Eslicarbazepinacetat (ESL, Handelsname Zebinix®) ist ein Antiepileptikum („antiepileptic drug“ [AED]) der dritten Generation, das als Monotherapie bei fokalen epileptischen Anfällen bei Erwachsenen mit neu diagnostizierter Epilepsie oder als Begleittherapie bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern >6 Jahre mit fokalen epileptischen Anfällen zugelassen ist. Um einen Überblick über individuelle Therapiestrategien, bevorzugte Kombinationstherapien und Behandlungsergebnisse mit ESL im Praxisalltag zu erhalten, werden in diesem Beitrag die Ergebnisse retrospektiver Datensammlungen aus 2 Epilepsiezentren aus Deutschland dargestellt und verglichen.

Der Natriumkanalblocker ESL gehört zur Familie der Carboxamide und ist damit chemisch verwandt mit den älteren Substanzen Carbamazepin (CBZ) und Oxcarbazepin (OXC). Im Gegensatz zu CBZ wird ESL nach oraler Einnahme primär zum antikonvulsiv wirksamen Metaboliten Eslicarbazepin hydrolysiert, wobei die Entstehung des toxischen CBZ-10,11-Epoxids vermieden wird [20]. Im Vergleich zu OXC fällt bei der Umsetzung von ESL eine höhere Konzentration an Eslicarbazepin an, bei gleichzeitig geringerer systemischer Exposition gegenüber OXC und R‑Licarbazepin, welche beide mit größerer Affinität an den Natriumkanal im Ruhezustand binden und daher zu zentralnervösen Nebenwirkungen beitragen könnten [6]. Eslicarbazepin verstärkt die langsame Inaktivierung des Natriumkanals und reduziert so die Anzahl wiederholter neuronaler Entladungen [11]. In einer klinischen Praxisstudie wurde für ESL im Vergleich zu CBZ und OXC ein reduziertes Potenzial für pharmakokinetische Wechselwirkungen mit Lamotrigin gezeigt [14]. Neben diesen metabolischen, pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Unterschieden zu anderen Carboxamid-Derivaten unterscheidet sich ESL von diesen auch dadurch, dass die Anwendung gemäß Fachinformation als tägliche Einmalgabe erfolgen soll [4].

ESL wurde in Europa 2009 zunächst als Begleittherapie bei erwachsenen Patienten zugelassen, nachdem die Wirksamkeit in 3 doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studien mit insgesamt 1049 randomisierten Patienten mit refraktärer fokaler Epilepsie demonstriert worden war. Die 1‑mal tägliche Anwendung von ESL in den Dosierungen 800 mg und 1200 mg über 12 Wochen führte konsistent zu einer signifikanten Reduktion der Anfallsfrequenz [2, 7,8,9, 23]. In Europa wurde die Zulassung als Begleittherapie im Jahr 2016 auf Kinder über 6 Jahren ausgeweitet. Gestützt wurde dies durch Daten zur Wirksamkeit aus 2 doppelblinden, randomisierten Studien der Phasen II und III. Analysen der Sicherheitsdaten zeigten keine neuen oder unerwarteten Befunde. Zudem zeigte ESL keine konsistent negativen Auswirkungen auf neurokognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Informationsverarbeitung oder Gedächtnis [15, 17]. Im Jahr 2017 erfolgte dann die Erweiterung der Zulassung als Monotherapie, basierend auf den Erkenntnissen einer doppelblinden, aktiv-kontrollierten randomisierten Phase-III-Studie, in der ESL im Vergleich zu retardiertem Carbamazepin (CBZ-CR) bei 815 Patienten mit neu diagnostizierten fokalen epileptischen Anfällen untersucht wurde. Nach einjähriger Behandlungsdauer wurde für ESL im 26-wöchigen Beurteilungszeitraum Nichtunterlegenheit gegenüber CBZ-CR hinsichtlich Anfallsfreiheit nachgewiesen [24]. Die europaweit durchgeführte nichtinterventionelle prospektive EPOS-Studie und Euro-Esli, eine Analyse von Daten europäischer Beobachtungsstudien mit mehr als 2000 Patienten, lieferten ergänzende Informationen zu Einsatz, Wirksamkeit und Verträglichkeit von ESL im klinischen Praxisalltag [13, 18, 25]. Darüber hinaus lieferten mehrere multi- und monozentrische retrospektive Datensammlungen wertvolle Einblicke in Nutzungsmodalitäten, bevorzugte Kombinationstherapien und Behandlungsergebnisse in Portugal [5], Spanien [19, 22, 26] und Großbritannien [16]. Auch in Deutschland wurde der Einsatz von ESL als Begleittherapie in einer retrospektiven Datensammlung unter Beteiligung von 18 neurologischen Zentren analysiert [12]. In den bisherigen multizentrischen Datensammlungen wurden die Daten in der Regel gepoolt analysiert. Da sich die verschiedenen Zentren jedoch in Bezug auf Patientencharakteristika, Spezialisierung und lokale Versorgungssituation unterscheiden können, wurden in der vorliegenden retrospektiven Datensammlung 2 auf die Behandlung von Patienten mit Epilepsie spezialisierte Einrichtungen (Epilepsie-Zentrum Bethel und Hochschulambulanz der Charité – Universitätsmedizin Berlin als Teil des Epilepsie-Zentrums Berlin-Brandenburg) getrennt ausgewertet und Nutzungsmodalitäten sowie Behandlungsergebnisse gegenübergestellt.

