Zusammenfassung
Das Elektroenzephalogramm (EEG) ist eine wichtige paraklinische, nichtinvasive, reproduzierbare Untersuchungsmethode bei der diagnostischen Abklärung einer autoimmunen Enzephalitis, und sie dient auch der Therapieüberwachung im Falle von epileptischen Anfällen oder eines Status epilepticus. Bei Letzterem hat die kontinuierliche EEG-Ableitung einen hohen Stellenwert. Die EEG-Veränderungen finden sich v. a. über den temporalen und frontalen Hirnabschnitten; meistens sind sie unspezifisch und können auch bei vielen anderen Hirnerkrankungen beobachtet werden. Einzig der sog. „extreme Delta-Brush“ deutet auf eine Anti-N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptor-assoziierte autoimmune Enzephalitis hin; dessen Fehlen bedeutet aber keineswegs den Ausschluss einer solchen Erkrankung. Die im Rahmen der autoimmunen Enzephalitis infolge von Anti-Leucin-reich-Gliom-induziertes Protein‑1(LGI‑1)-Antikörpern ebenfalls fast pathognomonischen nur 1–2 s dauernden faziobrachialen dystonen Anfälle weisen meistens kein EEG-Korrelat auf. Das EEG scheint bei autoimmuner Enzephalitis über eine gewisse Voraussagekraft hinsichtlich des Verlaufs und der Prognose zu verfügen.
Abstract
The electroencephalogram (EEG) is an important paraclinical, noninvasive, reproducible investigation method for the diagnostic clarification of autoimmune encephalitis. It is also used for treatment monitoring in the event of epileptic seizures or status epilepticus. In the latter case, the continuous EEG recording is important. The EEG changes are mainly found over the temporal and frontal brain regions; they are mostly nonspecific and can also be observed in many other brain disorders. Only the so-called extreme delta brush indicates an anti-N-methyl-D-aspartate (NMDA) receptor-associated autoimmune encephalitis; its absence does not in any way mean the exclusion of such a disease. Faciobrachial dystonic seizures lasting only 1–2 s appear in the context of autoimmune encephalitis due to anti-leucin-rich glioma-induced protein‑1 (LGI‑1) antibodies. They are almost pathognomonic and usually have no EEG correlate. In autoimmune encephalitis, the EEG seems to have a certain predictive power with respect to the course and prognosis.
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Zu den Hauptsymptomen von Autoimmunenzephalitiden (AIE) gehören Bewusstseinsveränderungen bis hin zum Koma sowie epileptische Anfälle bis hin zum Status epilepticus (SE) [8, 15, 35]. Sowohl bei der Objektivierung und Schweregradfestlegung des Komas als auch bei der Diagnose nichtkonvulsiver epileptischer Anfälle oder eines nichtkonvulsiven SE (NKSE) leistet die Elektroenzephalographie (EEG) neben der klinischen Untersuchung als paraklinisches Diagnosehilfsmittel einen entscheidenden Beitrag. Nachfolgend wird kurz die Rolle des EEG bei der Diagnose und Behandlung von AIE skizziert. Besondere Erwähnung finden folgende Aspekte, und entsprechend ist die nachfolgende Arbeit auch gegliedert:
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A.
Rolle des EEG im akuten und längerfristigen Management der AIE
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B.
Gibt es spezifische EEG-Befunde bei AIE?
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C.
Ist der „extreme Delta-Brush“ ein Anfallskorrelat oder nicht?
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D.
Faziobrachiale dystone Anfälle (FBDS) im Rahmen einer Anti-Leucin-reiches, Gliom-induzertes Protein‑1(LGI1)-Antikörper(AK)-vermittelten AIE
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E.
Bedeutung des Routine-EEG bzw. der (kontinuierlichen Langzeit‑)EEG-Überwachung auf der Intensivstation (ICU)
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F.
