung zu Ihrer Familie, Ihren Freunden und Kollegen? Ihre finanzielle Situation?“; n.s. nicht signifikant; *p < 0,05; **p < 0,01; ***p < 0,001)

Empowerment

Das Ausmaß von Empowerment, gemessen mit der DES-Skala (Skala 0–100), ist bei Menschen mit Typ-1-Diabetes (42,9 %) sehr viel höher ausgeprägt als bei Menschen mit Typ-2-Diabetes (26,5 %). Bedingt durch den niedrigen Wert bei Typ-2-Diabetes unterscheidet sich hier die deutsche Stichprobe signifikant von der globalen (Tab. 2).

Selbstbehandlungsverhalten

Die Auswertung des SDSCA-6 (0 = Umsetzung an keinem Tag der Woche, 7 = Umsetzung an jedem Tag der Woche) ergab sowohl bei der globalen, als auch der deutschen Stichprobe Hinweise darauf, dass die Adhärenz bezüglich der Umsetzung der Therapie durchaus verbesserungswürdig ist. Die Ergebnisse der deutschen Stichprobe lagen – bis auf den Bereich Ernährung – im Schnitt über den globalen Werten. Die besten Adhärenzwerte wurden in den Bereichen Medikation, Ernährung und Bewegung erreicht (Tab. 2).

Behandlungszufriedenheit

Mit der Diabetesbehandlung waren in Deutschland die Befragten (PACIC) sehr viel zufriedener als im globalen Vergleich. In der deutschen Stichprobe äußerten sich Menschen mit Typ-2-Diabetes zufriedener als Menschen mit Typ-1-Diabetes (Tab. 2).

Diagnostische Maßnahmen

Auf die Frage, welche diagnostischen Maßnahmen im letzten Jahr durchgeführt wurden, ergibt sich für die deutsche wie auch die globale Stichprobe ein ähnliches Bild. Die meisten Studienteilnehmer gaben an, dass klassische diagnostische Maßnahmen durchgeführt wurden wie die Bestimmung des HbA1c-Wertes, des Blutdrucks, der Blutfettwerte und eine Fußuntersuchung (Letzteres allerdings auch in Deutschland nur bei 65 % der Personen). Nur bei weniger als der Hälfte aller Patienten wurde vom Arzt bzw. dem Diabetesteam nach Ernährungs- (41,5 %) bzw. Bewegungsgewohnheiten (46,0 %) gefragt. Dagegen wurde nur bei ca. jedem 3. Patient nach einer möglichen Depression gefragt. Noch seltener wurde der Einfluss des Diabetes auf den Alltag bzw. die Lebensqualität thematisiert.

Die Bestimmung von Langzeitzuckerwerten (HbA1c) erfolgt häufiger als im globalen Durchschnitt

Signifikant häufiger als im globalen Durchschnitt wurden in Deutschland der HbA1c-Wert bestimmt und die Füße kontrolliert. Bei der Frage nach möglichen psychosoziale Belastungen im Zusammenhang mit der Diabeteserkrankung gab es keinen signifikanten Unterschied zu den globalen Ergebnissen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Durchführung von diagnostischen Maßnahmen. Anteil (%) der Menschen mit Diabetes (MmD), welche angeben, dass bei ihnen in den letzten 12 Monaten bestimmte diagnostische Maßnahmen durch das Behandlungsteam durchgeführt wurden. (Frage: „Hat in den vergangenen 12 Monaten jemand von ihrem Behandlungsteam bei Ihnen folgende Maßnahmen durchgeführt? Ihren Langzeitblutzucker [HbA1c] gemessen? Ihren Blutdruck gemessen? Ihre Blutfettwerte gemessen? Ihre Füße untersucht? Sie nach ihren Ernährungsgewohnheiten gefragt? Sie nach ihren Bewegungsgewohnheiten gefragt? Sie gefragt, ob Sie ängstlich oder depressiv sind? Sie gefragt, wie der Diabetes Ihr Leben beeinflusst?, n.s. nicht signifikant; *p < 0,05; **p < 0,01; ***p < 0,001)

Diabetesschulung

Bei der Frage nach dem Besuch einer strukturierten Diabetesschulung oder einer Einzelschulung nimmt Deutschland im globalen Vergleich einen Spitzenplatz ein: Knapp 80 % der Menschen mit Diabetes in Deutschland gaben an, schon einmal geschult worden zu sein, während dies in der globalen Stichprobe nur bei knapp 60 % der Fall ist. Trotz einer höheren Schulungsgrate bei Typ-1-Diabetes gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes (Tab. 2).