Patienten und Methoden

Ein- und Ausschlusskriterien

Im Rahmen zweier retrospektiver Erhebungen wurden Daten zum aktuellen Praxiseinsatz von ESL bei Patienten mit epileptischen Anfällen fokalen Ursprungs in 2 auf die Behandlung von Epilepsie spezialisierten Einrichtungen in Deutschland retrospektiv (Zeitraum: Januar 2012 bis Januar 2017) erfasst und ausgewertet. Der Patienteneinschluss erfolgte konsekutiv, um einen Selektionsbias zu vermeiden, und unter Berücksichtigung der folgenden Kriterien: Eingeschlossen werden konnten männliche und weibliche Patienten ≥18 Jahre, bei denen die Behandlung mit ESL nicht früher als am 01.01.2012 begonnen worden war und die keine anderweitige vorherige Behandlung mit ESL erhalten hatten. Patienten, die bereits an Phase-III-Studien zu ESL, an der nichtinterventionellen EPOS-Studie teilgenommen hatten oder deren Daten im Rahmen einer vorherigen multizentrischen retrospektiven Datenanalyse berücksichtigt worden waren, konnten nicht eingeschlossen werden.

Dokumentation

Die Datenerfassung erfolgte anonymisiert mittels eines standardisierten Excel-Sheets und auf Basis bereits im jeweiligen Zentrum verfügbarer physikalischer oder elektronischer Datenquellen. Erfasst wurden demografische Daten, epilepsiebezogene Charakteristika, Begleiterkrankungen, ehemalig oder begleitend eingenommene AEDs, Modalitäten der ESL-Therapie (Anwendungszeitraum, primäres Behandlungsziel, Dosis, ggf. Abbruchgründe), Daten zur Anfallssituation (Zahl der Anfälle/Monat vor Einstellung auf die Therapie mit ESL sowie zum Zeitpunkt der letzten informativen Visite, für alle Anfälle und getrennt nach Anfallsart), Anfallsfreiheit (Zeitkriterium ≥3 Monate), unerwünschte Ereignisse (UE) sowie Gesamteinschätzungen zu Wirksamkeit und Verträglichkeit durch den Arzt. Die Dokumentation der zugrunde liegenden Ätiologie erfolgte gemäß der in 2010 revidierten Terminologie der Internationalen Liga gegen Epilepsie [3], die Klassifikation der Anfallsarten entsprechend der in der Fachinformation abgebildeten Zulassung von ESL [4]. Die Analyse der Wirksamkeit umfasste im Detail Responderrate (Anteil Patienten mit einer Anfallsreduktion um ≥50 % im Vergleich zur Situation vor Behandlungsbeginn mit ESL) und Anteil anfallsfreier Patienten. Für die Auswertung der Anfallsfreiheit wurden nur Patienten berücksichtigt, die zur Baseline nicht anfallsfrei waren und ESL über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten eingenommen hatten. Die Gesamtbeurteilung der Wirksamkeit von ESL erfolgte durch den Arzt anhand einer 3‑stufigen Skala („sehr gut bis gut“, „mäßig“, „schlecht“). Die Analyse der Verträglichkeit umfasste Inzidenzen von UE (gesamt und nach Einzelereignis) sowie UE-bedingter Therapieabbrüche. Die Gesamtbeurteilung der Verträglichkeit erfolgte ebenfalls durch den Arzt anhand einer 3‑stufigen Skala („sehr gut bis gut“, „mäßig“, „schlecht“). Die Retention, definiert als Weiterführung der ESL-Therapie, wurde für den Zeitpunkt der letzten informativen Visite abgefragt.