Limbischer Status epilepticus (SE) oder Enzephalopathie – wo die Grenzen verschwimmen …
A. Rolle des EEG im akuten und längerfristigen Management der AIE
Die Rolle des Elektroenzephalogramms (EEG) im akuten und längerfristigen Management der autoimmunen Enzephalitis (AIE) besteht in der Initialphase in der Mithilfe bei der Beurteilung von paroxysmalen neurologischen Veränderungen bei Patienten mit AIE als epileptisch oder nichtepileptisch mit auch den entsprechenden Folgen, ob die Einleitung einer antiepileptischen Therapie indiziert ist. Vor allem nicht tonisch-klonische Entäußerungen, Hyperkinesien, Verhaltensveränderungen, Gedächtnis- und Sprachschwierigkeiten können einen rein epileptischen Hintergrund oder aber auch eine rein strukturelle (enzephalitische) Ursache – oder beides – aufweisen. Dies hat wiederum v. a. therapeutische Konsequenzen. Gerade die Bewegungsstörungen, die im Rahmen einer Anti-N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptor-AIE (Anti-NR1-AIE) oder einer Anti-Contactin-assoziiertes Protein-2(Caspr2)-AIE auftreten, werden von weniger mit diesen Erkrankungen vertrauten Betreuenden für epileptisch verursacht gehalten, doch das EEG zeigt hierbei keine epileptischen Veränderungen, und Positronenemissionstomographie(PET)-Studien belegen eine Verursachung in den Basalganglien [26, 30]. Ebenso gilt auch für quantitative und qualitative Bewusstseinsveränderungen, dass die Unterscheidung zwischen epileptisch bedingtem Koma (hautsächlich wegen eines nicht-konvulsiven Status epilepticus [NKSE]) und einer anderen Komaursache v. a. von therapeutischer Wichtigkeit ist. Diagnostisch ist umstritten, ob es überhaupt pathognomonische EEG-Befunde bei AIE gibt (s. auch Abschnitt B.). Umgekehrt ist eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen zur AIE die Herpesenzephalitis; diese zeigt im EEG oft schon in sehr frühem Stadium markante hochgespannte lateralisierte periodische Entladungen (sog. „lateralized periodic discharges“ [LPDs]) meist im Gebiet eines Temporallappens, seltener und dann oft unabhängig voneinander in Form sog. bi-LPDs [43, 57].
Im späteren Verlauf weist das EEG möglicherweise einen gewissen prognostischen Wert bezüglich des Outcomes von Patienten mit AIE auf: Ein bei Diagnosestellung normales oder höchstens unspezifisch verändertes EEG scheint mit einer besseren Prognose verbunden zu sein, als wenn im initialen EEG bereits schwere Enzephalopathiezeichen, Herdbefunde, epileptische Aktivität oder sogar ein SE gefunden werden [22, 24, 40]. Häufig begleiten die EEG-Veränderungen bzw. spiegeln sie auch den Bewusstseinsverlauf sowie die Funktionseinschränkungen höherer kognitiver Funktionen über die Zeit, wie dies bei der Anti-Leucin-reiches, Gliom-induziertes Protein‑1(LGI1)-AIE gezeigt werden konnte [55]. Nicht zuletzt verfolgen wir mit konsekutiven EEG im Verlauf die unter Therapie zu erhoffende Abnahme epileptischer Aktivität oder bei einem SE natürlich dessen Durchbrechung. Persistenz epileptischer Entladungen im EEG nach Abklingen der akuten AIE ist verbunden mit der Entwicklung einer chronischen strukturellen (postenzephalitischen) Epilepsie, wobei dies bei Anti-NR1-AIE praktisch nie der Fall ist im Gegensatz zu AIE aufgrund von Anti-LGI1- oder Anti-γ-Amino-Buttersäure-B(GABAB)-Rezeptor-AK [10, 31, 63].
B. Gibt es spezifische EEG-Befunde bei AIE?
Die EEG-Befunde bei AIE widerspiegeln lokalisatorisch die von der Entzündung betroffenen Gebiete, insbesondere die Temporallappen, aber auch die Frontallappen, oft, v. a. bei einem Befall des limbischen Systems („limbische Enzephalitis“), auch beide Lappen zusammen [22].
