Hintergrund

Eine epilepsiechirurgische Operation stellt die Therapie der ersten Wahl für Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie dar. Ist eine Resektion des epileptogenen Areals nicht möglich oder nicht erfolgreich, stehen als zugelassene Behandlungsoptionen in Deutschland derzeit nur die Vagusnervstimulation, die anteriore Thalamusstimulation, sowie seit Kurzem die fokale Kortexstimulation zur Verfügung. Diese sind invasiv, haben eine begrenzte Wirksamkeit und sind mit einem gewissen Nebenwirkungsrisiko verbunden. Erste Daten stimmen hoffnungsvoll, dass die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS, „transcranial direct current stimulation“) eine nicht-invasive, individualisierbare und nebenwirkungsarme Behandlungsalternative darstellen könnte.

Wirkprinzip der kathodalen Gleichstromstimulation

Die tDCS stellt eine seit Langem etablierte Methode zur Modifikation dysfunktionaler Hirnaktivität dar. Sie beruht auf der transkraniellen Applikation eines kontinuierlichen niedrigamplitudigen Stroms (1–2 mA), was zu einer Veränderung des Membranpotentials der kortikal gelegenen Neurone führt [26]. Der Strom wird hierfür i. d. R. über zwei gummierte Plattenelektroden abgegeben, die in 0,9 % NaCl-getränkten Schwämmchen auf der Kopfhaut platziert und mittels Gummibänder in ihrer Position fixiert werden. Der applizierte Strom ist so niedrigamplitudig, dass er zwar die Schädelkalotte durchdringen und die kortikalen Neurone erreichen kann, dort aber nur eine Membranpotentialverschiebung und kein Aktionspotential generieren kann.

Die Art der Wirkung der tDCS ist dabei in erster Linie von der Stimulationsrichtung abhängig: Eine anodale Stimulation (a-tDCS) führt auf Netzwerkebene zu einer fokalen Nettosteigerung, die kathodale Stimulation (c-tDCS) zu einer Nettoreduktion der kortikalen Erregbarkeit [34]. Die messbaren Netzwerkeffekte reflektieren dabei die Summe der Stimulationseffekte auf zellulärer Ebene, wobei die tDCS v. a. in Abhängigkeit vom Abstand und der Orientierung der somatodendritischen Achsen im Verhältnis zur Stimulationselektrode eine neuronale Depolarisation oder Hyperpolarisation bewirkt [6, 18]. Der Beitrag der Endothelzellen, Lymphozyten und Gliazellen bleibt aktuell noch unklar [42].

In Abhängigkeit von der Stimulationsstärke, Applikationsdauer und Stimulationsschema können die tDCS-induzierten Nacheffekte teils verstärkt und in ihrer Dauer verlängert werden, sodass sie das Stimulationsintervall überdauern [17, 32, 38]. Man nimmt an, dass diese mittel- bis längerfristigen Effekte auf einer Plastizität der Verbindungsstärke glutamaterger Synapsen beruht [7, 28, 34, 35], was im Englischen als „long-term potentiation“ (LTP) und „long-term depression“ (LTD) bezeichnet wird. Als effektivitätssteigernd wurde in einer systematischen Untersuchung an gesunden Probanden eine Wiederholung der tDCS während der Nacheffekte der vorausgehenden Stimulation beschrieben [32, 33]. Konkret hat sich eine 9‑minütige Stimulation mit Wiederholung nach einem Pausenintervall von 20 min als sehr wirkungsvoll erwiesen [32, 33]. Eine ungünstige Wahl des Interstimulationsintervalls von z. B. mehreren Stunden kann die tDCS-induzierten Effekte jedoch auch negativ beeinflussen oder sogar aufheben [32, 33].

Anwendungsprinzip und Sicherheitsaspekte der tDCS bei Epilepsie

Unifokalen Epilepsieerkrankungen liegt eine regional begrenzte kortikale Übererregbarkeit zugrunde. Wie bei kaum einer anderen Erkrankung erscheint somit die Anwendung einer kathodalen Stimulation über dem epileptogenen Fokus naheliegend, da hierdurch eine regionale Hyperpolarisation bzw. Reduktion der kortikalen Erregbarkeit erzielt werden kann [34]. Überraschenderweise gibt es bislang aber nur wenige Studien zur Anwendung der tDCS bei Epilepsie. Dies könnte u. a. darauf beruhen, dass historisch lange Angst vor eine Anfallstriggerung im Rahmen zerebraler Stromapplikation bestand.