Statistische Analyse

Die erhobenen Daten wurden deskriptiv mit dem Statistikprogramm SPSS für Windows (IBM Deutschland GmbH, Ehningen, Version 22.0) ausgewertet. Quantitative Parameter wurden als Mittelwerte mit Standardabweichung oder Median, qualitative Parameter als prozentuale Anteile angegeben. Die Retentionswahrscheinlichkeit für den Zeitpunkt 24 Monate wurde mithilfe der Kaplan-Meier-Methode berechnet. Responderraten und Anteile anfallsfreier Patienten wurden im Rahmen der Wirksamkeitsanalyse bestimmt. Da für Patienten, die die Behandlung mit ESL vorzeitig abbrachen, keine Daten zur aktuellen Anfallsfrequenz erhoben wurden, bezieht sich die Darstellung von Anfallsreduktion und Responderraten auf die Gruppe von Patienten ohne Therapieabbruch im Beobachtungszeitraum. Ebenso wurden Patienten, die zu Therapiebeginn mit ESL anfallsfrei waren, von dieser Berechnung ausgeschlossen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 53 Patienten aus Bielefeld-Bethel und 42 Patienten aus der Charité Berlin in die Auswertung eingeschlossen. Die mediane Beobachtungsdauer betrug 20,3 (Spanne: 0,1–61,2) Monate in Bethel und 11,9 (Spanne: 1,1–62,8) Monate in Berlin. Demografische und epilepsiebezogene Variablen sind in Tab. 1 zusammengefasst. Patienten aus Bethel waren im Durchschnitt jünger, und die Diagnosestellung erfolgte wesentlich früher, meistens bereits im Kindes- oder Jugendalter. Entsprechend hatten die Betheler Patienten auch eine längere Erkrankungsdauer als die Patienten aus Berlin. Die Anteile von Patienten mit strukturell/metabolischer (~2/3) und unbekannter Ursache (~1/3) waren zwischen den Zentren vergleichbar. Im Berliner Datensatz gab es mehr Patienten mit tumorbedingter Epilepsie (30,0 % der Patienten mit MRT-Befund vs. 12,5 % in Bethel). Herdlateralisation und -lokalisation waren bei deutlich mehr Patienten aus Berlin unbekannt als bei Patienten aus Bethel. Patienten aus Bethel hatten eine deutlich schlechtere Anfallssituation vor Therapiebeginn mit ESL mit durchschnittlich 20 (vs. 3,5 in Berlin) Anfällen pro Monat insgesamt und mehr Anfällen pro erfasstem Anfallstyp inklusive sekundär generalisiert tonisch-klonischer Anfälle (hier 4 Anfälle vs. 1 Anfall pro Monat). Kein Patient aus Bethel war vor Beginn der Therapie mit ESL anfallsfrei, dies traf jedoch auf 23,8 % der Patienten des Berliner Datensatzes zu. Bei diesen Patienten erfolgte der Einsatz von ESL primär im Sinne einer Umstellung aufgrund von Unverträglichkeiten anderer AEDs. Vor Therapiebeginn mit ESL war der Anteil von Patienten mit Depression bzw. depressiver Symptomatik in Bethel mit 30,2 % höher als in Berlin (19,0 %).