Das EEG kann den Schweregrad enzephalopathischer Veränderungen abbilden, und deren Evolution kann mit dem EEG verfolgt werden [13, 14, 40, 48]. Wie bei Enzephalopathien anderer Ätiologie finden sich bei AIE auch generalisierte (periodische) Entladungen (GPDs) mit triphasischer Morphologie (die früheren „triphasischen Wellen“), deren prognostische Wertigkeit eher zu einem schlechteren Outcome neigt [44, 46, 47], v. a. wenn zusätzlich auch eine areaktive Kurve vorliegt [48], während im EEG ableitbare Schlafgraphoelemente, insbesondere Schlafspindeln, bei Enzephalopathien mit einem besseren Outcome vergesellschaftet sind [45]. Andererseits treten bei der AIE epileptische Anfälle in einer Häufigkeit von ungefähr 70 % [10, 58] auf, wobei die Häufigkeiten stark vom auslösenden Auto-AK (von 20 % [56] bis praktisch 90–100 % im Fall der Anti-γ-Amino-Buttersäure-A(GABAA)-Rezeptor [38] und der Anti-LGI-1-AIE [10]) beeinflusst werden (Abb. 1). Oftmals entwickelt sich sogar ein fokaler, bi- oder multifokaler Status epilepticus (SE) [17, 38]. Da der SE bei AIE mehrheitlich nichtkonvulsiv ist, hat die Diagnosesicherung unabdingbar mittels EEG zu erfolgen [34].
Spezifische oder gar pathognomonische EEG-Befunde bei AIE sind kaum nachzuweisen: Wie in den meisten Fällen repräsentieren pathologische EEG-Muster Dysfunktionen neuraler Netzwerke im Rahmen derer Manifestationsfähigkeiten auf neurophysiologischer Basis, wobei verschiedenste Ätiologien zu denselben EEG-Mustern führen können. Eine Ausnahme davon bildet möglicherweise der sog. „extreme Delta-Brush“ (EDB; s. Abschnitt C) [37, 59]. Mehrere Studien fanden kein weiteres „spezifisches“ EEG-Muster bei Kohorten mit entweder nur Anti-NR1-AIE [9, 20] bzw. solchen mit verschiedenen Autoantikörpern [3]. Grundsätzlich zeigen AIE im Verlauf ein ähnliches Muster mit einem über die Zeit sich entwickelnden dynamischen Ablauf mit meist multifokaler, am häufigsten bitemporaler und evtl. frontaler epileptischer Aktivität mit einem späteren Übergang in eher enzephalopathische Muster [3, 20, 39]. Die AIE-assoziierten Anfallstypen wurden in einer kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit vorbildlich dargestellt [58].
Die Rolle des EEG geht über die Diagnostik epileptischer Aktivität hinaus. Bei der Anti-NR1-AIE verfügt das erste EEG über einen prädiktiven Aussagewert bezüglich des Outcomes [54]. Weiter erlaubt das EEG natürlich auch das Therapiemonitoring bei rezidivierenden Anfällen, am besten als kontinuierlich abgeleitetes EEG beim SE (s. auch Abschnitt E) [28].
Eine kürzlich erschienene Übersichtsarbeit mit 446 EEG dokumentierten Anti-NR1-AIE-Patienten bestätigte eine gute Korrelation von normalem initialem EEG und leichterem Verlauf bzw. besserem Outcome, ebenso von zunehmend schlechterer Prognose und ICU-Bedürftigkeit, je mehr Delta- und epileptische Aktivität sowie ein EDB vorhanden war [13]. Die wichtigsten Erkenntnisse aus verschiedenen, meist retrospektiven Kohortenstudien sind zur Übersicht tabellarisch zusammengefasst (Tab. 1).
Zur Illustration seien 2 kurze Fallberichte angefügt.