Sicherheitsdaten ergeben sich v. a. aus der jahrelangen Anwendung der tDCS bei z. B. Tinnitus, Schlaganfall bzw. Aphasie, Depression, Migräne und chronischen Schmerzsyndromen (z. B. [8, 9, 12, 21,22,23, 47]) sowie Gesunden (u. a. [37, 38, 40]). Dabei hat sich die tDCS über die Jahre als äußerst sicher und gut verträglich erwiesen. Bislang traten in den über 33.200 tDCS-Applikationen bei Anwendung konventioneller tDCS-Protokolle (≤ 4 mA, ≤ 7,2 Coulombs, ≤ 40 min) keinerlei schwerwiegende Komplikationen auf, wobei über 1000 Probanden eine repetitive tDCS-Anwendung und einzelne Probanden über 1000 Anwendungen erhielten [5]. An Nebenwirkungen wurden milde Effekte wie passagere Hautrötungen (2 %), Kopfschmerzen (12 %), Müdigkeit (35 %), leicht unangenehmes Kribbeln (70 %) oder Jucken (30–40 %) v. a. zu Beginn der Stimulation beobachtet [5, 31, 40], wobei nur wenige Publikationen systematische und quantitative Nebenwirkungsberichte umfassen [10]. Hierbei ist erwähnenswert, dass vergleichbare Nebenwirkungen in ähnlicher Intensität und Häufigkeit auch bei Placebostimulation beschrieben wurden [10]. Nur sehr selten, insbesondere bei täglicher Stimulation mit hoher Stromdichte, langer Dauer und Verwendung trockener Elektroden, kann es in Einzelfällen auch zu Hautläsionen ähnlich kleinen Verbrennungen kommen [31]. Das Risiko hierfür kann durch Einhaltung der Leitlinienempfehlung zur tDCS maßgeblich reduziert werden [27]. Die tDCS-Anwendung nach Standardprotokoll wurde neben der Anwendung bei erwachsenen Gesunden und erkrankten Patienten auch bei Kindern und älteren Patienten als sicher bewertet [5, 25]. Dies wurde ferner durch Untersuchung von Biomarkern wie der neuronenspezifischen Enolase (NSE; [37, 38]), dem MRT [36] und EEG [49] untermauert, die keinerlei negative Auswirkung der tDCS zeigten. Eine europäische Leitlinie mit detaillierten Angaben zur Evidenzlage und Sicherheit der Anwendung der tDCS bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern wurde 2017 von führenden Experten formuliert [27].

Nur wenige Studien existieren aktuell zur tDCS bei Epilepsie, wobei auch diese ihre sichere und wirkungsvolle Anwendung belegen. Das Nebenwirkungsspektrum entspricht dem der tDCS-Anwendung bei anderen Grunderkrankungen [24, 45]. Eine systematische Untersuchung mittels „comfort rating questionnaire“ (CRQ), einem etabliertem Fragebogen zur Erfassung der tDCS-assoziierten Nebenwirkungen [39], beschrieb bei kathodaler Gleichstromstimulation (2 × 9 min) mit 2‑mA-Stimulationsamplitude in 40–85 % der Patienten milde, sensible Sensationen wie Kribbeln, Brennen oder leichten Schmerzen im Bereich der Stimulationselektroden [24]. Nur einzelne Patienten berichteten ein Müdigkeitsgefühl (n = 6/15, 40 %), Nervosität (n = 3/15, 20 %) oder Konzentrationsschwierigkeiten (n = 3/15, 20 %). Die Nebenwirkungen waren allesamt von geringer Intensität und passager mit Symptomregredienz zum oder kurz nach Stimulationsende [24]. Nur ein Fallbericht beschreibt einen möglichen Zusammenhang zwischen tDCS und einem Anfallsrezidiv [13]. Hierbei ist jedoch einschränkend zu erwähnen, dass hierbei anodal stimuliert und vorab die antikonvulsive Medikation reduziert wurde. Ferner trat der Anfall 4 h nach der Stimulationsbehandlung auf, sodass kein klarer Kausalitätszusammenhang hergestellt werden kann [13]. Unter kathodaler tDCS sind insgesamt acht Patienten beschrieben, bei denen es unter aktiver oder Sham-tDCS-Behandlung zu einem epileptischen Anfall kam [44, 46, 52]. Hierbei handelte es sich um habituelle Anfälle, die a. e. zufällig während der Stimulation auftraten bei bekannter pharmakoresistenter Epilepsie und keinen negativen Prädiktor für das klinische Ansprechen darstellten.