Tab. 1 Demografische Daten und epilepsiebezogene Baseline-Charakteristika

Begleitmedikation

Patienten aus Bethel waren bereits mit deutlich mehr AEDs vorbehandelt als Patienten aus Berlin: Die mediane Anzahl ehemals verabreichter und bereits abgesetzter AEDs betrug vor ESL-Behandlungsbeginn 7 (Spanne: 0–15) in Bethel und 2 (Spanne: 0–7) in Berlin. OXC und CBZ wurden in Bethel am häufigsten als ehemalige AEDs genannt. In Berlin waren Levetiracetam (LEV) und CBZ zuvor am häufigsten eingesetzt worden (Tab. 2).

Tab. 2 Ehemalige und begleitende AEDs

In Berlin wurde ESL am häufigsten als Zusatztherapie zu einer bestehenden Therapie mit 1 (45,2 %) oder 2 (21,4 %) AEDs verabreicht. In Bethel erhielten die Patienten ESL am häufigsten mit 2 (45,3 %) oder 1 (30,2 %) AED. Häufigster Bestandteil der Basistherapie waren Valproat (VPA) und Lamotrigin (LTG) in Bethel, in Berlin hingegen LEV und LTG (Tab. 2).

Bei 71,7 % der Patienten aus Bethel wurde mit Beginn der ESL-Therapie ein anderes AED abgesetzt. Dabei handelte es sich überwiegend um OXC (71,1 %) und Lacosamid (LCM, 10,5 %). Bei 69,8 % der Patienten wurde mit oder nach Beginn der ESL-Behandlung ein weiteres AED eindosiert, und zwar überwiegend LCM (35,1 %) und Brivaracetam (21,6 %).

Bei 50,0 % der Patienten aus Berlin wurde mit Eindosierung von ESL ein anderes AED abgesetzt und bei 26,2 % ein AED dosisreduziert. Dabei handelte es sich jeweils überwiegend um LEV. Bei 19,0 % der Patienten wurde mit oder nach ESL-Therapiebeginn ein weiteres AED eindosiert. Als Monotherapie wurde ESL zum Zeitpunkt des Beginns der Beobachtung bei 31,0 % der Patienten aus Berlin und bei 17,0 % aus Bethel eingesetzt.

Behandlung mit ESL und Retention

In beiden Zentren stellte eine „bessere Anfallskontrolle“ mehrheitlich (Bethel: 75,5 %, Berlin: 59,5 %) das primäre Therapieziel dar, gefolgt von „besserer Verträglichkeit“ (Bethel: 22,6 %, Berlin: 35,7 %). In Berlin wurde zudem noch „bessere Einnahmetreue“ genannt (4,8 %). Patienten in Bethel erhielten ESL in einer höheren Dosis als Patienten aus Berlin (Median 1600 mgFootnote 1 vs. 800 mg). Diese wurde bei 77,8 % der Patienten aus Bethel 2‑malFootnote 2 und bei 22,2 % 1‑mal täglich verabreicht. In Berlin erhielten 65,6 % der Patienten ESL 1‑mal und 34,4 % 2‑mal täglich. Die mediane Einnahmedauer betrug in Bethel 8,0 Monate und in Berlin 9,7 Monate. In Bethel brachen mehr Patienten die Therapie mit ESL vorzeitig ab als in Berlin (49,1 % vs. 23,8 %). Die primären Gründe sind in Tab. 3 aufgeführt. Bei einer Nachbeobachtungszeit von bis zu 24 Monaten betrug die Retentionswahrscheinlichkeit auf Basis der Ergebnisse jeweils aller eingeschlossener Patienten bei Patienten aus Bethel 40,9 % und bei Patienten aus Berlin 69,7 % (Abb. 1).

Tab. 3 Gründe für vorzeitigen Therapieabbruch
Abb. 1
figure 1

Kaplan-Meier-Analyse der Retentionswahrscheinlichkeit. Zensiert, definiert als Patienten mit fehlenden Angaben zum entsprechenden Zeitpunkt aufgrund kürzerer Beobachtungszeit (kein Therapieabbruch im Beobachtungszeitraum dokumentiert)