Fallbeispiel 1
Eine 22-jährige Patientin mit 2 bis 3 Wochen andauernden Prodromi vorübergehender Verwirrtheit und Ängstlichkeit sowie raschem Gedächtnisverlust wird zugewiesen. Labor, Liquor und MRI sind vorerst normal; die Resultate des antineuronalen AK-Panels noch ausstehend. Ein Ultraschall des Abdomens zeigt eine 6 × 5 × 8 cm messende Raumforderung im rechten Ovar. Am dritten Tag entwickelt die Patientin serielle tonische Anfälle und wird auf die ICU zur Behandlung und kontinuierlichen EEG-Überwachung verlegt. Die Anti-NMDA-Rezeptor-AK waren 1:1280 im Serum und 1:80 im Liquor positiv. Im EEG zeigen sich initial alle 3–5 Minuten ausgeprägte, von bifrontal sich rasch bilateral ausbreitende hochgespannte Beta-Aktivität, die nach 15–20 s in eine (Poly‑)Spike-Wave-Aktivität übergeht. Die Patientin zeigt dabei eine bilaterale generalisierte Tonisierung des gesamten Körpers ohne myoklonische Entäußerungen und panisch geöffnete Augen (Abb. 2). Die Patientin erholte sich unter intensiver immunmodulierender und antikonvulsiver Therapie vollständig, schloss ihr Studium ab und ist aktuell in leitender Stellung eines mittelgroßen Unternehmens tätig.
Fallbeispiel 2
Ein 21-jähriger Patient trübte nach einem grippalen Infekt innerhalb eines Tages ein und fieberte erneut auf, allerdings mit einem C‑reaktiven Protein (CRP) von maximal 15 mg/l (< 10). Der Patient wurde auf die ICU verlegt und bei einem Glasgow-Coma-Scale (GCS) von 4–5 schutzintubiert. Repetitive MRI und Lumbalpunktionen waren unauffällig. Im EEG zeigte sich bei einem Theta-Grundrhythmus von links frontal betont ausgehende hochgespannte, rhythmische Delta-Aktivität mit Ausbreitung zur Gegenseite. Diese Phasen waren immer begleitet von massiven Blutdruckanstiegen, Schwitzen und extremer Mydriase, sodass hier von einem fokalen autonomen NKSE ausgegangen und eine entsprechende Therapie eingeleitet wurde. EEG-mäßig entwickelte sich ein eindrückliches biphasisches Bild mit (vermutlich Benzodiazepin-bedingt) praktisch normaler niederamplitudiger Alpha-Aktivität und erheblicher Beta-Überlagerung in stetem spontanem Wechsel mit einer hochgespannten, teils arrhythmischen, teils rhythmischen bilateral ausgebreiteten (Sub‑)Delta-Aktivität. Später war Letztere kontinuierlich vorhanden. Am Tag 9 kamen die Anti-Caspr2-AK positiv im Serum (1:640), negativ im Liquor zurück, und eine zusätzliche Immunmodulation wurde eingeleitet. Darauf kehrten die „normalen EEG-Phasen rasch wieder zurück, und der Patient erwachte innerhalb 1 Woche. Nach 4 Wochen konnte er in die Rehabilitation entlassen werden; auch er schloss sein Studium in der Zwischenzeit erfolgreich ab (Abb. 3).