Wirksamkeit der tDCS bei Epilepsie

Die steigende Anzahl an PubMed-gelisteten Publikationen zu den Schlagworten „epilepsy“ und „tDCS“ spiegelt das zunehmende klinisch-wissenschaftliche Interesse an dieser nicht-invasiven Stimulationsmethode wider (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Entwicklung der Publikationszahlen zum Thema transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) bei Epilepsie

Derzeit finden sich neben Fallserien und Einzelfallberichten im Wesentlichen 12 randomisierte, Sham-kontrollierte Studien zur tDCS bei pharmakoresistenter Epilepsie, zwei hiervor bei pädiatrischen Patienten. Ihre Eckpunkte, insbesondere Studiendesign, Stimulation und Effektstärke, sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Übersicht über Placebo/Sham-kontrollierte tDCS-Studien (transkranielle Gleichstromstimulation) bei pharmakoresistenter Epilepsie

Die verfügbaren Daten belegen klar, dass die kathodale Gleichstromstimulation bei Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie im Gegensatz zur Sham-Stimulation zu einer effektiven Reduktion der epileptischen Aktivität führen kann. Dabei kann bereits eine einmalige tDCS von 20 min eine signifikante Anfallsfrequenzreduktion von > 40 % in den 4 Wochen nach Intervention bewirken [2, 3, 15]. Eine serielle Stimulation mehrere Tage in Folge führt zu einer Effektverstärkung, mit signifikanten Anfallsfrequenzreduktionsraten von bis zu 79 % nach einem Monat [4, 20, 29, 30, 44, 50, 52]. Die Dauer des Effekts scheint sich durch die Verwendung eines Interstimulationsintervalls verlängern zu lassen [52, 53]. So waren in einer vergleichenden Studie einen Monat nach 14-tägiger tDCS-Behandlung bei Verwendung einer täglich 1 × 20 oder 2 × 20 minütigen Stimulation (mit 20-minütigem Pausenintervall) identische Anfallsfrequenzreduktionsraten von 50 % nachweisbar, wohingegen nach 2 Monaten in der ersten Gruppe nur noch eine Reduktion um 25 % (p = 0,086) vs. 45 % in Gruppe 2 (p = 0,382) zu beobachten war [52]. Entgegen der Erwartung scheint die kathodale tDCS-Behandlung nicht nur bei kortikalen, klar unifokalen Epilepsien, sondern auch bei tiefer gelegenen oder diffuseren epileptogenen Foci wie z. B. bei mesialer Temporallappenepilepsie [44, 50], Lennox-Gastaut-Syndrom [4] und Rasmussen-Enzephalitis [43, 51] wirksam zu sein. Die teils negativen Ergebnisse bzgl. einer Anfallsfrequenzreduktion nach c‑tDCS erklären sich a. e. durch kleine Interventionsgruppen [16], niedrige Baseline-Anfallsfrequenzen [30], Einschluss von Patienten mit mehr als einem Anfallsfokus [30] oder möglicherweis suboptimale Positionierung der Stimulationselektrode fern des epileptogenen Fokus [30]. Zudem wurden unterschiedliche statistische Methoden angewendet, d. h. Intra- sowie Intergruppenvergleichen (aktiv vs. sham), wobei letztere qualitativ hochwertiger ist aber die Wahrscheinlichkeit für statistisch signifikante Ergebnisse reduziert.

Bezüglich der Wirkung auf die Frequenz epilepsietypischer Potenziale (ETP) bestehen widersprüchliche Angaben. In der überwiegenden Zahl an Studien wurde eine signifikante ETP-Frequenzreduktion in den Wochen nach kathodaler tDCS beobachtet [3, 4, 15, 30, 41]. Eine ausbleibende ETP-Reduktion, wie sie in wenigen Studien berichtet wurde [1, 29], ist am ehesten auf eine niedrige Ausgangs-ETP-Frequenz sowie frühe EEG-Untersuchungszeitpunkte im Anschluss an die tDCS zurückzuführen [24]. Inkonsistente Studienergebnisse erklären sich auch durch die unterschiedlichen Fallzahlen und Kollektive, wodurch sich die Vergleichbarkeit deutlich limitiert.