Wirksamkeit von ESL

In der Wirksamkeitsanalyse wurden nach Ausschluss der Patienten mit vorzeitigem Therapieabbruch sowie der Patienten, die zu Therapiebeginn anfallsfrei waren, 27 Patienten aus Bethel und 24 Patienten aus Berlin berücksichtigt. Zum Zeitpunkt der letzten Visite wurde in Bethel eine mediane Reduktion der Anfallsfrequenz von 75,0 % (Spanne: 0–100 %) erzielt, Berlin erreichte eine mediane Anfallsreduktion von 68,5 % (Spanne: −1204,3–100 %). Der negative Wert in der Spanne ergibt sich, da bei 6 Patienten eine Anfallszunahme dokumentiert wurde (Anfallsreduktion 0–<50 %: n = 5; Anfallsreduktion ≥50 %: n = 13). Zum Zeitpunkt der letzten Visite waren 37,5 % der Berliner Patienten (wobei bei 18,8 % Anfallsfreiheit erreicht und bei 18,8 % beibehalten wurde) und 18,5 % der Betheler Patienten seit ≥3 Monaten anfallsfrei. Die Responderrate betrug zum Zeitpunkt der letzten Visite in Bethel 74,1 % (n = 20), in Berlin 54,2 % (n = 13). Ähnliche Unterschiede finden sich auch in der Betrachtung der verschiedenen Anfallssubtypen mit Ausnahme der sekundär generalisiert tonisch-klonischen Anfälle wieder (Abb. 2). Bei der Mehrheit der Patienten beurteilten die Ärzte die Wirksamkeit mit „sehr gut bis gut“ (Bethel: 59,3 %, Berlin: 62,5 %).

Abb. 2
figure 2

Responderrate zum Zeitpunkt der letzten Visite. Die Responderrate war definiert als Patientenanteil mit Anfallsreduktion um ≥50 % bei Patienten mit Anfällen zu Therapiebeginn und ohne Therapieabbruch im Beobachtungszeitraum

Verträglichkeit von ESL

Insgesamt wurden bei Patienten aus Berlin mehr UE berichtet als bei Patienten aus Bethel (133 UE bei 33 Patienten vs. 29 UE bei 18 Patienten). Dabei ging in Berlin ein größerer Teil der UE (51/133) auf 6 Patienten zurück. Die Verträglichkeit von ESL wurde in Bethel überwiegend (64,2 %) mit „gut bis sehr gut“ eingestuft. In Berlin folgten 40,5 % der Ärzte dieser Einschätzung, 35,7 % stuften die Verträglichkeit mit „mäßig“ ein. Bei 9 (34,6 %) der 26 Patienten aus Bethel bzw. 4 (40 %) der 10 Patienten aus Berlin mit vorzeitigem Therapieabbruch waren UE der primäre Abbruchgrund. In Bethel wurden Hyponatriämie und Schwindel als häufigste UE genannt, in Berlin Müdigkeit, Schläfrigkeit und Aufmerksamkeitsstörung (Tab. 4). Bei den 9 Patienten aus Bethel mit Hyponatriämie wurde diese in 7 Fällen als klinisch bedeutsam eingestuft und bei 5 Patienten als Grund für den Therapieabbruch angegeben. Bei 6 Patienten bestand die Hyponatriämie bereits vor Beginn der Therapie mit ESL, bei 3 Patienten trat sie unter ESL neu auf. Der mediane minimale gemessene Natriumspiegel lag bei diesen 9 Patienten bei 125 mmol/l (Spanne: 120–134 mmol/l). Bei den 3 betroffenen Patienten aus Berlin wurde die Hyponatriämie in keinem der Fälle als klinisch bedeutsam eingestuft. Alle 3 Fälle waren unter ESL neu aufgetreten. Bei 2 Patienten war die Hyponatriämie ursächlich für ein Absetzen. Der mediane minimale gemessene Natriumspiegel lag bei diesen Patienten bei 127 mmol/l (Spanne: 124–131) mmol/l.