C. Ist der „extreme Delta-Brush“ ein Anfallskorrelat oder nicht?
Schmitt et al. beschrieben 2012 bei einer Kohorte von 23 Patienten mit Anti-NR1-AIE ein EEG-Muster bei 7 Patienten (31 %), das einerseits eine sehr regelmäßige, rhythmische (ca. 1–2 Hz) höher gespannte, frontal betonte Delta-Aktivität beinhaltete mit zusätzlich einer ebenfalls frontal betonten, überlagerten, angedeutet spindelförmigen Beta-Aktivität [37]; Abb. 4). In Anlehnung an ein EEG-Muster, wie es bei Frühgeborenen vorkommt („Beta-delta-Komplexe“) [7], nannten die AutorInnen diesen einzigartigen EEG-Befund „extreme Delta-Brush“ (EDB). Seither sind bei manchen Patienten verschiedensten Alters über unterschiedlich lange Dauer persistierende Phasen von EDB beschrieben worden. Während bei Erwachsenen die Häufigkeit im Durchschnitt 15–30 % beträgt [37, 62], so kann diese bei Kindern auf bis über 50 % ansteigen [16]. Das Muster ist unabhängig von der Verabreichung von Beta-Aktivität-vermehrenden Antiepileptika (Benzodiazepine, Barbiturate, Levetiracetam), Vigilanzgrad, Schlaf-Wach-Zyklen, externen Stimuli oder Hyperkinesien. Der EDB reagierte weder auf die Gabe von Benzodiazepinen und Barbituraten, selbst in anästhetischen Dosen, und persistierte auch bei neuromuskulärer Blockade [37]; umgekehrt sollte der EDB auch nicht mit Muskelartefakten verwechselt werden [53]. Pathophysiologisch blockieren die Anti-NMDA-Rezeptor-AK die glutamaterge synaptische Übertragung und könnten möglicherweise dadurch die γ‑Amino-Butter-Säure (GABA) erge fazilitieren und so zu einer oszillierenden (im Gegensatz zur tonischen durch GABAerge Medikamente) Vermehrung von höherfrequenter (Beta- und v. a. Gamma‑)Aktivität führen, wie sie z. B. auch der NMDA-Rezeptor-Antagonist Ketamin hervorruft [29]. Zuerst als pathognomonisch für die Anti-NR1-AIE betrachtet, so sind doch ganz wenige Fallberichte von Patienten mit anderen Erkrankungen und diesem EEG-Muster beschrieben worden, so ein Kind mit Anti-gliales saures fibrilläres Protein(GFAP)-AK-Astrozytopathie [50] und eine Jugendliche mit subakuter Methotrexat-Enzephalopathie [36].
Eine große Unbekannte bleibt, wie weit der EDB ein iktales, interiktales oder noniktales, rein enzephalopathisches Zustandsbild des Gehirns reflektiert. Auf die Problematik des fließenden Übergangs zwischen Enzephalopathie und NKSE – sowohl klinisch wie auch elektroenzephalographisch – wird noch im Abschnitt F näher eingegangen werden. Bereits die ErstbeschreiberInnen des EDB siedelten das Muster im Grauland zwischen iktaler und enzephalopathischer Aktivität an [37]. In einer sehr sorgfältig durchgeführten Fallstudie berichten Chanson et al. über eine Patientin mit subtilen Myoklonien und tonischen Entäußerungen, EEG-mäßig begleitet von einem EDB, der aber nicht exakt mit dem Auftreten der Entäußerungen korrelierte, sich auf keine Weise weder mit Antiepileptika noch mit Anästhetika in üblichen Dosen, sondern nur mit hoch dosierten Barbituraten unterdrücken ließ. Die AutorInnen folgern, dass der EDB kein iktales, sondern eher enzephalopathisches EEG-Muster darstelle, eine Ansicht die auch dadurch unterstützt wurde, dass bei Messung des intrazerebralen Druckes die für epileptische Anfälle typische Druckerhöhung vollkommen fehlte [5]. Eine frühere Arbeit schilderte, dass alle PatientInnen mit EDB v. a. zuvor epileptische Anfälle oder sogar einen SE aufgewiesen hätten. Sie interpretierten die generalisierten rhythmischen Delta-Wellen (GRDA) als SE, auch wenn gemäß den Salzburger Kriterien weder eine Frequenz von 2,5 Hz oder höher noch ein Ansprechen auf Behandlung zu beobachten war [56]. Das Auftreten von klinischen epileptischen Anfällen unter dem EEG-Bild eines EDB heißt nicht automatisch, dass der EDB das iktale EEG-Muster dazu darstellt. Dazu fehlen beim sehr starren EEG-Befund des EDB auch jegliche Evolution von Frequenz und Amplitude, wie er bei einem epileptischen Anfall zu erwarten wäre. Abschließend ist nach dem gegenwärtigen Wissensstand der EDB als eher nicht-iktales, enzephalopathisches EEG-Muster zu betrachten.
