Strukturelle MRT-Befunde

Den idiopathisch generalisierten Epilepsien (IGE) liegt eine genetisch determinierte neuronale Entwicklungsstörung zugrunde [8, 11, 16] und üblicherweise ist die konventionelle klinische Magnetresonanztomographie(MRT)-Bildgebung bei IGE-Patienten unauffällig. Allerdings haben Gruppenanalysen schon sehr früh diskrete strukturelle Auffälligkeiten bei IGE gezeigt. Die ersten morphometrischen Studien von T1-gewichteten MRT-Daten stellten Veränderungen der grauen Substanz dar, v. a. im mesialen Frontallappen [21] mit Maximum im supplementär motorischen Areal (SMA). Subkortikal zeigten sich thalamische Veränderungen (Abb. 1a; [1, 2, 14]) und in Diffusions-Tensor-Bildgebungs(DTI)-Untersuchungen Veränderungen der thalamokortikalen Verbindungen des Frontallappens [12]. Diese Befunde wurden mittlerweile mehrmals repliziert [2], insbesondere bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie (JME), dem häufigsten IGE-Syndrom.

Abb. 1
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Topographische Übersicht bildgebender Befunde bei juveniler myoklonischer Epilepsie: a Die beiden am häufigsten replizierten Befunde aus morphometrischen MRT-Studien bei JME sind eine Vermehrung von grauer Substanz im supplementär motorischen Areal (grün) und eine Reduktion im Thalamus (pink). b Die in Abb. 2 beschriebene funktionelle Koaktivierung des motorischen Systems (orange) mit kognitiver Aktivierung (rot) wird durch eine bei JME erhöhte strukturelle Konnektivität zwischen präfrontalen kognitiven Arealen und dem motorischen System vermittelt (grüne Verbindungen). Diese durchkreuzen die ansonsten in dieser Region dominierenden absteigenden motorischen Bahnen (blaue Verbindungen), was Befunde mit einer reduzierten fraktionellen Anisotropie in Diffusions-Tensor-Bildgebungs(DTI)-Daten erklärt. Die reduzierten thalamokortikalen Verbindungen des Frontallappens (rote Verbindungen) erschweren zusätzlich eine hemmende Rückkopplung auf die hyperkonnektierten und übererregbaren kognitiven und motorischen Systeme

Funktionelle MRT-Befunde bei der JME

Vor einigen Jahren ergänzten funktionelle MRT(fMRT)-Untersuchungen diese Befunde und zeigten bei JME-Patienten eine belastungsabhängige Koaktivierung des motorischen Kortex bei kognitiver Anstrengung und eine erhöhte funktionelle Konnektivität zwischen präfrontalen kognitiven Arealen und dem motorischen System (Abb. 2e, f; [17]), die mit einer mittels DTI nachgewiesenen ebenfalls erhöhten strukturellen Konnektivität korrelierte [18]. Diese Befunde boten eine schlüssige Erklärung für das JME-spezifische Phänomen der Praxisinduktion, bei der eine Kombination aus kognitiver und manueller Tätigkeit motorische Anfälle triggern kann (über eine pathologische Hyperkonnektivität zwischen ansonsten getrennten funktionellen Systemen; Abb. 1b).

Abb. 2
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Belastungsabhängige Koaktivierung des motorischen Kortex während einer fMRT-Arbeitsgedächtnisaufgabe bei JME-Patienten und ihren gesunden Geschwistern. Diese fMRT-Arbeitsgedächntisaufgabe wurde mithilfe eines Joysticks durchgeführt. In der rein motorischen Kontrollphase („0-Back“) kam es zur Aktivierung motorischer Kortexareale (primär motorischer Kortex und SMA, blaua). In den eigentlichen Arbeitsgedächntisaufgaben mit zwei Schwierigkeitsgraden wurden frontoparietale Kortexareale aktiviert (rot, „1 minus 0‑Back“, „2 minus 0‑Back“; bc). In den Kontrollphasen zeigten sich keine Aktivierungsunterschiede zwischen JME-Patienten und Kontrollen (d) oder Geschwistern und Kontrollen (g). Unter kognitiver Anstrengung während der eigentlichen Arbeitsgedächtnisaufgaben kam es jedoch sowohl bei Patienten (ef), als auch bei Geschwistern (hi) zur belastungsabhängigen Koaktivierung motorischer Kortexareale (orange). Diese Befunde bieten eine Erklärung für die typische Anfallstriggerung durch Praxisinduktion bei der JME. Ähnliche Befunde bei gesunden Geschwistern sprechen dafür, dass dieses fMRT-Merkmal erblich ist und somit als Endophänotyp dienen kann ([17, 19], L links, R rechts)