Soziale Diskriminierung

In der globalen Stichprobe berichtete etwa jeder 6. Mensch mit Diabetes, sich wegen der Diabeteserkrankung stark oder sehr stark diskriminiert zu fühlen. Dieser Anteil war in der deutschen Stichprobe mit insgesamt 10,6 % signifikant niedriger. Menschen mit einem Typ-1-Diabetes haben hierbei signifikant häufiger das Gefühl, wegen der Diabeteserkankung diskriminiert zu werden: Dies betraf jeden 5. Menschen mit Typ-1-Diabetes (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Diskriminierung aufgrund der Diabeteserkrankung. Anteil (%) der Menschen mit Diabetes (MmD), die angeben, sich aufgrund des Diabetes diskriminiert zu fühlen

Diskussion

Der Erhalt einer optimalen Lebensqualität ist ein wesentliches Ziel der Diabetestherapie [12, 13]. Vor diesem Hintergrund ist die in der deutschen Stichprobe beobachtete signifikante Reduktion der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Menschen mit Diabetes im Vergleich zur Allgemeingemeinbevölkerung besonders bedeutsam. Die mit einer Diabeteserkrankung assoziierten Einbußen an gesundheitsbezogener Lebensqualität beträgt etwa 10 Prozentpunkte auf einer Skala von 0 (minimale Lebensqualität) bis 100 (maximale Lebensqualität) und ist klinisch relevant.

Eine Diabeteserkankung wirkt sich deutlich negativ auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität aus.

Diese Ergebnisse korrespondieren sehr gut mit einer Analyse von Schunk et al. [23], in der die Daten von 5 populationsbasierten epidemiologischen Erhebungen aus Deutschland gepoolt wurden und ebenfalls bei Menschen mit Diabetes eine Reduktion der gesundheitsbezogenen Lebensqualität in einer vergleichbaren Dimension festgestellt wurde. Diese Reduktion ist bei Menschen mit einem Typ-2-Diabetes signifikant stärker ausgeprägt. Auch wenn die gesundheitsbezogene Lebensqualität der deutschen Teilstichprobe in etwa dem globalen Durchschnitt entspricht, zeigt die Verminderung der Lebensqualität bei Menschen mit Diabetes in Relation zur deutschen Allgemeinbevölkerung, dass ein zentrales Ziel der Behandlung von Menschen mit Diabetes – der Erhalt der Lebensqualität trotz und mit Diabetes – nicht erreicht wurde.

Neben der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zeigte sich auch ein im Vergleich zur deutschen Allgemeinbevölkerung signifikant reduziertes emotionales Wohlbefinden. Bei etwa jedem 7. Menschen mit Diabetes ist das emotionale Wohlbefinden derart beeinträchtigt, dass das Vorliegen einer Depression wahrscheinlich ist. Eine regelmäßige strukturierte Erhebung und Dokumentation des Wohlbefindens, wie es von der International Diabetes Federation (IDF) und der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) [12, 13] empfohlen wird (siehe auch Gesundheits-Pass Diabetes), erscheint daher sehr angemessen. Auf dem Hintergrund einer deutlichen Einschränkung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und des Wohlbefindens ist die Tatsache, dass nur bei rund einem Drittel aller Betroffenen das psychosoziale Wohlbefinden routinemäßig bei Arztbesuchen thematisiert wird, besonders problematisch.

Zudem empfinden mehr als ein Viertel aller Menschen mit Diabetes in Deutschland eine hohe emotionale Belastung wegen ihres Diabetes. Daher ist es sinnvoll, neben dem allgemeinen Wohlbefinden regelmäßig auch das Vorliegen von diabetesbezogenen Belastungen zu erfragen. Interessanterweise liegen jedoch die diabetesbezogenen Belastungen deutlich unterhalb des internationalen Durchschnitts. Evaluationsstudien zur Diabetesschulung bei Typ-1- [24] und Typ-2-Diabetes [25, 26] legen nahe, dass mit einer Teilnahme an einer Diabetesschulung sowohl die Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Diabetesbehandlung verbessert, als auch diabetesbezogene Belastungen reduziert werden können. Die im globalen Vergleich hohe Schulungsrate in Deutschland könnte eine wesentliche Ursache für die deutlich niedrigeren diabetesbezogenen Belastungen der deutschen Stichprobe sein. Dennoch erreichen Menschen mit Diabetes im globalen Vergleich einen deutlich geringeren Wert in der Diabetes-Empowerment-Skala. Dies ist besonders bei Menschen mit einem Typ-2-Diabetes der Fall. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass in Deutschland besonders im Bereich Typ-2-Diabetes eher traditionelle, primär auf eine Wissensvermittlung abzielende Schulungsprogramme noch immer eine hohe Verbreitung haben [27].

Bei der Erhebung des Selbstbehandlungsverhaltens ergab sich eine relativ hohe Therapieadhärenz bezüglich der Medikamenteneinnahme bzw. Insulininjektionen, während Selbstbehandlungsmaßnahmen, welche mit einer Veränderung des Lebensstils (z. B. Bewegung, Ernährung) einhergehen, eine deutlich geringere Adhärenz aufwiesen. Allerdings war in der deutschen Stichprobe in 4 von 6 befragten Bereichen eine signifikant höhere Therapieadhärenz zu verzeichnen als in der globalen Stichprobe. Auch hierzu könnte der hohe Schulungsstand beigetragen haben [28, 29]. Dazu passt auch, dass im Vergleich zur globalen Stichprobe die deutschen Studienteilnehmer über eine deutlich höhere Behandlungszufriedenheit berichteten.