Tab. 4 Unter ESL aufgetretene UE (Mehrfachnennungen möglich)

Beurteilung von Depression und kognitiver Leistungsfähigkeit im Therapieverlauf

Bei 4 von 16 (25,0 %) der Patienten aus Bethel mit bekannter Depression vor Therapiebeginn wurde im Verlauf eine Verbesserung der depressiven Symptomatik konstatiert (2 Patienten [12,5 %] ohne Veränderung, 4 [25 %] nicht beurteilbar, 6 [37,5 %] keine Angabe). In Berlin war die Prävalenz von Depression vor Behandlungsbeginn insgesamt geringer (n = 8). Bei einem Patienten (12,5 %) wurde eine Verbesserung der depressiven Symptomatik im Verlauf angegeben, während sie bei 5 (62,5 %) unverändert blieb (2 [25 %] Patienten ohne Angabe). Die kognitive Leistungsfähigkeit blieb nach Ansicht des Arztes unter Therapie mit ESL bei 92,6 % der Patienten aus Bethel unverändert (7,4 % nicht beurteilbar). In Berlin wurde eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei 2 Patienten (6,3 %) berichtet. Bei 43,8 % wurde keine Veränderung beschrieben, und bei 21,9 % eine Verschlechterung (28,1 % nicht beurteilbar).

Diskussion

In der vorliegenden Untersuchung wurden Daten zum Verlauf unter ESL-Therapie aus 2 auf die Behandlung von Patienten mit Epilepsie spezialisierte Einrichtungen in Deutschland erhoben und bewertet. Das Epilepsie-Zentrum Bethel ist die größte Einrichtung zur Behandlung und Versorgung von Menschen mit Epilepsien in Deutschland und sowohl auf die Behandlung von Kindern als auch von Erwachsenen insbesondere mit therapieschwierigen Epilepsien spezialisiert. Dementsprechend ist nachvollziehbar, dass sich demografische und epilepsiebezogene Variablen der Patienten aus Bethel von denen der Patienten der Hochschulambulanz an der Charité unterscheiden, in welcher eine deutliche weniger refraktäre und um etwa 10 Jahre ältere Population angetroffen wurde. Während die Berliner Patientengruppe bezüglich Alter, Erkrankungsdauer und Anfallsfrequenz zu Baseline den Charakteristika der Gruppe von Patienten nahekommt, die im Rahmen der prospektiven nichtinterventionellen EPOS-Studie mit ESL als einzigem Zusatzmedikament zu einer AED-Monotherapie beobachtet wurde [13], weist die Betheler Kohorte insgesamt größere Ähnlichkeiten zu den Patienten auf, die in die pivotalen Phase-III-Studien zu ESL eigeschlossen wurden [8], insbesondere auch was die Anfallssituation vor Therapiebeginn mit ESL angeht, die mit etwa 20 Anfällen pro Monat deutlich schlechter war als bei den Patienten aus Berlin.