D. Faziobrachiale dystone Anfälle (FBDS) im Rahmen einer Anti-LGI1-AK-vermittelten AIE und EEG
Während bei den meisten AIE eine spezifische Anfallsart fehlt, bildet die Anti-LGI1-AK-assoziierte AIE mit den schon fast pathognomonischen faziobrachialen dystonen Anfällen (FBDS) eine Ausnahme davon. Diese Anfallsart tritt bei ca. 50–70 % der Patienten auf, oftmals als erstes Symptom der AIE und bis zu 100-mal am Tag [18, 19]. Aufgrund des vermutlich operkulären oder insulären Generators in den den Oberflächen-EEG-Elektroden abgewandten tieferen Hirnarealen und der kurzen Dauer ist typischerweise kein EEG-Korrelat abzuleiten [40]; in wenigen Fällen (5–8 %) gelingt es doch, ein meist einzelnes epileptisches Signal abzuleiten [1]. Falls verfügbar, ist jedoch im EEG im Gleichstromableitungsmodus über den frontalen Ableitungen ein klarer Shift zu erkennen [60]. In gewissen Fällen können die FBDS in engem zeitlichem Rahmen gefolgt sein von klassischen Temporallappenanfällen [1, 11]. Steriade et al. beschrieben auch eine hohe Anzahl subklinischer, elektroenzephalographischer Anfälle, die auch durch Hyperventilation getriggert werden konnten, wobei nur bei einem Drittel dieser Patienten auch interiktale Entladungen vorhanden waren [41].
E. Bedeutung des Routine-EEG bzw. der (kontinuierlichen Langzeit‑)EEG-Überwachung auf der Intensivstation (ICU)
Das Routine-EEG bei ambulanten oder normal stationären Patienten dient als essenzielle Zusatzuntersuchung bei AIE-Patienten, um einerseits das Vorhandensein von Herden und v. a. epileptischer Aktivität nachzuweisen oder deren Fehlen zu registrieren, wobei Letzteres keinen Ausschluss solcher Aktivität bedeutet. Andererseits können enzephalopathische Zeichen oder pathologische Vigilanzmuster abgeleitet werden, die helfen können, die Bewusstseinslage der Patienten besser abschätzen und in den Gesamtkontext einordnen zu können [15, 22]. Zudem wird dem EEG bei der Anti-NR1-AIE und der Anti-LGI1-assoziierten AIE auch eine prognostische Bedeutung zugewiesen, in dem ein normales EEG mit einer sehr guten, ein hochgradig epileptisches EEG jedoch mit einem ICU-Aufenthalt, einer längeren Hospitalisationszeit und gelegentlich mit einer schlechteren Erholung vergesellschaftet ist [53, 60].
Das kontinuierliche Langzeit-Video-EEG-Monitoring (LVEM) ist aus diagnostischen Gründen dann indiziert, wenn bei Patienten mit AIE trotz antiepileptischer und immunologischer Therapie weiterhin der Verdacht auf subklinische oder nichtkonvulsive epileptische Anfälle oder gar einen NKSE besteht. In dieser Situation ist der Nutzen eines LVEM nachgewiesen und kann nicht überschätzt werden [22, 49]. Der Autor hat wiederholt bei AIE erlebt, dass Patienten während Stunden in einem enzephalopathischen oder schlafartigen EEG-Muster verweilten, um sich dann plötzlich wieder für Stunden in einem NKSE zu befinden (Abb. 5). Hier würden sporadische EEG dieses oszillierende Muster nicht registrieren können. Ebenso würden sie allenfalls den NKSE und die daraus folgenden therapeutischen Implikationen verpassen oder aber auch nicht nachweisen können, dass der NKSE spontan für Stunden unterbrochen wird und in ein enzephalopathisches Muster übergeht. Ebenso kann das LVEM zum Therapiemonitoring v. a. eines NKSE verwendet werden, um die Patienten weder unter- noch überzutherapieren und auch den optimalen Zeitpunkt z. B. für das Ausschleichen der Anästhetika oder allgemein eine Antiepileptikareduktion zu finden [33]. Weit unklarer ist der Stellenwert eines LVEM bei bewusstseinsgeminderten Patienten ohne epileptische Anfälle oder SE. Eine aktuelle prospektive randomisierte Multicenterstudie konnte hierzu zeigen, dass ein LVEM das Outcome nach 6 Monaten nicht verbessert [32].