Interessant sind die Ergebnisse, nach denen diagnostische Maßnahmen zur Bestimmung des HbA1c-Wertes, des Blutdrucks, der Blutfette sehr viel häufiger durchgeführt werden als die Untersuchung der Füße und v. a. das Nachfragen zur Umsetzung von Lebensstilmodifikationen. Besonders selten werden bei Menschen mit einer Diabeteserkrankung psychische Belastungsfaktoren im Zusammenhang mit dem Diabetes und die Auswirkungen des Diabetes auf verschiedene Lebensbereiche thematisiert. Vor dem Hintergrund der geschilderten psychosozialen Belastungen ist dieser Befund besonders problematisch und verbesserungswürdig.

Soziale Diskriminierung im Zusammenhang mit Diabetes ist ein weltweites Problem

Bislang gibt es kaum Daten zum Thema soziale Diskriminierung. Es ist ein Verdienst der DAWN2™-Studie hierzu erstmals Daten zu liefern. Natürlich basieren diese Daten zur Diskriminierung auf der subjektiven Wahrnehmung der Befragten und ist nicht an objektiven Gegebenheiten validiert. Trotzdem weisen die globalen Ergebnisse darauf hin, dass soziale Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Diabetes ein weltweites Problem darstellt. Positiv zu vermerken ist, dass in der deutschen Stichprobe im weltweiten Vergleich eine relativ niedrige Diskriminierungsrate festzustellen ist. Allerdings stimmt bedenklich, dass auch in Deutschland jeder 10. Mensch mit Diabetes angibt, sich aufgrund der Erkrankung diskriminiert zu fühlen, bei Typ-1-Diabetes ist es sogar jede 5. Person. Möglicherweise erleben Menschen mit einem Typ-1-Diabetes Einschränkungen in ihrer Berufswahl, Benachteiligungen im Berufsleben, Probleme im Zusammenhang mit der Fahrtauglichkeit oder Versicherungen deutlich stärker als Menschen mit einem Typ-2-Diabetes. Dies deutet darauf hin, dass ein nicht geringer Prozentsatz von Menschen mit Diabetes sich wegen der Erkrankung benachteiligt fühlt und zukünftig geeignete Anstrengungen unternommen werden sollten, um diesen Zustand zu ändern.

Für die Interpretation der Ergebnisse sollten auch potenzielle Limitationen der Studie berücksichtigt werden. Alle Ergebnisse basieren auf Selbstberichtsverfahren, sodass die bekannten einschränkenden Bedingungen dieser Methode wie Verzerrung von Ergebnissen durch Erinnerungsfehler, subjektive Gewichtung von Fakten, Tendenz zur sozialen Erwünschtheit als potenzielle Fehlerquellen bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden sollten. Diese Limitation trifft sowohl für die nationale als auch die globale Stichprobe gleichermaßen zu. Obwohl die Gewichtung von Antworten entsprechend zentraler Kenngrößen der Allgemeinbevölkerung ein gängiges Verfahren ist, um die Repräsentativität von Befragungsergebnissen zu erhöhen, kann die Repräsentativität dieser Ergebnisse nicht positiv bewiesen werden. Zudem kann die in Deutschland verwendete Untersuchungsmethode mit Telefoninterviews zu möglichen Verzerrungen des Antwortverhaltens geführt haben. Bei dem Vergleich mit den globalen Daten muss außerdem berücksichtigt werden, dass in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Erhebungsmethoden (z. B. persönliche Befragung, Telefoninterviews, Online-Befragung) mit unterschiedlichem Verzerrungspotenzial eingesetzt wurden. Obwohl in der DAWN2™-Studie überwiegend bereits evaluierte Fragebögen zum Einsatz kamen, wurden auch eigens für diese Studie konstruierte Frageninventars eingesetzt, deren Reliabilität und Validität nicht in allen der 17 beteiligten Ländern überprüft wurde (z. B. Fragen zur Diabetesschulung, soziale Diskriminierung). Trotz dieser Limitationen erbrachte die DAWN2™-Studie wichtige und bisher nicht erforschte Erkenntnisse in Hinblick auf psychosoziale Probleme im Umgang mit dem Diabetes in Deutschland und einer größeren multinationalen Stichprobe.

Fazit

Zusammenfassend belegen die Daten der DAWN2™-Studie, dass auch 10 Jahre nach Abschluss der ersten DAWN™-Studie, psychosoziale Probleme von Menschen mit einer Diabeteserkrankung noch immer nicht hinreichend Berücksichtigung finden. In Deutschland stellt sich die Situation im Hinblick auf die Schulungsteilnahme, Therapieadhärenz und soziale Diskriminierung zwar etwas günstiger dar als in der globalen Stichprobe, trotzdem gibt es auch hier eine bedeutsame Lücke zwischen den psychosozialen Bedürfnissen von Menschen mit Diabetes und entsprechenden Angeboten in der klinischen Praxis, die es zu schließen gilt.