Auch ein Vergleich verschiedener Stimulationsschemata ist aktuell kaum möglich, da in den bislang verfügbaren Studien zur tDCS bei Epilepsie sehr unterschiedliche Stimulationsprotokolle und Elektrodenpositionen, insbesondere für die Anode, verwendet wurden. Entsprechend sind derzeit auch noch keine Empfehlungen zur Patientenselektion, Wahl der Stimulationsparameter und Wiederholungsfrequenz der tDCS-Behandlung ableitbar. Ferner fehlen v. a. Langzeitbeobachtungen für die Bewertung der Langzeiteffekte und Sicherheit der tDCS-Therapie.

Effekte der tDCS auf Komorbiditäten

Bei anderen Erkrankungsbildern wie der Depression hat sich bereits eine anodale Stimulation über dem dorsolateralen präfrontalen Kortex durchgesetzt und als solche von führenden tDCS-Experten eine Evidenzgrad-B-Bewertung erhalten [9, 11, 14, 27]. Angesichts der häufigen Komorbidität von Epilepsie und Depression haben erste Studien versucht, beide Therapieansätze zu kombinieren. Die kathodale Stimulation über dem epileptogenen Fokus mit Platzierung der Anode über der kontralateralen dorsolateralen Präfrontalregion führte in den ersten beiden Untersuchungen zu einer Besserung der depressiven Symptomatik [19, 29]. Die kognitive Funktion wurde hierbei nicht oder nur passager beeinträchtigt [19, 29]. Longitudinale Untersuchung mit mehr als 4‑wöchiger tDCS-Behandlung und systematischer Evaluation der psychiatrischen und neuropsychologischen Funktion fehlen jedoch bislang.

Ausblick und Anwendungsszenarien

Weitere systematische Studien sind notwendig, um die optimalen Stimulationsparameter zu definieren, Prädiktoren für ein gutes Ansprechen zu identifizieren und die Sicherheit und Effektivität der tDCS-Therapie im Langzeitverlauf zu überprüfen. Darüber hinaus sind neben den Effekten auf die epileptische Aktivität weitere Untersuchungen zu Veränderungen der Lebensqualität, Stimmung und Kognition erforderlich.

Weiterentwicklungen der tDCS wie die Mehrkanal-tDCS ermöglichen zusammen mit digitalen Applikationen bereits eine präzisere und individualisierte Stimulation, was vermutlich zu einer Steigerung der Wirksamkeit der tDCS-Behandlung beitragen wird. Zudem werden immer mehr Home-use-tDCS-Systeme kommerziell verfügbar, was perspektivisch auch eine tDCS-Dauerbehandlung bei Epilepsie ermöglichen könnte. Leider steht derzeit noch kein tDCS-Gerät mit CE-Kennzeichnung für die Zweckbestimmung Epilepsie zur Verfügung. Aktuell wird jedoch eine multizentrische, doppelblinde Interventionsstudie mit dem Ziel der FDA-Zulassung der tDCS für die Behandlung erwachsener Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie durchgeführt (Clinical-trials-Identifikationsnummer: NCT04770337), wonach möglicherweise auch eine CE-Zulassung erwartet werden kann. Die tDCS würde das Behandlungsspektrum für Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie um eine nicht-invasive, nebenwirkungsarme und vollständig reversible Neurostimulationsmethode erweitern. Die tDCS wäre dabei nicht nur für Patienten mit kortikalen, nicht resezierbaren epileptogenen Herden interessant, sondern auch als Überbrückung bis zu einer operativen Versorgung. Durch die tDCS-Anwendung könnten evtl. auch anfallssupprimierende Medikamente eingespart und somit die Nebenwirkungslast reduziert werden. Ferner könnte durch die Anwendung der tDCS ggf. das Ansprechen auf implantierbare Stimulationssysteme wie die responsive Neurostimulation (RNS) oder die epikranielle Stimulation getestet bzw. potenziell vorhergesagt werden. Die epikranielle Stimulation (s. [48]) integriert das Behandlungsprinzip der kathodalen tDCS, sodass zukünftig ggf. vor Implantation eines solchen Systems mittels kathodaler tDCS der optimale Stimulationsort und das jeweilige klinische Ansprechen getestet werden könnten.

Fazit für die Praxis

  • Die kathodale Gleichstromstimulation hat sich bei Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie als sicher, nebenwirkungsarm und effektiv erwiesen.

  • Weitere Studien sind notwendig, um die Therapieparameter zu optimieren und das therapeutische Potenzial der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) auszuschöpfen.

  • Derzeit besteht jedoch noch keine CE-Kennzeichnung mit Zweckbestimmung Epilepsie, was ihren Einsatz weiterhin auf wissenschaftliche Untersuchungen und individuelle Heilversuche beschränkt.