F. Limbischer SE oder Enzephalopathie – wo die Grenzen verschwimmen …
Im Jahr 2012 stellten Kaplan et al. die These auf, dass eine limbische AIE oft einen limbischen (NK)SE darstelle, auch wenn dies im EEG nicht immer ableitbar sei [21]. Sie führten aus, dass gerade die limbischen Strukturen besonders weit entfernt seien von den der Hirnoberfläche zugewandten EEG-Elektroden und sich deshalb die in der Tiefe der Hirnstrukturen gelegene (kontinuierliche) epileptische Aktivität nicht im Oberflächen-EEG erfassen lasse. Deshalb schlugen sie auch vor, bei lang anhaltenden, auf rein immunologische Therapien nur ungenügend ansprechende Patienten und „nichtepileptischem“ Routine-EEG ggf. mit Tiefenelektroden abzuklären, ob allenfalls ein limbischer SE vorhanden sein könnte. In der Literatur gibt es eine Reihe von beschriebenen Fällen von v. a. cingulären und insulären oder strikt mesiotemporalen NKSE, die nur mittels solcher Tiefenelektroden entdeckt worden waren.
Dieser Vorschlag ist sicher eine wichtige Anmerkung bei der Betreuung und Behandlung von Patienten mit AIE. Dennoch kann nicht verallgemeinernd davon ausgegangen werden, dass jede AIE einen limbischen (NK)SE darstellt (was die AutorInnen auch nicht behaupten).
Es liegt in der Natur der Sache, dass durch antineuronale AK vermittelte AIE aufgrund der hohen Neurotransmitter- und Kanaldichte in den limbischen Strukturen dieses System stören und epileptische Anfälle bis hin zum SE hervorrufen können. Ein solcher würde dann entweder lokalisatorisch limbischer SE genannt oder aber von der Erscheinungsform her einem NKSE (evtl. im Koma) entsprechen [51]. Umgekehrt besteht zunehmender Konsens, dass es klinisch-elektroenzephalographisch außerordentlich anspruchsvoll sein kann, bei einem bewusstseinsveränderten Patienten eine klare Grenze zwischen einem NKSE und einem enzephalopathischen Zustand zu ziehen [34]. Ein Hauptdiskussionspunkt stellte hierbei die Wertigkeit rhythmischer und periodischer Potenziale im EEG dar (z. B. die „periodischen lateralisierten epileptiformen Entladungen [PLEDs]“), die die einen als klar epileptisch betrachteten, andere jedoch von unbestimmter Signifikanz. Es ist Chong und Hirsch zu verdanken, dass sie in einer grundlegenden Arbeit auf das Kontinuum zwischen enzephalopathischen Zuständen des Gehirns und einem NKSE hinwiesen [6]. Das Konzept wurde später von Bauer und Trinka verfeinert [2] sowie auch mit Nicht-EEG-Daten durch PET-Daten auf eine breitere Basis gestellt [42]. Für den EEG-Bereich versuchte ein Konsortium auch, EEG-Kriterien für den NKSE zu erstellen (sog. „Salzburger Kriterien“) [4], welche später validiert werden konnten [23]. Hauptsächlich verlangen die Kriterien bei Patienten ohne bekannte Enzephalopathie eine Frequenz der epileptischen Entladungen von >2,5 Hz. Sollte die Frequenz <2,5 Hz liegen oder sollten gar keine epileptischen Entladungen, sondern „nur“ rhythmische Delta- (oder Theta‑)Aktivität ableitbar sein, so muss mindestens eines der folgenden Zusatzkriterien vorhanden sein:
-
EEG-mäßige und klinische Verbesserung nach intravenöser Gabe von Antiepileptika,
-
subtile klinische iktale Phänomene (horizontaler Nystagmus, Blickwendung, autonome Zeichen, minimale Myoklonien [Augenlider, Brustwand] etc.),
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typische zeitlich-räumliche Entwicklung von niederamplitudiger, höherfrequenter zu höheramplitudiger, niederfrequenter Aktivität.