Auch wenn gegen Ende des Beobachtungszeitraums nur noch etwa die Hälfte der Patienten aus Bethel die Therapie mit ESL fortführte, kann eine Responderrate von insgesamt 74,1 % (darunter 18,5 % anfallsfrei für ≥3 Monate) angesichts dieser Ausgangssituation als positiv angesehen werden. In Bethel wurde ESL bevorzugt im Austausch gegen OXC eingesetzt, in Berlin überwiegend als Zusatztherapie zu LEV. Während andere Natriumkanalblocker wie LTG, LCM, PHT und CBZ bei Patienten aus Bethel in der Vergangenheit bei teilweise sehr langen Verläufen bereits häufig ein- und auch wieder abgesetzt worden waren, und insbesondere OXC häufig gegen ESL ausgetauscht wurde, waren diese Konstellationen bei den Patienten aus Berlin mit einer deutlich kürzeren Behandlungshistorie deutlich seltener anzutreffen. Abgesehen von Hyponatriämien, welche sich allerdings in zwei Drittel der Fälle bereits unter den Vortherapien entwickelt hatten, zeigte sich ESL in der Betheler Gruppe gut verträglich, wobei alle weiteren Nebenwirkungsqualitäten mit einer Inzidenz von deutlich weniger als 10 % auftraten. Demgegenüber wurden UE wie Müdigkeit und Schläfrigkeit, aber auch v. a. unter Natriumkanalblockern häufig beobachtete Nebenwirkungen wie Schwindel, Doppeltsehen oder Ataxie [27] bei den Berliner Patienten deutlich häufiger berichtet. Als Erklärungsansatz für diesen Unterschied käme unter Umständen infrage, dass die Betheler Patienten aufgrund ihrer Erfahrung mit AEDs im Allgemeinen und mit Natriumkanalblockern im Besonderen weniger sensibel für diese Nebenwirkungsqualitäten waren und/oder die Berliner Patienten sensitiver, Letzteres möglicherweise noch einmal verstärkt durch weitere prädisponierende Faktoren für eine reduzierte AED-Verträglichkeit wie ein höheres Alter [21]. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Art der Erfassung von Nebenwirkungen als ausschlaggebend für die berichteten Unterschiede angesehen werden kann. In der Hochschulambulanz an der Charité kommt seit 2014 standardmäßig der „Liverpool Adverse Event Profile“ Fragebogen [1, 10] zum Einsatz, der strukturiert Vorhandensein und Relevanz von 19 unter AEDs häufigen Nebenwirkungsqualitäten erfragt, wodurch sich im Vergleich zu einer weniger vorstrukturierten bzw. proaktiven Erfassung ein stärkeres Reporting von Nebenwirkungen ergibt. Der Umstand, dass ein größerer Teil der UE der Berliner Patienten auf eine vergleichsweise kleine Gruppe von 6 Patienten zurückging, sich in der Post-hoc-Betrachtung für diese Gruppe aber keine konsistenten Prädiktoren für schlechtere Verträglichkeit identifizieren ließen, spricht ebenfalls eher gegen die Annahme prädisponierender Faktoren auf Patientenseite. Auch führten UE in der Berliner Gruppe nur bei 4 Patienten zum Absetzen der Therapie mit ESL, was für eine in der Mehrzahl eher mild bis moderat ausgeprägte Symptomatik sprechen könnte. Gleichzeitig konnte in der Berliner Gruppe bei 37,5 % der Patienten Anfallsfreiheit für ≥3 Monate erhalten (18,8 %) oder erzielt (18,8 %) werden, und insgesamt war die Retentionswahrscheinlichkeit in der Berliner Gruppe höher.

Einschränkend zur Qualität der Daten und Verallgemeinerbarkeit entsprechender Schlussfolgerungen sei gesagt, dass es sich bei der vorliegenden Analyse um eine nicht kontrollierte retrospektive Untersuchung handelt. Aufgrund des Designs und der resultierenden Datenstruktur können weder Wirksamkeits- (keine dezidierte Erfassung des Anfallsoutcomes bei Therapieabbruch, retrospektive Erfassung von Wirksamkeitsparametern auf Basis von Patientenakten) noch Verträglichkeitsaspekte (retrospektive Erfassung unerwünschter Ereignisse auf Basis von Patientenakten bei uneinheitlichen Erfassungsroutinen) vollständig abgebildet werden und beinhalten ein Verzerrungspotenzial. Auch bildet eine retrospektive Analyse über einen längeren Zeitraum ohne Kontrolle ggf. eher die Summe therapeutischer Entscheidungen inklusive der zwischen den Zentren unterschiedlichen Ein- oder Abdosierung weiterer Medikamente ab denn die Wirkung eines einzelnen Medikaments. Auch wenn der Beginn der ESL-Therapie zeitlich und inhaltlich im Fokus der Datenerhebung stand, kann ein Einfluss weiterer zwischenzeitlich eingesetzter AEDs auf Retentions‑, Wirksamkeits- oder Verträglichkeitsergebnisse nicht ausgeschlossen werden, was jedoch nicht Gegenstand der Analyse war.

Trotz dieser Einschränkungen liefert die Studie differenzierte Einblicke zum Einsatz von ESL in unterschiedlichen Behandlungssituationen in Deutschland und kann in dieser Hinsicht für den Kliniker von Interesse sein.

Fazit für die Praxis

  • In der aktuellen Routinepraxis wurde ESL von der Mehrzahl der Patienten längerfristig als Therapie beibehalten.

  • ESL zeigte sich im früheren und späteren Einsatz bei Patienten, die das Medikament zum Ende des Beobachtungszeitraums noch einnahmen, mit guten Responderraten assoziiert.

  • ESL wurde in Berlin bevorzugt als Zusatztherapie zu LEV und in Bethel im Austausch gegen OXC eingesetzt.