Hinweise auf gestörte Hirnreifungsprozesse

Das in vielen morphometrischen Studien beschriebene „vermehrte“ Volumen von grauer Substanz bei IGE ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Abnahme des initialen Volumens von grauer Substanz im Kindes- und Jugendalter einen wichtigen kortikalen Reifungsprozess darstellt, der mit Elimination redundanter Synapsen und Apoptose verbunden ist und mit der Entwicklung kognitiver Funktionen korreliert. In einer longitudinalen Studie an JME-Patienten [10] war die altersentsprechend zu erwartende Abnahme des kortikalen Volumens in den sich spät entwickelnden frontoparietotemporalen Assoziationskortizes bei der JME vermindert und die Patienten wiesen bereits zu Erkrankungsbeginn und im weiteren Verlauf Defizite in höheren kognitiven Fähigkeiten auf [10, 15]. Die beschriebene Hyperkonnektivität reflektiert also wahrscheinlich eine gestörte Rückbildung früh angelegter Verbindungen („synaptic pruning“), deren Persistenz, insbesondere an strategischen Strukturen wie der SMA oder dem Thalamus, letztendlich zu einer Übererregbarkeit führt.

Genetische MRT-Merkmale

Gleichzeitig liefern diese bildgebend nachgewiesenen Entwicklungsstörungen Hinweise darauf, dass die beschriebenen strukturellen Veränderungen eher Ursache als Folge einer vorliegenden JME sind. Diese Vermutung erhärtet sich durch Untersuchungen an neu diagnostizierten JME-Patienten, die bereits im ersten Erkrankungsjahr in volumetrischen [13] und DTI-Studien [5] signifikante strukturelle Veränderungen insbesondere des Thalamus und frontaler Strukturen beschrieben – zu früh, um Folge einer chronischen Erkrankung zu sein. Den letztendlichen Beweis hierfür lieferten Studien an gesunden Geschwistern von JME-Patienten: In einer fMRT-Arbeitsgedächtnisstudie [19] zeigte sich analog zur Voruntersuchung bei Patienten [17] die gleiche erhöhte funktionelle Konnektivität zwischen den parietofrontalen Arbeitsgedächtnisnetzwerken und dem motorischen System (Abb. 2). Neuropsychologische Untersuchungen hatten bereits ähnliche Frontalhirnfunktionsstörungen bei JME-Patienten und ihren gesunden Geschwistern nachgewiesen [4, 7, 9, 20].

Vor dem Hintergrund der hohen genetischen Prädisposition der JME mit einer komplexen Beteiligung von über 100 verschiedenen Genen [8] können bestimmte strukturelle und funktionelle MRT-Merkmale als sog. „Endophänotypen“ dienen. Dabei geht man davon aus, dass bestimmte erbliche MRT-Merkmale von jeweils nur wenigen Geneffekten beeinflusst werden, die auch bei nicht erkrankten Verwandten nachgewiesen werden können [19] und deswegen – unabhängig von Medikamenteneffekten oder chronischer Krankheitsaktivität – auch weniger heterogen sind als der vollständige Krankheitsphänotyp [3, 6]. Solche bildgebend definierten Endophänotypen können in Zukunft helfen, komplexe polygenetische Erkrankungen wie die JME in verschiedene Komponenten aufzuteilen, die ein Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen ermöglicht.

Fazit für die Praxis

  • Trotz unauffälliger klinischer MRT-Bildgebung zeigen moderne bildgebende Verfahren in Gruppenanalysen diskrete strukturelle und funktionelle Veränderungen bei IGE-Patienten.

  • Bisher lassen sich diese Befunde jedoch nicht auf einzelne Patienten übertragen.

  • Eine erhöhte Konnektivität zwischen kognitiven und motorischen Kortexarealen bei JME bietet eine Erklärung für krankheitstypische Phänomene, wie der Auslösung von motorischen Anfällen durch kognitive Anstrengung.

  • Bestimmte bildgebende und kognitive Befunde finden sich auch bei nicht erkrankten Geschwistern. Dies deutet darauf hin, dass der IGE und insbesondere der JME eine genetisch determinierte neuronale Entwicklungsstörung zugrunde liegt.

  • Die hierdurch bedingten kognitiven Funktionsstörungen sollten im klinischen Umgang mit den Patienten Beachtung finden und als Teil des Syndroms verstanden werden.