Bei Patienten mit bekannter Enzephalopathie liegt dann ein NKSE vor, wenn sich die klinischen minimalen Zeichen (s. oben) zeigen oder häufiger werden, EEG-Abläufe auch zu einer klinischen Veränderung führen oder sich eine klinische und elektroenzephalographische Besserung nach Gabe von adäquaten intravenösen Antiepileptika oder sogar Anästhetika ergeben.
Diese konzeptionellen Voraussetzungen sind wichtig, wenn beurteilt werden muss, ob bei Patienten mit AIE ein NKSE vorliegt oder aber die Bewusstseinsstörung, fokale neurologische Ausfälle sowie kognitive Einschränkungen epileptisch bedingt sind oder aber einfach auf eine strukturelle und/oder metabolische (enzephalopathische) Veränderung zurückgeführt werden können.
Zusammenfassend ist das EEG ein ganz wichtiges paraklinisches diagnostisches und den Verlauf sowie die Therapie überwachendes Instrument bei AIE. Abgesehen vom EDB gibt es kein AIE-typisches Muster im EEG, wohl aber Herde, v. a. frontal und temporal, sowie deutliche enzephalopathische Bilder. Epileptische Anfälle sind häufig, je nach involviertem AK bei 20–100 % der Patienten. Selbst ein SE kommt nicht selten vor. Bei Patienten mit starker Bewusstseinsveränderung und v. a. auch auf der ICU ist ein LVEM sehr hilfreich, um repetitive epileptische Anfälle oder gar einen NKSE von einer Enzephalopathie zu unterscheiden, was die AIE-Patienten vor Unter- oder Überbehandlung schützen kann.
Abbreviations
- AIE:
-
Autoimmune Encephalitis
- AK:
-
Antikörper
- Anti-NR1-AIE:
-
Anti-NMDA-Rezeptor-1-assoziierte autoimmune Enzephalitis
- Caspr2:
-
Contactin-assoziiertes Protein‑2
- EDB:
-
Extremer Delta-Brush
- EEG:
-
Elektroenzephalographie
- FBDS:
-
Faziobrachiale dystone epileptische Anfälle
- GABA:
-
Gamma-Amino-Buttersäure
- GFAP:
-
Gliales saures fibrilläres Protein
- GPD:
-
Generalisierte periodische Entladungen
- GRDA:
-
Generalisierte rhythmische Delta-Aktivität
- ICU:
-
Intensivstation
- LGI1:
-
Leucin-reiches Gliom-induziertes Protein‑1
- LPD:
-
Lateralisierte periodische Entladungen
- LSE:
-
Limbischer Status epilepticus
- LVEM:
-
Langzeit-Video-EEG-Monitoring
- MRI:
-
Magnetresonanztomographie
- NKSE:
-
Nichtkonvulsiver Status epilepticus
- NMDA:
-
N‑Methyl-D-Aspartat
- PET:
-
Positronenemissionstomographie
- SE:
-
Status epilepticus
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Funding
Open access funding provided by University of Basel
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Rüegg, S. EEG bei Autoimmunenzephalitiden. Z. Epileptol. 33, 278–287 (2020). https://doi.org/10.1007/s10309-020-00355-3
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DOI: https://doi.org/10.1007/s10309-020-00355-3
Schlüsselwörter
- EEG
- Autoimmune Enzephalitis
- Enzephalopathie
- Extremer Delta-Brush
- Faziobrachiale dystone Anfälle
- Limbischer Status epilepticus